Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Ein einfaches Mittagessen.

[69] Wie war das Mädchen, erhitzt von dem Tanze und der Aufregung, so wunderbar schön! Wie glänzten ihre dunklen Augen, wie leicht und elegant schritt sie daher! Arthur sah mit der innigsten Liebe auf sie, und er mußte sich gestehen, lange kein so liebliches Bild gesehen zu haben. Er senkte seinen Blick in ihr Auge, tief, innig und bittend, und namentlich der letztere Ausdruck schien ihren Unmuth zu verscheuchen.

»Das ist Herr Arthur Erichsen, ein junger Maler und ein neuer freundlicher Bekannter, den ich mir erworben. Wir trafen uns neulich beim Buchhändler Blaffer, von dem er den Auftrag hatte, Onkel Toms Hütte zu illustriren, und er kam nun hieher, um sich mit mir über diese Illustrationen zu besprechen.«

»Gewiß, mein Fräulein,« nahm Arthur eifrig das Wort, »ich besuchte Ihren Papa in der Absicht, um mir seinen Rath zu erbitten, auf welche Art diese schwierige Arbeit am besten anzugreifen sei.«

Clara lächelte ein wenig, aber so unmerklich, daß nur Arthur es sah. Ein Liebender bemerkt ja Alles, und auch für ihn nur war deßhalb der momentane Blitz in ihren Augen verständlich,[69] sowie ein unbedeutendes Zucken der Mundwinkel, – dieser kleinen, reizenden Mundwinkel.

Die Röthe von vorhin war von ihrem Gesichte gewichen, ja hatte einer leichten Blässe Platz gemacht, als sie vor Arthur stand, die Hand auf den Tisch gestützt, und ihm sagte: »Es freut mich sehr, daß Sie Papa besucht haben und daß Sie so gütig waren, mit ihm über Ihre Arbeit zu plaudern. – Ach!« setzte sie hinzu, »es kommt so selten Jemand zu ihm, der mit ihm zu sprechen versteht, gegen den er seine Ideen und Ansichten austauschen kann, daß es ihm gewiß, gewiß recht lieb war, daß Sie ihn besuchten.«

Wir müssen gestehen, daß Arthur athemlos auf ihre Worte gelauscht; und als sie ihn so treuherzig und lieb ansah und ihm sagte, es sei dem Papa gewiß – gewiß recht lieb, daß er gekommen, da durchzuckte ihn ein unnennbar süßes Gefühl, sein Herz schien einen Augenblick die Pulsschläge auszusetzen und still zu stehen vor übergroßer Freude und Seligkeit. Er gestand sich oft, dies sei einer der süßesten Momente seines Lebens gewesen, und es thue ihm nur leid, daß er gewaltsam seine Thränen zurückgehalten habe, die im Begriffe waren, ihm in die Augen zu treten.

Auch Clara fühlte Aehnliches, denn nachdem sie gesprochen, wie wir soeben hier niedergeschrieben, blieb sie noch eine Sekunde ruhig vor ihm stehen, schaute ihn so herzlich an, wie er sie, und Beide hatten den gleichen Gedanken: sie waren froh, daß sie sich jetzt endlich einmal im hellen Licht des Tages sahen, und so nahe, – nicht wie früher immer im Halbdunkel der Straße, wenn sie aus dem Wagen sprang, oder beim falschen Glanz der Lichter.

Wie lange dieses gegenseitige Beschauen wohl gedauert hätte, weiß der liebe Gott. Glücklicherweise aber legte sich das Bübchen in's Mittel und zog die beiden hochfliegenden Seelen in den Bereich der Wirklichkeit zurück.

»Die Kartoffeln sind fertig,« sprach es mit bestimmtem Tone, »sie platzen schon auf.«[70]

»Dann ist es Zeit!« rief Arthur, indem er wie aus einem tiefen Traum erwachte; »und ich muß mich entfernen, um Sie nicht in Ihrem Mittagessen zu stören.«

Bei diesen Worten sah der alte Mann seine Tochter bedeutsam an, und als Clara sanft lächelte, sagte er: »O, lassen Sie sich gar nicht stören, lieber Herr Erichsen, bleiben Sie noch eine Weile da; wir plaudern vielleicht noch ein wenig. Ich kann Ihnen leider von unserer einfachen Kost Nichts anbieten, – nun – eben – weil sie gar zu einfach ist. – Aber draußen,« setzte er hinzu, indem er durch's Fenster sah, »schneit und stürmt es so gewaltig, daß Sie unmöglich in diesem Augenblicke fort können; auch speisen Sie gewiß später.«

Wenn man Etwas gerne thut, so läßt man sich leicht dazu überreden. Arthur blickte fragend auf Clara, die lächelnd ihre Augen niederschlug. Doch schien ihm dies Augenniederschlagen von einem kleinen Kopfnicken begleitet zu sein, weßhalb er sich denn eifrigst und gern bereit erklärte, noch eine halbe Stunde da zu bleiben.

