[79] Wir wissen nicht, theurer und geneigter Leser, ob du in deinem Leben schon in den Fall gekommen bist, in lebenden Bildern mitzuwirken. Daß du öfter welche gesehen, nehmen wir unbedingt an. – Es ist das Stellen lebender Bilder in Familiencirkeln eine Krankheit, die hie und da einreißt, die oftmals sporadisch auftritt, dann aber auch für gewisse Winter ganze Städte epidemisch beherrscht. Das sind Zeiten der forcirten Bewunderung, wo man oftmals nach ausgestandenem Jammer den Lenker aller Dinge anklagen möchte, daß es überhaupt Bilder gibt, und daß Jemand auf die – schöne Idee kam, lebende Bilder zu arrangiren.
Wie schon bemerkt, so erfaßt die Lust nach diesem Vergnügen oftmals ganze Städte, und alsdann entgeht keiner seinem Schicksale; wer nicht zum Mitstehen gepreßt wird, der muß zusehen; und welche Art von Schlachtopferei menschlicher Grausamkeit die schlimmere sei, soll der Beurtheilung einer zweiten Miß Stowe vorbehalten bleiben.
Man hat alle Arten von Vergnügen erschöpft, man hat große Kaffeegesellschaften arrangirt, in welchen eine ungeheure Menge von Backwerken verzehrt, eine Anzahl guter Namen zerrissen, ja eine Masse von Zukunften vernichtet wurde. Was das Letztere anbelangt, – die harmlosen Zuthaten zum Kaffee nämlich, – so müssen wir den geneigten Leser versichern, daß die Vieruhr-, überhaupt die Nachmittagskaffeegesellschaften die schlimmsten, die blutdürstigsten sind. Das Mittagessen ist vorüber gegangen, und der Gemahl, der vielleicht in der Kanzlei von einem Vorgesetzten bedeutend geärgert wurde, kam verdrießlich zu Tische und findet, daß die Suppe versalzen, die lange Sauce des Gemüses zu mehlig[80] und die Räucherung des Schweinefleisches nicht vollkommen gelungen sei. Es gab das eine kleine häusliche Scene, die Kanzleiräthin erlebte einige scharfe Bemerkungen, welche in viel kräftigerer Tonart, aus allen Registern klingend, in der Küche wiedergeorgelt wurden. Darauf ist das Bäbele verdrießlich geworden; »es ist überhaupt keine Freude in dem Hause;« denkt sie, und statt daß sie mit dem Spülen um halb Drei fertig wäre, zieht sie dies Geschäft bis halb Vier hinaus, wo sie dann erst langsam die Hände mit Seife wascht, um darauf der ängstlich harrenden Gebieterin das Kleid zuzumachen. Diese, geärgert, echauffirt, kann mit dem übrigen Anzug kaum fertig werden, und erscheint nun statt um vier Uhr eine Viertelstunde später – der geneigte Leser mag selbst beurtheilen in welcher Laune – zum Kaffee.
Wie schon angedeutet, diese Nachmittagsgesellschaften sind entsetzlich, und der Geist der Verleumdung muß sie einstmals in höchsteigener Person erfunden und dazu geladen haben den gelben Neid, die grüne Bosheit, gräuliche Heuchelei, und alle andern Schwestern und Brüder dieser Geschlechter. Hier wird Alles, was in den Bereich der giftigen Zungen kommt, zerstückelt, zerrissen, verdammt ohne alle Gnade und Barmherzigkeit. – Abends bei einem harmlosen Thee geht es schon einige Grade sanfter und gemüthlicher zu. Am Ende des Tages ist man überhaupt versöhnlicher gestimmt, ist zu Liebe und Duldung geneigter jeder Mensch, ja sogar die Zunge der schlimmsten Frau. Da geht es denn oftmals ohne bedeutendes Blutvergießen ab; es herrscht hier – mit Ausnahmen natürlich – ein Geist der Sanftmuth; nur zuweilen wird ein guter Name geknickt, ein bis dahin guter Ruf vernichtet.
