Fünfter Gesang.

Literarische Walpurgisnacht.

[91] Als mit Lurlei Eins geworden

Munkel so, ein Paar zu werden,

Ringe wechselnd vor dem Altar

Sie den Seelenbund besiegelt,

Mit dem ganzen, ungetheilten,

Eingeschmolz'nen und gemünzten

Nibelungenhort als Brautschatz,

Gaben sie der Welt das Schauspiel

Einer übermenschlich prächt'gen,

Märchenhaften Hochzeitsfeier.

An die Trauung schloß sich Festmahl,

Tanzfest, Festspiel, Bacchanal.

Auf dem Marktplatz um geschmorte

Gratisrinder, Kälber, Lämmer,[91]

Und um rinnende Gebinde

Unerschöpflichen Getränkes

War das ganze Volk versammelt.

Bei dem Feste glänzte Lurlei

In phantastischer Gewandung

Etwa einer glanzumstrahlten

Nixenkönigin, die Hochzeit

Hält mit einem Elfenfürsten.

Eine Robe trug sie, welche

Ganz gewoben war aus gold'nen

Spinnwebfäden, und darüber

Eine schimmernde Mantille,

Die bestand aus lauter prachtvoll-

Farbigbunten Falterflügeln.

Ein in Gold gefaßtes, reich mit

Edelsteinen ausgeschmücktes

Pfauenrad dient' ihr als Fächer.

Im demant'nen Diademe

Ihres Hauptes schien's, als wären

Die Gestirne des Orion

Rund in Gold gefaßt; ihr Schleier

Schien im Lufthauch zu zerrinnen,

Ihres Kleides lange Schleppe

Glich der großen Sternenschleppe,

Welche milchweiß hinter sich her

Zieht die Königin der Nacht,

Wenn sie hin am Himmel wandelt.

Und nun erst sie selbst! Ihr Aug' war[92]

Der Polarstern dieses Himmels,

Um den all' die andern kreis'ten,

Ihr Gelock ein goldnes Vließ, ihr

Busen, hold bewegt, ein Becher,

Der von Reizen überschäumte.

So mit überird'schen Reizen

Wandelte die stolze Lurlei

Bei dem Feste der Vermählung

Durch den Schwarm entzückter Gäste,

Wie die Sonne durch den Thierkreis.

Doch was quäl' ich mich zu schildern

Reiz und Glanz und Pomp des Festes,

Da dafür doch Worte fehlen?

Laßt mich lieber euch erzählen

Von der Feier heit'rem Nachspiel,

Von dem großen, bunten, muntern

Maskenfestspiel-Bacchanale,

Das das Fest beschloß und krönte!

Schauplatz dieses Maskenfestspiels

War der Blocksberg – als Parnaß;

Und betitelt war das Festspiel:

»Literarische Walpurgis-

Nacht des laufenden Jahrhunderts

Vier kastal'sche Quellen sprudeln

Sah man auf dem Blocksberg-Parnaß:

Den kastal'schen Quell des Wassers,

Den kastal'schen Quell des Weines,

Den des edlen Gerstentrankes,[93]

Und zum Vierten den kastal'schen

Quell des Schnapses – des Absinthes.

Demnach theilten die Poeten

Auch sich ein in Wasserdichter,

Weinpoeten, Bierpoeten,

Und in Schnaps-, Absinthpoeten.

Ganz verfallen herbem Weltschmerz,

Bitt'rem Lebensüberdrusse,

Finsterer Melancholei,

Prometheisch-geierbissig-

Lebersiechem Pessimismus,

War der Schwarm der Wasserdichter;

Fanden Alles miserabel,

Nur nicht ihre eignen Verse.

Wohler in der Haut um Vieles

War den Wein- und Bierpoeten.

Diesen war die Welt soeben

Recht, und nur an einem Uebel

Krankten sie: der Wasserscheu.

Die Absinthpoeten schließlich,

Mit den Wein- und Bierpoeten

Theilten sie die Wasserscheu,

Und den Geierbiß des finster'n

Melancholisch-überdrüss'gen,

Lebersiechen Pessimismus

Mit dem Schwarm der Wasserdichter:

Und sie waren doppelt elend.

In der Schenke bei den Krügen[94]

Als Vertreter wasserscheuer

Wein- und Gerstensaft-Begeist'rung

Saßen drei der besten Zecher

Im Kostüm der drei berühmten

Frohgemuthen Handwerksbursche

Aus »Lumpazivagabundus«.

Und sie zechten und sie sangen,

Und sie sangen und sie zechten.

»Uns,« so sangen sie vergnüglich,

Uns genügt, wie jenem Alten,

Dem Diogenes, dem weisen,

Eine Tonne, hei, juchheissa,

Aber eine volle!

Und wenn wir sie leer getrunken,

Kriechen wir hinein, juchheissa,

Daß mit uns von einem Wirthhaus

Sie zum andern rolle!

Lebens- und auch Liebeswonne

Spendet sie, die volle Tonne;

Komme was da wolle!

Aus dem Schaum des Gerstentrankes,

Dralle Schenkin, steigt dein Bildniß

Immerdar als alte deutsche

Venus, als Frau Holle!« –

Draußen vor der Thür der Schenke

In dem grünen Grase saßen

An der Quelle, an dem Bache,

Stumm und kühl die Wasserdichter.[95]

Saßen grün und gelb vor Mißmuth,

Aergerten sich baß, daß Jene

Drinnen in der Schenke, singend,

Zechend, jauchzend, springend lärmten,

Und sie wollten es nicht leiden;

Sagten, dieser Lärm der Zecher,

Dies Gesinge, dies Gekreische

Wirke auf sie ohrzerreißend,

Nervenfolternd, sinnverwirrend,

Und vom Anblick jener Räusche

Hätten sie den Katzenjammer.

