Einladung an Neuffer

[237] Dein Morgen, Bruder, ging so schön hervor,

So herrlich schimmerte dein Morgenrot –

Und doch – und doch besiegt ein schwarzer Sturm

Das hehre Licht – und wälzet schreckenvoll

Den grimmen Donner auf dein sichres Haupt!

O Bruder! Bruder! daß dein Bild so wahr,

So schrecklich wahr des Lebens Wechsel deutet!

Daß Disteln hinter Blumengängen lauern –

Und Jammer auf die Rosenwange schielt!

Und bleicher Tod in Jünglingsadern schleicht,

Und bange Trennung treuer Freunde Los

Und edler Herzen Schicksal Druck und Kummer ist!

Da baun wir Plane, träumen so entzückt

Vom nahen Ziel – und plötzlich, plötzlich zuckt

Ein Blitz herab, und öffnet uns die Augen!

Du frägst, warum dies all? – aus heller Laune.

Ich sah im Geist sich deine Stirne wölken,

In deiner Eingezogenheit – da ging

Ich trüben Blicks hinab zu meinem Neckar

Und sah in seine Wogen, bis mir schwindelte –

Und kehrte still und voll der dunklen Zukunft,

Und voll des Schicksals, welches unsrer wartet,

Zurück – und setzte mich, und also ward

Die – freilich nicht erbauliche – Tirade

Vom ungewissen Wechsel unsers Lebens.

Doch – komme du – du scherze mir Tiraden

Und Ahndungen der Zukunft von der Stirne weg,[238]

O komm – es harret dein ein eigen Deckelglas

Stiefmütterlich soll wahrlich nicht mein Fäßchen sein.

Und findst du schon kein Städtermahl, so würzet es

Doch meine Freundschaft, und der Meinen guter Wille.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Stuttgart 1946, S. 237-239.
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