Die jüngere Schwester hatte unterdessen den Tisch gedeckt, Clara ging in das Vorzimmer, und ihr folgte das Bübchen, welches eine richtige Ahnung hatte, daß sie sich vor dem Gaste geniren würde, die bewußte Wurst aus der Tasche zu ziehen, daß dies aber draußen unverzüglich geschehen müsse. – Und so war es denn auch. Die Tänzerin kam alsbald mit einem Teller wieder herein, auf dem der erwähnte Leckerbissen lag. Dann setzte sich Alles um den Tisch herum; er war ärmlich aber reinlich gedeckt mit einem groben doch weißen Tischtuch und glänzenden Zinntellern.

Der Maler, der eine Aufforderung zum Mitessen ablehnte, setzte sich einen halben Schritt rückwärts neben Clara. Er konnte so seinen Arm auf die Lehne ihres Stuhles stützen, und wenn er nun den Kopf vorn über lehnte, und sie ihm plötzlich Etwas[71] sagen wollte, so berührte ihr kühles, volles, duftiges Haar seine heiße Stirne.

»Karl, du mußt beten,« sagte die jüngere Schwester zu ihrem Bruder, der an seinem Platze saß und die Augen unverwandt auf einen Punkt des Tisches gerichtet hatte. Das dort auf dem Zinnteller nahm seine ganze Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch, daß er mechanisch seine Hände faltete und gedankenlos sein Morgengebet anfing:


»Engelein komm',

Mach' mich fromm!«


Doch wurde ihm diese Nachlässigkeit nicht gestattet und er brachte nun den uns schon bekannten Tischspruch vor, natürlicherweise mit unverbesserlichem Fehler, setzte auch hinter dem »Amen!« rasch hinzu: »Jetzt bekomme ich auch Wurst.«

Nun nahm das Mahl seinen Anfang, der Vater und die jüngeren Kinder griffen herzhaft zu; nur Clara spielte mit ihrem Essen, und es schien ihr fast unmöglich, einen Bissen hinunter zu bringen.

Arthur munterte sie lächelnd auf, sich selbst nicht zu vergessen, und er that dies, indem er das außerordentlich schöne Aussehen der Kartoffeln lobte; darauf erfolgte nun natürlicherweise die Einladung des alten Herrn, auch eine zu versuchen, und er forderte Clara zu diesem Zweck alsbald auf, einen Teller zu bringen.

Dies lehnte aber Arthur eifrigst ab, und nach einigem Hin- und Herreden, Nöthigen und Weigern entschloß er sich endlich, einen Bissen von dem Teller der Tänzerin und zwar mit deren Gabel zu nehmen. Hiebei bewährte sich nun aber das Sprichwort, daß der Appetit während des Essens kommt, denn dem ersten Bissen folgte ein zweiter, ein dritter und ein vierter, zwischen welchen aber jedes Mal die Gabel gewechselt wurde, das heißt, einmal nahm sie Clara, und dann erhielt sie der Maler wieder. Da sich hiebei auch ihre Hände berührten, ihre Blicke viel Schönes zu[72] einander sprachen, und das Haar der Tänzerin häufig sein Gesicht streifte, so hielt Arthur ein Mittagsmahl, wie es kein König besser und köstlicher haben konnte.

Leider war das Diner bald zu Ende; aber als sich nun Arthur endlich alles Ernstes entfernen wollte, denn sein Herz war übervoll, meinte das Bübchen, nach dem Essen ginge man nicht gleich fort, wie es schon gehört habe, und bat den Maler, er möge nun so artig sein, ihm eine Schlange oder ein Krokodil zu machen. Er brachte deßhalb seine Tafel herbei, zerrte den Künstler an das Fenster und zwang ihn, dort wieder Platz zu nehmen.

Der alte Mann stellte sich einen Augenblick daneben, und nachdem er seinen Sohn vergeblich ersucht, den Herrn nicht zu plagen, verlor er sich in's Vorzimmer, wo er sich auf einen Stuhl setzte, ein Taschentuch über sein Gesicht hing und ein kleines Mittagsschläfchen machte.

