Erstes Buch.

Zweymal hatten sich die Geschlechter der Menschen erneuert, seitdem der kaiserliche Stamm der Iwen von dem Throne in China war verdrungen worden. Die Enkel des vergötterten Oguz und des mächtigen Tschengis waren in ihre ehmalige Mittelmäßigkeit zurückgesunken. Sie waren zahlreich, und ein jeder Fürst lebte mit seiner Horde von der Viehzucht und von der Jagd. Die Reichthümer von China, die kostbaren Feyerkleider, der Palankine Pracht, das Gefolg unzählbarer Mandarine, der Glanz des Thrones war verschwunden, und ein von einem reißenden Thiere erfochtener Pelz war der Putz der Nachkommen des Besitzers der Welt.[1]

Einer von ihnen, ein Haupt des ältesten Zweiges des großen Kublai, der kühne Timurtasch, spannte im Winter seine Zelten an dem westlichen Ufer des Kokonors1 auf. Seine zahlreichen Heerden bedeckten ein breites Gefilde, und seine getreuen Unterthanen lebten unter ihm in Vertraulichkeit und innerlichem Frieden. Im Sommer zog er sich nach und nach in die Ulanischen Gebürge, wo Schatten und Weide für seine Pferde und sein Vieh waren. Timurtasch erinnerte sich, daß er ein Abkömmling der Iwen2 war, die durch ihre Abhängigkeit an die Bonzen geschwächt, und durch einen Bonzenknecht, den glücklichen Hungwu, vom Throne gestürzt worden waren: in seinem Herzen wallete ein unversöhnlicher Haß gegen die Priester, deren Aberglauben die männlichen Tugenden der Tschengiden erweicht, und deren Eigennutz den Fürsten zu den Wollüsten verleitet hatte. Timurtasch konnte auch dem Geschlechte des Ming nicht verzeihen, daß die Enkel eines verächtlichen Pfaffendieners auf dem schönsten Throne der Welt sitzen, und alle die Vorzüge eines Sohnes des Himmels genießen sollten, die er für sein Erbe ansah.[2]

So schwach die Zahl seiner Mongalen war, so übte dennoch Timurtasch begierig die Rache aus, die er für seine Pflicht hielt. Er bekriegte gegen Westen unaufhörlich den vergötterten Priester, der sich zu Lassa anbeten läßt: und nach Osten streifte er in die benachbarten Provinzen von China. Die unversöhnlichen Kriege, die er wider die Feinde seiner Voreltern führte, gewöhnten seine Horden zu den Waffen; sie wurden die tapfersten unter allen den Stämmen, die den Enkeln des Tschengis gehorchten. Der Sieg belohnte ihren Muth, sie waren allen ihren Nachbarn fürchterlich, und die Zuversicht, die sie zu sich selber gefaßt hatten, machte sie fast unüberwindlich.

Einmal hatte Timurtasch einen Einfall gegen Westen gethan; er war mit einer auserlesenen Reuterey bis an den See Zila gekommen: als er von einem sanften Hügel ein großes Begleit von Tibetern herunterkommen sah, das mit einer in diesen Wüsten ungewöhnlichen Pracht gegen Lassa seinen Weg nahm. Auf einen Elephanten war ein glänzender Thron gesetzt, und mit seidenen Vorhängen war die Person bedeckt, die diesen königlichen Sitz einnahm. Eine Anzahl bemalter Wagen schien mit Frauenzimmer besetzt zu seyn; andere Fuhrwerke führten Kostbarkeiten und fürstliches[3] Geräthe; viele Fahnen zierten diesen Aufzug, und selbst die Gewaffneten, die ihn bedeckten, waren weit kostbarer bekleidet, als sonst die Unterthanen des Dalai Lama sind.

Wie ein Falk, der auf den erschrockenen Reiger stößt, stürzte Timurtasch unter die Völker des Priesters. Sie flohen, und hinterließen die unschätzbare Beute dem Ueberwinder.

Der Fürst näherte sich dem Elephanten, begierig seine Beute näher zu kennen. Die Vorhänge wurden geöfnet; eine Schöne im königlichen Schmucke zeigte sich, und rief in einer unbekannten Sprache den Sieger um Verschonung an. Timurtasch hatte nie geliebt, er hatte auch unter seinen mongalischen Frauen keine Gestalt gesehen, die ihn hätte reitzen können. Die gefangene Fürstinn war von einer Schönheit, dagegen alles ungestalt schien, was Timurtasch gesehen hatte. Sie hatte die schlanke Gestalt, die erhabenen Augenbraunen, die großen und funkelnden Augen, und die edlen Züge einer Einwohnerinn von Kaschmir: sie war aber eben so sehr über die Schönen ihres Landes durch ihre eigenen Reitze erhoben, als sie es durch die Geburt war; denn sie war eine Tochter des Königes dieses glücklichen Landes, die man Dalai[4] Lama3, einem neulich vergötterten Jünglinge, als Braut zuführte.

Timurtasch fühlte Bewegungen im Herzen, die ihm neu waren. Sein Herz hatte nichts empfunden, als das Wallen eines Siegers, und das rohe Vergnügen, das eine gesättigte Rache giebt. Auf einmal fühlte er, daß größere Vergnügungen seyn konnten; er hoffete nunmehr von der Liebe unendlich mehr Glückseligkeit, als er vom Ruhme und von der Rache genossen hatte. Er begegnete der Fürstinn, mit der Höflichkeit, die aus dem Herzen quillt, und die an keine Sitten und an keine Gewohnheiten gebunden ist. Seine Augen und seine Geberden sagten ihr, sie habe nichts von ihm zu besorgen, und würde bey den Mongalen eben die Verehrung antreffen, die sie in Lassa hätte hoffen können. Er entließ den größten Theil ihres Gefolges, und nahm nur diejenigen von ihren[5] Frauen mit sich, die die Fürstinn selber wählte. Er brachte sie auf ein flüchtiges Pferd, und eilte mit ihr dem Gebürge zu.

Die ganze Horde betete den siegreichen Timurtasch an, und jedermann bestrebte sich der schönen Gefangenen seine Ehrerbietung zu beweisen, da des Fürsten Liebe für dieselbe kein Geheimniß war. Sie lernte die Sprache dir Mongalen von ihrem Liebhaber; er war noch jung, und obwohl seine Züge die Kennzeichen eines Mongalen trugen, so gab doch seine muntere Seele seiner ganzen Person ein Leben und eine Würde. Die Fürstinnen im Morgenland sind gewohnt, sich demjenigen zu ergeben, dem sie das Schicksal zuführt; sie sind niemals in den Umständen, daß sie Vergleichungen anstellen, und eine Wahl sich erlauben können. Scheheristani, so hieß die Königstochter von Kaschmir, ließ sich die ungekünstelten Liebesbezeugungen ihres Siegers gefallen, und wurde seine Gemahlinn.

Timurtasch hatte nunmehr die Tibeter aufs heftigste beleidiget; er verdoppelte seine Einfälle wider ein Volk, von dem er die bitterste Rache zu befürchten hatte, und sein ganzes Leben war eine Reihe kleiner Siege. Seine schöne Gemahlinn kam mit einem Fürsten nieder, der ihr Ebenbild[6] war. Er hatte nichts vom Mongalen, als die dauerhafte Stärke eines unermüdlichen Leibes: sonst war sein Wuchs ungewöhnlich, und zog ihm den Namen des langen4 zu; seine Augen, seine Züge, seine Farbe, glichen seiner liebenswürdigen Mutter, und der Adel seiner Seele leuchtete aus seiner ganzen Bildung, und aus allen seinen Geberden hervor.

Sein Vater zog ihn selbst zu den Uebungen eines scythischen Fürsten. Niemand unter den Mongalen schoß gewisser, niemand zähmte ein feuriges Pferd mit mehrerm Muthe, niemand rang mit größerer Geschicklichkeit, und niemand widerstund den kühlen Wellen des Kokonors im Schwimmen beständiger. Er folgte mit Entzücken seinem Vater, wenn er den fürchterlichen Tieger im Dickicht reizte, und sein ganzes Heer wallete, wann die Lanze des Timurtaschs dem Ungeheuer durchs Herz drang. Usong, so hieß der junge Sohn der Scheheristani, gewöhnte den Schongar5 zum Raube, er dauerte in seiner ersten Jugend auf der Jagd unermüdet aus, und lachte der Gefahr und der Mühe entgegen.[7]

Timurtasch hatte unter seinen Angehörigen noch einige Enkel der getreuen Chinesen, die der unrechtmäßigen Gewalt des Ming sich nicht hatten unterwerfen wollen, und die lieber im Unglücke die Gefährten der flüchtigen Iwen geblieben waren. Ein weiser Mann aus diesem Geschlechte, der des Kongfuzee6 Lehren eben sowohl ausübte, als wohl er sie im Gedächtnisse besaß, wurde gewählt, das Gemüth des jungen Fürsten zu bilden. Begierig sog Usong die Lehren ein, die mit seinen edlen Neigungen übereinkamen; er fand in seiner Natur selbst, daß gerecht, daß gütig, daß großmüthig seyn denjenigen glücklich machte, der es wäre. Sein Herz brannte nach dem edelsten Ruhme, der beste, der weiseste, der rechtschaffenste unter denjenigen zu seyn, die man mit ihm auferzog. Er fiel mit eben der Lust auf die Auszierung seiner Seele, die ihn zu den Uebungen des Leibes antrieb. Er las einen Theil des Schuking's7, und schrieb die zierlichsten Züge. Sein Herz war groß genug, die Tugenden und die Vorzüge verschiedener Zeiten und verschiedener Völker zu fassen.[8]

Unter den Aufmunterungen seiner bewundernden Eltern, war Usong nunmehr vierzehnjährig worden: aber seine Kräfte waren zu einer mehrern Reifigkeit gekommen, als sein Alter zu gestatten schien. Er glühte vor Begierde, in einem wahren Kriege Ruhm und Erfahrenheit zu erwerben, und dennoch hatte er keine Hoffnung, die Erlaubniß dazu von seinem liebenden Vater zu erlangen. Seine Mongalen bereiteten sich eben damals zu einem Einfalle in Schensi: die auserlesenste Mannschaft rüstete sich zu diesem Feldzuge wider die alten Feinde der Tschengiden. Usong entschloß sich heimlich diesem Streife beyzuwohnen. Er versah sich mit Pferd und Waffen, und einer verstellenden Kleidung, und nahm niemand mit, als seinen vertrauten Scherin, der an Tugenden und Leibesstärke ihm ähnlicher, als sonst kein Mongale, aber etwas älter war. Er gab eine Jagd nach einem Gefilde vor, das von dem Wege nach Schensi am entlegensten war. Er nahm die Zeit in acht, da die nach China bestimmten Mongalen eine Tagreise von den Zelten sei nes Vaters lagen, und ereilte sie auf dem Wege. Sie nahmen ihn als einen von einer freundschaftlichen Horde ihnen zugezogenen Mongalen an, und der Zug gieng vor sich, dieweil der bekümmerte Timurtasch in allen westlichen Gegenden den vermißten Sohn ängstlich suchen ließ.[9]

Die Scythen schwammen durch den gelben Fluß, und vermieden die große Mauer. Sie streiften durch die Wohnsitze eines reichen und in Sicherheit seinem Gewerbe nachgehenden Volkes, und sammelten eine unermeßliche Beute. Aber ein rächender Feind wartete auf sie.

Liewang war Zongtu in Setschuen und Schensi, ein weiser und gerechter Herr, der mit den Vorzügen des Herzens alle Gaben des Verstandes vereinigte: ein würdiger Urenkel des Kongfuzee. Er unterstund sich nicht, der ersten Muth der Mongalen sich entgegen zu setzen. Aber er erwartete ihren Rückzug, wann sie mit einem beschwerenden Gepäcke, in der grösten Sicherheit, und mit der Nachläßigkeit, die die Folge derselben ist, wieder nach ihren Wüsten zurükkehren würden. Er wählte ein enges Thal, zwischen waldichten Hügeln, durch welches der Weg die Scythen führte. Er bot die geübtesten von seinen Kriegsleuten auf, die in dieser bergichten Provinz herzhafter als im südlichen China sind: er nahm eine Menge von denjenigen Kriegern mit sich, die aus eisernen Röhren bleyerne Kugeln durch die Gewalt des entzündeten Staubes trieben, ein Gewehr, das weit tödtlicher verwundete, als die Pfeile der Scythen, das die Mongalen nicht kannten, und dem sie nichts gleich mörderisches entgegen zu setzen hatten. Er führte[10] auch große metallene Röhren mit sich, die von Pferden fortgebracht wurden, und schwere steinerne Kugeln mit einer Gewalt von sich schleuderten, welcher keine Mauer widerstehen konnte, und die unter einer gedrungenen Schaar eine zernichtende Zerstörung anrichten.

