Der Abschied

[25] [Zweite Fassung]


Trennen wollten wir uns? wähnten es gut und klug?

Da wirs taten, warum schröckte, wie Mord, die Tat?

Ach! wir kennen uns wenig,

Denn es waltet ein Gott in uns.


Den verraten? ach ihn, welcher uns alles erst,

Sinn und Leben erschuf, ihn, den beseelenden

Schutzgott unserer Liebe,

Dies, dies Eine vermag ich nicht.


Aber anderen Fehl denket der Weltsinn sich,

Andern ehernen Dienst übt er und anders Recht,

Und es listet die Seele

Tag für Tag der Gebrauch uns ab.


Wohl! ich wußt es zuvor. Seit die gewurzelte

Ungestalte, die Furcht Götter und Menschen trennt,

Muß, mit Blut sie zu sühnen,

Muß der Liebenden Herz vergehn.


Laß mich schweigen! o laß nimmer von nun an mich

Dieses Tödliche sehn, daß ich im Frieden doch

Hin ins Einsame ziehe,

Und noch unser der Abschied sei!
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Reich die Schale mir selbst, daß ich des rettenden

Heilgen Giftes genug, daß ich des Lethetranks

Mit dir trinke, daß alles,

Haß und Liebe, vergessen sei!


Hingehn will ich. Vielleicht seh ich in langer Zeit

Diotima! dich hier. Aber verblutet ist

Dann das Wünschen und friedlich

Gleich den Seligen, fremde gehn


Wir umher, ein Gespräch führet uns ab und auf,

Sinnend, zögernd, doch itzt mahnt die Vergessenen

Hier die Stelle des Abschieds,

Es erwarmet ein Herz in uns,


Staunend seh ich dich an, Stimmen und süßen Sang,

Wie aus voriger Zeit, hör ich und Saitenspiel,

Und die Lilie duftet

Golden über dem Bach uns auf.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Stuttgart 1953, S. 25-27.
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