Achte Szene.

[26] DER ALTE RASCHKE indem er sich erhebt und zu seiner Hantierung humpelt, flüsternd. Sei nicht happig, Junge ... zeig' deinen Glanz nicht so übers ganze Gesichte ... laß den Laubfrosch erst fort ... der sieht noch zu den Wänden und Fensterritzen 'rein ... und versteckt sich womöglich gar noch hinter'm Hause ...

DIE JUNGE RASCHKE lustig. Das werd' ich dem Grünfrosch hübsch versalzen, ihr Leute ... Sie rennt hinaus.[26]

DER ALTE RASCHKE hat seine Axt genommen und sich behaglich zum Besenbinden niedergelassen. Verhalten. Erschlagen könnt' ich den Säbelmann ... aber bleib' du nur geruhig ... bleib' du nur geruhig noch eine Weile auf der Ofenbank sitzen ... und tue, als wenn die Ofenbank eine Leimrute wär' ... Er arbeitet wieder. Der Winter war zu elend ... warum sollten wir verhungern ... möcht' ich nur wissen?

DER JUNGE RASCHKE auf der Ofenbank sitzend. Lachend flüsternd, ohne zu stottern. Erschlagen könnt' ich den Säbelmann ... nicht bloß Eßwaren stehlen ... nun ... ich rühr' mich noch nicht ... ich klebe noch feste ...

DER ALTE RASCHKE flüsternd. Wo hast du denn die Ware hingelegt, Hermann? ...

DER JUNGE RASCHKE ebenfalls flüsternd. Auch fünf Flaschen guter Wein sind dabei ... sie stecken tief unterm Reisigzeuge ... kein Mensch kann sie finden ... jetzt, wo's neu schneit und Nacht ist ... sie sind ganz unten verschüttet ...

DER ALTE RASCHKE seine Arbeit unterbrechend und vor sich hinstarrend. Kalte Getränke sind selbst im tiefen Winter was Gutes ...[27]

DER JUNGE RASCHKE springt lustig auf, als die junge Raschke mit einer heimlichen Geste, pfiffig hereintritt. Komm', Weib ... komm' ... zum Hange 'nunterfegen soll ihn der Sturm mit den schwarzen Schneehuschen zusammen ... den gestiebelten und gespornten Narren ...

DIE JUNGE RASCHKE drollig unwirsch. Ach ... zum Tanzen wär' Zeit ... der Popanz ist fort ... den zerfledert der Schneewind ... und verschüttet die Fußspur zum Dorfe 'nunter ... mach' mich nicht ungeduldig ... bring', was du hast ...


Der junge Raschke verschwindet einen Augenblick. Der alte Raschke hat sich erhoben, wetzt sein Schnitzmesser an einer Schüssel.


DIE ALTE RASCHKE. Der Wachtmeister wird doch auch wirklich fort sein, Tochter? ...

DIE JUNGE RASCHKE. Nun freilich ... nun freilich ist der fort ...


Der junge Raschke bringt einen Sack Eßwaren. Alle starren mit gierigen, lachenden Gesichtern, wie er auspackt und Verschiedenes auf den Tisch stellt. Die alte Raschke betastet manches.


DER ALTE RASCHKE streichelt den jungen Raschke. Nun brauchst du auch wegen dem Stückel Krähenfleisch nicht aufgebracht sein, Hermann ...[28]

DIE JUNGE RASCHKE lachend. Der Vater hat sich wieder nicht halten können ... er hat dir das bissel Krähenfleisch weggegessen ...

DER JUNGE RASCHKE. Hahahaha ... ich werd' doch jetzt nicht darüber tückisch sein ... Alle lachen.

DIE JUNGE RASCHKE. Nun macht aber, daß es zu was wird ...

DER JUNGE RASCHKE. Es kommt schon ... es kommt schon ...

DER ALTE RASCHKE. Nur laßt ihn alles geruhig auspacken ... und hinstellen ... daß wir's ruhig ansehen ... und zuerst jetzt alles hübsch liegen lassen ... ich schlag' dir auf die Finger, Weib ...