Die jüngere Schwester und Clara räumten den Tisch ab, dann setzte sich letztere an die andere Seite desselben. Arthur hatte die Tafel ergriffen und entwarf eine solch' riesenhafte Schlange, daß die berühmte des Kapitän Boa dagegen nur ein Regenwurm war. Während des Zeichnens aber warf er einen Blick im Zimmer umher, und als er bemerkte, daß das kleine Mädchen in einer Ecke neben dem Ofen mit dem Spülen des Geschirrs beschäftigt und die Thüre des Vorzimmers fest zugezogen war, sagte er zu Clara: »Sind Sie mir böse, daß ich hergekommen?« worauf diese nach einer Pause erwiderte: »Ich hatte mir wohl gedacht, daß dies am Ende geschehen würde.«

»Aber erst viel später,« entgegnete Arthur, »denn ich hätte Ihren Befehl gewiß respektirt; aber es ist so, wie Ihr Vater gesagt: wir trafen uns bei dem Buchhändler, und wenn auch hier nicht Ihre Wohnung gewesen wäre, so hätte ich doch den Uebersetzer von Onkel Tom's Hütte aufsuchen müssen. – Nicht wahr, Sie zürnen mir nicht?«[73]

Clara schüttelte den Kopf und antwortete: »Ich weiß nicht, was icj davon halten soll; ich kenne Sie schone seit einiger Zeit, aber ich kannte Sie bis jetzt nur wie Etwas, das kommt und verschwindet wie ein Traum – wie der Schein der Sonne; oder auch,« setzte sie lächeldn hinzu, »wie Regen und Sturm.«

»Und wie Etwas,« bemerkte Arthur, indem er den Griffel sinken ließ, »was uns eigentlich nicht viel kümmert, was uns gleichgiltig ist, wenn es auf einmal ganz ausbleibt, an das wir nicht mehr denken, wenn es nicht wieder erscheint.«

»O nein!« erwiderte die Tänzerin, »nicht so ganz. Sagen wir lieber, wie etwas – Angenehmes, das uns widerfährt, und das wir dankbar hinnehmen, dem wir vielleicht betrübt nachblicken, weil es uns plötzlich ganz verschwindet, das wir aber kein Recht haben, zurückzurufen, weil – weil – wir nun einmal kein Recht dazu haben.«

»Aber die Schlange hat noch keine Zähne,« sprach das Bübchen. »Mach' ihr große! Und dann will ich auch ein Krokodil haben.«

»Soll ich dir nicht lieber deine Schwester Clara zeichnen?« fragte der Maler.

»Mir wäre ein Krokodil lieber,« entgegnete das Kind; »Clara sehe ich den ganzen Tag. Wenn du sie aber nachher zeichnen willst, ist es mir auch recht.«

Arthur that wie ihm befohlen, dann aber nahm er das Gespräch von vorhin wieder auf.

»Und weßhalb,« fragte er, »hätten Sie kein Recht, – mich zurückzurufen?«

»Und auf welche Art sollte ich es thun, wenn Sie plötzlich ausgebliebe wären? – Wenn ich auch vielleicht gewollt hättem ich sah Sie ja nur auf Augenblicke, bald hier, bald da, ich wußte ja kaum Ihren Namen. Und dann hatten Sie mir auch nie gesagt:[74]

morgen sehe ich Sie wieder, oder übermorgen, – ein solches Versprechen hätte mich auch ängstlich gemacht.«

»Weil Sie mir wohl hätten antworten müssen: ja, es ist mir recht, ich will Sie morgen oder übermorgen wieder sehen, – und weil Ihnen das wie eine Verpflichtung vorgekommen wäre, und weil Sie keine Verpflichtungen gegen mich übernehmen wollen.«

»Es ist vielleicht so,« sagte Clara, indem sie ihn lächelnd anblickte, »ich habe mich immer davor gefürchtet. Und deßhalb bat ich Sie auch, nicht in unser Haus zu kommen.«

»Sehen Sie, Clara,« versetzte der Maler halb und halb betrübt, »es ist doch, wie ich mir dachte: Sie spielten mit mir, und wenn Sie mir einmal nicht mehr erlauben wollten, Ihnen an der Treppe des Theaters oder am Wagen gute Nacht zu sagen, so wären Sie vielleicht rasch an mir vorübergeeilt und hätten mich gar nicht mehr angesehen.«

