Mnemosyne

[205] [Dritte Fassung]


Reif sind, in Feuer getaucht, gekochet

Die Frücht und auf der Erde geprüfet und ein Gesetz ist,

Daß alles hineingeht, Schlangen gleich,

Prophetisch, träumend auf

Den Hügeln des Himmels. Und vieles

Wie auf den Schultern eine

Last von Scheitern ist

Zu behalten. Aber bös sind

Die Pfade. Nämlich unrecht,

Wie Rosse, gehn die gefangenen

Element und alten

Gesetze der Erd. Und immer

Ins Ungebundene gehet eine Sehnsucht. Vieles aber ist

Zu behalten. Und not die Treue.

Vorwärts aber und rückwärts wollen wir

Nicht sehn. Uns wiegen lassen, wie

Auf schwankem Kahne der See.


Wie aber Liebes? Sonnenschein

Am Boden sehen wir und trockenen Staub

Und heimatlich die Schatten der Wälder und es blühet

An Dächern der Rauch, bei alter Krone

Der Türme, friedsam; gut sind nämlich

Hat gegenredend die Seele

Ein Himmlisches verwundet, die Tageszeichen.

Denn Schnee, wie Maienblumen[206]

Das Edelmütige, wo

Es seie, bedeutend, glänzet auf

Der grünen Wiese

Der Alpen, hälftig, da, vom Kreuze redend, das

Gesetzt ist unterwegs einmal

Gestorbenen, auf hoher Straß

Ein Wandersmann geht zornig,

Fern ahnend mit

Dem andern, aber was ist dies?


Am Feigenbaum ist mein

Achilles mir gestorben,

Und Ajax liegt

An den Grotten der See,

An Bächen, benachbart dem Skamandros.

An Schläfen Sausen einst, nach

Der unbewegten Salamis steter

Gewohnheit, in der Fremd, ist groß

Ajax gestorben,

Patroklos aber in des Königes Harnisch. Und es starben

Noch andere viel. Am Kithäron aber lag

Elevtherä, der Mnemosyne Stadt. Der auch, als

Ablegte den Mantel Gott, das Abendliche nachher löste

Die Locken. Himmlische nämlich sind

Unwillig, wenn einer nicht die Seele schonend sich

Zusammengenommen, aber er muß doch; dem

Gleich fehlet die Trauer.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Stuttgart 1953, S. 205-207.
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