Unterdessen hat die Schenke

Ganz mit munteren Gesellen

Sich gefüllt. Und das Gestöhne

Draußen vor der Thür vernehmend

All der blassen Wassertrinker,

Hebt der Zecherschwarm ein keckes

Spottlied johlend an zu brüllen:

»Hol' der Teufel diese blassen,

Diese wasserblassen Dichter,

Die da wimmern, die da winseln,

Wehevoll-waschlapp'ge Wichter!

Von des Lebens schweren Nöthen

Faseln sie, die Schwerenöther,

Doch geschrieben steht's:

Wie man's treibt, so geht's, juchhei,

Wie man's treibt, so geht's!« –

Grimm befällt die Wassertrinker[96]

Und mit Kieseln aus dem Bache

Zielen sie durch Thür und Fenster

Nach den Zechern in der Schenke.

Zur Erwid'rung fliegen ihnen

Krüg' und Töpfe an die Köpfe.

Und die Wasserdichter fluchen,

Nehmen ein in Sturm die Schenke.

Aber drinnen, ha, geprügelt

Werden sie, hinausgeworfen,

Und hinabgescheucht zum Bache;

Und sie springen, Fröschen ähnlich,

In die Flut, wo sie am tiefsten,

Während hinter ihnen her es

Heult zum Hohne: »Hol' der Teufel

Diese blassen Wassertrinker,

Diese wasserblassen Trinker –

Wie man's treibt, so geht's, juchhei,

Wie man's treibt, so geht's!« –

Und schon ist es Nacht geworden.

Festgebannt noch immer sitzen

Bei den Krügen in der Schenke,

Blaß und blöde schon, die Zecher,

Und die Augen glänzen glasig,

Und sie lachen und sie lallen,

Und sie faseln, flennen, fluchen,

Oder schnarchen unter'm Tische.

Plötzlich von der nahen Thurmuhr

Dröhnt ein Schlag wie dumpfer Donner.[97]

Horch! was hebt da an zu sausen

Und zu brausen vor der Herberg'?

Wilder Sturm heult von der Höhe,

Und »Halloh! Hoiho!« so hallt es.

Hei, was ist das? Heissa, ho,

's ist der Zug des Rodensteiners!

»'raus da! 'raus aus dem Haus da!

Herr Wirth, das Gott mir helf'!

Giebt's nirgends mehr 'nen Tropfen Wein

Des Nachts um halber Zwölf?« –

Also brüllt vom Gaul herunter

In den Sturm der Rodensteiner:

Hinter ihm, hui, schallt und knallt es,

Klafft und blafft und bellt und gellt es;

'raus da! 'raus aus dem Haus da!

Jo, hihaho!

Rumdiridi!

Hoidirido!

'raus! 'raus! 'raus!« –

Heissa, hei, wie heult der Sturmwind,

Der da aus der dumpfen Schenke

Fegt hervor die Zecher alle

Sammt und sonders in die Lüfte

Hoch empor und fort dann, fort,

Fort im Zug des Rodensteiners!

Hol' der Teufel, Rodensteiner,

Dich, der Nächtens du die Leute

Fort so reißest aus der Schenke,[98]

Fort sie führst im wilden Heerbann –

's ist manch' wack'rer Bursch darunter! –

And're Scenen, and're Bilder

Drängen wechselnd sich vor's Auge.

Seht einmal! Zum Theil in zierlich

Kostümirten Maskenzügen

Kommt die Schaar der Liebesdichter!

Seht ihr da die deutschen Perser?

Perser von dem Main, der Elbe,

Von der Isar, von der Pleisse,

Mit Kaftanen und Turbanen

Und mit großen langen Bärten!

Wolfgang nennt sich Hatem, Friedel

Nennt sich Mirza, Michel Hafis,

Stehlen Rosen, stehlen Früchte

Aus dem Gartenhain von Schiras,

Und »vomiren dann Gaselen«.

Hans und Grete sind nun Jussuf

Und Suleika, Gül und Bülbül! –

Seht, wie billig, nun den Perser

Diese Höflichkeit erwidern:

Seht, er dichtet und er singt nun

Seinerseits von »Hans« und »Grete«,

»Bub« und »Maidle«, jauchzt und jodelt,

Und loslegt er mit »Vierzeil'gen«,

Reiherfeder auf dem Spitzhut,

Knapp die Hose, grün die Jacke!« –

Doch es naht nicht minder reizend[99]

Jetzt und harmlos eine and're

Neu'ste Liebesdichtertruppe:

Mittelalterlich-maskirte,

Kostümirte Minnesinger!

O wie zierlich die Gewandung!

O wie drollig-derb die Sprache!

Wie possirlich die Gebarung!

Und nun seht das Seitenstück auch,

Wie der Franzmann provençalisch,

Wie der ernste Brite gälisch,

Wie der Wälsche alt-italisch,

Wie der Skandinave gothisch

Girrt, sich trägt und sich geberdet.

Ja, der Mummenschanz ist reizend,

Ja, der Mummenschanz ist harmlos,

Und wie möcht' ihn Einer schelten?

Gern in Masken geht die Minne.

Ganz im Gegensatz zu Diesen,

In verwegenstem Kontraste,

Hat die lyrische Cohorte,

Die da naht, nicht blos Kostüme

Fremder Art verschmäht und Masken,

Sondern kecklich abgeworfen

Schier sogar die eig'nen Kleider.