»Das hätte ich gewiß nie gethan, so lange Sie sich mir so ruhig und still gezeigt, wie Sie thaten. Glauben Sie mir, die anderen Tänzerinnen schelten mich kalt, gefühllos, ja hochmüthig, weil ich es nun einmal nicht machen kann wie sie; aber ich bin es nicht. Von Hochmuth kann ja auch keine Rede sein; doch habe ich immer davor zurückgebebt, mit irgend Jemand in nähere Berührung zu kommen. Ich weiß ja wohl, daß ich eine arme Tänzerin bin, daß ich mich hinausstellen muß vor die Lampen, daß mich Jedes ansieht wie es mag, und daß nun Jeder das Recht zu haben glaubt, mit dem Mädchen so geradehin zu sprechen, wie es ihm in den Mund kommt. Das fürchtete ich auch von Ihnen, und deßhalb schrak ich zurück, als Sie das erste Mal mit mir sprachen.«

»Aber Ihre Furcht war überflüssig.«

»Gewiß, und ich danke Ihnen herzlich dafür,« erwiderte Clara. – »Aber wissen Sie wohl,« fuhr sie nach einem kleinen Stillschweigen fort, in der Absicht, das Gespräch zu ändern, »wissen[75] Sie wohl, daß ein paar von den anderen Tänzerinnen es wohl gemerkt haben, daß ich mit Ihnen hie und da gesprochen?«

»Sie hatten mich schon auf der Bühne gesehen?«

»Nein, da nicht, aber neulich Abends, als Sie am Wagen standen, wie wir einstiegen. Da sind Alle mit Reden über mich gefallen. Ich hätte mich so lange verstellt und immer Alles abgeleugnet, und nun käme es auf einmal heraus und ich sei furchtbar versteckt, aber jetzt könne ich nicht mehr leugnen.«

»Und was sollten Sie nicht läugnen können?«

»Daß ich Sie Abends am Wagen gesehen.«

»Und ist das so schlimm?«

»Ah!« sagte Clara lachend, »nehmen Sie mir nicht übel! wenn man so plötzlich aus dem Dunkel daher schießt und einer Tänzerin sagt: o wie vortrefflich haben Sie heute getanzt! O wie schön sahen Sie aus!« –

»Ja, das habe ich gesagt,« unterbrach sie Arthur träumerisch.

»Und wenn man einen obendrein bei der Hand faßt, das ist doch schlimm genug. Und an dem Abend habe ich mich auch eigentlich vor Ihnen gefürchtet.«

»Aber ich mußte Ihnen damals ein Wort sagen, Clara. Ich konnte nicht nach Hause gehen, ohne Ihre Hand berührt zu haben; mein Herz war zu voll. Waren Sie wirklich böse auf mich?«

»Nur eine Weile,« entgegnete das Mädchen, indem sie ihn mit ihren großen Augen anschaute, »und eigentlich auch nur, weil mich die Anderen so neckten.«

»Was sagten sie denn?«

»Ob jetzt endlich ein Prinz gekommen sei oder ein regierender Herr, den ich für würdig genug befunden, daß er mir den Hof machen dürfe. – Aber ich erzähle Ihnen da lauter dummes Zeug, worüber Sie lachen werden,« setzte sie schmollend hinzu.

»Gewiß nicht, Clara, es interessirt mich auf's Höchste.«

»Und der Schwindelmann hatte es sogar bemerkt.«[76]

»Wer ist Schwindelmann?«

»Schwindelmann,« entgegnete sie einigermaßen erstaunt, »ist der Theaterdiener, der uns zu den Vorstellungen abholt und im Wagen wieder nach Hause bringt.«

»Ein junger Mann?« fragte Arthur mit einer eifersüchtigen Regung.

»O, Sie müssen Schwindelmann kennen!« fuhr sie fort, ohne den Sinn seiner Frage zu verstehen. »Er läßt den großen Portalvorhang herab und kennt namentlich mich genau. Er und mein Vater sind zusammen in die Schule gegangen.«

»Ah so!« sagte Arthur sichtlich erheitert. »Und der Schwindelmann hat es gesehen, daß ich Ihnen die Hand gab?«

»Das will ich meinen, und er war sehr mürrisch. Sonst trägt er mir immer meinen Korb und nimmt ihn hinten zu sich auf den Wagen; aber an dem Abend schob er ihn zu mir herein und brummte allerlei in den Bart.«

»Das scheint mir ein braver Mann zu sein, der Theaterdiener,« sagte Arthur.

