[183] Febr. 1741.
Zu lang ists schon, Elise, daß ich schweige
Und bringe dir nur stumme Thränen dar!
O! hör ein Lied, nicht, daß ichs andern zeige,
Nein, still und treu, wie unsre Liebe war!
Was schilt die Welt zuletzt auch, wann ich weine?
Wer starb mir dann? wes ist Elisens Grab?
O nennet mir ein Elend wie das meine,
Und sprecht mir dann das Recht der Thränen ab!
In eckler Ruh und unvergnügter Stille
Schleicht sich der Tag in stäter Dämmrung hin,
Mir fehlt zum Trost die Hoffnung und der Wille,
Mein Herz hasst mich, so bald ich fühllos bin.[184]
Dem allem feind, womit sich Menschen trösten,
Der Wüste hold, worein es sich verschließt,
Und nie vergnügt, als wenn sein Leid am grösten,
In Thränen frei und unbehorcht zerfließt.
Du siehst vielleicht, Elise! dieß mein sehnen,
Mein Gram verrieth zuerst dir die Gefahr;
Du sahst mein Leid und zwangest deine Thränen,
Weil dir mein Schmerz mehr als der deine war.
Noch weil du warst, weil ich dich konnte küssen,
Zerschmolz ich schon, aus Furcht der nahen Pein;
Jetzt, da ich dich auf ewig lassen müssen,
Was soll mein Schmerz, wann er verzweifelt, sein?
Du kennst es wohl, mein Herz, so wie es liebet,
Vergnügt mit dir und andrer Freude gram,
Das nie sich theilt und, wann es sich ergiebet,
Nie in den Bund ein fremdes Herz mitnahm.
Du weist, wie fest ich mich an dich verbunden,
Wie ohne dich mir alles gleich gefehlt,
Und du allein versüßtest selbst die Stunden,
Die dich um mich und mich um dich gequält.
Du warst mein Rath, und niemand als wir beide
Erfuhr, was Gott mir glückliches bescheert;
Ich freute mich bei deiner treuen Freude,
Sie war mir mehr als Glück und Ehre werth.
Hatt ein Verdruß dann auch mein Herz geschlagen,
Warst du mit Trost und sanfter Wehmuth nah;
Ich fand die Ruh bei deinen holden Klagen
Und schalt mein Leid, wann ich dich trauren sah.
Mein stilles Glück, die Lust von wenig Stunden,
Ist wie das Glück von einer Sommer-Nacht,[185]
Ist ohne Spur, ist wie ein Traum verschwunden,
Der Bettler oft zu kurzen Herrschern macht.
Verlassnes Haus und vormals werthe Zimmer,
Wodurch ich jetzt, gejagt durch Unruh, flieh,
Zeigt mir ihr Bild und widerholt mir immer,
Hier gieng sie oft, hier saß, hier ruhte sie!
Hier küsstest du, ach! schon zum letztenmale
Dein ähnlich Kind, den bittern Schmerzens-Sohn,
Dem ich so theur das kurze Leben zahle;2
Hier sprachst du leis und mit gebrochnem Ton:
»Ich sterbe, ach! was soll mein Haller werden?«
Hier schwiegest du von gäher Noth erstickt,
Und deiner Huld blieb nichts als die Geberden
Und noch ein Blick, den du mir nachgeschickt.
Unschätzbar Herz, von Treu und gleicher Güte,
O fragt ihr Bern, fragt dieß entfernte Land!
Ihr erster Blick gewann ihr ein Gemüthe,
Der viel versprach, doch minder, als man fand.
Kein schlauer Neid, dem fremde Mängel schmeicheln,
Kein Funke Brunst von tadelhafter Lust,
Kein falscher Stolz, um Lob bereit, zu heucheln,
Kein Keim von Geiz wuchs in der reinen Brust.
Die kalte Lust unausgelesner Triebe,
Wo nur der Leib und nicht die Seele fühlt,
Entzündet leicht den Brand gemeiner Liebe,
Den nach dem Tod ein kurzes seufzen kühlt.
Ich liebte dich, allein aus allen Wesen,
Nicht Stand, noch Lust, noch Gold, dich suchte ich:[186]
Ich hätte dich aus einer Welt erlesen,
Aus einer Welt erwählt ich jetzt noch dich!
Doch du bist hin, wo ich zu wenig werde,
Wo niedriger als Gott man nichts mehr liebt
Und kaum vielleicht dein Geist zur tiefen Erde
Noch einen Blick mitleidig nach mir giebt;
Wo Seligkeit das kurze Glück verschlungen,
Ein kindisch Glück nur Sterblichen erlaubt,
Und übern Kreis der Wünsche hoch geschwungen
Der reife Geist nun nicht mehr hofft, noch glaubt.
O Heiliger! du leihst uns schwachen Kindern
Kein irdisch Gut zu einem Eigenthum,
Und, will die Lust dein höher Recht vermindern,
So reissest du aus Huld den Abgott um.
Das theuerste, so du auf Erden giebest,
Ist solch ein Weib, als die man mir begräbt;
Nun pflanz in mir die Liebe, die du liebest,
Die Grab und Erd und Himmel überlebt!
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