»Nackte Wahrheit« ist ihr Wahlspruch.

Jetzo hält der Zug und Einer

Läßt, mit einem Ruck sich schwingend

Auf die Schultern der Genossen,[100]

Flammenzüngig sich vernehmen:

»Hört, Genossen! Allzu tief ist

Leider wiederum die Menschheit

Des Jahrhunderts in Askese

Und in Frömmelei versunken!

Statt sich arglos hinzugeben

Heiterem Genuß, befassen

Junge Männer, junge Mädchen

Sich mit Fleischabtödtung, tragen

Stachelgürtel und kastei'n sich.

In dem Joch der Pflichterfüllung

Schmachten die Vermählten – schöne

Frau'n verzehren in Entsagung

Sich wie Nonnen in der Zelle,

Ungeliebt und ungenossen.

Gar so schwer entschließen Menschen

Sich zu lieben und zu küssen!

Unser Fleisch, mit Einem Wort, ist

Nicht emanzipirt genug noch,

Und so ist's durchaus vonnöthen,

Daß man Fleisch und Kult des Fleisches

Nicht besinge blos, nein, pred'ge,

Und die Welt sich des zu strengen

Sittlichkeitsbegriffs entled'ge,

Damit an die Stelle düst'rer

Mönchischer Askese, welche

Herrschend jetzt in allen Kreisen,

Heiteres Behagen trete.[101]

Den Verliebten zu bedeuten

Gilt's, daß Treu', geschwor'ne Treue,

Th orheit, wenn man heischt von ihr,

Daß sie Liebe überdau're.

Fort mit Treue ohne Liebe!

Fort mit dem Phantom der Pflicht,

Wenn sie will, daß bei Erfüllung

Seiner Pflicht der Mensch versau're!

Diese Botschaft zu verkünden

Sei die Losung, sei die Sache

Nun der Dichtkunst des Jahrhunderts.

Fern von sittlicher Verschämtheit

Und ästhetischer Verbrämtheit,

Kein Geheimniß soll sie machen

Aus natürlichen Instinkten:

Darf sich so mit Recht der Wahrheit,

Nackter Wahrheit Schule nennen! –

Dennoch sind wir idealistisch

Durch und durch auch; denn wann gehen

In der Wahrheit, in der Nacktheit

Bei der Schild'rung und Verkündung

Des bacchant'schen Fleischeskultus

Wir so weit, daß dabei solche

Dinge in Betracht wir zögen,

Welche widrig und prosaisch:

Etwa wie gewisse Folgen,

Die bacchantisch kultivirtes

Fleisch oft hat für Haut und Knochen![102]

Traun, das Fleisch ist Poesie,

Prosa aber Haut und Rückgrat –

Nicht zu reden von noch andern

Unästhet'schen Vogelscheuchen

Auf dem Saatfeld des Genusses!

Und so sind denn wir »Veristen«,

»Realisten«, just die wahren

Idealisten, die des Lebens

Und des Liebens und Genießens

Heikle und verfehmte Themen

Von der wirklich idealen,

Reinsten, schönsten Seite nehmen!« –

Stürm'scher Beifall und zustimmend-

Laute Rufe unterbrachen

Oft den Redner, und nun hallte

Heller Jubel ihm entgegen.

Reizende Hetären waren

In dem Zuge. Mit Gelächter,

Scherz und Tanz auf grünem Rasen

Brachten sie einander zwanglos

Dar mit hochgemuthem Sinne,

Die Poeten und die Schönen,

Den Tribut der freien Minne.

Plötzlich aber dringt ein Schelten

Und ein Toben durch's Getümmel,

Eines zorn'gen Mannes Stimme,

Eines Weibes Angstgestöhne.

Bei den Haaren die Geliebte[103]

Schleppt ein Liebender im Grimme

Wild herbei. Wuthschnaubend klagt er

Eines Treubruchs an die Schöne.

Einer war es dieser freien

Minnepriester, und er tobte:

»Treuloses Geschöpf! Unwürd'ges

Pflicht- und ehrvergess'nes Wesen!

Abschaum du von einem Weibe!

Dies der Dank für meine Liebe?

Dies die Treu', die du geschworen?« –

»Ach, ich liebte dich nicht mehr

Aechzt sie unter seinen Schlägen.

»Das ist's eben!« ruft er wüthend.

»Unverschämte, wankelmüth'ge,

Zuchtlos eitle, männertolle

Delila, verworf'ne Dirne!

Fluch dir, Ausbund aller Falschheit,

Aller Schwäche du des Weibes!« –

So der Ungetreu'n entgegen

Verse voll erhab'nen Zornes

Speit er und markirt den Rhythmus

Auf des Weibes Liljenrücken.

Solches Zwischenspiel der Minne

Brachte in den allgemeinen

Bacchischen Begeist'rungstaumel

Dieser Trunk'nen eine kleine

Und fast unliebsame Störung.

Neu zum Festzug reiht der Schwarm sich[104]

Und zieht fürder dann des Weges.

Plötzlich jetzt erschallt ein donnernd',

Mark und Bein erschütternd wildes,

Ohrzerreißendes »Hurrah!«

Und begleitet war's von schrillen

Tönen einer Kindstrompete.

Nach dem Lärm zu schließen, nahte

Sich im Marsch ein kampflust-glüh'ndes

Regiment der schwersten Reiter.

Doch es waren zarte Knaben –

Kinder – manche noch getragen

Auf den Armen von der Amme.

Als verklungen war das wilde,

Brausende Hurrah, da fielen

Jene, die schon gehen konnten,

Sich einander in die Haare,

Nannten Stümper sich und Tölpel,

Und dann rannte dieser ganze

Literar'sche Kinder-Kreuzzug

Durcheinander, auseinander –

Jeder heim zu seiner Mutter.

Ernster zeigte sich den Blicken,

Märchenhaft schier, jetzt ein buntes,

Sinnverwirrendes Geschwärme:

Mißgeburten, große, kleine,

Krüppel, Knirpse, Zwitter, Tröpfe,

Heldenköpfe, Spindelbeine,

Greise Gnomenangesichter[105]

Auf noch ros'gen Säuglingsleibern –

Hie und da ein Feuerauge,

Doch vereint mit faun'scher Nase

Und mit thierisch-roher Schnauze –

Oder wohlgewachs'ne Glieder,

An verkehrter Stelle sitzend –

Zwischendurch auch Thiergestalten,

Buntgemischte: Regenwürmer

Gab es da mit Eselsohren –

Schnecken gab's mit Hirschgeweihen –

Einen Esel auch mit Adler-,

Und ein Schwein mit Psycheflügeln,

Gimpel, Pfauenräder schlagend,

Aeffchen, hoch auf Straußenbeinen

Stelzend, ein Kameel mit Flossen,

Dachse mit Gazellenhälsen,

Stockfische mit Haifischrachen,

Zeisige mit Eulenköpfen –

Und dazwischen wassersücht'ge

Krokodile, schäb'ge Tiger

Mit vom Zahnarzt eingesetztem,

Künstlichem Gebiß, wuthkranke

Pudel, melanchol'sche Kater ...

Und von diesen Mißgeschöpfen

Ward gefangen, ward gebunden

Fortgeführt ein edles, hohes

Frauenbild voll reiner Schöne –

Und sie belfern und sie greinen[106]

Gegen sie voll Wuth, begeifern

Ihr Gewand, verhöhnen grinsend

Sie als »Vettel«, »graue Vettel!«

Sieh, ha sieh, wie vor dem Anblick

Des Gesunden, Schönen, Reinen,

Sie sich krümmen, diese Wichter,

Kraus verzerren die Gesichter,

Sich in tollen, immer toller'n

Sprüngen wüthig überstürzen,

Ueberpurzeln, überkollern!

Sie beginnt ein kühnes, hohes

Lied zu singen: das des Lebens,

Das der Freiheit, das der Zukunft.

Aber jene Mischgebilde

Schnappen weg vom Mund das Wort ihr;

Dieses Lied, das hohe heh're,

Sagen sie, es sei das ihre;

Sie nur hätten es ersonnen,

Sie nur wüßten es zu singen,

Sie nur – Himmel, welch' Gekreische,

Neben lautern Himmelslauten,

Die sie von den Lippen stehlen

Jener Schönheit, der geschmähten!

Die Gefang'ne mit sich schleppend,

Zieht das Zwitter-Thiergelichter

Bellend, blöckend, plärrend weiter. –

Was glänzt blau dort im Gebüsche?

Blaue Strümpfe? Seid willkommen,[107]

Starke Glieder ihr des schwachen

Und des schöneren Geschlechtes!

Edle Geistesritterinnen,

Vielbespöttelt – Frauen seid ihr:

Alles könnt ihr, nur nicht schweigen.

Rührig ist die Frauenzunge,

Rührig ist die Frauenfeder.

Vor euch tragt ihr im Triumphe

Siegesbeute, Siegeszeichen,

Welche kecklich bei verschied'nen

Literar'schen Preiswettrennen

Ihr den Männern abgewonnen!

Dein zu spotten, edler Blaustrumpf,

Sind ja deiner Trägerinnen

Nachgerade schon zu viele!

Giebt es in den Reihen Jener,

Die in idealer Maske

Schwärmen, manche, die hysterisch,

Die erotomanisch kränkeln –

Manche, die für demokratisch-

Soziale Weltverbess'rung

Schwärmend zu Hyänen werden

Und den Besenstiel der Hexe

Keck als Fahnenstange schwingen –

Zu geschweigen von Geringern,

Welche reiten, welche rauchen,

Solchen, welche Hosen tragen –

Nun man muß auch das entschuld'gen.[108]

Insbesond're, wenn sie Hosen

Tragen wollen, ist's begreiflich.

Bloße Sittsamkeit ist dieses

Bei den Frauen, die da streben,

Dieser schnöden Erdenscholle

Engen Schranken zu entfliehen.

Denn wie soll's ein Weib vermeiden,

Das sich will zur Höhe schwingen

Vor der Welt profanen Augen,

Seine Beine zu bekleiden? –

Große Portefeuilles in Händen

Tragend mit gewicht'ger Miene,

Schreitet eine Schaar trübsel'ger,

Aber selbstbewußter Käuze.

Vollgestopft mit Wechselbriefen

Sind die Taschen, die sie tragen,

Und auf Lob und Anerkennung,

Auf die Würdigung der Nachwelt,

Lauten ihre Wechselbriefe.

Und mit diesen Wechselbriefen

Stellen sie, die schnöd' Verkannten,

An das Wochenbett der Zeit sich,

Still den Augenblick erlauernd,

Wo zur Welt sie bringt die Nachwelt;

Präsentiren wollen dieser

Sie wie Shylok ihre Scheine.

Arme, ungebor'ne Nachwelt,

Lieber ungeboren bleibe![109]

Bankerott ja gegenüber

Dieser Last von Zahlungspflichten,

Dieser Legion von Gläub'gern,

Bist du schon im Mutterleibe! –

Mittlerweile schau'n mit Neid sie,

Diese großen Unbekannten,

Auf die würdevoll Gesetzten,

Regungslosen, Stummen, Alten,

Welche dort im Winkel thronen.