Die ihren Feind verachtenden Mongalen kamen ohne Sorge in das unglückliche Thal, wo ihr Untergang ihnen zubereitet war. Sie durchzogen es langsam, wegen der Menge der Gefangenen und des reichen Gepäckes, womit ihr Zug beschweret war. Plötzlich ertönete das Gebürge vom Knallen der tödtlichen Feuerröhre; der Tod regnete auf die tapfern Scythen von den Hügeln und aus dem Gebüsche herab; sie genossen nicht einmal den Trost ihren Feind zu sehen, und fechtend zu sterben. Usong, den sein ungeübter Muth, aus einem angebohrnen Triebe, an die gefährlichste Stelle, und an die Hinterhut geführet hatte, ermunterte die nächsten seiner Freunde. Eilt, rief er, aus dem Thale des Mordes zurück, und fallt dem Feinde in den Rücken. Eine geringe Anzahl der kühnsten folgten ihm, und er stieß auf die Leibwache des Zongtu. Der junge Held öffnete sich den Weg mit dem Säbel, und drang auf den vergüldeten Drachen, das Zeichen der obersten Macht des Unterköniges; er schmeichelte ihm selber mit der[11] Hoffnung den Feldherrn selbst zu stürzen, und sich den Weg zum Rückzuge über die erlegten Feinde zu bahnen. Aber die Zahl der kühnen Folger des Fürsten war zu gering, sie wurden umringt, ein Theil fand an den Spießen der Chinesen den Tod, und die übrigen wurden entwaffnet.

Usong war dem Zongtu so nahe gekommen, daß dieser Unterkönig seine Gesichtszüge erkennen konnte. Liewang sah ihn für einen aus dem entfernten Westen entsprungenen Fremden an, und konnte sich nicht enthalten, seine Bildung zu bewundern. Er befahl, den schönen Jüngling gefangen zu nehmen, und der Befehl wurde leicht erfüllt, da Usong unter sein erlegtes Pferd zu fallen gekommen war. Man brachte ihn und seinen Freund mit andern Gefangenen nach der Hauptstadt in Schensi, dem unermeßlichen Singan, das dem kaiserlichen Sitze zu Pecking an der Größe nicht weicht. Liewang wurde als der Erretter des Landes empfangen, und das Volk, das so viele Tugenden an ihm bewundert hatte, fand nunmehr an seiner sieghaften Klugheit im Kriege neue Gründe, ihn zu verehren.

Der Lerm der Geschäffte hatte den Unterkönig gehindert, den gefangenen Fremdling zu sprechen; nur hatte er ihn befragen lassen, wie sein Vaterland hieße, und warum er in das friedliche Reich[12] eingefallen wäre? Usong kannte die mistrauischen Gesetze von China; sich für einen Iwen erkennen zu lassen, war ein wider ihn ausgesprochenes Todesurtheil. Er ließ also den Unterkönig in seinem Irrthum, und man hielt ihn für einen Mongalen, von einer weit entlegenen und besser gebildeten Horde. Man wies ihm seinen Aufenthalt bey dem Gärtner des Pallastes an, wo er zugleich die fremden und seltenen Thiere zu besorgen hatte, die der Unterkönig vornemlich zum Zeitvertreibe seiner Tochter hielt.

Liosua war zehn Jahr alt, die einzige Tochter, und die einzige Lust, des weisen Vaters. Sie hatte ihre Mutter, eine Fürstinn aus dem kaiserlichen Stamme der Ming, sehr früh verloren. Liewang vereinigte nunmehr alle die Zärtlichkeit seines Herzens in der Liebe dieses angenehmen Kindes. Ihre Bildung war ausserordentlich schön, aber das Gemüth erfullte alle Wünsche des kennenden Vaters. Mildigkeit, Großmuth, und kindliche Liebe, waren mit dem schärfesten Witze, und mit den lebhaftesten Gaben des Verstandes, begleitet. Sie übte sich in den Wissenschaften des Reiches, und füllete ihr Gedächtniß mit den Lehren dir alten Weisen an, der Halbgötter, die zuerst unter den Menschen Ordnung und Gesetze erfunden hatten8.[13]

Die Flüchtlinge der geschlagenen Mongalen kamen indessen traurig zu dem Ulanischen Gebürge zurück, und aus der Beschreibung des verlornen Jünglings mußte Timurtasch die unglückliche Gewißheit abnehmen, daß auch sein edler Sohn das Leben eingebüsset habe. Usong wußte kein Mittel, seinen Eltern seine Erhaltung einzuberichten: die Bekanntschaft mit einem Erben der Iwen wäre für ihn, und selbst für den Boten tödtlich gewesen. Der junge Fürst zwang sich unter sein Schicksal. Die angeborne Munterkeit seines Gemüths machte ihm den niedrigen Zustand erträglich, und seine Neugierigkeit fand eine angenehme Nahrung an den Blumen, und an den Thieren, die er zu warten hatte. Er blieb aber nicht lang in dieser demüthigenden Beschäftigung.

Des Unterkönigs Pallast hatte hinter sich weit ausgedähnte Gärten liegen. Aus einem9 nahen Hügel quollen häufige Wasser, die bald in Teiche gesammelt, seltenen Fischen, oder schön gefiederten Wasservögeln zum Aufenthalte dieneten, und bald als schlänglichte Ströme durch die Waldung schlichen, die aus einer Verschiedenheit von Bäumen bald einzeln, bald in kleinen Klumpen, bald auch in Reihen gepflanzet waren. Ein Thal, umringt[14] mit bewachsenen Hügeln, wurde von einem reinen Bache durchflossen, und endigte sich durch einen Felsen, den aber auch die Kunst aufgeführt hatte, und wodurch ein heimlicher Gang, gekrümmt, zu einem zweyten Garten führte. Diesen beschloß ein Gebüsch, das unzugänglich schien, und dennoch einem Fußsteige offen war, der nach einem Tempel auf dem Hügel leitete.

Liosua hatte in dem nächsten Garten bey ihren Zimmern Goldfische, die sie aus ihrer Hand die Speisen holen gelehrt hatte; ihre unschuldige Jugend fand ein Vergnügen, auch stumme Geschöpfe glücklich zu machen, die nicht danken konnten. Sie beschäftigte sich eben mit diesem Spiele ihrer Mildheit, als sie sich etwas zu niedrig bog; das Fräulein stürzte in den Teich, und wurde plötzlich vom Wasser verschlungen. Ihre Frauen schrien und eilten, wie die verstümmelten Füsse es dem Chinesischen Frauenzimmer zuliessen, dem unglücklichen Teiche zu; sie wären aber zu spät gekommen, wenn Usong nicht eiliger gewesen wäre.

Ihm, und allem was nicht weiblich war, war der Garten freylich verboten, der zu des Fräuleins Vergnügen war auserlesen worden. Aber in einem nahen Gebüsche war er eben beschäftigt, ein entkommenes Goldhun zu fangen, dessen glühende[15] Farben es unter dem Laube verriethen, als er das Geschrey der ohnmächtigen Weiber vernahm. Sein Feuer ließ ihm keine Ueberlegung zu: er schwang sich über das Gitterwerk, warf sich in den Teich, und in einem Augenblicke war er mit der geretteten Fürstinn am Lande.

Sie war ohne Empfindung, und er mußte sie umfassen, um sie in die Höhe zu heben. Er sah ihre schmachtenden halbgeschlossenen Augen, und eine unnachahmliche Anmuth auf dem selbst im Schrecken milden Angesichte. Sie holte endlich einen Seufzer, indem er sie zu ermuntern suchte, und blickte ihren Retter mit einer Freundlichkeit an, in welche sich eine zärtliche Schattirung von Schamhaftigkeit mischte, und die blassen Wangen, mit einer schwachen Rosenfarbe übergoß. Usong übergab sie den frohlockenden Wärterinnen, und entfernte sich aufs eiligste, denn er kannte die Sitten des Reichs, und die strenge Eifersucht, mit welcher die Gesetze über die Zucht des Frauenzimmers wachen.

Man brachte das Fräulein in ihr Zimmer, und in die Arme des liebenden Vaters. Liewang war ein Verehrer der Sitten, aber seine Seele war zu groß, als daß er die Uebertretung derselben an einem Fremden hätte rächen sollen, der sich in die[16] offenbarste Gefahr gestürzet hatte, dasjenige zu retten, was dem Unterkönige das Leben erträglich machte. Er ließ den Usong rufen. Junger Fremdling, sagte er, ich bin dir unendlich viel schuldig, wie kann ich dich belohnen?

Usong sah den Unterkönig mit dem edlen Anstand an, den eine erhabenere Geburt ihm gab, und bedachte sich einen Augenblick. Seinem lebhaften Gemüthe stellte sich zugleich die Freyheit und das Vergnügen seiner Eltern, aber auch der Vortheil dar, in der Weisheit der Chinesen sich ausbilden zu lassen. Heimlich mischte sich auch das anmuthvolle Bild der jungen Fürstin in seinen Entschluß, und gab den Ausschlag. Ehrwürdiger Herr, sagte er, ich bin ein Fremdling, ich kenne etwas von der Weisheit des Landes: aber ich bin jung, gönne mir, daß ich mich in den Gesetzen, in den Gebräuchen, und den Wissenschaften eines Reiches unterweisen lasse, das seit den ersten Zeiten der Mittelpunkt der Ordnung und der öffentlichen Glückseligkeit ist.

Es war dem edlen Jünglinge nicht entgangen, wie viele Vorzüge das reiche, das bevölkerte, das angebaute, das gelehrte, das weise China vor seinem verwilderten Vaterlande hatte. Er begriff, daß die Gemüther seiner Mongalen noch unverdorben,[17] und eben so unschuldig waren, als die Hand der Natur sie erschaffen hatte: er sah ein, daß blos der Mangel an Einrichtungen, und an Wissenschaften, sie zu Barbaren machte, und daß sie alle Anlagen zu einem glücklichen Volke hätten, wenn ein Gesetzgeber das viele Gute anzuwenden wüßte, das in diesen rohen Edelsteinen verborgen lag. Und dieser Gutthäter meines Volks kann ich seyn, sagte sein Herz, nicht mit Worten, aber mit der lebhaftesten Empfindung, die ohne Zeitfolge, und ohne Worte, die Sprache des Herzens ist.

Junger Fremdling, sagte der Unterkönig, du verlangest nach Weisheit, du sollst sie erlangen; du bist frey, und ich werde sorgen, daß du unterrichtet werdest.

Die Freigebigkeit des Unterkönigs erstreckte sich auch auf den getreuen Scherin; er erhielt seine Freyheit: auf daß dem beliebten Usong kein Wunsch übrig bleiben möchte. Dieser junge Fürst befliß sich unter den vortreflichen Meistern, die ihm der Zongtu gab, die Weisheit der alten Herrscher von China, sich nützlich zu machen; er fand in der Billigkeit dieser Fürsten, in ihrer Bemühung ihres Volkes Glück zu bewirken, in ihrer Entfernung von allem Eigennutze, in ihrem Geiste der Ordnung,[18] einen Reiz, der sein Herz erhöhete. So hätte ich gedacht, das hätte ich gethan, sagte Usong zu sich selber, ihn dünkte, nichts wäre schwer, was gut wäre. Er kannte die Schwierigkeit noch nicht, die ein Menschenfreund findet, wenn er Gutes thun will.

Ob ihn wohl die Sitten der Chinesen abhielten, die liebenswürdige Liosua zu sehen: so war sie doch die angenehmste Beschäftigung seines Herzens. Er fand tausend Mittel eine Art eines Zuganges zu ihr sich zu öffnen; und da alle ihre Dienerinnen in ihm den Retter einer angebeteten Fürstin liebten: so erleichterten sie willig seine Absichten. Bald fand er seltene Blumen in den Gebürgen, und blühende Nipponische Bäume in den Gärten der Grossen, und ließ sie der Fräulein zubringen; bald waren es die farbenreichsten Vögel, deren Fang einen Theil seiner scythischen Auferziehung ausgemacht hatte; bald neue Gedichte, die er bey seinen Meistern abschrieb. Er vernahm ihren Geburtstag, der im Pallast ein Fest war, und heftete heimlich an eine Spitzsäule in dem Garten des Fräuleins einige Verse an, worinn er das Glück der Ming10[19] beneidete, unter denen der Phönix gebohren wäre. Das Fräulein lächelte, und nahm was von Usong kam, mit einer jugendlichen Unschuld freundschaftlich an.

