[28] Von dem Gewissen.
Nach der Stimme: Wo GOTT der HERR nicht bei uns hält, usw.
1.
O Mensch, leg' alle Sorgen hin
Und geh' in dein Gewissen:
Versamle deine träge Sinn'
Und laß dich nicht verdriessen
Zu hören deines Hertzens Sprach,
Denck deinem gantzen Leben nach,
Es wird dich nicht gereuen.
2.
Was du hast wider GOTT gethan,
Bleibt andren zwar verborgen,
Doch klagt dich dein Gewissen an
Und macht dir schwere Sorgen.
Du trägest das Gesetz in dir,
Und richtest du dich selbsten hier,
So wirstu nicht gerichtet!
3.
Nichts ist uns nach dem Sündenfall
Ohn Nachtheil überblieben
Als des Gewissens Gegenschall,
Wann wir die Sünd verüben;
Daß rufft und schreit uns heimlich nach
Und weiset uns der Höllen Rach,
Wann wir nicht folgen wollen.
4.
Es bleibt, was recht und unrecht ist,
In unser Hertz geschrieben.
Hier hilfft noch Trug noch arge List,
Man weiß, wie mans getrieben,
Und ist uns solches Hertzgesetz
Ein unvermeidlich starckes Netz,
Daß uns gar hart bestricket.
5.
So bald die Lust empfangen hat,
Gebieret sie die Sünden.
Zuweilen pflegt man in der That
Die Reue zu empfinden,
Zuweilen ruhet auch die Straff
Und ist in des Gewissensschlaff
Vom Tod nicht weit entfernet.
6.
Ist nun das Maß der Sünden voll,
Da fühlt man Gottes Grimme.
Wer nicht büsst, wie er billich soll,
Der fürchte Gottes Stimme,
Die er liesst aus des Hertzensbuch,
Und drucket ihn der schwere Fluch,
Damit er sich beleget.
7.
Wann uns dann unser Hertz verdammt,
Daß wir für Furchten beben,
So kränckt uns des Gewissens Amt,
Weil wir im Jammer schweben.
Nach Trost, nach Trost ist uns so bang,
Wir klagen: HERR, wie lang, wie lang
Verbirgst du deine Gnade?
8.
Ist aber das Gewissen rein,
So leben wir in Freuden:
Die Unschuld kan gesichert seyn
Im Jammer und in Leiden
Und weiß, daß sie durch Gottes Sohn
Des Zutritts zu dem Gnadenthron
Sich endlich kan getrösten.
9.
So lasset uns doch mit bedacht
Betrachten das Gewissen,
Dann wer es nicht nimmt stets in acht,
Der wird es ewig büssen.
Wer nicht hier in der Gnadenzeit
Die Sünd und Missethat bereut,
Kan dort nicht selig werden.
10.
Mein Gott, laß mich ein Tempel seyn,
Von deinem Geist bewohnet;
Halt mein Gewissen heilig rein,
Von deiner Gnad bethronet.
Schaff du in meinem Hertzen Ruh,
Daß ich nichts böses denck noch thu
Und stetig dir gefalle!
Buchempfehlung
Ohnerachtet Schande und Laster an ihnen selber verächtlich / findet man doch sehr viel Menschen von so gar ungebundener Unarth / daß sie denenselben offenbar obliegen / und sich deren als einer sonderbahre Tugend rühmen: Wer seinem Nächsten durch List etwas abzwacken kan / den preisen sie / als einen listig-klugen Menschen / und dahero ist der unverschämte Diebstahl / überlistige und lose Räncke / ja gar Meuchelmord und andere grobe Laster im solchem Uberfluß eingerissen / daß man nicht Gefängnüsse genug vor solche Leute haben mag.
310 Seiten, 17.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro