Der Einzige

[164] [Zweite Fassung]


Was ist es, das

An die alten seligen Küsten

Mich fesselt, daß ich mehr noch

Sie liebe, als mein Vaterland?

Denn wie in himmlischer

Gefangenschaft gebückt, in flammender Luft

Dort bin ich, wo, wie Steine sagen, Apollo ging

In Königsgestalt,

Und zu unschuldigen Jünglingen sich

Herabließ Zevs und Söhn in heiliger Art

Und Töchter zeugte

Der Hohe unter den Menschen.


Der hohen Gedanken

Sind nämlich viel

Entsprungen des Vaters Haupt

Und große Seelen

Von ihm zu Menschen gekommen.

Gehöret hab ich

Von Elis und Olympia, bin

Gestanden oben auf dem Parnaß,

Und über Bergen des Isthmus,

Und drüben auch

Bei Smyrna und hinab

Bei Ephesos bin ich gegangen;
[165]

Viel hab ich Schönes gesehn,

Und gesungen Gottes Bild

Hab ich, das lebet unter

Den Menschen, denn sehr dem Raum gleich ist

Das Himmlische reichlich in

Der Jugend zählbar, aber dennoch,

O du der Sterne Leben und all

Ihr tapfern Söhne des Lebens,

Noch Einen such ich, den

Ich liebe unter euch,

Wo ihr den letzten eures Geschlechts,

Des Hauses Kleinod mir

Dem fremden Gaste verberget.


Mein Meister und Herr!

O du, mein Lehrer!

Was bist du ferne

Geblieben? und da

Ich fragte unter den Alten,

Die Helden und

Die Götter, warum bliebest

Du aus? Und jetzt ist voll

Von Trauern meine Seele,

Als eifertet, ihr Himmlischen, selbst,

Daß, dien ich einem, mir

Das andere fehlet.


Ich weiß es aber, eigene Schuld ists! Denn zu sehr,

O Christus! häng ich an dir, wiewohl Herakles Bruder

Und kühn bekenn ich, du bist Bruder auch des Eviers, der

Die Todeslust der Völker aufhält und zerreißet den Fallstrick,

Fein sehen die Menschen, daß sie[166]

Nicht gehn den Weg des Todes und hüten das Maß, daß einer

Etwas für sich ist, den Augenblick,

Das Geschick der großen Zeit auch,

Ihr Feuer fürchtend, treffen sie, und wo

Des Wegs ein anderes geht, da sehen sie

Auch, wo ein Geschick sei, machen aber

Das sicher, Menschen gleichend oder Gesetzen.


Es entbrennet aber sein Zorn; daß nämlich

Das Zeichen die Erde berührt, allmählich

Aus Augen gekommen, als an einer Leiter.

Diesmal. Eigenwillig sonst, unmäßig

Grenzlos, daß der Menschen Hand

Anficht das Lebende, mehr auch, als sich schicket

Für einen Halbgott, Heiliggesetztes übergeht

Der Entwurf. Seit nämlich böser Geist sich

Bemächtiget des glücklichen Altertums, unendlich,

Langher währt Eines, gesangsfeind, klanglos, das

In Maßen vergeht, des Sinnes Gewaltsames. Ungebundenes aber

Hasset Gott. Fürbittend aber


Hält ihn der Tag von dieser Zeit, stillschaffend,

Des Weges gehend, die Blüte der Jahre.

Und Kriegsgetön, und Geschichte der Helden unterhält, hartnäckig Geschick,

Die Sonne Christi, Gärten der Büßenden, und

Der Pilgrime Wandern und der Völker ihn, und des Wächters

Gesang und die Schrift

Des Barden oder Afrikaners. Ruhmloser auch

Geschick hält ihn, die an den Tag

Jetzt erst recht kommen, das sind väterliche Fürsten. Denn viel ist der Stand[167]

Gottgleicher, denn sonst. Denn Männern mehr

Gehöret das Licht. Nicht Jünglingen.

Das Vaterland auch. Nämlich frisch


Noch unerschöpfet und voll mit Locken.

Der Vater der Erde freuet nämlich sich des

Auch, daß Kinder sind, so bleibet eine Gewißheit

Des Guten. So auch freuet

Das ihn, daß eines bleibet.

Auch einige sind, gerettet, als

Auf schönen Inseln. Gelehrt sind die.

Versuchungen sind nämlich

Grenzlos an die gegangen.

Zahllose gefallen. Also ging es, als

Der Erde Vater bereitet Ständiges

In Stürmen der Zeit. Ist aber geendet.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Stuttgart 1953, S. 164-168.
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