Neunte Szene

[307] Rüdeger jagt einen Heunen über die Bühne und schlägt ihn mit der Faust zu Boden.


RÜDEGER.

Da liege

Und spei noch einmal Gift.

ETZEL.

Herr Rüdeger,[307]

Ihr helft dem Feind? Wir haben der Erschlagnen

Auch ohne Euch genug.

KRIEMHILD.

Was hat der Mann

Getan?

RÜDEGER zu Etzel.

Bin ich dein bloßer Zungenfreund?

Schnapp ich nach Gaben, wie der Hund nach Fleisch?

Trag ich den Sack, der keinen Boden hat,

Und obendrein ein festgeleimtes Schwert?

ETZEL.

Wer sagt denn das?

RÜDEGER.

Wenn mans nicht sagen darf,

So schilt mich nicht, daß ich den Buben strafte:

Der warf mir das soeben ins Gesicht,

Als ich mit Tränen all des Jammers dachte,

Den diese Sonnenwende uns beschert,

Und brüllend stimmte ihm sein Haufe bei.

KRIEMHILD.

So stand ein ganzer Haufe hinter ihm?

Herr Rüdeger, die Strafe war zu hart,

Denn viele, wenn nicht alle, denken so,

Und eine beßre Antwort wärs gewesen,

Wenn Ihr sogleich das Schwert gezogen hättet,

Um auf die Nibelungen einzuhaun.

RÜDEGER.

Ich? Hab ich sie nicht selbst ins Land gebracht?

ETZEL.

Drum eben ists an dir, sie fort zu schaffen.

RÜDEGER.

Nein, König, das begehrst du nicht von mir!

Du hast mir kaum gestattet, dir die Dienste

Zu leisten, die ich dir entgegen trug,

Und solltest fordern, was ich weigern müßte,

Und hinge Haut und Haar und alles dran?

Ich kann und will sie nicht verteidigen,

Doch hab ich sie auf Treue hergeführt,

Und darf ich sie nicht schützen gegen dich,

So leih ich dir doch auch nicht meinen Arm.

KRIEMHILD.

Du tust, als wärst du noch ein freier Mann

Und könntest dich entscheiden, wie du willst!

RÜDEGER.

Kann ichs denn nicht? Was hindert mich, wenn ich

Die Lehen niederlege?

KRIEMHILD.

Was? – Dein Eid![308]

Du bist bis an den letzten Odemzug

Mein Knecht, und darfst mir keinen Dienst verweigern,

Wohlan denn, dieser ist es, den ich will.

RÜDEGER.

Ich kann nicht sagen, daß du lügst, und doch

Ists nicht viel besser, denn ein andres Weib

Hat meinen Eid gefordert und erhalten,

Ein andres aber legt ihn heute aus.

ETZEL.

Du sprichst von Treue, Rüdeger. Ich darf

Dich wohl zum Zeugen nehmen, daß ich sie

Heilig zu halten weiß. Doch, gilt das hier?

Sie stehen jenseits der Natur und brauchen

Als Waffe, was im Abgrund still versank,

Eh sich der Bau der Welt zusammenschloß.

Sie werfen uns den Kot der Elemente,

Der, ausgeschieden, unten sitzen blieb,

Als sich die Kugel rundete, hinein.

Sie reißen alle Nägel aus und sägen

Die Balken durch. Da mußt auch du den Damm

Wohl überspringen, wenn du helfen willst.

KRIEMHILD.

So ists. Der giftge Degen ist die Schande

Des ersten, doch der zweite schwingt ihn frei!

RÜDEGER.

Es mag so sein, es ist gewiß auch so,

Ich will mit Euch nicht streiten. Doch bedenkt:

Ich habe sie mit Wein und Brot begrüßt,

Als sie die Donaugrenze überschritten,

Und sie geleitet bis zu Eurer Schwelle,

Kann ich das Schwert wohl gegen sie erheben,

Nun sie in ihren größten Nöten sind?

Wenn alle Arme, die man zählt auf Erden,

Im allgemeinen Aufstand der Natur

Sich gegen sie bewaffneten, wenn Messer

Und Sensen blitzten und die Steine flögen,

So fühlte ich mich immer noch gebunden,

Und höchstens stände mir ein Spaten an.

ETZEL.

Ich hab dich auch geschont, solang ich konnte,

Und ruf dich ganz zuletzt.

RÜDEGER.

Barmherzigkeit!

Was soll ich sagen, wenn mein Eidam mir,[309]

Der junge Giselher, entgegen tritt

Und mir die Hand zum Gruße beut? Und wenn

Mein Alter seine Jugend überwindet,

Wie tret ich wohl vor meine Tochter hin? –


Zu Kriemhild.


Dich treibt der Schmerz um den Verlorenen,

Willst du ihn auf ein Kind, das liebt, wie du,

Und nichts verbrach, vererben und es töten?

Das tust du, wenn du mich zum Rächer wählst,

Denn, wie das blutge Los auch fallen mag,

Ihr wird der Sieger immer mit begraben,

Und keiner von uns beiden darf zurück.

KRIEMHILD.

Das alles hättest du erwägen sollen,

Bevor der Bund geschlossen ward. Du wußtest,

Was du geschworen!

RÜDEGER.

Nein, ich wußt es nicht,

Und, beim allmächtgen Gott, du hast es selbst

Noch weniger gewußt. Das ganze Land

War deines Preises voll. In deinem Auge

Sah ich die erste Träne und zugleich

Die letzte auch, denn alle andern hattest

Du abgewischt mit deiner milden Hand.

Wohin ich trat, da segnete man dich,

Kein Kind ging schlafen, ohne dein zu denken,

Kein Becher ward geleert, du hattest ihn

Gefüllt, kein Brot gebrochen und verteilt,

Es kam aus deinem Korb: wie konnt ich glauben,

Daß diese Stunde folgte! Eher hätt ich

Bedächtig vor dem Eid den eignen Hals

Mir ausbedungen, als die Sicherheit

Der Kön'ge, deiner Brüder. Wärs dir selbst

Wohl in den Sinn gekommen, wenn du sie

Im Kreis um deine alte graue Mutter

Versammelt sahst, um in den Dom zu gehn,

Daß du dereinst ihr Leben fordern würdest?

Wie sollte ichs denn ahnen und den ersten

Und edelsten der Jünglinge verschmähn,

Als er um meine Tochter warb![310]

KRIEMHILD.

Ich will

Ihr Leben auch noch heute nicht! Die Tür

Steht offen für sie alle, bis auf einen:

Wenn sie die Waffen drinnen lassen wollen

Und draußen Frieden schwören, sind sie frei.

Geh hin und rufe sie zum letzten Mal.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 307-311.
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