Der Bach

[162] Wie Blandusiens Quell rausche der Afterwelt

Deine Lispel, o Bach, tanze der Enkelin

Silberblinkend vorüber,

Grünt, ihr Erlen des Ufers, ihr!


Dieses Rieselgeräusch, welches dem Quell enttönt,

Dieses Zittern des Laubs, flüstert mein Herz in Ruh,

Gießt ein lindes Erbeben

Durch die Saiten der Seele mir.


Lieblich wirbelst du hier, Zauberin Nachtigall!

Deinem Abendgesang lauschet dein Freund hier oft,

Und dem Wellengeplätscher,

Und dem Säuseln des Uferschilfs.


Dann durchhüpf ich, als Kind, wieder die Frühlingsflur,

Trage Blumen im Hut, tummle mein Steckenroß,

Oder schaffe mir Welten,

Und bin König und Herr darin.


Ein balsamischer Hayn säuselt um mich empor,

Eine Hütte darin winket dem Schaffenden,

Und ein freundliches Mädchen

Hüpft im Garten, und lächelt mir.


Von des fliehenden Tags Golde beflimmert, rauscht

Sie durchs Rosengebüsch, giebt mir den ersten Kuß,

Fleucht, und lächelt, und birgt sich

Wieder hinter den Blüthenbusch.


Weil', ich fliege dir nach! Warum entflohest du?

Plözlich lispelt der Strauch, Himmel! sie schlüpft hervor,

Und es schüttelt der Strauch ihr

Einen Regen von Blüthen nach.
[162]

Wie Blandusiens Quell, rausche der Afterwelt

Deine Lispel, o Bach, tanze der Enkelin

Silberblinkend vorüber,

Grünt, ihr Erlen des Ufers, ihr!
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Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 162-164.
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