Dennoch vergaß er nicht, daß er ein Fürst, und gebohren war, für sein Volk zu sorgen. Er versäumte die Verhörstunden des Unterkönigs niemals: er bewunderte, wie die erfahrne Weisheit in den Rechtssachen den Knoten im Augenblick auflösete, der die Wahrheit umschlang, und den Schlüssel ausfündig machte, der aus dem Labyrinthe führte. Er sah mit Vergnügen die Anstalten, mit welchen Liewang dem Mangel wehrte: er erkannte die Klugheit, mit welcher er die Rechte des Ackermanns in einem Gleichgewichte gegen den Vortheil des Bürgers hielt, und sowohl den Schweiß des Bauren zu belohnen, als dem armen Handwerksmanne die Nothdurft des Lebens in einem billigen Preise zu verschaffen wußte. Usong fühlte, daß er diese edelste der Schulen nicht immer geniessen würde, und eilte sich mit dem Lichte aufzuklären, das die Einsicht des Unterkönigs von sich gab.[20]

Aber der Fürst war zu jung, und zu feurig, als daß seine Liebe lang hätte verschwiegen bleiben können. Er hatte zwey Jahre zu Singan zugebracht, als endlich sein beständiges Bestreben dem Fräulein gefällig zu werden, den ernsthaftern unter ihren Frauen zu mißfallen anfieng. Schon hatte er sich unterwunden, den eigenen Garten zu betreten, in welchem die Fürstin sich erlustigte, und der für ihn ein verbotenes Heiligthum war. Er erfand immer neue Anlässe, die seine Freyheit entschuldigen konnten. Unter den Blumen, die er ihr zutragen ließ, waren öfters Verse verborgen, deren allgemeine Ausdrücke doch allemal Zeichen behielten, die nur der jungen Schönheit sich zueignen liessen, die er verehrete. Er ließ Zeugnisse seiner Liebe im hellesten Feuer brennen; er weyhete selbst die Stellen, die Liosua berührte, mit zärtlichen Sinnbildern ein.

Endlich hielten sich die Frauen verpflichtet, die Unbedachtsamkeit des Fremdlings dem Unterkönige anzuzeigen. Der weise Herr erwog, was die Sitten des Reichs und seine Eher erforderten, und dann, was Usongs liebenswürdige Eigenschaften, und glückliche Dienste, dagegen vermögen sollten. Er ließ den Sohn des Timurtasch vor sich fordern, und sagte zu ihm: Jüngling, der Sohn der Schlange bewarb sich um die Tochter des Drachen; aber der Drache fragte ihn, wo sind deine[21] Flügel? In dem Herzen des Fürsten hob sich auf einmal das Angedenken des Oguz und des Tschengis, die Herrlichkeit des Kublai,11 und die ganze Größe seines Geschlechts empor; er antwortete mit gesetztem Anstande: der Sohn der Schlange hatte Flügel, aber man sah sie nicht. Diese Antwort misfiel dem ernsthaften Herrn. Wenn der Fremdling deutlicher unterrichtet werden muß, so wird er sich erinnern, daß die Tochter der durchlauchtigen Ming nicht gebohren ist, unter einem scythischen Zelte zu wohnen. Usong wird sein Vergehen einsehen, und nicht, da er die Gesetze und die Sitten des Reiches zu lernen hier wohnet, durch unerlaubte Triebe sich des Mittels berauben, weiser zu werden. Hastig fuhr der Jüngling bey diesem Verweise auf; er riß seine Oberkleider entzwey, und zeigte dem Unterkönig den gelben Gürtel, das Wahrzeichen des kaiserlichen Geblütes, das er niemals abgelegt hatte. Er stund in der Majestät eines beleidigten Kaisersohnes da. Der Sohn der Iwen, der Enkel des Tschengis, darf keine Vergleichung mit dem Ming befürchten. Nun schicke mich zum Tode hin, denn deine Verachtung ist bitterer für mich.[22]

Liewang liebte den Jüngling; er erschrack über die gefährliche Erklärung, und wollte keinen übereilten Entschluß fassen. Er ließ den von Zorn erröthenden Usong in ein Zimmer führen, und ohne Beleidigung sorgfältig verwahren. Am folgenden Tage rief er den Fürsten wieder vor sich, und sagte zu ihm mit dem gesetzten Wesen, das der größte Vorzug der chinesischen Staatsbedienten ist, und sonst wohl oft die Weisheit selber bey ihnen ersetzen muß; der fremde Jüngling kann im Reiche nicht mehr leben, ihn beschützen wäre eine Untreu, die ich am Sohne des Himmels12 begehen würde. Auch in sein Vaterland zurück zu kehren kann ihm nicht erlaubt werden. Die Iwen sind vom Verhängnisse zum Untergange bestimmt. Wenn aber der Fremdling in einem entfernten Lande, am äussersten Ende der Welt, sein Leben zuzubringen sich verpflichten wird, so kann vielleicht der Saamen der Weisheit bey ihm zur Reife gelangen, und bey einem andern Volke Früchte tragen.

Usong antwortete mit der Grösse eines wahren Tschengiden: Dasjenige Land wird mir am liebsten seyn, das am entferntesten vom Throne der Ming ist.[23]

Liewang ließ den Jüngling von sich; er schrieb unverzüglich an den Unterkönig von Quangtscheu13 »ein Fremder würde aus wichtigen Ursachen aus dem Reiche verbannet; weil aber derselbe Zeichen der Tugend von sich gegeben hätte, so wäre der Zongtu14 vom Liewang gebeten, diesen Fremdling auf einem nach den entferntesten Abendländern abgehenden Schiffe wegbringen zu lassen: doch möchte er ihm dasjenige mitgeben, was Liewang ihm zu den Nothdürftigkeiten des Lebens abfolgen liesse.«

Usong sah sich nunmehr gezwungen, die geliebte Liosua ewig zu meiden; jung, wie er war, konnte er sich nicht enthalten zu versuchen, den letzten Abschied von ihr zu nehmen. Er und sein Freund Scherin späheten alle Augenblicke aus, in welchen die junge Schöne in den Gärten sich befinden würde, und es gelang dem Usong, eben bey dem Teiche, aus welchem er sie gerettet hatte, unvermuthet vor ihre Füsse sich zu werfen. Tochter des Himmels,15 sagte er, Usongs Tugend, und nicht seine Abkunft, war deiner nicht würdig. Warum habe ich nicht die Vorzüge eines Schung! Warum kann ich nicht hoffen, der Sohn eines neuen Yu[24] zu werden!16 Er schwieg, und Thränen stiegen das erstemal in seine glühenden Augen.

Die gerührte Liosua erinnerte sich, was die Strenge der Sitten erforderte, sie entfernte sich, und sagte im Gehen: Usong ist ein Fremdling, und kennt unsre Gebräuche nicht, man muß ihm verzeihen. Da sie aber langsam sich ihren Frauen näherte, konnte sie sich der Wehmuth nicht erwehren, da sie sich von einem liebenswürdigen Fürsten trennen sollte, der an eben dem Orte, mit der Gefahr seines eigenen Lebens, das ihrige gerettet hatte. Sie sah sich noch einmal nach ihm um, ihre Augen sagten ihm, mit einem sittsamen Schmachten, aufs deutlichste, sie verlöre ihn nicht gern.

Usong verstand die Sprache; das Herz lernt sie von der Natur; er sprang auf, und eilte halb entzückt, und halb verzweifelnd ins Gebüsch.

Der Tag kam, da er mit dem getreuen Scherin verreisen mußte. Er fand in Quangtscheü Reichthümer an Golde, an seidenen Zeugen, und an allen den Werken der in China so arbeitsamen Künste. Auch der Schuking, und die geheiligten[25] fünf Bücher der alten Weisen, waren unter den Geschenken des Liewangs, und in einem derselben fand er einen Brief von dem Unterkönige.

Nun ich des edlen Usongs Angesicht nicht mehr sehen werde: so ermahne ich ihn, wie ein Vater einen auf ewig sich entfernenden Sohn ermahnet, die Weisheit und die Tugend unverrückt zu lieben. Usong hat Gaben, die ihn zum nützlichen Fürsten machen können: wird er diese Kräfte anwenden, so kann er vom Himmel hoffen, ein Werkzeug der Güte desselben zu werden.

Usong küßte dankbar und wehmüthig dieses Vermächtnis eines Gutthäters, der seiner Liosua Vater war. Die Schiffahrt gieng ohne Hindernisse fort, und der Kaufmann setzte ihn mit seinen Schätzen zu Atschin aus: denn weiter giengen aus dem Reiche keine Schiffe. Der junge Fürst hatte sich in der Einsamkeit des Schiffes einen Grundriß zu seinem künftigen Leben entworfen: er nahm sich vor, Länder zu besuchen, wo er sich ausbilden könnte, Reiche, wo die Weisheit blühete, und wo eine Regierung wäre, die die Unterthanen glücklich machte. Er hatte zu Singan, und noch itzt durch die Bücher der Alten, und durch Liewangs glänzendes Vorbild, sich ganz mit der Begierde angefüllt, sich tüchtig zu machen, am Glücke der Menschen[26] zu arbeiten. Ihm blieb kein andrer Trieb, neben der unschuldigen Sehnsucht nach der bescheidenen tugendhaften Liosua.

Atschin stand unter einem kriegerischen und grausamen Könige. Usong hatte in China die Schonung liebgewonnen, mit welcher man, selbst wider die rächenden Gesetze, das Leben eines jeden Menschen vertheidigt, so lang als er die Gesellschaft seiner Mitbürger nicht unerträglich störet. Hier sah er alle Tage auf einen bloßen Befehl des Königes, ohne Verhör, ohne Verantwortung, ohne Ueberführung, und oft ohne Schuld, diejenigen den Elephanten vorwerfen, oder unter dem Säbel sterben, auf die der Unwillen des Herrschers gefallen war. So würde ein Tiger herrschen, sagte er, wenn der Himmel zugeben könnte, daß Tiger herrscheten. Auch fand er in einem nicht unähnlichen Lande nichts von den Zierraten von China, keine durch die Hand des Fleisses zubereitete Gräben zur innern Schiffarth, keine stuffenweise eingetheilte und bebaute Berge, keine den Reichthum der Einwohner verrathende Gebäude, keine Schulen der Gelehrten, und nichts als Wälder, oder Hütten, worinn Sclaven sich schmiegten.

Bey dem chinesischen Kaufmanne, in dessen Haus ihn der Befehlshaber des Schiffes aus Quangtscheu[27] gelassen hatte, fand er einen Mollah, einen für heilig gehaltenen Hadschi,17 der von der Reise nach Mecca zurückgekommen war, und etwas von der chinesischen Sprache verstund. Die Gestalt des jungen Fürsten sprach selbst für ihn, und sein freundschaftliches und edles Wesen gewann ihm alle Herzen. Der Mollah vernahm vom Usong, er suche ein Land, wo die Einwohner glücklich wären, und wo die Tugend im Ansehen stünde. Jüngling, sagte der Mollah, alle diese Morgenländer stehen unter harten Herren, und unter keinen andern Gesetzen, als unter dem Willen der Herrscher. Aber fern in Westen, liegt ein Reich, Misr18 ist sein Namen, das mit deinem China eine Aehnlichkeit hat, aber weit kriegerischer ist. Es ist, wie Taising mit Gräben durchschnitten; ein Fluß kömmt vom innersten Süden, und füllt an einem gesetzten Tage diese Gräben, und durch sie das ganze Land, mit einem segnenden Wasser an, wodurch es fruchtbar wird. So weit das Auge reicht, wird Aegypten zum Garten, wo die gütige Natur mit der geringsten Hülfe dreyßigfach den Saamen wiederbringt. Edle Palmenbäume bekleiden seine Büsche, und eine ausgedehnte Schiffahrt füllt seine Häfen mit[28] den Arbeiten des Morgenlandes, und mit den Werken des Fleißes der künstlichen Völker, die noch weiter nach Abend liegen.

Aber Misr hat noch einen grössern Vorzug: nur das Verdienst macht daselbst Fürsten, und aus den Fürsten Könige. Unter vier und zwanzig Fürsten ist das Reich eingetheilt; keiner folget seinem Vater, sie sind alle die Söhne ihrer Thaten. Einer von ihnen, dessen Vorzüge ihn zur Wahl auszeichnen, steigt auf den Thron; er ist allemal ein Fremdling, und mehrentheils ein Sclav,19 der durch den Gehorsam durch die Noth, zur Anstrengung seiner Kräfte gezogen, und durch die Geschäfte selber gebildet worden ist. Misr ist das Vaterland des Verdienstes, und der Tempel der belohnten Tugend.