Aber im Laufe des Winters werden sie langweilig diese Gesellschaften, man hat sich schon zum Oefteren auf gleiche Weise beisammen gesehen, man hat schon unzählige Mal die neu plattirte Theemaschine bewundert oder das Porzellanservice, das voriges Jahr[81] angeschaffte; auch weiß man, daß der Silbervorrath aus achtzehn Löffeln besteht; die neuen Ueberzüge des Sopha's und der Stühle geben keinen rechten Stoff mehr zur Unterhaltung, ja sogar die eigenen Zungen sind abgenutzt und die Zähne haben sich stumpf gebissen an dem Wohl und Wehe des lieben Nächsten. Was das Schlimmste ist, es ist vielleicht keiner der glühenden Wünsche erfüllt worden, mit denen man die Wintersaison eröffnet, – es kamen die Wasser all', die gebeten wurden, aber die Einladungen dagegen fielen spärlich aus. Madame konnte sich trotz des großen Aufwands von Zucker, Thee und Backwerk nicht aus der siebenten Rangklasse erheben und hineinschmuggeln in höhere Regionen.
Man vergrößert nun die Theegesellschaften; statt daß man, wie bis jetzt, die Magd oder einen entlehnten Bedienten herum schickt und auf eine Tasse mit Zuthaten einladen läßt, werden nun Karten geschrieben, auf denen es heißt: Herr und Madame Backstein bitten Frau Regierungsräthin Hintenüber mit vier Töchtern zu einem Thé dansant auf morgen Abend etc. Unten links in der Ecke steht das bekannte: U.A.w.g. – Um Antwort wird gebeten; die jüngeren Damen übersetzen es sich aber: Und Abends wird getanzt.
Zur gewöhnlichen Theegesellschaft war doch nur eine kleinere Anzahl von Gästen versammelt, die der Salon ohne viele Schwierigkeiten in sich aufnehmen konnte, eine Anzahl Auserwählter, ein Elitencorps, ein Cadre der Armee; zum tanzenden Thee dagegen ist nun die sämmtliche Mannschaft einberufen wor den: Kriegsreserve, Landwehr ersten und zweiten Aufgebots, ja längst schon nicht mehr dienstfähige und sehr strapazirte Invaliden. Da rüstet sich nun Alles, diesem Rufe Folge zu leisten, und erscheint zu Fuß und zu Wagen. Einige Zeit nach der angegebenen Stunde sind dann die hinteren Zimmer auch glücklich mit Menschen vollgepropft, und die vorderen füllen sich nach und nach ebenso an. Man becomplimentirt sich, man stößt einander, man tritt sich auf die Hühneraugen, man[82] kann nicht zu einer hübschen Frau gelangen, denn sie ist von einem Kreis von Vaterlandsvertheidigern umgeben, und wenn man endlich glaubt, durchbrechen zu können, wird man von einem langweiligen Kerl zurückgehalten, der durch die hinten Stehenden fast auf uns hinaufgeschoben wird, der mit stets offenem Munde spricht, uns beständig in gelinder Anfeuchtung erhält, und der, ehe er sich in eine Unterhaltung mit Jemand einläßt, auf alle Fälle vorher ein stärkeres Parfüm sich hätte aufgießen sollen.
In einem der hinteren Zimmer sitzt die corpulente Hauswirthin in schwitzender Selbstwonne, zählt unruhig die Häupter ihrer Lieben und denkt mit Wallenstein:
– – – – – – – – – – – – – – – So Vielen
Gebietest du! Sie folgen deinen Sternen
Und setzen, wie auf eine große Nummer,
Ihr Alles auf dein einzig Haupt, und sind
In deines Glückes Schiff mit dir gestiegen.
Doch kommen wird der Tag, wo diese Alle
Das Schicksal wieder aus einander streut;
Nur Wen'ge werden treu bei dir verharren.
Den möcht' ich wissen, der der Treuste mir
Von Allen ist, die dieses Lager einschließt.
Gib mir ein Zeichen, Schicksal! Der soll's sein,
Der an dem nächsten Morgen mir zuerst
Entgegen kommt mit einem Liebeszeichen.
Während dem steht der dürre Gemahl im altmodischen schwarzen Fräckchen an der äußern Zimmerthüre und freut sich, wie ein Kind auf die Weihnachtsbescheerung, über jeden Neuangekommenen. Rechts und links streckt er die Hände zum sanften Drucke aus, während er einem Dritten zuwinkt und zu einem Vierten sagt: »Ei, Sie kommen sehr spät, Herr Hofkapellmeister.«
Letzterer ist aber offenbar der Klügste, denn zu einem solchen [83] Thé dansant in einem stillen Bürgershause früh zu kommen und spät zu gehen, dazu gehört mehr Heldenmuth als mancher Mensch besitzt. Hat man erst einmal seine Pflicht gethan, der Frau vom Hause ein Compliment gemacht, hat sich darauf wieder wie ein Krebs zurückgezogen – eigentlich ein schlechter Vergleich, denn ein Krebs braucht nicht rückwärts zu schauen und läuft behaglich im kühlen Wasser, während an dir sehr unbehaglich das Wasser herunter läuft und du jeden Augenblick hinter dich sehen mußt, um nicht die Perle irgend einer Rangklasse umzurennen – so kann man sich ja das Uebrige am andern Morgen von einem Freunde, der bis zum Ende geduldet und gelitten, der Morgens früh um drei Uhr, an allen Gliedern wie gerädert, der Hausfrau zum Abschied die Hand geküßt und ihr versichert hat, daß er lange keinen so charmanten Abend verlebt, erzählen lassen, kann da behaglich den Bericht anhören, wie der Andere die Tanzmusik noch von ferne gehört, den Thee und manches Andere von Nahem gerochen, das Backwerk gesehen und das Souper geahnet habe.
Aber auch die Gastgeberin fand nicht ihre Rechnung bei der Sache, keine Belohnung für die aufgewendeten großen Kosten: ihr Sohn, der angehende Referendär, hat umsonst der Tochter des Präsidenten den Hof gemacht; ihre beiden Töchter waren vergeblich in der glänzendsten Toilette erschienen, in ganz neuen blauen und rosa Barègekleidern; einige junge Leute, für welche man diese Fallen gestellt, waren nur tändelnd um dieselben herum geflogen, keiner hatte sich die Flügel am Strahlenlicht ihrer Augen verbrannt, – und Friederike war doch schon seit vier Jahren beinahe Zwanzig vorüber und ihre Schwester Louise ein paar Monate älter. Auch schien der Hausherr verdrießlich über die großen aufgewendeten Kosten und legte den Fascikel »Thé dansant vom vierten,« seufzend zu seinen Haushaltungsrechnungen. Sein Chef und Kanzleidirektor hatte ihm nicht die gehörige Aufmerksamkeit erwiesen, und die Frau des Ministers war nur einen Augenblick da gewesen, hatte[84] sogar zwei und ein halbes Mal gegähnt und über ungeheure Fatigue geklagt, als sie sagte, sie müsse heute Abend noch in eine andere Soirée fahren, zur Baronin Schnabilinsky. – –
Das hat man nun Alles hinter sich; man will keinen Thé dansant mehr veranstalten, man will auch nicht zurückgreifen zu den langweiligen Theegesellschaften, und da taucht einem erfindungsreichen Kopfe die Idee auf, lebende Bilder zu stellen; es ist das eine schöne Abwechslung und ein vielversprechendes Vergnügen. – Aber wie es dem armen Menschenkinde so oft geht: er sieht nur die Außenseite, ohne sich um die Schattenpartien zu bekümmern.
Wir können ein Wort darüber mitsprechen, geneigter Leser, denn wir kennen das Kapitel lebender Bilder, wir haben dieses Vergnügen durchgekostet und genossen in allen seinen betrübenden Einzelheiten. Wir haben in lebenden Bildern mitgewirkt in der unschuldigsten und angenehmsten Art derselben, wo sie harmlos improvisirt waren, wo eine einfache Stubenthüre das Proscenium bildete, wo vorhandene Shawls, Tücher, Hüte, Hauben, Mäntel und Mantillen die ganze Garderobe ausmachten.
Wir haben das ferner mitgemacht, wo in großen reichen Häusern appart eine Bühne aufgeschlagen wurde und Costüme eigens für diesen Abend gemacht waren, wo renommirte Künstler die Tableaux arrangirten und wo nichts gespart war an Dekorationen und Gewändern.
