An die Deutschen

[8] Spottet nimmer des Kinds, wenn noch das alberne

Auf dem Rosse von Holz herrlich und viel sich dünkt,

O ihr Guten! auch wir sind

Tatenarm und gedankenvoll!


Aber kommt, wie der Strahl aus dem Gewölke kommt,

Aus Gedanken vielleicht, geistig und reif die Tat?

Folgt die Frucht, wie des Haines

Dunklem Blatte, der stillen Schrift?


Und das Schweigen im Volk, ist es die Feier schon

Vor dem Feste? die Furcht, welche den Gott ansagt?

O dann nimmt mich, ihr Lieben!

Daß ich büße die Lästerung.


Schon zu lange, zu lang irr ich, dem Laien gleich,

In des bildenden Geists werdender Werkstatt hier,

Nur was blühet, erkenn ich,

Was er sinnet, erkenn ich nicht.


Und zu ahnen ist süß, aber ein Leiden auch,

Und schon Jahre genug leb ich in sterblicher

Unverständiger Liebe

Zweifelnd, immer bewegt vor ihm,


Der das stetige Werk immer aus liebender

Seele näher mir bringt, lächelnd dem Sterblichen,[9]

Wo ich zage, des Lebens

Reine Tiefe zu Reife bringt.


Schöpferischer, o wann, Genius unsers Volks,

Wann erscheinest du ganz, Seele des Vaterlands,

Daß ich tiefer mich beuge,

Daß die leiseste Saite selbst


Mir verstumme vor dir, daß ich beschämt

Eine Blume der Nacht, himmlischer Tag, vor dir

Enden möge mit Freuden,

Wenn sie alle, mit denen ich


Vormals trauerte, wenn unsere Städte nun

Hell und offen und wach, reineren Feuers voll

Und die Berge des deutschen

Landes Berge der Musen sind,


Wie die herrlichen einst, Pindos und Helikon,

Und Parnassos, und rings unter des Vaterlands

Goldnem Himmel die freie,

Klare, geistige Freude glänzt.


Wohl ist enge begrenzt unsere Lebenszeit,

Unserer Jahre Zahl sehen und zählen wir,

Doch die Jahre der Völker,

Sah ein sterbliches Auge sie?


Wenn die Seele dir auch über die eigne Zeit

Sich, die sehnende, schwingt, trauernd verweilest du

Dann am kalten Gestade

Bei den Deinen und kennst sie nie,
[10]

Und die Künftigen auch, sie, die Verheißenen,

Wo, wo siehest du sie, daß du an Freundeshand

Einmal wieder erwarmest,

Einer Seele vernehmlich seist?


Klanglos, ists in der Halle längst,

Armer Seher! bei dir, sehnend verlischt dein Aug

Und du schlummerst hinunter

Ohne Namen und unbeweint.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Stuttgart 1953, S. 8-11.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon