[59] Arthur hatte sich vorgenommen, die Wohnung des Mädchens, das er still und wahr liebte, behaglich und angenehm zu finden, wenn auch gerade nicht viel von dem, was zum Comfort des Lebens[59] gehört. Das Vorzimmer erschien ihm aber etwas zu ärmlich; er bemerkte Nichts als in einer Ecke ein Bett und in der anderen einen alten Stuhl. Das Wohnzimmer kennt der geneigte Leser bereits; wenn er es auch nur bei Nacht gesehen, so müssen wir ihm doch leider die Versicherung geben, daß es heute beim trüben Tageslicht – einem falben Lichte, das sich kaum nothdürftig durch die hohen, finsteren Dächer und den Schnee und Regen, der draußen fiel, herein stehlen konnte, – nicht viel wohnlicher aussah.
Herr Staiger in seinem unvermeidlichen blauen Ueberrock saß am Fenster und schrieb wie immer eifrig darauf los. Wärmer war es heute freilich in dem Zimmer, als an jenem Abend, und das kam daher, weil das kleine Mädchen gerade im Begriff war, einen Topf Kartoffeln in dem Ofen sieden zu lassen. Die Thüre desselben stand halb offen, und es drang ein leichter Wasserdampf daraus hervor, der von dem Bübchen, das neben seiner Schwester stand, begierig aufgesogen wurde.
Der alte Mann an dem Fenster richtete seinen Blick von der Arbeit auf und sah den Eingetretenen scharf an. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe er ihn erkannte, dann aber steckte er die Feder hinter das Ohr, erhob sich freundlich und eilte seinem Bekannten entgegen, um ihm herzlich die Hand zu schütteln.
Das Bübchen schaute aufmerksam zu; es hatte auf seinem Kopfe einen Hut von Papier in militärischer Form und in der Hand ein sehr kunstlos gearbeitetes hölzernes Schwert. Es hatte vorhin von dem Schneider gesprochen, und als der Fremde eintrat, den Griff seines Schwertes erfaßt. Jetzt aber, als es sah, daß der fremde Mann in friedlicher Absicht zu kommen schien, fuhr es mit der Hand an seinen papierenen Hut und grüßte militärisch.
»Sehen Sie, ich halte Wort,« sagte Arthur, »und wäre schon früher gekommen, aber ich wollte Ihnen Zeit lassen, um wegen unseres Geschäftes zu überlegen.«
»Ah! was die Illustrationen anbelangt! Ja, ich habe mich[60] auch schon damit beschäftigt und Einiges aufgeschrieben. Kommen Sie an meinen Arbeitstisch und nehmen Sie Platz.«
Arthur setzte sich dem alten Manne gegenüber an's Fenster und blickte nachdenkend hinaus. Es war dies dasselbe Fenster, durch welches er so oft Licht schimmern sah, wenn es ihm erlaubt war, die Tänzerin bis an's Haus zu begleiten. Jetzt war er ohne ihr Vorwissen in ihr Asyl gedrungen und hatte damit gewissermaßen ihren dringenden Wunsch, ihren Befehl übertreten. Doch entschuldigte er sich mit den Umständen, welche ihn hieher geführt, und redete sich ein, er würde ja im Auftrage des Buchhändlers den alten Herrn auch besucht haben, selbst wenn er nicht gerade Clara's Vater wäre, was auch so halb und halb seine Richtigkeit hatte.
»Haben Sie schon an unsere Sache gedacht?« fragte Herr Staiger. »Wird es Ihnen nicht schwer werden, hier in unserem stillen Leben Physiognomien zu Ihren Gebilden zu finden, oder wollen Sie sich ganz Ihrer Phantasie überlassen?«
»Nein, nein!« entgegnete Arthur, »ich werde mich so viel als möglich an Personen halten, die mir gerade aufstoßen, natürlicherweise, ohne gerade Porträts zu liefern. O, es gibt hier Köpfe, genug, die ganz prächtig für Sklaven und ihre Käufer und Verkäufer passen.«
»Glauben Sie?« sagte der alte Mann und sah ihn mit einem leuchtenden Blicke an. »Das habe ich mir auch schon gedacht; und meinen Sie nicht auch, daß es hier bei uns nicht nur Menschen gibt, die den in diesem Buche beschriebenen gleichen, sondern daß sich auch für manche unserer Verhältnisse darin große Aehnlichkeiten finden?«
»Gewiß!« erwiderte Arthur lächelnd, und dachte an Madame Becker und Herrn Blaffer. Dem Gedanken an den letzteren lieh er auch Worte, indem er sagte: »ich würde mir gar gern das Vergnügen machen, unseren gemeinschaftlichen Buchhändler und Freund als Sklavenhändler darzustellen. Aber er wird es nicht zugeben, daß man ihn auf solche Art in Holz schneidet und verewigt.«[61]
»Nein, gewiß nicht!« versetzte Herr Staiger. »So Etwas wollen wir auch gar nicht unternehmen; Gott soll mich bewahren! Das müßte mich ohne Weiteres um seine Kundschaft bringen.«
Das Bübchen war unterdessen näher geschlichen, steckte den Kopf unter den Arm seines Vaters und sah den fremden Mann mit seinen großen treuherzigen Augen an.
Nothwendigerweise mußte jetzt Arthur fragen: »Das sind Ihre Kinder, Herr Staiger?«
Und eben so sicher war es, daß der alte Mann darauf antwortete: »Es sind meine beiden jüngsten; meine älteste Tochter wird bald nach Hause kommen. Die haben Sie gewiß schon oft gesehen?«
So unbefangen nun diese Frage an und für sich war, so verursachte sie doch dem Maler einiges Herzklopfen, denn er wußte nicht, ob der Vater das öftere Sehen auf das Hoftheater bezog, oder ob er am Ende Kunde hatte, daß der vor ihm sitzende junge Mann seine Clara schon zum öfteren Male nach der Balkenstraße begleitet habe.
Doch fuhr der alte Herr gleich darauf arglos fort: »Meine Tochter ist bei dem Ballet angestellt, und da wäre es doch möglich, daß Sie vielleicht schon ihren Namen gelesen und sie gesehen haben.«
»Clara tanzt sehr schön,« sagte das Bübchen mit Bestimmtheit; worauf es sich aber augenblicklich dieser Worte schämte und seinen Kopf unter den Arm des Vaters verbarg.
»Woher weißt du das, kleiner Mann?« fragte Arthur lachend. »Du gehst doch gewiß noch nicht in's Theater.«
»Sie haben bei der Schwester so lange gebettelt,« antwortete Herr Staiger statt des Gefragten, »bis Clara sie einstens in eine Generalprobe nahm. Auch übt sie sich zuweilen hier zu Hause.«
»Dort an der Stange,« setzte der Knabe hinzu; »und dann hat sie ein kurzes Röckchen an und einen schwarzen Spenser. Wenn[62] du es einmal sehen willst, so mußt du morgen früh kommen; jetzt ist es dazu zu spät, denn wir werden gleich essen.«
»Das ist wahr; daran habe ich nicht gedacht,« entgegnete Arthur, »und ich bin zu einer ganz ungelegenen Zeit gekommen.«
»Clara wird gleich nach Hause kommen,« sprach das Bübchen, »dann kannst du sie sehen. Aber tanzen thut sie nicht.«
»Ich wäre auch zu einer schicklicheren Stunde gekommen,« fuhr Arthur fort, anscheinend ohne auf das Geplauder des Kleinen zu achten, »aber Sie sagten mir selbst, von Zwölf bis Eins sei die Stunde Ihrer Ruhe.«
Es ist für alle Fälle des Lebens gut, wenn der Mensch mit Verstand und Ueberlegung zu lügen versteht.
»Die Kinder plaudern immer von dem, was sie am liebsten thun,« erwiderte Herr Staiger; »und dazu gehört namentlich das Essen.«
»Wir haben heute Kartoffeln mit Gänsefett,« sagte Karl mit dem größten Ernst; »und das mag ich; vielleicht bringt auch Clara eine Wurst mit. Willst du mitessen?«
Die vorsichtigere und einige Jahre ältere Schwester hatte sich in diesem Augenblicke hinter den Stuhl ihres Vaters geschlichen und zog den kleinen Indiskreten ein paar Schritte zurück: erstens, um ihm die Nase zu putzen, und zweitens, um ihm artiges Betragen einzuschärfen. Doch war er nicht so leicht von dem Gaste – ein solcher war nämlich in der Familie etwas Seltenes – wegzubringen, und Arthur ermunterte ihn, da ihm die unbefangenen Reden des Kleinen Spaß machten.
Herr Staiger zog unter seinen Papieren einen beschriebenen Bogen hervor und sagte: »Sie haben mich neulich gebeten, einige Momente aufzuschreiben, die ich zu Illustrationen für besonders geeignet hielte. Ich habe es mit Schüchternheit gethan, und hier sind nun ein paar verzeichnet. Man muß natürlich die grassesten Episoden hervor heben, und daran fehlt es in dem Buche nicht.[63] Es ist da zusammen getragen, was ein Menschenherz nur erschüttern und zerschmettern kann.«
»Und läßt sich leicht zeichnen,« versetzte Arthur, »da dort Alles ohne Scheu und öffentlich vor sich geht. – Aber gerade diese Oeffentlichkeit,« fuhr er fort, »mit der jene Sachen in den Sklavenstaaten betrieben werden, gewährt für die armen Schlachtopfer eine Art Trost. Man bringt sie auf den Markt, sie wissen, daß sie verkauft werden, es geht das Alles nach bestimmten, wenn auch harten Gesetzen, nicht wie bei uns, wo dieselben schauderhaften Geschichten im Geheimen und mit raffinirter Grausamkeit betrieben werden. Hier wäre es schwieriger, eine Onkel Tom's Hütte zu illustriren, denn man kann dem hiesigen Sklavenhändler nicht das Zeichen seiner Würde, die große Peitsche anhängen. Der ist hier gekleidet, wie jeder andere ehrliche Mensch auch, und verschwindet förmlich unter der Menge ohne besondere Kennzeichen.«
»Ein Merkmal haben sie doch öfters an sich,« sagte der alte Mann nachdenkend, indem ein leichtes Lächeln über seine Züge flog; »sie schlagen gern die Augen nieder, befleißigen sich eines scheinheiligen und äußerlich sehr frommen Lebens.«
»Ah ja! von denen, die keine Betstunde versäumen und dagegen ihren sündigen Nebenmenschen mit so leichtem Gewicht messen!«
»Und Zehn vom Hundert nehmen.«
»Und Rechnungen zum zweiten Male schicken, wenn sie vielleicht voraussetzen, man habe die Quittung von der ersten verloren.«
»Ah! wir kommen da in's Zeug hinein,« sprach lachend der alte Mann, »wie ein paar böse Klatschschwestern bei ihrem Kaffee. Ich ertappe mich in jüngster Zeit leider oftmals über so menschenfeindlichen Gedanken, die mir früher gänzlich fremd waren. Ich weiß nicht, was daran schuld ist.«
»Vielleicht die Uebersetzung Ihres Buches; man stellt da Vergleichungen an über Menschen und Zustände, die gerade nicht zur Erheiterung und zum Erhalten der guten Laune beitragen.«[64]
»Darin haben Sie nicht ganz Unrecht,« meinte der alte Mann. »Aber wenn ich lange übersetzt habe, so nehme ich gewöhnlich ein angenehmes Gegengift; hier habe ich es in diesen Büchern.«
»Ah! Charles Sealsfield!« erwiderte Arthur freudig, indem er eins der dargereichten Bücher aufschlug und den Titel las. »Das sind herrliche, liebenswürdige Schilderungen desselben Lebens, welches uns die Verfasserin von Onkel Toms Hütte gibt. Ginge es dem Rechten nach, so müßten diese Lichtstrahlen weit mehr Auflagen, weit größere Verbreitung finden, als diese tiefen Schatten. Aber leider gibt es so viele Menschen, denen es nur im Trüben wohl ist.«
»Und die das Licht scheuen,« entgegnete Herr Staiger ernst und feierlich und sah wie träumend an die Decke des Zimmers. – – »Aber sie sind mächtig in ihrem Schatten,« sprach er nach einer längeren Pause, »und sie beschwören ihn von allen Seiten herauf durch heuchlerische Gebete und Zuschautragen von falscher Buße. Wie dichter Nebel steigt es langsam empor und kämpft mit den heiteren Sonnenstrahlen; aber glauben Sie mir, diese Nacht wird das Licht überwältigen; langsam aber sicher wird der heitere Glanz eines lustigen und darum doch nicht sündenhafteren Erdenlebens verschwinden. Der Gesang fröhlicher Vögel verstummt, denn diese lieben das Sonnenlicht, und nur Geschöpfe der Nacht werden sich künftig gütlich thun in den dichten grauen, stinkenden Nebeln, die sich langsam aber sicher um uns schlingen; – der Gesang der Freude verstummt nach und nach, und der einzige Klang, der noch an unser Ohr schlägt, ruft uns melancholisch und traurig zu: thut Buße, geht in euch; ihr habt kein Recht auf das freundliche Sonnenlicht, das ein gütiger Schöpfer ausströmen läßt durch das ganze Firmament; ihr habt kein Recht an den Genuß dieser Erdengüter, an Lust und Freude; denn ihr seid[65] allesammt geborne Sünder und unwerth der Gnade! – Doch ich predige Ihnen da schreckliche Sachen vor,« unterbrach sich der alte Mann plötzlich, indem er mit der Hand über die Augen fuhr. »Sie sind ja jung, gewiß auch glücklich, und sehen mir gerade aus wie Jemand, der die Kraft in sich fühlt, des Lebens Güter im rechten Maße zu genießen. Thun Sie also und es wird Sie nicht gereuen! – Aber wovon sprachen wir doch, ehe ich ein so finsterer Seher ward? – Ah! richtig, von den Werken Sealfields! – Ja, das ist wahr, an diesen frischen kräftigen Schilderungen, an diesem Buche, dem die Wahrheit aus den Augen spricht, erfreut sich mein Herz. Das ist ein Leben, wie es wirklich ist; das sind Geschöpfe, wie sie existiren, keine krankhaften Gestalten, die unter allen Verhältnissen die rechte Backe hinhalten, nachdem die Linke ihren Schlag empfangen. – Sehen Sie, wenn ich müd und matt vom Arbeiten bin, da habe ich so meine Stellen, die ich durchlese, wie diese hier, wo das Zeichen ist.«
Das Bübchen, das sich bei diesen für ihn unverständlichen Reden offenbar gelangweilt hatte, war unterdessen dem Maler näher und näher gerückt, hatte zuerst sanft seinen Rock berührt, dann seinen Hut von einem benachbarten Stuhle genommen und probirte ihn nun statt der früheren militärischen Kopfbedeckung.
»So einen Hut möchte ich auch,« sagte es plötzlich und stellte sich vor Arthur hin, so daß dieser laut auflachte über den komischen Anblick des kleinen Mannes.
»Da mußt du erst groß werden,« erwiderte er, »da wird es dir hoffentlich nicht an einem solchen Hute fehlen.«
»Vor allen Dingen mußt du aber erst etwas Tüchtiges lernen,« meinte der Vater. »Aber jetzt lege den Hut wieder dahin; es ist nicht schicklich, Sachen anzugreifen, die einem nicht gehören. Wenn das Clara sähe, würde sie böse werden.«
Auf diese Mahnung hin legte Karl den Hut wieder auf den[66] Stuhl und wandte sich dann mit der naiven Frage an Arthur: »Hast du denn auch Etwas gelernt?«
»O ja,« entgegnete dieser lächelnd; »und Etwas, das dir gewiß große Freude machen wird, wenn ich es dir zeige.«
»Was ist denn das?«
»Ich habe Zeichnen und Malen gelernt. Wenn ich wieder komme und du hast ein klein Blatt Papier und ein Bleistift, so will ich dir zeigen, was ich kann.«
»Eine Tafel habe ich,« entgegnete das Bübchen, »und darauf malt Clara allerlei schöne Sachen.«
»So laß mich sehen, was dir Clara malt,« sagte eifrig der junge Mann.
»Jetzt habe ich es ausgewischt,« erwiderte der Kleine; »aber sie kann mir die schönsten Schlangen malen, auch Krokodile, Soldaten und Offiziere.«
»So, auch Offiziere?«
»Ja freilich; die haben Alle einen großen Schnurrbart, einen dünnen Leib und gerade Beine.«
In diesem Augenblicke wandte das Bübchen hastig seinen Kopf herum, dann brach es plötzlich alle Unterhaltung ab, indem es jubelnd rief: »Clara kommt!« und zur Thüre hinaus in's Vorzimmer eilte.
Die Schwester mußte ebenfalls Tritte auf der Treppe gehört haben, denn auch sie war hinausgegangen, kluger Weise, um Clara auf den unbekannten Besuch vorzubereiten.
Arthur erhob sich von seinem Stuhle; ihm klopfte das Herz und er fühlte sich ungemein befangen. Wie wird sie diesen plötzlichen Besuch aufnehmen? dachte er. Wird sie nicht zürnen, da sie dir ausdrücklich verboten, das Haus ihres Vaters zu besuchen? – Daran war aber jetzt nichts mehr zu ändern, und der Maler hoffte, daß sich schon Gelegenheit geben würde, eine kleine Verstimmung[67] des geliebten Mädchens in die Erlaubniß umzuwandeln, von jetzt ab ferner kommen zu dürfen.
»Und wer ist es denn?« vernahm er jetzt die Stimme Clara's im Vorzimmer, worauf das kleine Mädchen Etwas zischelte, was man nicht verstand, das Bübchen aber laut erwiderte: »Ein Mann mit einem schwarzen Hute, und er hat mir gesagt, er könne allerhand schöne Dinge malen, Schlangen und Krokodile, besser als du, und wenn er künftig wieder kommt, wird er mir auch Soldaten und Offiziere machen. – Hast du eine Wurst mitgebracht?«
»Pfui, Karl! sei stille! – Ein Maler also? – Ah!«
Damit öffnete die Tänzerin die Thüre, blieb aber überrascht auf der Schwelle stehen, und ihr Gesicht, Hals und Nacken überzog sich mit tiefer Röthe. Sie erkannte ihn augenblicklich; obgleich es eine Wirkung der Freude war, welche das Blut gewaltsam nach ihren Wangen trieb, so war es doch auch wohl die Erwartung, was er hier bei dem Vater zu thun habe, und daneben auch ein klein wenig Verdruß, als sie aus seiner Anwesenheit ersah, daß er ihrem strengen Befehl nicht Folge geleistet habe.
»Meine Tochter Clara,« sagte Herr Staiger, der aber glücklicherweise gerade sein Manuscript zusammen schob und das Buch von Sealfield darauf legte. – »Meine Aelteste, der Stolz der Familie!«
»Ah Papa!« versetzte das Mädchen in großer Verlegenheit. Und da hiedurch ihr liebes Gesicht das Recht erhielt, einige Verwirrung zu zeigen, so brauchte sie diese nicht zu verbergen, als nun der alte Mann lachend sagte:
»Ei mein Kind, du darfst nicht erröthen: wer so mütterlich für uns Alle sorgt, der darf in Wahrheit der Stolz der Familie genannt werden. Habe ich nicht Recht, Karl?«
Das Bübchen hatte sich an ihren Arm gehängt und ergriff statt aller Antwort ihre Hand, die er nun bald hier bald da an[68] sein Gesichtchen drückte; die kleine Schwester dagegen nahm Hut und Tuch in Empfang, die Clara eilig ablegte. Dann warf sie verstohlen einen Blick in den Spiegel und näherte sich nun leicht, graziös und unbefangen dem Fenster, an welchem Arthur stand.
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