Dieses sind die respektabeln,

»Schätzbar'n Mittelmäßigkeiten«

Und die »vaterländ'schen Dichter«,

Welche lang' schon todt, doch so gut

Literarhistorisch-kritisch

Eingebalsamt, daß sie wenig

Oder gar nicht übel riechen.

Der Parnaß hat auch Philister

Und da eben naht ihr Aufzug.

Doch sie sind nicht sehenswürdig.

Aber eine Sorte giebt es,

Eine ganz besond're, rare

Spezies von Erzphilistern,

Welche äußerst sehenswürdig.

Grimassirend, perorirend,

Alltagsschwätzer, doch mit Worten,

Mit cyklopisch-ungeschlachten,

Wie mit Blöcken um sich werfend,

Seht ihr dort verschied'ne Recken.[110]

Das ist jene ganz besond're

Spezies von Erzphilistern,

Die, um für Genies zu gelten,

Sich so recken und so strecken,

Kraftgenialisch sich geberden!

Seht wie jener dort Geschosse

Ballt aus Schnee und Straßenunrath,

Flucht wie ein betrunkner Küster:

Dünkt ein Carlyle sich und ist nur

Ein salbadernder Philister,

Erzphilister, und so durchaus

Ledern, daß man aus ihm schustern

Könnte wasserdichte Stiefel ...

Hei, wer reitet dort so spät durch

Nacht und Wind auf – Steckenpferdchen?

Diese Pferdchen, Steckenpferdchen,

Die sie reiten, Pegasusse

Sind's von Holz, auf Rädern rollend.

Zahllos ist der Schwarm! Poeten

Sind sie, wie die Fliegen Vögel,

Und die Regenwürmer Schlangen.

Laßt den Kleinen doch die Freude –

Diesen Mücken, diesen Grillen

Und Heupferdchen des Parnasses ...

Ei, wer sind sie? Ach, das liebe

Völkchen ist's der – Rathet einmal! –

Und die Kecken dort? – Vaganten!

Literar'sche Strolche! Alles[111]

Sagt der Name. Guarda e passa! –

Seht doch lieber – ha! was soll das?

Esel kommen da mit Hörnern

Ochsenhörnern! Alle guten

Geister ...! Aber still, nur stille!

Nein, man darf nicht laut es sagen!

Esel, ach, »gehörnte Esel«

Nannte Swift die Rezensenten!

Fall auf ihn zurück das Schimpfwort!

Esel sind nicht alle – nein!

Hörner freilich haben alle!

Orpheus, der erhab'ne Sänger,

Zähmte einst die wilden Thiere:

Diese waren nicht darunter.

Kritische Vivisektoren

Sind's – sie martern die Lebend'gen

Und behandeln zart die Todten.

Ach, wer nennt sie? Da ist Einer,

Der nach Herkuls Keule greift,

Eine Mücke todt zu schlagen.

Da ist Einer, der vor Jahren

Schrieb ein ungewürdigt Epos,

Dann vergrämelt, grausam grollend,

Kritisch jahrelang mit sieben

Cerb'rusköpfen grimm sich ausboll,

Aber jetzo schweigt mit allen

Sieben Köpfen, sieben Zungen –

Wohl aus Aerger, weil er merkt,[112]

Daß, was lebt, noch immer lebt,

Und was todt, noch immer todt ist.

Da ist X. X., eine Mischung

Diskrepanter Eigenschaften:

Witzig ist er, aber dumm.

Da sind manche – o sehr Viele! –

Welche gestern den Lutschbeutel

Erst vertauscht mit der Cigarre.

Auf der Brust, wie Orden, tragen

Just die Unverfror'nen jetzo,

Unverschämten, ihre Namen

Offen, keck vor aller Welt.

Keiner will mehr anonym sein:

Anonyme Unverschämtheit –

Wär' sie nicht ein Widerspruch? –

Stattlich naht, sehr stattlich dort jetzt

Sich ein Aufzug. Hoch zu Roß da

Sitzen Jene, welche machen

Was man nennt die Litt'ratur.

Mit Geleit von Buchverzierern

Halten sie und Buchvergoldern

Vor der Fama hohem Tempel,

Wo die Priesterin – Französin

Von Geburt, genannt Reclame –

Sie empfängt an lichter Pforte:

Hinter ihr die Tempelsklaven,

Welche gänzlich dieser Göttin

Dienst geweiht sind, in Gestalt[113]

Von lebendigen, mit Blättern

Grellbunt überklebten Säulen.

Weihrauchopfer bringt man hier,

Blauen Dunstes Weihrauchopfer,

Und zum hohen Osterfeste

Schlachten hier die Buchverleger

Nicht von Stieren, doch von Krebsen

Manchmal eine Hekatombe.

Bunter jetzt und immer bunter

Wird das Treiben. Gleich wie Karten

Mischt der Zufall im bewegten

Festgetümmel kraus die Menschen.

Durch die Menge, rechtshin, linkshin

Fuchtelnd mit der Pritsche, gaukelt

Toll ein blinder Harlekin.

Im Gedränge wird auf frischer

That ergriffen ein Ideen-

Taschendieb. Ein Autographen-

Jäger sammelt Autographen,

Und Skandalhistörchen sammelt

Ein Skandalhistörchenjäger.

Nach Versteinerungen, Muscheln

Späht dort Einer im Geklüfte;

Ohne Zweifel Geolog?