Usong ließ sich die Räthe des Mollah gefallen. Sobald die Jahreszeit günstig war, schiffete er sich nach Dschidda ein, wodurch einige Mahometaner[29] eine Wallfahrt nach Mecca unternahmen, und der Mollah, sein Freund, gieng selbst zum zweytenmale zum Grabe seines Propheten. Die Musse einer langen Schiffahrt brachte Usong zu, die arabische Sprache sich bekannt zu machen, worinn ihn der Mollah unterwies. Er las den Koran mit innigem Vergnügen. Das natürliche Licht führte ihn zu einem einigen Gott, und er fand, daß die chinesischen Weisen zu selten, zu kalt, und zu fremd von Gott sprechen. Der Tien, sagte Usong, ist der Schutzgott des Reiches20 und des Kaisers: aber hier finde ich einen Gott, der mein Gott, und eines jeden Menschen Gott ist. Nur die Wunder, davon Usong in China auch nicht den Namen gehört hatte, und die, in dem Glauben der Bonzen eingewoben, die Abscheu der Weisen waren, verstatteten ihm nicht, dem Koran einen völligen Glauben zu geben.

Zu Dschidda trennte sich Usong von seinem mahometanischen Freunde, dem Mollah, und fand ein Fahrzeug, das ihn zu Suez aussetzte. In Alkähirah21 kam er eben zu der Zeit an, da der Soldan mit aller der Pracht eines reichen Königes den Befehl ertheilte, den Kanal zu öffnen, der das Wasser vom Nil einläßt. Die Fürsten des[30] Reiches, und die Befehlshaber der zirkaßischen Krieger, erschienen in den kostbarsten Kleidungen, und auf den edelsten arabischen Pferden. Ganz Aegypten begieng sein größtes Freudenfest, und die allgemeine Wonne drückte sich in tausend Spielen aus. Usong selbst fand etwas prächtiges in dem Befehle, den ein Mensch gab, daß ein Reich fruchtbar werden sollte. Er glaubte einen Augenblick an alle die Vorzüge, die der Mollah Aegypten zugeschrieben hatte.

Aber, als er das verworrene, das unreinliche Alkähirah sah: wie er die in Aegypten herrschende Unordnung mit der genauen Policey der Chinesen verglich: wie er den Uebermuth der zirkaßischen Kriegsleute gewahr wurde, die das übrige Volk wie Sclaven hielten: wie so viele Aufläufe unter den herrschenden Mammelucken selber entstanden, und wie bald dieser und bald jener Bey von seinen Gegnern überfallen und getödtet wurde: wie Usong erfahren mußte, daß der Diebstahl die allgemeine Gewohnheit der Einwohner war, und daß anstatt der Gesetze nur der Wille der Mächtighen herrschte; so wurde seine Seele mit Unmuth gerührt. Sollte denn Weisheit und Tugend allein in China, dem Reiche der Ming, gefunden werden, sagte er, und seufzete![31]

Er fand auch bald bey seinem Aufenthalte in Misr, daß nicht der Verdienst, sondern die Gewaltthätigkeit hier zum Glücke führte, und derjenige unter den Fürsten den Thron bestieg, dessen Säbel sich am grausamsten in dem Blute seiner Brüder gefärbet hatte. Usongs in der Liebe zum Rechte und Guten erzogene Seele verabscheute ein Land, wo er keines von beyden fand.

Er machte sich indessen die Fremdlinge von allen Völkern bekannt, die die Handlung nach Aegypten rief; sein Zweck war auszuforschen, ob unter den abendländischen Reichen denn keines wäre, wo er Weisheit und Tugend anzutreffen hoffen könnte? Er fand sich in den Sälen ein, wo die Kaufleute von den entferntesten Ländern sich bey dem neuerfundenen Getränke versammelten, das als ein unschuldiges Labsal der müden Seele gesucht wurde:22 und da selbst gerieth er in einigen Umgang mit einem Edlen aus Venedig, der mit dem Gesandten dieses Freystaates seinem Oheim, nach Alkähirah gereiset war; sein Name war Katharin Zeno.

Usongs Wesen war einnehmend, und er reizte die Neugier selbst durch die Entfernung, aus welcher er herkam; ein Einwohner von China, für[32] den man ihn hielt, war für einen Europäer eine nie gesehene Seltenheit.

Usong kam mit dem Zeno auf die abendländischen Staatsverfassungen zu sprechen. Kömmt denn der edle Zeno nicht aus einem Lande, wo man die Wissenschaften ehret, und die Würde der Sitten kennt? Aus seinem Betragen sollte man schliessen, es gäbe Völker, denen der Namen der Barbaren mit Unrecht beygelegt wird, sagte der Fürst auf arabisch. Zeno lächelte: wann uns die Morgenländer für ungesittet ansehen, so erwiedern wit ihnen diese Unbilligkeit mit der unsrigen. Einer von uns (Marc Pol,) hat etwas von der Grösse und der Weisheit von Kathai uns erzählt, aber insgemein halten sich die Europäer für einzig gesittet. Und gewiß, wann Usong die Gesetze, die Ordnung, den Gottesdienst, die Künste, die Kriegszucht zu Venedig wird gesehen haben: so wird er uns eingestehen, wir haben vor dem Volke, bey welchem wir beyde jezt leben, dennoch ächte Vorzüge.

Die Vaterstadt des Zeno erweckte Usongs nachfragende Neugier, und er bezahlte seinen neuen Freund mit Nachrichten aus China. Er sah selbst aus den Waaren, die aus den Schiffen dieser freyen Stadt nach Alexandria kamen, den blühenden Zustand der Künste. Die Schiffe waren besser gebaut,[33] und wurden geschickter gelenkt, als in China, und an allem Geräthe erkannte man Geschmack und Erfindung. Usong entschloß sich leicht, da des Zeno Oheim eben seine Jahre geendigt hatte, mit beyden Edeln nach Venedig zu segeln. Er legte sich mit seinem gewöhnlichen Feuer auf die welsche Sprache, und auf die Kenntniß der Buchstaben: eine durch viele Windstillen verlängerte Schiffahrt half ihm, sich in beyden zu üben, und zu Venedig war er bald im Stande, seine Gedanken zu erklären.

Diese stolze Stadt stund damals auf dem höchsten Gipfel des Wohlstandes. Niemals hatte Tyrus eine solche Uebermacht in der Handlung erworben. Unter dem Herzoge Thomas Mocengio besaß, kurz vor des Usongs Ankunft, Venedig über drey tausend Schiffe, die mit sechs und dreyßig tausend Seeleuten besetzt waren. Sein Reichthum war fast unermeßlich. Es verschickte alle Jahre Waaren für den Werth von zehn Millionen Goldmünze in fremde Häfen, und gewann an der blossen Fracht zwo Millionen. Der ganze Handel von Indien gieng über Alexandria nach Venedig, und die Venetianer waren die allgemeinen Kaufleute aller abendländischen Völker.

Usong erstaunte in der That, als er die hohen Thürme von Venedig sich allmählig aus den Wellen[34] erheben sah. Er hatte in China grössere Städte gesehen, aber der blosse Gedanke, mitten ins Meer eine Hauptstadt, die Beherrscherin ganzer Königreiche, zu bauen, war für ihn mehr als menschlich. Er fand mehr Festigkeit in den steinernen Gebäuden, in den Tempeln mehr Pracht, reichere Zeughäuser, und einen Gottesdienst, der mehr Anstand hatte, als der kindische Götzendienst der Bonzen, und mehr Andacht zeigte, als die kalte Verehrung der Voreltern.

Nichts bestürzte aber den jungen Usong mehr, als die Staatsverfassung. Der Begriff eines Freystaates war im despotischen China noch nicht entstanden. Man glaubte viele Götter, aber stellte sich nur einen König als möglich vor. Daß aber Edle mit gleicher Gewalt neben einander herrschen, und der Größte auch vom Geringsten abhangen könnte, kam dem Usong wie eine Erscheinung aus dem Reiche der Geister, und als eine Nachricht aus einer andern Erdkugel vor. Seine Erstaunung vermehrte sich, da er vernahm, in den Abendländern wären ehmals alle Völker frey gewesen, und durch ihre eigenen, von ihnen selbst gewählten Obrigkeiten, beherrschet worden. Er konnte den Grund nicht einsehen, warum eben in diesen Ländern eine der übrigen Welt unbekannte Art zu herrschen üblich wäre: und begriff nicht, wie unter vielen gleichmächtigen einmüthige[35] Befehle und Maasregeln verfaßt werden konnten. Er sah zwey Völker; ein herrschendes, das das kleinere war, und ein grösseres, das gehorchte, und niemals zum herrschen gelangte.

So stark sein Vorurtheil wider die Regierung der Edlen war: so fand er doch in Venedig, daß sie mit dem allgemeinen Wohlseyn bestehen konnte: denn das Volk schien reich zu seyn, es wohnte in bequemen Häusern, und seine Arbeit war nicht übermäßig. Die Künste blühten wie in China, alles was zu der Menschen Nutzen und Vergnügen dienen konnte, wurde hier verfertigt. Die Edlen schienen bey ihrer Obermacht bescheiden zu seyn, die Gesetze galten auch wider sie, und ihr Vorzug verhinderte ihre Bestrafung nicht, wann sie schuldig waren. Er sah die knechtische Unterwerfung nicht mehr, die in China Menschen gegen Menschen bezeigen; die Geissel war nicht, wie dort, der Zepter der Gesetze.

Der Fürst der Mongalen fand sehr bald, daß der Kriegsstand besser eingerichtet war, als in dem gepriesenen Reiche der Ming: es herrschete unter den Kriegsleuten mehr Ordnung, mehr Geschicklichkeit, mehr Kriegszucht, und er lernte einen Trieb kennen, der den morgenländischen Kriegsleuten noch fremd war: die Ehre. Er vernahm, daß die Europäer[36] dm gewissesten Tod der Schande vorzögen, und das Fliehen bey vielen Völkern für die größte der Missethaten angesehen würde.

Er ließ sich belehren, daß die in China so gemeine Hungersnoth ein überaus seltenes Uebel wäre, das in Venedig die wenigsten Menschen erlebten; daß die Staatsverfassung seit etlichen Jahrhunderten nicht die geringste Erschütterung erlitten hätte: und daß überhaupt die herrschenden königlichen Häuser in Europa auf ihren Thronen ausstürben, und fast niemals einen Umsturz zu fürchten hätten; da in China so vielmal ein geringer Aufrührer, ein Tschu, das kaiserliche Haus verdrungen, und den beraubten Thron des Tschengis und des Kublai seinen im Pöbelstande gebohrnen Söhnen überlassen hatte.

Je mehr Usong sich überzeugte, daß in den abendländischen Sitten, Gesetzen, und Grundsätzen ein Keim des allgemeinen Besten, ein Grund zur Ruhe und Sicherheit, und dennoch ein Trieb war, der die Menschen zu edlen Handlungen antrieb, je mehr bestrebte er sich, diese Vorzüge genauer zu kennen, die er den Europäern zugestehn mußte.

Zeno erinnerte den neugierigen Usong, die despotische Herrschaft in den Morgenländern erniedrige[37] die Gemüther des Volkes. Wenn man den Ruhm aller edeln Thaten dem Fürsten zuschreibt; wenn auch der erhabenste Unterthan durch den Blick des Herrschers in den Staub gestürzet wird; wenn schimpfliche Bestrafungen willkührlich über das Volk verschwendet werden: da sinkt der Trieb durch eigne Thaten sich zu erheben. Ausgeschlossen von dem Wege zum Ruhme, lernt ein Volk sich unter das Joch beugen, und da es nichts hoffet, und alles befürchten muß, so gewöhnt es sich, mit Schmeicheln die Mächtigen zu versöhnen, und setzt an die Stelle der Ehre, woran es verzweifelt, den Gewinnst, den man ihm gönnet, und die Wollust, die es erkaufet.

In den meisten Ländern des Morgens dämpft die Härte der Regierung alle die Triebe, die das Herz des Volkes erhöhen sollten. In China haben die ersten Kaiser unter dem Volke die Tugend aufgesucht, um sie dem Throne zu nähern; sie haben mit Ausschliessung ihrer Söhne, das Zepter dem Würdigsten abgetreten; lange haben die Kaiser den Rath der Unterthanen willig angenommen, ihre Fehler erkannt, und dem treuen Diener den Ruhm gelassen, daß die bessern Thaten des Fürsten von seinen Warnungen herkämen. Aber auch in China ist die alte Einfalt der Herrscher durch die Schmeichler verdrungen; Usong gestund es. Die Belohnungen[38] werden durch den Rath unwürdiger Verschnittenen ausgetheilt, der obersten Mandarinen Unterdrückungen übersehen, und das Joch auf das Volk erschweret. Noch gewinnen zuweilen die glänzenden Beyspiele tugendhafter Kaiser, und die siegreiche Beredsamkeit alter Weisen, das Herz eines Fürsten, und bereden ihn, sein Vergnügen, im Glücke des Landes zu suchen. Aber das Uebel ist geschehen, das Herz des Volkes ist in den Koth getreten, und keiner edlen Begierden mehr fähig.

