Elegie auf einen Stadtkirchhof

[40] Hespers Lampe funkelt schon im Westen,

Abendlüftchen buhlen

Mit den Wiesenblumen, mit den Büschen,

Die der Frühling röthet.


Zephyr scherzet mit des Mädchens Busen,

Das der Stadt entfliehet,

Und am Arme eines bunten Stutzers

Durch die Wiese gaukelt.


Gaukelt nur, ihr bunten Schmetterlinge!

Andre Scenen laden

Mich zur Grotte, wo die Schwermuth lauschet,

Der Betrachtung Mutter.


Wie der Fackeln goldne Locken wallen!

Wie der Leichenwagen

Durch das Stadtthor rollet! Wie die Wehmuth

Aus den Augen träufelt!


Mische dich, o Muse, in die Reihen,

Die der Bahre folgen,

Wandle auf den Kirchhof, wo der Städter

Unter Marmor schlummert.


Weile bey den goldnen Mausoläen,

Bey den Aschenkrügen,

Die den Vorhang vor die bunte Scene

Dieses Lebens ziehen.
[40]

Rosenwangen liegen hier im Arme

Der Verwesung, Hände,

Die so schön den Fächer schwangen, Füße,

Wie des Windes Flügel.


Arme Schönen! wo sind nun die Grübchen,

Wo die Scherze saßen

Und die Herzen raubten, wo Gott Amor

Seine Pfeile spitzte?


Moder naget an dem schönen Schleyer,

Den ein Geist bewohnte,

Der nur Moden, Opern, Aßambleen

Und Redouten dachte.


Nacht verschließt die großen blauen Augen,

Deren Blick den Himmel

Oefnete, die schmelzende Entzückung

In die Seelen blitzten.


Zauberische Augen! Sie erblickten

Nie die Morgenröthe,

Hiengen lieber an der goldnen Weste,

Als an Frühlingsblumen.


Auch der bunte Schmetterling, der Stutzer,

Der die kleine Spanne

Seines Lebens durchgeflattert hatte,

Hört hier auf zu flattern.


Todesschlummer sitzt auf seiner Scheitel,

Die er jeden Morgen

Mit Romanenscherzen, seine Schönen

Zu bezaubern, füllte.
[41]

Welch Gewühl von Hügeln! Wollüstlinge,

Deren Blumentage

Lauter Spiele, lauter Scherze waren,

Ruhen unter Wuchrern.


Lieblinge Lyäens, welche Rosen

Um die Becher wanden,

Ruhen unter Krämern und Pedanten,

Unter Waßertrinkern.


Dummheit schlummert bey Talenten, Reichthum

Bey dem Bettlerstabe,

Freude, deren Herz sich auf der Stirne

Malet, bey der Schwermuth.


Wie sich jene Marmorsäule brüstet,

Die vielleicht die Asche

Eines Harpagon mit Pomp bekleidet,

Der nur Münze zählte.


Staunend gafft der Pöbel nach der Säule,

Nicht nach jenem Hügel,

Dort im Winkel, den ein blauer Teppich

Von Violen kleidet.


Sey gegrüßt, du Hügel, wo ein Liebling

Der Kamönen ruhet,

Der den Busen oft durch seine Laute

In Entzückung schmelzte.


Seine Laute tönte durch die Dämmrung,

Wenn der junge Morgen,

Mit dem goldnen Kleide, mit den Rosen

Um die Stirn' erwachte.
[42]

Welche Freude, wenn in jeder Perle,

Die am Wipfel klebte,

Eine kleine Morgensonne blitzte,

Schlug in seinem Busen!


Hingegoßen auf den Blumenteppich,

Sah er, wie die Wellen

Plätschernd mit den bunten Kieseln scherzten,

Die den Boden deckten.


Einsam schlich er durch die Lindengänge,

Wenn die Sterne glänzten,

Und der Mond den Saum der grünen Schatten

Uebergoldet hatte.


Klaget ihn, den guten Hainenwandler,

Espenwipfel! Wieget

Eure lauen Flügel, Sommerlüftchen,

An dem frommen Hügel!


Mädchen, wenn ihr seinen Hügel sehet,

Pflücket eine Blume

Mit den Perlen, die an ihrem Busen

Hangen, von dem Grabe.
[43]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 40-44.
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