Nein, ein Dichter! sucht Motive

Zu historischen Romanen

Aus der Juraperiode.

Ein Erzähler, der berühmte[114]

Muster strebt zu überbieten,

Späht nach realist'schen Zügen

Und nach ekelhaften Dingen,

Läßt von einem Arzt soeben

Im Detail die Symptomatik,

Pathologik, Therapeutik

Sich der Läusesucht erklären,

Weil gebaut auf dieses Thema

Der Roman ist, den er eben

Sinnvoll plant. Professor Jäger

Geht umher als Seelenriecher,

Insgeheim nach hierhin, dorthin

Schnüffelnd, Lust- und Unlustdüfte

Kundig prüfend – glaubt zu finden

Viel Gestank und wenig Seele:

So daß er von seiner Lehre,

Die bekanntlich Duft und Seele

Nimmt für Eins, beinah' zurückkommt.

Bietet nebenbei Vorräthe

Seines Wollkostüms Liebhabern

An und seiner Haarduftpillen.

Ein Wagnerianer macht

Propaganda – nicht für seines

Meisters Kunst, nein, für die reine

Pflanzenkost, auf die als Erster

Im Geschlecht der Menschenkinder

Einst verfiel Nebukadnezar.

Einen ew'gen Freitag predigt,[115]

Einen ewigen Quatember

Unser Vegetarianer,

Und versichert, Wagner's Tonkunst

Müsse freilich wohl die Nerven

Seiner Gegner krankhaft reizen,

Wenn sie Fleisch dabei genießen.

Judenfleisch nur sei erlaubt,

Sagt er, Vegetarianern. –

Ei was giebt es dort zu schauen,

Dort zu hören in der hohen,

Musenpriesterlichen Halle,

Wo man an umdrängter Pforte

Geld erlegt hat für den Eintritt?

In der Halle vor den Hörern

Steht ein wandernder Rhapsode:

Lorbeer um das Haupt geschlungen,

Himmelwärts den Blick gerichtet,

Rezitirt er Hochgesänge

Voll pindarisch stolzen Schwunges

Vor der lauschenden Versammlung.

Und sobald den ersten Sang er

Weihevoll geendet, geht er,

Noch vom heil'gen Feuer glühend,

Mit dem Lorbeer auf dem Haupte

Zum Kassier hinaus und sagt ihm:

»Lassen sie das Volk von jetzt an

Um den halben Preis herein!« –

Viel berühmte Leute neu'rer,[116]

Wie vergang'ner Zeit erblickte

Man im bunten Schwarm der Gäste.

Faust, Don Juan, Münchhausen sah man,

Eulenspiegel, Schlemihl, Bräsig,

Don Quixotte, Hudibras,

Frau George Sand und Frau Aspasia,

Und Frau Buchholz; Nana, Teut,

Und Diogenes, der Menschen

Suchte, die Latern' in Händen.

Sehr vergnügt war Peter Schlemihl:

Der bekannte »Mann« (der ärmste!)

»Ohne Schatten« war auf einen

Schatten ohne Mann gestoßen,

Deren es ja gibt so manche:

Und nun wandelten die Beiden

Seit' an Seite, stolz, den Mangel

Einer so des Andern deckend.

Auch der Teufel fehlte nicht

Mitten im Geschwärm des Festes.

Ja, leibhaftig war er da mit

Pferdefuß und Hahnenfeder,

Und er führte durch die Menge

Sein Großmütterchen am Arme.

Doch er gab sich sehr bescheiden:

Sehr armselig war sein Aussehn,

Sehr verschlissen die Gewandung,

Und er that, als wäre gänzlich

Er herunter nun gekommen,[117]

Und als müss' er, um das Leben

Dem Großmütterchen zu fristen

Und sich selber, betteln gehen.

Seine einst'gen Diener, sagt' er,

Feuer, Wasserfluten, alle

Die zerstörenden Gewalten

Der Natur, die Elemente,

Seien Sklaven in des Menschen

Dienst geworden, und ihm selber

Wolle Keiner seine Seele

Mehr verschreiben, unter'm Vorwand,

Daß es Seelen gar nicht gebe,

Und daß man, sein Glück zu machen,

Selbst nun schlau genug geworden,

Nicht des Teufels mehr bedürfe.

Und so sei er denn in Wahrheit

Jetzo ganz ein armer Teufel.

Unter solchen heuchlerischen

Reden geht, Almosen sammelnd,

Er umher; zufällig aber

Auf den Pferdefuß getreten

Einmal im Gedräng', vergißt er

Fluchend sich, speit Feu'r im Zorne ...

Alles, was um ihn hier vorgeht,

Still belauernd, macht er manchmal

Heimlich sich 'nen Knopf in's Schnupftuch.

Später, als es bunter zugeht

Schon im Kreise, treibt er tolles[118]

Zeug und Taschenspielerkünste.

Plötzlich ist der Mond vom Himmel

Weggeschwunden – Alle staunen,

Schaudern, fragen, wo er hin sei?

Da zieht lachend Meister Urian

Den Vermißten aus der Tasche

Wirft ihn in die Luft wie einen

Ball an seine alte Stelle,

Wo er ruhig weiterleuchtet.

Auch ein Spiritist, ein »Medium«,

Treibt sich um im Schwarm der Gäste,

An verstorbene berühmte

Männer, Frauen, stellt er Fragen,

Und sie schreiben, ungesehen,

Antwort ihm auf Schiefertafeln,

Doch nicht alle. Manche bleiben

Ganz die Antwort schuldig, oder

Aeußern sich sehr unmanierlich.