Bey den Abendländern ist die Gleichheit der Bürger viel länger beybehalten worden, über welche die Könige nur als blosse Feldherren, als die besten Jäger, zu Anführern gesetzt worden, aber über ihr Volk keine Gewalt gehabt haben. Was ein jedes Mitglied der Gesellschaft ihr zum Besten verrichtete, war sein Eigenthum, und der Ruhm seiner That blieb ihm gesichert. Tausenderley Ermunterungen, und die vornehmste von allen, die laute Hochachtung der Mitbürger, belohnte einen jeden Tugendhaften, da der neidische Despot alles Lob als einen Weihrauch ansieht, der nur den Göttern und ihm zugehört. Nicht gewohnt Beschimpfungen zu erdulden, bleiben freye Völker gegen eine jede Schande höchst empfindlich, und ziehn ihr den Tod vor: weil ohne Ehre zu leben ein fortwährendes Elend ist.[39]

Aber warum sind eben Freystaate in den Abendländern, und im Morgen unumschränkte Herrschaften entstanden?

Zeno versetzte: so viel ich von der Geschichte der Welt kenne, so sind in den äusserst unfruchtbaren Ländern, wo die Menschen wegen der sparsamen Nahrung überaus zerstreuet wohnen, weder Fürsten noch Obrigkeiten. Man hat unter dem nördlichen Angelstern23 Völker entdeckt, die unter einem eisernen Himmel leben, deren Erde nur Stein und Eis ist, und die bloß das stürmische Meer ernährt. Diese Völker sind alle vollkommen ohne Obrigkeiten, und leben ohne Gesetze und ohne Strafe. Da die Erde für sie zu groß ist, und sie selten mit einander zu streiten haben, da, sie nichts gemeinschaftliches besitzen, so leben sie, fast wie die ihnen ähnlichen Thiere, ungesellig und ohne Regierung.

In kalten, aber doch zur Jagd gelegenen Ländern, leben die Menschen näher beysammen, und die Furcht vor den reissenden Thieren hat sie gezwungen, durch ein gesellschaftliches Leben sich zu verstärken. Diese Völker sind auch frey, und alle Glieder der Gesellschaft einander gleich. Ihre zu allen Beschwerden abgehärteten Gemüther lassen[40] sich weder schrecken noch zwingen, und sie übergeben das angebohrne Vorrecht der Freyheit keinem Tyrannen. Nur hat ein Anführer eine eingeschränkte Macht, die vormals mit der Nothwendigkeit zu Ende gieng. Auf diese Grundsätze waren ursprünglich alle europäische Herrschaften gegründet.

In den mildesten Gegenden, wo wenige Morgen Acker viele Hausgesinde ernähren können, wohnten die Menschen dichter beysammen, und bauten die ersten Städte. Der Werth des Besitzes war hier grösser, und der Streit zwischen den Bürgern, und einer jeden Stadt mit den benachbarten Städten, war gemeiner. Die Natur macht die Einwohner der mildern Gegenden für die Wollust empfindlicher und begieriger, in ihrem Zorn und in ihrem Hasse grausamer, und in allen ihren Trieben unmäßiger. Die Heftigkeit der Leidenschaften in diesen Gegenden würde sie zu Missethaten führen; die Eifersucht und die Rachbegierde, würden die Bande der Gesellschaft zerreissen, wenn sie nicht mit Zwangmitteln gezäumet würden. Hier entstunden Könige, denen man eine schnelle Ausführung der Macht anvertraute, weil sie schnellen Uebeln, und den Ausbrüchen wütender Leidenschaften, Einhalt thun mußten. Aber einmal mit Macht gewaffnet, erhielten sie über die weichlichen Gemüther der Morgenländer eine uneingeschränkte[41] Herrschaft, weil der Schrecken alles auf dieselben vermochte, und ihre Glieder weder durch die rauhe Luft, noch durch die zu ihrer Nahrung unvermeidliche Arbeit, wie bey den nördlichen Völkern, abgehärtet worden waren. Hier entstunden zuerst erbliche, und willkührlich gebietende Einzelherren; das feige Volk ist des Joches gewohnt, und lernt den Namen der Freyheit von seinen knechtischen Eltern nicht.

Usong belehrte sich täglich um desto leichter, je besser er sich nunmehr in der Landessprache ausdrücken konnte. Er unternahm kleine Schiffahrten im adriatischen Seebusen, und sah mit Vergnügen die Ordnung und die Leichtigkeit, mit denen ein Schiffshauptmann sein Volk lenkt: hier sieht man, sagte er, den Ursprung und den Nutzen einer unwidersprochenen Macht: sie wird nothwendig, wo der geringste Verschub des Gehorsams die Gesellschaft umstürzt.

Er besah die Heere, die aus Venedig gegen den benachbarten Herzog zu Meiland auszogen, und begleitete sie als ein Freywilliger. Mit Verwunderung sah er, wie die Europäer, die seit einer sehr kurzen Zeit, das Geschütz kannten, es so viel besser als die Chinesen zu gebrauchen wußten. Auch dieser Vorzug, sagte Zeno zu seinem Freunde, ist[42] die Folge der Freyheit, und des Triebes zur Ehre. Durch ihn werden alle Künste lebend, sie steigen in die Höhe, weil jeder Künstler seine Mitbrüder zu übertreffen strebet. In China bleibt der Sohn bey den Handgriffen seines Vaters, er stellt sich nicht vor, daß jenseit der Weisheit seiner Voreltern etwas zu entdecken seyn könne, er entdeckt auch nichts, und übergiebt seinem Sohne seine Kunst, wie er sie von Vater empfangen hat.

Die geraden Glieder, in welche in Europa die Kriegsleute traten, ihre Ordnung im Gehen, im Stehen, die genaue Aufsicht, und die Staffeln der Gewalt, die ungeschwächt vom obersten Feldherrn zum untersten Kriegsknechte geht, der Muth in den Stürmen, und im freywilligen Unternehmen der gefährlichsten Angriffe, alles entzückte den tapfern Usong. Gegen die Europäer kamen ihm seine Mongalen wie streitbare, aber blos von der Natur gewaffnete Thiere, die Chinesen aber wie Sclaven vor, denen man Waffen leihen, aber keinen Muth mittheilen kan.

Usong fand die Policey und die Uebungen der Gerechtigkeit nicht schlechter als in China. Die Ehre hält, sagte er selbst, die Richter hier ab, der Ungerechtigkeit sich zu überlassen, die die Nachrede bestrafen würde. In jenem Reiche ists nur eine[43] ausserordentliche Tugend, die einen Richter gerecht macht. Liewang war gerecht, aber selten schenkt der Himmel dem Lande einen Liewang, und täglich straft er es mit feilen Mandarinen.

Er begriff endlich, wie in einem Rathe gleichmächtiger Edeln die Einigkeit Platz haben kan, indem sich alle dem Schlusse der mehrern unterziehn. Er sah ein, daß die Obermacht unter freyen Mitherrschern einzig durch die Obermacht in den Gaben erhalten werden kan, und daß Tausende ihre Neigung nicht einem einzigen unterwerfen, wenn er nicht durch die Stärke seiner Gründe sie bezwingen, oder durch seine Beredsamkeit sie gewinnen kan. Auch hierinn liegt ein Mittel, den Trieb zur Vollkommenheit zu erhöhen, da sie der Weg nicht nur zur Ehre, sondern auch zur Gewalt wird.

Aber Zeno selbst gestund nicht ohne Kummer sei nem einsichtsvollen Freunde, alle diese Vortheile würden verschwinden, wenn jemals die Anzahl der Edlen zu klein würde. Ein Freystaat ist nur so lange glücklich, als seine Herrscher von einander unabhängend sind, und durch keine andere Bande zusammen verknüpft werden, als durch das allgemeine Beste. In einem zahlreichen Regierungsrathe gleicher Edlen können die kleinen Verbindungen des Blutes und der Freundschaft, keinen grossen[44] und schädlichen Einfluß haben, er dehnet sich auf wenige aus, denen die vielen Unabhängenden leicht widerstehen. Wann aber die Anzahl der Mitherrscher gering würde, so könnten eben diese kleinern Verbindungen die Entschlüsse der Regierung nach dem Willen der Wenigen lenken, die sich zu eben dem Zwecke vereinigten. Es könnte alsdann das Blut, die Freundschaft, der gemeinschaftliche Vortheil, eine solche Macht zusammenknüpfen, deren die übrigen unabhängenden Edlen nicht zu widerstehn vermöchten, und alsdann würden die besondern Absichten mächtiger Bürger stärker seyn, als der gemeine Nutzen des Staates. Ferne sey von meinem Leben, sagte der Redliche, die Stunde, in welcher ein Edler einen andern Vortheil, als den Vortheil des Vaterlandes, einzugestehn sich entblöden wird!

Der Fürst von Kokonor las, besah und verglich, er wuchs täglich an Einsicht und Kenntniß. Aber ein Krieg, in den die Republik mit dem mächtigen Morad gerieth, rief ihn von Venedig weg.

Georg Castriot, der Erbe Thomas des Fürsten in Epirus, war durch seine fast fabelhafte Tapfekeit der Liebling des Sultans geworden. Georg war ein Held, sein Muth war so groß als seine[45] Leibeskräfte, und gegen beyde war niemand zu vergleichen. Er fühlte seine Rechte, er trennte sich in einer Schlacht vom Morad, und entriß ihm den Sieg. Er erpreßte von demjenigen, der des Sultans Siegel bewahrte, einen Befehl, daß man dem Erben von Epirus Croja, seine Hauptstadt, übergeben sollte, und eilte diesen Befehl zur Wirklichkeit zu bringen. Es gelang ihm; aber Morad drang auf ihn mit der Uebermacht geübter Kriegsleute: die Jenjitscheri waren schon damals der Schrecken der Völker. Die Republik sah an den Osmannen Sturmwolken, die noch von weitem drohten, aber täglich sich näherten, und bald über sie mit zerstöhrenden Strahlen losbrechen würden: die Klugheit rieth, dieses Ungewitter von ihren Grenzen entfernt zu halten. Venedig schickte dem tapfern Castrioten die verlangte Hülfe, und Usong konnte der Begierde nicht widerstehen, einem Helden zu dienen, der eben so grosse Thaten wirklich vollbracht hatte, als die Poeten erdichtet haben.

Der Feldzug war lebhaft, und Georgs tapfere Faust vernichtete alle Vortheile, die die Menge und die Erfahrung den Osmannen gab. Zwey junge Venetianer, die nicht sowol Usongs Freygebigkeit, als der Reiz seiner Sitten gewonnen hatte, begleiteten ihn, und waren mit dem getreuen Scherin nachwerts die Gefährten seiner Reisen, und seiner[46] Thaten. Usong folgte mit allem Feuer der Jugend dem Fürsten von Empirus ins dickste des Gefechtes, und fühlte, nicht ohne Vergnügen, sein Herz am höchsten schlagen, wann der Tod auf allen Seiten auf ihn drang. Einmal stürmte er auf den Sultan selbst mit einer Heftigkeit zu, die auch von den tapfern Albaniern nicht nachgeahmet werden konnte; er wurde umringt, und würde unter den Augen des Sultans sein Leben eingebüßt haben, winn dieser Herr nicht eben so gütig gewesen wäre, als sieghaft er war.

Zum zweytenmale hielt die Tapferkeit und die ausnehmende Bildung des Tschengiden24 das tödliche Schwerdt zurück, das über seinem Kopfe schwebte. Morad befahl, man sollte den Jüngling schonen. Nach dem Treffen ließ er ihn vor sich bringen, und fragte ihn, warum er eines Sultans Feind wäre, der einen Aufrührer zu bestrafen sich gewaffnet hätte: denn Usongs Züge verriethen gleich, daß er nicht in Europa gebohren war.

Der Fürst bückte sich ehrerbietig; ich bin an den äussersten Gränzen des Morgens gebohren, ich reisete nach dem letzten Abende, Tugend und Tapferkeit[47] zu lernen, und beydes hab ich bey meinem Ueberwinder gefunden.

Morad, dessen Herz so mild, als unerschrocken sein Muth war, lächelte gegen den Jüngling, und fragte ihn, ob er denn einem Fürsten nicht dienen wollte, an dem er gute Eigenschaften erkennte. Usong gestund freymüthig, er habe zu Venedig die großmüthigste Begegnung erfahren, und würde sich entehren, wenn er seinen Degen wider seine Freunde zöge.

Nun so sollst du doch auch den Osmannen nicht gefährlich seyn. Ich werde dich wieder nach Morgenland schicken, mich dünkt, fuhr Morad lächelnd fort, du hast den Krieg gelernt.

Der Sultan25 ließ für ihn seine Güter beym Feldherrn der Venediger abfordern, und befahl ihn nach Escander26 einzuschiffen, den Hafen von welchem er durch Halep nach Persien sich begeben sollte.

Usong hätte gern mehrere Staaten in Europa gesehn, und die Verfassung der Reiche sich bekannt gemacht, die von Königen beherrschet wurden.[48]

Aber er unterzog sich seinem Schicksale. Scherin brachte ihm seine Schätze, und beyde kamen über Escander in dem volkreichen Halep an, das sich stuffenweise auf seinen Hügeln erhebt.

