Hymne an die Schönheit

[153] (Erste Fassung)


Hab ich vor der Götter Ohren,

Zauberische Muse, dir

Lieb und Treue nicht geschworen?

Sankst du nicht in Lust verloren

Glühend in die Arme mir? –

Ha! so wall ich ohne Zagen,

Durch die Liebe froh und kühn,

Lächelnd zu den Höhen hin,

Wo die letzten Nächte tagen,

Wo der Sonnen letzte schien.


Waltend über Orionen,

Wo der Sterne Klang verhallt,

Lächelt, opfernden Dämonen

Mit der Liebe Blick zu lohnen,

Schönheit in der Urgestalt;

Dort dem hohen Götterglanze

Der Gebieterin zu nahn,

Flammet Lieb und Stolz mich an,

Denn mit hellem Siegeskranze

Lohnet sie die kühne Bahn.


Reinere Begeisterungen

Trinkt die freie Seele schon,

Meines Lebens Peinigungen

Hat die neue Lust verschlungen,[154]

Nacht und Wolke sind entflohn;

Wann im schreckenden Gerichte

Schnell der Welten Achse bricht,

Hier erbebt die Liebe nicht,

Wo von ihrem Angesichte

Lieb und Göttergröße spricht.


Stiegst du so zur Erde nieder,

Hohe süße Zauberin!

Ha! der Staub erwachte wieder

Und des Kummers morsche Glieder

Hüpften üppig vor dir hin;

Von der Liebe Blick betroffen

Bebt' und küßte brüderlich

Groll und wilder Hader sich,

Wie der Himmel, hell und offen

Grüßten Wahn und Irre dich.


Schon im grünen Erdenrunde

Schmeckt ich hohen Vorgenuß,

Bebend dir am Göttermunde

Trank ich früh der Weihestunde

Süßen mütterlichen Kuß;

Fremde meinem Kindersinne

Folgte mir zu Wies und Wald

Die arkadische Gestalt.

Ha! und staunend ward ich inne

Ihres Zaubers Allgewalt.


In den Tiefen und den Höhen

Der erfreuenden Natur[155]

Fand ich, Wonne zu erspähen

Von der Holdin ausersehen,

Liebetrunken ihre Spur;

Wo das Tal der Blumenhügel

Freundlich in die Arme schloß,

Wo die Quelle niederfloß

In den klaren Wasserspiegel,

Fand ich Spuren, hold und groß!


Glühend an der Purpurwange

Sanft berührt vom Lockenhaar,

Von der Lippe, süß und bange

Bebend in dem Liebesdrange,

Vom geschloßnen Augenpaar, –

In der hohen Meisterzüge

Wonniglicher Harmonie,

In der Stimme Melodie

Fand, verraten ihrem Siege,

Fand die trunkne Seele Sie.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Stuttgart 1946, S. 153-156.
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