Bacon, den man höflich fragte,

Ob es wahr, daß außer seinen

Eig'nen er die Werke Shakespeare's

Auch so nebenbei geschrieben,

Gab zur Antwort dem Befrager

Einen geisterhaft-unsichtbar'n,

Aber fühlbar'n großbritann'schen

Boxer-Fauststoß vor den Magen.

Victor Hugo schrieb, als eine

Antwort man von ihm verlangte,[119]

Für ein Honorar von mind'stens

Hunderttausend Franken steh' er –

Anders aber nicht – zu Diensten.

Nur geistlose Geister, leider,

Kritzelten die Schiefertafeln

Voll mit äußerstem Behagen.

Ich auch ging den Geisterbanner

Schließlich an: »Vermagst du Geister

Zu beschwören, so beschwöre

Mir den Geist der Zeit! Ein Blättlein

Hätt' ich gern von ihm für's Stammbuch!« –

Und der Edle ward beschworen,

Kam und klexte mir in's Stammbuch –

Unterm Tisch nach Geisterbrauch –

Einen Zeitungsleitartikel,

Welcher pries des deutschen Geistes,

Deutschen Schriftthums, deutscher Sprache

Macht und Pracht vor allen andern

Und geschrieben war im reinsten,

Parlaments- und Zeitungs-Diebsdeutsch,

So gespickt mit odiösen,

Ominösen, factiösen,

Querulösen und scabrösen,

So wie auch minutiösen

Und irrelevanten Themen,

Mal- und Tergiversationen,

Opportun-inopportunen

Ingerenzen, Entrevuen,[120]

Plaidoyers und Pourparlers,

Konziliant-, intransigenten

Transaktionen, Kompromissen,

Inkompatibilitäten,

Velleitäten, Chauvinismen –

Mit so viel perhorreszirten

Interims, Strikes, Brouhahas,

Salemaleks, Tohubohus,

Daß durch diese Spracheinwurstung

Unser bied'rer Zeitgeist schließlich

Zweifellos als würd'ger jüng'rer

Bruder sich erwies des alten

Geists der Zeit von Babel's Thurmbau.

Durch den Schwarm so vieler Menschen

Sah man hie und da zuweilen

Wespen, kleine Blocksbergwespen,

Schwirrend hin und wieder fliegen.

An den Leibern dieser Wespen

Waren Blättchen aufgebunden,

Und auf diesen Blättchen standen

Lesbar kleine Epigramme,

Einige mit scharfem Stachel,

And're harmlos, unverfänglich.

Haschen wir die ein' und and're

Dieser kleinen Bocksbergwespen.


Rathend, mahnend, scheltend, zücht'gend,

Denkst du Wunder was es nutzt;[121]

Aber hilft die Brille Blinden,

Und der Esel, wird er klüger,

Wenn man ihm die Ohren stutzt?


* * *


Schau, die Hexe fährt zu Berg!

Aber nicht mehr auf dem Besen:

Knappes Leibchen, kurzes Röckchen,

Und den Zwicker auf der Nase!

Und Touristin nennt sie sich.


* * *


Weil dich just der Schnupfen plagt,

Denkst du durch die Wand zu rennen?

Schneuze dich, sagt Epiktet,

Schneuze dich, anstatt zu flennen!


* * *


Tropfen seid ihr Straßenkothes,

Unter'm Lauf der Zeitenräder

Hochauf gegen Himmel spritzend,

Und ihr wollt euch Sterne dünken?


* * *


Ein erlesenes Talent! – Ja!

In der That, es ist erlesen![122]

Ach wie ist so unbeständig,

So zweideutig, so verlogen,

Solch' ein Proteus Mancher, daß man

Schwören möchte, wär' gekommen

Er zur Welt als Ochs, so würfe

Er den Schatten eines Esels!


* * *


Daß dem Schönen Frische fehle,

Hört man vielfach jetzo klagen.

»Frische fehlt dir, meine Gute!«

Hört' ich jüngst im Garten sagen

Stolz zu einem welken Röslein

Eines Vögleins frischen Quark.


* * *


Rein im Formenglanze blinken

Laß, o Dichter, dein Gedicht!

Zwar Tyrtäus durfte hinken,

Aber seine Verse nicht!


* * *


Armer deutscher Poet! meist hast du noch

lange den Ruf nicht,

Den du verdienst: erst den, den der

Verleger dir macht!


* * *
[123]

Niemand wußte, wer der Autor

Dieser Verslein. Nur der Teufel,

Dieser hatte lauernd, schielend,

Wohl bemerkt, das ich's gewesen,

Ich, der Schreiber dieser Zeilen,

Der geknüpft sothane Verslein

Heimlich an die Wespensteiße.

Und er machte sich den Spaß nun,

Abzufangen sie wie Fliegen.

Auf mich zu dann trat er grinsend.

»Mit Vergunst, schätzbarster Dichter!«

Hub er an und sah dabei mir

In's Gesicht mit seinem kohlschwarz

Glüh'nden Aug', in dem kein Weißes.

»Mit Vergunst! Mir altem Kerl, mir

Wär' ein Wort zu gut' zu halten,

Dächt' ich, wenn es um Satire

Sich, um Bosheit, Spott, Verneinung

Handelt – und man sollte, dächt' ich,

Nicht verschmäh'n von Unsereinem

Was zu lernen; Unsereiner

Ist kein Neuling doch hierinnen –

Ganz im Gegentheil! –

Wenn Einer

Solcher Dinge sich befleißigt,

Kann ich ihm nur sagen: Mensch!