Usong hatte in der kurzen Zeit, die er in Morads Lager und bey den Osmannen zubrachte, auf die zunehmende Grösse dieses fürchterlichen Reiches seine Aufmerksamkeit gerichtet. Unter sechs Fürsten waren die Türken aus einem unbekannten Volke zu Herrschern von klein Asien, und von dem östlichen Theile von Europa geworden. Vieles hatte dazu die innere Grösse ihrer Sultanen beygetragen, die fast alle tapfere und unermüdete Feldherren gewesen waren. Morad übertraf alle seine Vorgänger an den Vorzügen der Seele. Er war in der Brust der mildeste, der großmüthigste der Menschen, und er saß auf dem Throne wider die geheimen Wünsche seines nach Ruhe strebenden Herzens. Morad war ein aufrichtiger Anbeter Gottes: zweymal trat er vom Throne, um sich ganz den Pflichten der Religion zu weihen, zweymal zwang ihn der vereinigte Ruf der Osmannen, sich wieder an die Spitze der Völker zu stellen, weil sie keinen Sieg hofften, wenn Morad sie nicht anführte. Morad besaß den kühlen Muth, der mitten in den Gefahren sich besitzt, und nicht nur fähig ist, eine Schaar ins Feuer der Schlacht zu[49] führen, sondern ein ganzes Heer beständig in seinen Augen zu behalten vermag, der jedes Treffen allgegenwärtig zu lenken, sich aller Vortheile zu bedienen, und allen Gefahren die besten Anstalten entgegen zu setzen weiß.

Die Sultanen lebten beständig bey dem Heere, sie kannten keine von den Süßigkeiten des Harems27, worinn andere morgenländische Fürsten ihre Glückseligkeit suchten. Die Osmannen verehrten in ihren Fürsten nicht nur ihre Erbherren, sondern vornemlich auch die tapfersten und die geübtesten Befehlshaber unter ihrem kriegerischen Volke. Jeder Sultan hatte seine Söhne bey sich im Lager auferzogen, und von der ersten Jugend an, sie wie junge Löwen, zum Streite und zum Siege angeführt.

Aber noch fürchterlicher schien dem nachdenkenden Usong die Einrichtung der Jenjitscheri28. Man las die stärksten, die muntersten Jünglinge aus; man übte sie unaufhörlich in den Waffen; sie wurden vom Ehestand, von allen Arbeiten des bürgerlichen Lebens ausgeschlossen, und auch im Frieden waren ihre Kammern nur größere Zelten. Sie hatten schon durch wiederholte Siege den Stolz angenommen,[50] der wiederum zu Siegen führt. Sie hielten sich für unüberwindlich, und eben deswegen konnte ihnen niemand widerstehen. Unter den damaligen Völkern waren sie im Gebrauche des noch neuen Geschützes die geübtesten, und man konnte kein Fußvolk finden, das wider sie zu stehen vermochte. Bey allem dem angebohrnen Muthe der abendländischen Völker, konnten sie den grimmigen Anfall der Jenjitscheri nicht ausstehen, weil diese einzig unter allen Kriegern beständig in der Uebung der Waffen blieben, und nicht, wie die europäischen Völker, geworben und abgedankt wurden, sondern unter den Fahnen ihr Leben ununterbrochen zubrachten. Der ausserordentliche Muth eines Castrioten, und die unzählbare Menge der timurischen Reuter, konnten den Osmannen einen Sieg abringen: aber in der Dauer mußte der Jenjitscheri niemals verminderte Kriegszucht allen andern Völkern überlegen seyn, die die Waffen nur in einer Noth ergreiffen, und nach der Gefahr wieder ablegten.

Usong nahm sich vor, zu Basra sich einzuschiffen, und durch Indostan in die Gegenden zu reisen, wo noch Tschengiden herrschten. Dem tapfersten, oder weisesten derselben, wollte er seine Dienste weihen, und das übrige überließ er dem Verhängnisse, dessen Lenkung ein Sterblicher nicht vorsehn,[51] und dessen Gewalt er nicht widerstehen kan.

Er reisete gewaffnet durch die grosse Wüste, die zwischen Halep und Basra liegt: er hatte die Palmenstadt29 besehen, in deren Schutt sich die Spuren der alten Pracht reicher Bürger mit den traurigen Beweisen der Grausamkeit der Ueberwinder vereinigen, und wo die streifenden Araber ihre Zelten zwischen dem marmornen Gemäuer verfallener Triumphbogen aufrichten. Er reisete durch die schwülen Sandstriche des öden Arabiens die Nacht durch, und wollte bey dem Aufgange der Sonne unter einem nahen Palmenwalde die Ruhe suchen, als er einen ehrwürdigen Greiß, mit einem wohlgebildeten Jünglinge begleitet, an dem Rande des Busches hervor treten sah.

Eben hob die Sonne ihre blendende Scheibe über die östlichen Gebürge von Arabien empor, da die bey den Araber sich auf die Erde niederwarfen, und der Greiß sagte mit gefalteten Händen, und mit einer Stimme, die die innerste Rührung seiner Seele ausdrückte30:[52]

Herr aller Völker, aller Welten, aller Zeiten! wiederum schickst du den Herold deiner Güte, dich den Sterblichen mit Wohlthaten zu verkündigen. Für menschliche Augen zu strahlend, aber lauter Güte, die Quelle alles Lebens, alles Segens, und Schönheit, ist die Sonne das echte Sinnbild ihres unermeßlichen Schöpfers. O daß doch das Licht der ewigen Sonne unsre Herzen durchstrahlte, daß alle Sterbliche fühlen möchten, wie deine Gnade ihr einziges Glück, wie die Ewigkeit der Zweck ihres Lebens ist!

Der Emir, denn er war ein Fürst eines arabischen Stammes, und ein Nachkömmling des Ali, wurde hier durch das Geschrey einiger Sonnischen Bedwinen unterbrochen; Stirb, riefen die blinden Eiferer, du Ungläubiger, der die Nachfolger des Propheten verflucht31. Schon rannten sie mit ihren gesenkten Speeren auf die unbewaffneten Anbeter zu. Aber Usong fühlte mit der edlen Ungeduld eines großmüthigen Herzens die Unwürdigkeit eines unverdienten Mordes, er sprengte mit seinem tapfern Gefolge unter die Räuber: die kühnsten fielen, und die übrigen zerstreuten sich.[53]

Der Geist, der angebetet hatte, streckte seine Arme gegen seinen Erretter. Gesegnet sey Gott, sagte er, der in ein so liebenswürdiges Geschöpf eine so erhabene Seele gesetzet hat. Der Sohn, denn es war der Erbe des Emirs, warf sich vor dem Helden nieder, und seine Dankbarkeit strömte in Lobeserhebungen aus.

Komm in unsre Gezelte, sagte der Alte, daß ich dich segne, edles Werkzeug der göttlichen Güte. Er gieng, und Usong folgte ihm in ein Thal nach, wo um eine Quelle die schwarzen Zelte des Stammes gespannt waren, der unter dem Emir stand. Alle Morgen sönderte sich der Rechtschaffene von seinen Folgern ab, und betete in der Einsamkeit zu Gott: sein Name war Hassan, und er hatte alle die Untergebenen überlebt, die seinem Vater gehorcht hatten. Was die dankbare Freygebigkeit des Fürsten vermochte, das schüttete er freudig zu den Füssen seines Befreyers aus, der nichts annahm, als einen kurzen Aufenthalt bey seinen Erretteten.

Hassans Herz überfloß vom Preise Gottes. Ich hoffe ihn bald zu sehen, sagte er: schon itzt hebt mich dieser wallende Gedanke von der Erde, sie sinkt unter mir. Tapfrer Jüngling, fuhr er fort, du hast vielleicht im lachenden Frühling deiner Jahre noch nicht genug dich mit Gott bekannt gemacht,[54] laß die letzten Reden eines sterbenden Freundes die Belohnung deiner Wohlthat seyn.

Der Ruhm, der Reichthum, die Wollust, sind Spielwerke unerfahrner Kinder, die der grosse Vater ihnen nicht misgönnt, weil sie Kinder sind. Aber sie sollen nicht ewig Kinder bleiben; jenseits des Grabes erwartet sie ein Leben, ein unveränderliches, ein ohne Ziel daurendes Leben, dessen Würde keine Spiele mehr verträgt, dessen Ernst alle die Puppen verächtlich macht, womit irrdische Fürsten ihre Jahre vertändeln. In diesem Leben deine Gnade gewinnen, ist die einzige Weisheit; dich, überschwengliches gütiges Wesen zu kennen, dich zu lieben, deine Worte zu hören, zu erfüllen, darzu haben wir den unsterblichen Geist empfangen, dessen die Erde nicht werth ist.

Thränen drangen dem Ehrwürdigen aus den Augen, sie quollen auch aus des muntern Jünglings empfindlicher Seele. Hassan unterhielt täglich den aufmerksamen Usong von der Grösse der Tugend, von dem Werthe des Guten, von dem Glücke der Frommen. Usong fand sich gerührt: ohne Muhammeds gewaltthätige Erhebung zu billigen, betete er zu dem einigen Gott, und hielt sich zu den Anrufern des obersten Wesens: er ließ sich den Namen Hassan beylegen, und sah sich als einen[55] Sohn des Rechtschaffenen an, der ihn Gott kennen gelehrt hatte.

Usong setzte endlich seine Reise fort. Schon sah er von weitem Anah, eine lange Stadt an beyden Ufern des Euphrats, das Ziel der Wüste, wo die Erde wiederum ihren Schmuck annimmt, den die Arbeit der Menschen verbessert. Dattelnbüsche, Felder mit dem vortreflichsten Getreide trächtig, blühende Gärten, Quellen des Ueberflusses, glänzten um den edlen Strom.

Aber die Menschen genossen nichts von dem Guten, das die Natur ihnen anbot. In diesen unglücklichen Zeiten sah man täglich Gewaltthaten ausüben. Usong traf auf der Strasse einen Emir mit grauem Haupte an, der seine Kleider zerriß, und alle Zeichen der Verzweiflung von sich gab. Ach! sie haben meine Tochter geraubet, die Enkelin der Helden, die reine Perle meines Stammes: da schleppen sie sie hin, zum Bette der Unehre, zur ewigen Schmach. Und ich Armer sehe sie vernichten, und vermag sie nicht zu retten. So sagte der Greis zu dem fragenden Usong.

Der Enkel des Tschengis hob die Augen auf, und sah auf dem Wege nach der Stadt einen Staub aufgehn, zwischen welchem er zuweilen ein rennendes[56] Kameel erblickte, das seine Führer zur Eil antrieben. Er verfolgte ungesäumt diese Spur, und fand die junge Förstin, die sich die schwarzen Haare ausriß, und erbärmlich um Hülfe schrie, so oft sie den Mund frey machen konnte. Eine Schaar berittener Räuber umringte sie.

Die Zahl war ungleich, und der Angriff gefährlich. Aber Usong maß seine Unternehmungen nicht nach seinen Kräften; sein Herz folgte den edeln Empfindungen, die es überströmten. Er fiel wie eine Löwin, welcher man die Jungen wegführt, die Diener des Fürsten von Anah an: denn diese hatten die Tochter des Emirs ihrem Vater geraubt, und eilten sie den Wollüsten ihres Herrn zu übergeben, der ein Sohn eines der Krieger des mächtigen Timurs war. Mit bessern Waffen, mit vottreflichern Pferden, mit mehrerer Uebung im Streite, und insonderheit mit der Flamme seines vom Anblicke des Unrechts sich entzündenden Muthes, überwand Usong, und rettete das Fräulein.

Sie war das reizendeste Frauenzimmer, das Usongs Augen gesehn hatten. Schönste der Fürstentöchter, rief er, eile deinen verzweifelnden Vater zu trösten. Er lenkte das Kameel, und die Tochter des Emirs, die fürs erstemal ohne Schleyer einen fremden Jüngling ansah, erröthete wie eine aufblühende[57] Rose: schamhaft ließ sie sich führen, schlug die Augen nieder, und unterstund sich nicht, ihrem Retter zu danken.

Sie ereilten den alten Vater bald, den sein Unmuth aufhielt, und der sich seinen Klagen überließ. Er sah die Geliebte seiner Seele, und traute seinem Glücke kaum. Bist du es meine Emete? sagte er, seh ich dich unbefleckt wieder, soll dein Stamm ohne Schande bleiben, und kan dein Vater zu Grabe gehn, ohne seine Ehre verlohren zu haben!