DER JUNGE RASCHKE. Das nennt man einen Rollschinken ... das nennt man eine Leberwurst ...

DER ALTE RASCHKE. Nur riecht einmal ... nur riecht einmal ... man könnte alleine von dem Geruche umfliegen ... aber nein ... jetzt Achtung ... jetzt kommen erst die guten Geister aus der Flasche ... hier hast du den Pfropfenzieher, Hermann ...[29]

DER JUNGE RASCHKE. Der Pfropfen steckt aber feste ... nein, Vater ...


Er müht sich und reißt den Pfropfen endlich heraus und stellt die Flasche auf den Tisch.


DER ALTE RASCHKE. Nun bist du aber, wie sich's gehört ... nun steht die Flasche da ... Mutter ... stell' einmal das Lampel hinter die Flasche ... das sieht wie leuchtendes Blut aus.

DER JUNGE RASCHKE. Immer große Stücke, Weib ... immer große Stücke, Weib ...

DIE ALTE RASCHKE. Auch weiße Semmeln bringt er mit ... nein, Junge ...

DER ALTE RASCHKE während sich die Raschkeleute alle allmählich an der Hand fassen. Da kann man wirklich bloß staunen, was aus der Flasche und von den frischen Schinkenstücken für Geister in die Nase steigen ... schon der Geruch ist lieblicher als guter Heugeruch auf den Sommerwiesen ... jetzt riecht nur ... nun riecht nur ... ihr lacht ja alle ... ihr lacht ja alle übers ganze Gesichte ... Ihr seid ja alle auf einmal so herzensgut zueinander ... warum denn, ihr Leute? ... ihr haltet euch ja alle so verliebt an den Händen ...[30]

DER JUNGE RASCHKE. Gib mir einen Schmatz, Weib ... oder willst du erst dumm tun ... ich werd' dir gleich zeigen, was mir im Blute 'rumsummt ...

DER ALTE RASCHKE. Bei dem blutroten Fläschel ... und dem blutroten Schinken ... pst ... draußen geht's um ... wir stecken hoch oben am Waldsaume ... kein Mensch hört uns und sieht uns ... die Welt draußen braust ... schöner kann die Orgel nicht brausen ... und den Gendarmen hat's längst 'nunter zu Tale geweht, als wenn die Nacht ihn mit Grabtüchern um den Kopf schlüg' ...

DER JUNGE RASCHKE. Jetzt kommt die Flasche ... jetzt kommt die Flasche ...

DER ALTE RASCHKE hat hastig die Flasche an sich gerissen. Ich kann mich nicht halten ... ich kann mich nicht halten ...


Er hat die Flasche angesetzt und trinkt ohne Aufhalten.


DIE JUNGE RASCHKE. Vater ... Vater ... nein, der Mann ist wie ein Wolf ... nein, Vater ...

DIE ALTE RASCHKE. Ach, lieber, guter Vater.


Der alte Raschke wehrt sich beim Trinken.
[31]

DIE ALTE RASCHKE. Ihr werdet ja sehen ... der trinkt die ganze Flasche auf einmal aus ...

DER JUNGE RASCHKE. Hahahaha ... wir haben ja mehr ... es gibt ja mehr ... Er hat eine zweite Flasche aufgekorkt.


Alle trinken schweigend Reih um. Zwischen den heulenden und brausenden Elementen klingt wieder schneidend die Totentanzmelodie.


DER ALTE RASCHKE während alle selig vor sich hinstarren. Pst ... es geht um ... es kommen Geigen ...

DIE ALTE RASCHKE. Ich esse zur Musik ... nein ihr Leute ...

DIE JUNGE RASCHKE. Es kann in dieser armen Hütte gar nicht mehr mit richtigen Dingen zugehen ... sperrt doch eure Ohren auf ... sperrt doch eure Ohren auf ...


Alle lauschen.


Quelle:
Carl Hauptmann: Die armseligen Besenbinder. Leipzig 1913, S. 26-32.
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