»Auch fuhr er mich an dem Abend nicht zuerst nach Haus wie sonst, sondern zuletzt. Und dann ließ er den alten Andreas, den Kutscher, nach Hause, blieb bei mir an der Treppe stehen und hielt mir eine starke Predigt.«

»Und das Alles, weil ich Ihnen die Hand gereicht?«

»Allerdings; natürlicherweise bildete er sich noch viel mehr ein. Es sei schade um mich, sagte er, ich hätte mich so gut gehalten, Alle hätten die größte Achtung vor mir, man könne mir nicht das geringste Ueble nachsagen, und nun finge ich auf einmal so dumme Streiche an!«

»Schwindelmann scheint mir bösartig zu sein,« versetzte Arthur einigermaßen ärgerlich.

»Nein, er ist sehr gut,« versetzte die Tänzerin. »Wissen Sie, er hat beim Theater schon sehr viel erlebt,« sprach sie mit sehr[77] ernster Stimme; »er hat gesehen, wie schon manches Mädchen unglücklich wurde, und da er mich, wie gesagt, gern hat, so warnte er mich auf's Allerernstlichste.«

»Vor einem Händedruck?«

»Nicht nur ganz davor,« entgegnete sie heimlich lachend, »aber er sagte, das wäre der Anfang, und er hatte nicht Unrecht darin. Es ist bis jetzt Alles gekommen, wie der Schwindelmann mir vorher gesagt,« sprach sie auf einmal sehr ernst werdend, indem sie vor sich niedersah. – »Zuerst würden Sie sich mir Abends in den Weg stellen, mit mir zu sprechen; und das haben Sie auch gethan, – anfänglich weniger und dann häufiger. – Dann aber« – hier stockte sie einen Augenblick, und fuhr erst fort, als sie Arthur aufmerksam und fragend anblickte – »dann aber würden Sie unter irgend einem Vorwand in unser Haus kommen; und dann – – wäre ich auf dem Wege des Verderbens – o mein Gott!« –

Diese letzten Worte sprach das Mädchen mit gepreßter Stimme und in sichtlicher Angst, und als sie ausrief: »O mein Gott!« preßte sie ihre beiden Hände vor das Gesicht, sprang auf und eilte zu ihrer kleinen Schwester, der sie emsig half, Teller und Gläser zu ordnen, ohne sich im Augenblick weiter um ihren Gast zu bekümmern.

Arthur war überrascht sitzen geblieben und hatte die Tafel in den Händen des Bübchens gelassen, welches sie eifrig an sich nahm und mit zu den Schwestern hin sprang, um ihnen das Krokodil und die schöne Schlange zu zeigen.

Auch der alte Herr trat jetzt nach vollbrachter Mittagsruhe wieder in's Zimmer und mußte ebenfalls die seltsamen Thiergestalten bewundern.

Obgleich der Maler dem aufgeregten Mädchen gerne noch einige begütigende Worte gesagt hätte, so war dies doch nicht möglich. Sie kam nicht an das Fenster zurück, sie ließ ihn ruhig[78] seinen Hut nehmen und wandte sich erst nach ihm um, als er dem Vater die Hand reichte, dem Bübchen auf den Kopf pätschelte und der jüngeren Schwester freundlich zunickte. Dann bot auch sie ihm einen freundlichen guten Tag, wobei er allein bemerkte, wie sie durch Thränen lächelte.

Als er hierauf gedankenvoll die Treppe hinab ging, schüttelte er den Kopf und sagte: »Thränen bei mei nem ersten Besuch, und Schlangen, die ich zeichnen mußte; wenn das nur keine bösen Vorzeichen sind!«

Eine lange Zeit hatte, während Arthur bei Herrn Staiger war, draußen auf dem Gange Mademoiselle Emilie Wundel Bücher und Noten ausgeklopft, auch hie und da einen Vers aus irgend einer Arie getrillert, ohne daß der angenehme junge Mann zurück gekommen wäre. Endlich war Clara erschienen, und als er auch jetzt noch nicht kam, ging die Ausklopferin achselzuckend in ihr Zimmer zurück. – »Da hätte ich schön warten können,« sagte sie hohnlachend, »das ist ja eine abgekartete Geschichte! Wie man auch so dumm sein kann!« – Damit meinte sie die vorsorgliche Mutter. – »O die Clara! Ich für meine Person habe ihr nie was Gutes zugetraut, das kann ich euch versichern; die hat's lange heimlich getrieben; jetzt wirft sie alle Scham bei Seite und läßt ihre Liebhaber am hellen Tage in's Haus kommen. Ihr werdet schon sehen: Einen nach dem Andern. – Pfui Teufel über dies Volk vom Ballet!« –

Quelle:
Friedrich Wilhelm Hackländer: Europäisches Sklavenleben, 5 Bände, Band 2, in: F.W.Hackländer’s Werke. Stuttgart 31875, S. 69-79.
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