Die Stelle ist gefährlich, sagte er gleich nach diesem ersten Ausdrucke seiner Freude. Eile, edler Fremdling, laß mich meinen wieder gefundenen Schatz in die Sicherheit bringen. Er führte den Usong zu einem Walde, der zuerst dünn war, sich aber nach und nach verdickte, und endlich keinen Durchgang mehr zeigte. Aber der Emir kannte den gewundenen Steig, der zwischen den Palmbäumen durchführte, und ihn zu einem Thale brachte, das der Wald verbarg, und in welchem seine Gezelte gespannt waren.

Emete' verbarg ihr beschämtes Angesicht in dem Schoose ihrer Mutter. Vergieb, sagte sie, vergieb deinem Kinde, daß es sich entschleyert hat: es war unter den Händen der Barbaren, die keine Sitten[58] kennen. Die Mutter benetzte ihr Kind mit Freudenthränen. Zierde deines Stammes, rief sie, komm in die verschlossene Hütte wieder, noch bist du meine Tochter.

Der edle Abuschir, so hieß der Emir, hatte die Rache und die Uebermacht des Fürsten von Anah zu befürchten: er selbst wallete vor Rachbegierde: ein Araber, den man an der Ehre, und zugleich an seiner Liebe angreift, ist ein gereizter Tieger. Er schickte zu allen den Stämmen der Wüste, von Basra bis gen Halep Boten aus. Edle Emire, ließ er ihnen sagen, wollt ihr euch eure Töchter, eure Ehre rauben lassen; wollt ihr zugeben, daß euer Stamm in die Schande sinke?

Das Feuer, das im Herzen des alten Abuschirs wallte, steckte die arabischen Fürsten mit gleicher Rachbegierde an. Sie haßten ohnedem die Fürsten der Städte, von denen sie allerley Zunöthigungen erlitten hatten, und die ihre Macht durch gedungene Kriegsvölker erhielten, unter denen keine Kriegszucht, und keine Einschränkung der Lüste bekannt war.

Die Emire versammelten sich bey dem rachgierigen Abuschir, und in wenig Wochen wurden sie zu einem Heer. Auch Dschuneid, der Sohn des[59] ehrwürdigen Hassans, kam mit einer auserwählten Mannschaft, und freute sich seinen Brüdern die Rettung anrühmen zu können, die er dem großmüthigen Usong zu danken hatte. Er umarmte seinen Freund, denn Usongs Liebe hatte er durch seine unschuldige Tugend gewonnen, und brachte ihm Segen des dankbarenden Hassans.

Usong war bey seinen neuen Freunden nicht müßig: seine Thaten, und der Adel, der alles begleitete, was er vornahm, gab ihm bey ihnen ein verdientes Ansehn. Er ermahnte die zwanglosen Araber, sich wider einen Feind vorzubereiten, der in allem, nur nicht im Kriegswesen, verächtlich war. Da alle die Einwohner der Wüste zu Pferde kriegen, so lehrte er sie in Gliedern sich bilden, und in geschlossenen Reihen mit gesenkten Speeren in den Feind setzen: er sah vor, daß dem Einbruche ihrer muthigen Pferde und ihrer fürchterlichen Lanzen nichts widerstehen würde.

Der Fürst von Anah war ein Räuber und ein Wollüstling, er hatte den Emir aufs heftigste beleidigt, und dennoch glaubte er sich berechtiget, Rache zu suchen. Man hatte ihm den Vorwurf seiner unordentlichen Begierden entrissen, und er war gewohnt, alles für sein Eigenthum anzusehen, was sein Säbel bezwingen konnte. Er sammelte seine[60] Kriegsleute, und erhielt Hülfe von andern Fürsten, die in andern Theilen des zerrissenen Persiens herrschten, und von eben der Abkunft waren, da sie durchgehends von Timurs Befehlshabern abstammten.

Beyde Heere begegneten einander bald, da sie beyde einander suchten. Usong erhielt von den Emiren, daß sie eine auserlesene Schaar unter seinem Freunde, dem Dschuneid, hinter eine Anhöhe verbargen, die auf der Seite des Schlachtfeldes lag: es ward ihm nicht leicht zu erhalten, daß die Araber sich bis zu einer Kriegslist erniedrigten.

Die Emire führten ihre Reuterey Gliederweise, mit verhängtem Zügel, und mit gesenkten Speeren, an die Feinde, und warfen sie im Augenblicke übern Haufen. Aber hinter den Reutern stund ein Treffen zu Fuß, das den Arabern aus seinen Röhren ein fürchterliches Feuer entgegen schickte, und sie in Unordnung zu weichen zwang. Allein in eben dem Augenblicke fiel Dschuneid diesem Fußvolke in die Seite, und warf es ohne Widerstand zu Boden. Dis Schlacht dauerte nicht lang, die zerstreuten Araber kamen zurück, und wenige unter den Feinden konnten sich retten, da kein andres Pferd einem arabischen entgehen kan.[61]

Die Fürsten eilten gegen Anah, nicht in der Absicht die Stadt für sich zu erobern, kein Araber wagt sich zwischen Mauren, sondern mit dem Vorsatze, ihren Feind auszurotten. Aber der räuberische Herr von Anah war im Treffen zertreten worden, und die Einwohner zogen den Emiren mit Palmenzweigen, und mit allen Zeichen der lebhaftesten Freude entgegen: sie erkannten die Sieger für ihre Erretter: denn sie hatten unter dem härtesten Joche geschmachtet, und weder das Gut, noch die Ehre, noch das Leben eines einzigen von ihnen, war unter der eisernen Hand ihres Fürsten in Sicherheit gewesen.

Beym Anblicke dieser Eroberung rief Abuschir: wir Araber verlangen keine Städte, laßt uns aber dankbar seyn: wir sind den Sieg den Räthen des Fremdlings schuldig, er hat das Leben und die Ehre eurer Brüder gerettet. Edle Freunde, erwerbet einen freundschaftlichen Nachbar, schenkt ihm das willige Anah; was kan rühmlicher für die Araber seyn, als die Tugend belohnen; was können sie den Einwohnern selber für eine grässere Wohlthat erzeigen als wenn sie ihnen einen edelmüthigen Herrn geben.

Der Rath des alten Abuschirs wurde von allen Emiren wiederholt, ein allgemeiner Beyfall[62] bestätigte das Geschenk, und Usong wurde Fürst zu Anah.

Der Emir erfreute sich über die Erhebung seines Freundes: er setzte seiner Dankbarkeit keine Schranken, und dachte dem Usong die schöne Emete zu, die dieser junge Fürst gerettet hatte. Arabien hatte nichts vollkommeners hervorgebracht, und Usong war in dem Alter, wo der Eindruck schöner Augen auf das Herz die gröste Macht ausübet. Aber Dschuneid hatte bey einer seltenen Gelegenheit sie gesehn, die sich von ungefehr den Tag ereignet hatte, da Abuschir zur Schlacht sich waffnete, und ihm seine schöne Tochter einen Talisman32 umhieng, der einen geliebten Vater vor aller Gefahr bewahren sollte. Dschuneid verliebte sich aufs heftigste, und vertraute sich dem edeln Enkel des Tschengis. Usong blieb allemal seiner selbst würdig: er wandte bey dem Emir die Verbindlichkeit an, in welcher der Vater der schönen Emete gegen ihn stand, er erhielt sie für seinen Freund, und rettete ihm, so sagte Dschuneid, zum zweytenmale das Leben.

Er nahm nunmehr sein Fürstenthum in Besitz: er erinnerte sich an die letzten Worte des weisen[63] Liewangs, und sah Anah als eine Prüfung des Himmels an, der ihm einen Anlaß gab zu zeigen, ob er zu herrschen würdig wäre. Mit solchen Gesinnungen zur Herrschaft zu gelangen, ist der unfehlbare Vorbot einer rühmlichen Regierung.

Usong befliß sich, die weisesten und erfahrensten von seinen Unterthanen zu kennen: er holte die Meinung eines jeden Hauptes eines Geschlechtes ein, er rief alle diejenigen zu sich, deren gute Eigenschaften man ihm anrühmte, er sprach mit ihnen, er ergründete ihre Denkungsart mit angemessenen Fragen, er trug alles, was er von den Tugendhaften vernommen, und was er selber bemerk hatte, ist ein Buch der Würdigen ein. Er gab denjenigen, die einen Vorzug zeigten, zuerst Aufträge, die durch ihre eigene Beschaffenheit auf eine Zeit eingeschränkt waren: er wachte aufmerksam über ihr Begehen, und wenn sie seiner Hoffnung entsprachen, so zog er sie zu beständigen Aemtern.

Er nahm Richter unter den weisesten von Anah an; aber er kam alle Tage selbst in den Gerichtssaal, ließ sie über die Rechtsfrage sich erklären, widerlegen und antworten: hörte ihr Urtheil an, und bestätigte es mit einem freundschaftlichen Gutheissen, oder verbesserte es, nachdem er die Gründe eröfnet hatte, warum er von den Richtern abgieng.[64]

Er hielt sich eine kleine Leibwache, die er aus den edelsten Jünglingen wählte, und die er durch den Scherin, und durch die welschen Gefehrten seiner Reisen, den Riva und den Antonino, in den Waffen üben ließ. Oft führte er sie selber an, er machte ihnen die besten Bewegungen vor: er lehrte sie Glieder und Ordnung halten, und das europäische Feuergewehr gebrauchen: er setzte Preise aus, und beförderte diejenigen, die sich durch ihre Geschicklichkeit und durch ihren Fleiß ausnahmen.

Da er keine Pracht liebte, wenige Kriegsvölker besoldete, und keinen Harem hatte, so war sein Aufwand gering: hierdurch befreyete er sich von der Nothwendigkeit grosse Steuern zu fordern, er erließ dem Volke die Hälfte der Auflagen, die Anah bezahlt hatte, und sicherte die Einwohner wider alle die Erpressungen, die unter ihren vorigen Herren ein jeder ihnen abtrotzte, der einige Gewalt hatte.

Er suchte die Elenden und Armen in ihren Hütten auf: jenen gab er gegen eine geringe Arbeit, die ihnen am wenigsten schwer wurde, den nöthigen Unterhalt: und diesen wies er Land und Vieh an, womit ihn die dankbaren Emire überflüßig versehen hatten. Da sein Gebiet nicht groß war, so kannte er bald einen jeden seiner Unterthanen, und munterte die Tugendhaften durch seinen[65] Beyfall, und durch allerley Vortheile auf: so wie er die Lasterhaften und Trägen zuerst warnte, ihnen dann sein Misfallen, und endlich seine Strafe fühlen ließ.

Die Tugend eines Fürsten ist das Glück seines Landes, und die Unterthanen mußten den Fürsten lieben, der für sie so kräftig sorgte, der einer jeden Klage den Zugang verstattete, jeder Noth abhalf, und keine gute Eigenschaft unbelohnet ließ. Der Ruhm des vortreflichen Usongs stieg aus dem Herzen des Volkes in die Höhe, und breitete sich unter allen Gegenden aus, die einen Umgang mit Anah hatten. Verschiedene kleine Länder machten sich von ihren Tyrannen los, und suchten unter dem einzigen Fürsten Schutz, der seit der Jugend der ältesten Greise Mesopotamien geliebt hatte.

Persien war damals im verwirrtesten Zustande. Die nördlichen Provinzen stunden unter dem Abusaid, dem Enkel Timurs, einem gewaltthätigen Herrscher. Schehan Schach, ein Turkuman, beherrschete mit einem eisernen Zepter Aderbeitschan, Irak, Fars, und Kerman; Schiras stund unter dem Mirza Jusuf; Bagdad, Basra, und viele andere Städte und Landschaften hatten kleine Fürsten, die in beständigen Kriegen gegen einander lebten, und den Unterthanen ihr ganzes Vermögen abpresseten,[66] grosse Heere und zahlreiche Harem zu halten. So weit als Persien war, hörte der Himmel nichts als Klagen der Unterdrückten.

Diarbekir33 warf sich begierig in die Arme des Usongs. Bagdad und Basra flehten um das Glück ihn zum Fürsten zu haben: er mußte seine Sorgen theilen, und seine Kriegsmacht vergrössern. Aber die Munterkeit seines Geistes wachte ihm alle Arbeit leicht, und die Absicht, die er nie aus den Augen ließ, ein Werkzeug der segnenden Vorsicht zu werden, umschuf für ihn die wachsende Beschwerde du Herrschaft zur reinesten Wollust.

