[139] In Zuchthausmauern liegt ein fahles Weib
auf seinem Bett. Es schläft, es träumt, es fiebert.
Und heiser und mit trocknen Lippen flüsterts:
– Auf einem Mondstrahl .. muss es wieder kommen ...
Der Mond mit einem schmalen, hellen Strahl
spielt oben an der weissgetünchten Wand,
dem Bette gegenüber. Langsam rückt er
herab. Er gleitet auf den Arbeitstisch. –
Jetzt liegt er auf dem Boden. Eine Leiter,
hineingestellt vom hohen, kleinen Fenster,
so steht er in der Zelle. Langsam, langsam,
doch stetig weiter kriecht er. Immer näher
und näher kommt er. – Auf dem Bette wälzt
unruhig sich das fieberkranke Weib,
und immer wilder, banger röchelt sie:
– Auf einem Mondstrahl .. muss es wieder kommen ...[140]
Da, plötzlich schreit sie auf: Das Kind! Das Kind! –
Wieder im Mond! Und toll springt sie empor. –
Der Mond klimmt langsam an den Linnen auf
und tastet auf die Kissen – weiter – weiter.
Wahnsinnig presst das Weib sich in die Ecke –
krampfhaft zerrt sie das Hemd um ihre Glieder,
die Zähne klappern – und da hört sie gellen:
Jetzt willst du flüchten, fliehn: ich glaub es wohl!
Umsonst! Die Mauern halten dich, die Mauern!
Hart sind die Mauern, hart und kalt und stumm,
und unerbittlich näher kriecht der Mond –
– Auf einem Mondstrahl .. muss es wieder kommen ...
Ein wildes Heulen weckt die Wärterin.
Sie kommt nach einer Zeit. Die Schlüssel klirren.
Da findet sie das Weib auf seinem Bett:
die toten Augen stieren in den Mond.