Spieße, rädere, skalpire

Deinen Nächsten: aber Einen[124]

Immer – einen ganz Bestimmten,

Den man kann mit Fingern zeigen!

Schinde deinen Nebenbuhler!

Kreuz'ge den, der and'rer Meinung,

An den Pranger stell' die Besten!

Dieses wird man dir verzeihen.

Aber fuchtle mit der Geissel

Nicht umher im Allgemeinen!

Und vor Allem, Bester, hüte

Dich, der Schlechtigkeit, Verderbtheit,

Schwäche, Thorheit an und für sich

Allzudämlich nah' zu treten!

Kein Pedant, mit Einem Wort, kein

Sittenprediger, kein Swift sei

Und kein Juvenal! Denn diese

Art Humors ist gar nicht »lustig!«

Ein Humor, bei dem man ernst bleibt,

Nicht in heller Lache losplatzt,

Ist langweilig, wie die Tragik,

Die nicht wirkt auf Thränendrüsen!« –

»Sehr verbunden!« gab zur Antwort

Ich; »indessen ... ich bedaure ...

Menschenschwäche, Menschenthorheit,

Unser angebor'nes Erbtheil,

Das uns so verhängnißvoll oft

Wird im langen Erdenleben,

So ein bischen durchzuhecheln,

Ist ein Thun, womit der Mensch sich[125]

Tröstet und erbaut zu Zeiten.

Aber meine schlimmsten Feinde

Oder Kritiker zu schinden –

Namentlich zu persifliren –

Nein, ich thu's nicht! – Einen Einz'gen

Nehm' ich aus: den Herrn F. M.,

Der mir ausdrücklich vor Kurzem

Sagte, persiflirt zu werden

Sei die angenehmste Sache

Von der Welt; ihn selbst, den Witz'gen,

Hätte Mancher schon gebeten,

Ihn doch ja zu persifliren,

Denn es sei doch auch – Reclame ...

»Den allein? das ist zu wenig!«

Sprach der Böse. Aber heimlich –

Wie ich merkte – dacht' er: »G'nug ist's,

Hoff' ich, dir den Hals zu brechen!« –

»Wer nicht hören will, muß fühlen!«

Warf er hin. »Der Lorbeer, fürcht' ich,

Den du erntest mit dergleichen,

Wächst auf einer Haselstaude!« –

Darauf ich: In jedem Falle

Laß' ich bald ein Büchlein drucken:

Lachen wird es Keinen machen,

Und sehr Viele werden's lästern,

Und nicht Viele werden's lieben,

Und nur Wen'ge werden's loben,

Aber lesen – werden's Alle! –[126]

Stracks anbeißend auf den Köder,

Den ich mit dem übermüth'gen

Scherzwort »Alle werden's lesen«

Hinwarf seiner Schadenfreude

Und dem Witz der Rezensenten –

»Meinst du?« rief er grinsend, rollte

Tückisch, still-vergnügt, sein glüh'ndes

Kohlenaug', in dem kein Weiß ist,

Und verschwand mit Hinterlassung

Des ihm eigenen Geruches. –

Schlendernd, sinnend wandt' ich wieder

Mich zurück ins Festgewimmel.

Auf das große Hochzeitsballfest

Im Verlauf der Nacht vereinte

Sich des Gästeschwarmes Antheil.

Es gestaltete sich glanzvoll;

Lebhaft war das Tanzvergnügen.

Mit der Braut antrat der Ritter

Von dem Pferdefuß zum Tanze.

Das Großmütterchen des Ritters

Schwenkt' im Takte der Homunkel.

Federleicht und schmiegsam hinflog

Frau George Sand in Faustens Armen,

In Diogenes', Münchhausens

Schlemihls, Don Juans, Eulenspiegels,

Und noch vieler And'rer Armen.

Bräsig walzte mit Frau Buchholz,

Teut vergaffte sich in Nana,[127]

Tollte mit ihr hin im Reigen.

Mit Aspasia, der schönen,

Machten Kritiker ein Tänzchen,

Sprangen mit ihr um wie Rüpel,

Doch es ging der Athem ihnen

Früher aus als ihr, der Schönen.

Trüber brannten schon die Lichter,

Um so heller aber brannten

In der Dämmerung die Blicke.

Schon gestaltete ein wenig

Orgiastisch sich das Hochfest:

Was des Breiteren zu schildern

Ich hier billig unterlasse.

Eins nur darf ich nicht verschweigen:

Daß bei diesem Hochzeitsfeste

Auf dem Punkte stand Schön-Lurlei,

Von Champagnerschaum umbrandet,

Zu entflieh'n zum ersten Male,

Seit sie war getraut mit Munkel.

Hinterlassen schon bereit lag

Ein Billet, drin sie gestand

Ihrem angetrauten Gatten,

Daß sie einen Mann gefunden,

Bei dem Feste der Vermählung,

In der Festlust holdem Taumel,

Der ihr Herz entfachte, wie es

Niemals ihr bisher geschehen –

Den vielleicht sie lieben könne.[128]

Doch nach einer halben Stunde

Hatte sie die Ueberzeugung,

Daß der Mann, dem sie zu folgen

Im Begriff war, den, umbrandet

Von Champagnerschaum, sie vorschnell

Für ein Ideal gehalten,

Nur ein ganz gemeiner Wicht sei.

Und zurück zur rechten Zeit noch

Kehrte sie, ihr bräutlich Bette,

Wie geziemend, zu besteigen

Mit dem angetrauten Gatten.
[129]

Quelle:
Hamerling, Robert: Homunculus. Modernes Epos in 10 Gesängen, 5. Auflage, Hamburg 1889, S. 91-130.
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