Es fanden sich allgemach aus ganz Persien weise und redliche Männer ein, die den Usong aufforderten, sich der bedrängten Menschlichkeit anzunehmen, und nicht, fast unter seinen Augen, so viele tausende von Unschuldigen unter der Unterdrückung schmachten zu lassen. Usongs Edelmuth fand einen Reiz in der grossen Unternehmung, Persiens Heiland zu seyn: aber so jung er war, so fühlte er doch die Schwierigkeit der Bezwingung mächtiger Tyrannen, und erschrack über den Werth des Blutes, das sie kosten würde.[67]

Er fragte endlich den ehrwürdigen Hassan um Rath: er eröfnete ihm die Anträge, die ihm gemacht waren, und verlangte des Anbeters Gottes Meinung, ob er die Befreyung Persiens unternehmen sollte. Hassan sah in dieser Heldenpflicht nichts als das Glück ganzer Millionen: Die Morgenländer sind gewohnt, das kleine Beste einzelner Menschen zu verachten, wo ein allgemeines Gut zu erhalten ist, das Blut einiger Redlichen schien dem frommen Hassan nicht zu theuer, Persiens Lösegeld zu werden. Er munterte selbst den Usong zur Annahme des Anerbietens der Perser auf.

Nun war der Enkel des Tschengis entschlossen, da der Tugendhafteste unter den Menschen seine Unternehmung gut hieß. Er warb bey seinen Freunden, den arabischen Fürsten, um auserlesene und freywillige Reuter, und erhielt sie leicht: sie eilten ihrem verehrten Anführer zu dienen. Dschuneid riß sich aus den Armen der wunderschönen Emete', und führte eine erwählte Schaar rüstiger Araber an. Aus dem benachbarten Kurdistan erhielt Usong ein vortrefliches Hülfsvolk, das lange nach ihm unveränderlich der persischen Fürsten sicherste Macht ausgemacht hat. Ganz Diarbekir und Algezira wollte für den geliebten Helden zu den Waffen greifen; Usong wählte aber nur den streitbarsten und muntersten. Er brachte also ein kleines und auserlesenes[68] Heer zusammen, das er selbst in den Waffen übte, und über welches er diejenigen Kriegsleute zu Befehlshabern setzte, die er zu Anah gebildet hatte.

Der erste Tyrann, der seine Waffen fühlte, war Schehan Schach, aus dem Geschlechte des schwarzen Schafes. Er war schon bey Jahren, und ein grausamer Fürst, der sich dennoch seinen geilen Lüsten und der Trunkenheit unbereut überließ. Er wollte den wachsamen Usong mit einem fliegenden Heere überfallen; aber sein unordentliches Leben stürzte ihn in die Grube. Usong überfiel ihn, da ihn der Wein ausser Stand gesetzt hatte, zu widerstehen. Der Enkel des Tschengis ließ die Zelten seines Feindes in Brand stecken: in einer schrecklichen Nacht sahen die unglücklichen Völker des Turkumanns sich von den Flammen und vom Schwerdte umringt. Ihr Fürst fiel selber in der Schlacht, und von seinem Heere entrannen nur wenige Flüchtlinge; die erpreßten Reichthümer des turkumannischen Wüterichs fielen in die Hände der Araber und der Kurden, und frischten sie zu neuen Siegen an.

Hassan Ali, des Schehans ähnlicher Sohn, brachte ein zahlreiches Heer zusammen, das zehnmal stärker war, als die Völker des Usongs. Aber[69] es schien, die Vorsehung führe den Tschengiden mit sichtbaren Kräften auf den Thron des Cyrus und des Nuschirwans. Usong traf den Hassan Ali schon überwunden an. Abusaid, ein Enkel des siegreichen Timurs, war wider ihn zu Felde gezogen, und die Völker dieses unglücklichen Fürsten, hatten ihn gröstentheils verlassen. Usong fand keine Schwierigkeit die übrigen zu schlagen, und Hassan Ali blieb im Treffen.

Der mächtige Abusaid, rückte indessen bis in Aderbeitschan, und Usongs Heer war viel zu klein eine Schlacht gegen ihn zu wagen. Aber der kluge Fürst von Anah kannte den Vortheil, den seine flüchtige arabische Reuterey ihm geben konnte. Er vertheilte sie in verschiedene Haufen, denen Usong ihre Stellorte vorschrieb, und deren jeder eine Gegend hatte, worinn er täglich herumschweifte; und dann einen Ort, wo sich die zertrennten Schaaren wiederum versammelten. Die Araber schnitten dem Abusaid alle Zufuhr ab: sie bemächtigten sich alles Vorrathes, den man ihm zubrachte. Wann die schwere Reuterey des Timuriden wider sie auszog, so zerstreuten sich die Araber, und in wenigen Tagen, waren sie wieder versammelt, und thaten einen neuen Anfall. Usong hatte zu Carabag eine so vortheilhafte Stellung genommen, daß Abusaid ihn anzugreifen unmöglich fand.[70]

Die morgenländischen Heere haben kein anderes Band, als den Fortgang ihrer Waffen; das Unglück macht sie muthlos, und zertrennet sie; sie entfernen sich von dem Fürsten, dessen Gestirn zu schwach ist, sie zum Siege zu leiten. Abusaid wurde von seinen Mangel leidenden Völkern verlassen, und gefangen vor den großmüthigen Usong gebracht. Enkel des Timurs, sprach er zu dem Ueberwundenen, ich bedaure dein Schicksal, ob du mich wol ungereizt angegriffen hast; bleib bey mir, und bieg dich unter dein Verhängnis. Aber die edle Gesinnung des Siegers erreichte ihren Zweck nicht; einige Perser, deren Rachgier durch die gewaltsame Herrschaft des Abusaids war gereizt worden, ergriffen eine Gelegenheit, da Usong abwesend war, und brachten den Gefangenen um34.

Usong verfolgte nunmehr die Ueberbleibsel des Stammes mit dem schwarzen Schafe, und eroberte Fars fast ohne Schwerdtschlag. Khorossan stund unter verschiedenen Timuriden, die einander durch innerliche Kriege entkräftet hatten; bey der Annäherung der persischen Völker entflohen die einen zu den Usbecken, und Badizzaman ergab sich selbst dem Sieger, dessen Gütigkeit der Welt bekannt[71] war: er wurde zu Tabris königlich unterhalten. Mirza Jusuf, der zu Schiras herrschete, war ein leichtes Opfer der siegreichen Waffen. Die Europäer finden es schwer, die Geschwindigkeit zu begreifen, mit welcher in den Morgenländern ganze Reiche erobert werden. Aber es waren keine Festungen in Persien, das Herz des Volkes eilte dem geliebten Usong entgegen35, die vielen kleinen Herrscher waren die Geisel und der Abscheu der Perser, und das weite Reich war erobert, ohne daß der Sieger fast einen Freund verlohren hatte.

Er berief nunmehr nach Caswin die Vornehmsten der Perser, die Aeltesten des Volkes, die Häupter der Stämme, und die Weisen des Landes. Sie versammelten sich in einer breiten Fläche, und die unzählbare Menge ihrer Pferde bedeckte die Erde. Das Heer, das unter dem Usong so manche Feinde überwunden hatte, umringte seinen Feldherrn mit triumphirender Pracht. Sie trugen die zahlreichen Fahnen, die sie erobert hatten, die Rüstungen der erlegten Fürsten, die Zeichen der obersten Herrschaft der Timuriden. Ihr unaufhörlicher[72] Zuruf verkündigte den versammelten Persern ihre Verehrung gegen den weisen, den gütigen, den tapfern Anführer, der durch alle Gefahren eines grossen Krieges sie ohne Verlust zum Siege geleitet hatte.

Usong erschien unter ihnen in dem kriegerischen Schmucke, der seine zierliche Bildung aufs vortheilhafteste darstellte. Edle Perser, sagte er, ihr seyd versammelt, eurem Reiche ein Haupt zu geben. Es war in zwanzig Früstenthümer zerstreut; die Barbaren traten das älteste Reich der Welt mit Füssen! jetzt ist es vereiniget. Wählt euch einen Herrscher, der Persien seinen alten Glanz wieder gebe. Lange lebe Usong Padischah36, so sieghaft als Cyrus, so weise als Nuschirwan; er herrsche so lange als Sapor37, war der Ruf, der von einem Ende der unübersehbaren Menge bis zum andern erschallte, und nicht ein Perser war, der dem allgemeinen Zurufe seine Stimme entzog.[73]

Usong neigte sich gegen sein Volk. Euer Zutrauen ist groß, edle Perser, sagte er gerührt, es möge ihm Usong entsprechen: die einzige Absicht seines Lebens wird euer Glück seyn!

Unter dem lautesten Freudengeschrey bestieg er den Thron des Cyrus, und gürtete Rustans38 Schwerdt um, des Helden, das als ein Heiligthum bewahret wurde. Er vertheilte alles was er besaß, unter seine Freunde die Araber, unter die Kurden, und unter seine getreuen Perser, und hielt sich mit der Hoffnung reich genug. Die Emire zogen vergnügt und bereichert nach ihren Zelten, nur Dschuneid, dem indessen ein Sohn war gebohren worden, konnte sich nicht so geschwind dem Umgange seines erhabenen Freundes entziehn.

Fußnoten

1 Ein großer See in der Mongaley, westwärts von Schensi.


2 Siehe die allgemeine Weltgeschichte, u.s.w.


3 Der Dalai Lama ist noch zu unsern Zeiten ein vergötterter Mensch. Die Lama, oder die Priester der Tanguter und Tibeter, lehren das Volk, der Fo beseele den Dalai Lama; wann der vermeynte Gott stirbt, so wird ein Jüngling, der dem Verstorbenen ähnlich ist, zur Ehre erwählt, vom Fo besessen zu werden. Einem solchen Jünglinge führte man die Fürstinn von Kaschmir zu: denn in Ansehung der Lüste der Sinne ist er ein Mensch.


4 Hassan al Tawil.


5 Ein nordischer hochgeschätzter Geyerfalk.


6 Confucius.


7 Schuking ist eines der kanonischen Bücher der Chinesen, worinn die weisen Räthe der alten Kaiser, und ihrer Minister, vom Confucius verzeichnet worden sind.


8 Yao, Schung-Yu, Wuwang, Wenwang.


9 So sind die Gärten und Palläste in China beschaffen.


10 Der Kaiserstamm der Enkel des Tschengis hieß Iwen, das Haus des Hongwu, das bis zum izigen Kaiserthume herrschte, hieß Ming. Die Chinesen haben auch ihren fabelhaften Fonghoang, einen Phönix, von dem sie glauben, er zeige sich nur unter den glückhaftigen Beherrschern des Reiches.


11 Des ersten chinesischen Kaisers vom Stamme Iwen.


12 Der Kaiser.


13 Das Canton der Europäer.


14 Unterkönig zweyer Provinzen.


15 Als eine Enkelinn der Söhne des Himmels, der Kaiser.


16 In der zweyten Dynastie nahm Yu den Schung wegen seiner Tugend zum Schwiegersohn und zum Thronfolger an.


17 So heissen diejenigen, die nach Mecca die Wallfahrt verrichtet haben.


18 Der morgenländische Namen von Aegypten.


19 Man hat dieses geleugnet; aber in den Zeiten Usongs, und bis zum Umsturze der Mammeluckischen Regierung, wurden allerdings lauter Sclaven auf den Thron gesetzt: auch unter den Osmannen blieb dieses Gesetz für die Beye, die Aegypten unter dem Pascha beherrschten, mehrentheils in Uebung. Ali-Bey, der neuliche Soldan, ist ein Sclav gewesen.


20 Der Kaiser allein opfert dem Tien.


21 Cairo.


22 Dem in den damaligen Zeiten eingeführten Kaffee.


23 Grönland.


24 Enkel des Tschengis, des grossen Siegers, den die Abendländer Zengis Kan heissen.


25 Amurat II.


26 Alexandrette.


27 Serrail.


28 Janitscharen.


29 Palmyra.


30 Von dem Eifer der Mahometaner in ihrem Gebete, siehe Guys Voy. liter. da la Gréce I. s. 416.


31 Die Aliden verfluchten den Abukeker, Omar, und Otmann, als unrechtmäßige Thronfolger des Mahomeds, die den Ali von seinem Erbrechte verdrungen haben.


32 Die Araber waren zu allen Zeiten diesem Aberglauben ergeben.


33 Bizzaro de reb. pers.


34 Die Abendländer sagen, ein Kriegsrath habe ihn zum Tode verurtheilt.


35 Diese Geschwindigkeit, mit welcher Usong Persien in zwey Jahren eroberte, findet man in allen abendländischen Geschichtschreibern, nur setzen sie die Eroberung einige Jahre später.


36 Dieses Wort ist der uralte Titel der Könige der Parther, und findet sich im zweyten Jahrhunderte auf des Moneses Münzen: (Swinton Phil. Trans. Vol. L.P.I.) Der türkische Sultan führt ihn, und übersetzt den Kaisertitel der Europäer durch Padischah. Die Beherrscher von Persien, aus dem Stamme der Aliden, haben ihn beständig geführt.


37 Siebenzig Jahre.


38 Eines Helden der ersten Perser, von dem man viele colossalische Denkmale findet.


Quelle:
Albrecht von Haller: Usong. Reutlingen 1783, S. 74.
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