Wir haben endlich mitgewirkt an der Aufführung lebender Bilder in großen öffentlichen Lokalen, wo keine Einladungen stattfanden, wo die Zuschauer sich Billete kauften und wo die Einnahme für einen guten Zweck bestimmt war; wir haben dabei die traurigsten Erfahrungen gemacht, haben dabei gesehen, welch' unendliche Schwächen das Menschengeschlecht hat, wie Wenige unter ihnen wirklich einer guten Sache zulieb, die man vorschiebt, etwas thun, wie das eigene Ich überall selbstsüchtig hervorbricht, wie ein armer Unternehmer von dergleichen Geschichten beständig am Rande des[85] tiefen Abgrundes hintaumelt, in welchen er hinein stürzen und sich auf's Allerhöchste blamiren kann, weil Madame oder Fräulein A. am Tage vor der Aufführung absagen läßt, da ihr die Rollen nicht brillant genug sind, den andern Abend aber dafür in ihrer Loge sitzt und die schärfste Kritik übt; weil ferner die Madame B. die Madame C., D. und F. dir abwendig macht, da auch Mamsell Y. und Z. mit wirken sollen, die, Beide einer anderen Rangklasse angehörend, nicht würdig genug befunden worden sind, neben den Reichern und Vornehmern für die leidende Menschheit zu wirken. Man kann es Jenen eigentlich auch nicht übel nehmen, daß sie sich zurückziehen, denn es könnte da ja der traurige Fall eintreten, daß eine der Rangklasse nach geringere, in Wahrheit aber vielleicht viel bessere und edlere Mitwirkerin bei den lebenden Bildern einen Tag nach der Aufführung es wagen würde, die andere eines freundlichen Grußes zu würdigen und ihr dergestalt an ihrem Credit schadete bei Vettern, Nichten, Basen und Muhmen, ja bei der ganzen hochpreislichen unfehlbaren wirklichen und Geldverwandtschaft. –
Einer kleinen Andeutung des oben Gesagten konnten wir uns nicht enthalten, denn es wird gewiß auch anderswo zuweilen mit ähnlicher Lieblosigkeit verfahren, einer Lieblosigkeit der sogenannten bevorzugten Klassen gegen andere, die in ihren Aeußerungen so sehr nachhaltig und verletzend, ja die im Stande sein kann, Zukunft und Lebensglück zu untergraben, die sich nicht in einer einzelnen Mißhandlung gegen den Nebenmenschen Luft macht, sondern die ein schwaches Gemüth, wie es deren ja viele gibt, durch fortgesetzte Quälereien und Nadelstiche zu Tode martert. Es ist das ein Kapitel, welches in keiner Sklavengeschichte fehlen darf, und das auch in Onkel Tom's Hütte vorkommen würde, wenn es dort bürgerliche Rang- und Klassenunterschiede gäbe, und wenn sich in Amerika eine schwarze Kommerzienräthin zieren würde, mit einer Gleichgefärbten am nämlichen Tische ihren Thee zu nehmen, weil sie selbst vielleicht nur die Urenkelin eines Barbiergehilfen ist,[86] während der Vater dieser vielleicht noch im gegenwärtigen Zeitpunkte seine Kunden einseift. – Darin sind die Schwarzen glücklicher, denn sie kennen keine Standesunterschiede und haben, wenn auch gleiche Leiden, doch in dieser Beziehung auch gleiche Freuden, wogegen bei uns freien Weißen neben der großen Peitsche, die das allgemeine Schicksal über uns schwingt, noch so viele Peitschen um unsere Ohren sausen, deren Schlag, heimtückisch und aus dem Dunkel nach uns geführt, viel schmerzlicher ist als der Schlag der großen Zuchtruthe. Diese Schläge aber, geliebter Leser, sind unsichtbar wie die gewissen zauberhaften Ohrfeigen, und es wäre gar zu komisch, wenn es auf einmal möglich gemacht würde, all' die kleinen Geißeln zu sehen, die ein Mensch gegen den andern schwingt. Das wäre erstaunlich amusant, wenn du zum Beispiel bemerken könntest, wie jener Mann, der dir so theilnehmend erzählt, man habe von dir ausgesagt, du hättest neulich diese oder jene Schlechtigkeit begangen, aber es sei eine niederträchtige Verleumdung, und er selbst wisse das ganz genau, – wie er bei diesen Worten seine kleine Peitsche schwingt und dich recht absichtlich tief in's Herz trifft. – Ja, in der That, wir wüßten nicht, was wir um den Anblick geben würden, unsere lieben Nebenmenschen so auf einmal zu sehen bei Spaziergängen, in Gesellschaften, im Theater, bei freundschaftlichen Mittagessen, Alle in gegenseitiger Prügelbeschäftigung, Alle mit langen und scharfen Geißeln in der Hand. Aber es ist doch besser, wenn sie unsichtbar bleiben, denn es würde der geneigte Leser auch wahrnehmen, wie wir, seine harmlosen und ganz unterthänigsten Erzähler, zuweilen eine tüchtige Schnur an unsere Feder binden, um rechts und links um uns zu hauen, zur Belustigung der Unparteiischen, aber auch zur Strafe unserer Weißen Sklavenbesitzer.
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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
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