Dritte Szene


[98] Katharina tritt eilig auf, die rechte Hand ist ihr verbunden.


KATHARINA.

Mein Golo, lebst du?

GOLO.

Freilich, Mutter, doch,

Was fehlt denn dir? Dir blutet ja die Hand!

KATHARINA.

Das kam, als sie vorhin mir mit Gewalt

Das Messer nehmen wollten.

GOLO.

Mit Gewalt?

KATHARINA.

Zu deiner Strafe höre, was ich tat.

Als ich mit Grauen dich dort oben sah,

Da war mirs ganz, als säh ich dich schon tot.

Drum ging ich in die Küch, nahm aus dem Schrank

Das breitste Messer, riß den Brustlatz ab

Und horchte, um beim ersten Weheruf

Die Spitze tief zu stoßen in mein Herz.

GOLO.

Ich schaudre, Mutter.

KATHARINA.

Sohn, versprichst du mir,

Daß du den Turm nicht mehr besteigen willst?

GOLO.

Nie, Mutter, nie!

KATHARINA.

Nun will ich beichten gehn.

GOLO.

Was macht die Gräfin?

KATHARINA.

Einem Starmatz lehrt

Sie Siegfrieds Namen.

GOLO.

Würg mir diesen Star!

KATHARINA.

Du meinst, weil er so dumm ist!

GOLO.

Ist er dumm?

Dann laß ihn leben!

KATHARINA.

Unverständig glotzt

Er sie mit gelb beringten Augen an

Und guckt umher, ob sich nicht irgendwo

Ein Körnlein in der Nähe finden läßt.[98]

Ich hätt ihm längst die Kehle umgedreht,

Sie aber lispelt mit dem kleinen Mund

Ihm fort und fort den Namen Siegfried vor,

Als wäre jegliche Musik der Welt

In die zwei Silben: Sieg! und Fried! gebannt.

GOLO.

Sie muß doch fürchten, daß sie ihn vergißt,

Weil sie schon jetzt in einem Vogel sich

Den Warner und Erinnerer bestellt.

Sag, liebe Mutter, meinst du das nicht auch?

KATHARINA.

Mein junger Herr, ich bin zwar alt und grau,

Doch werd ich nie verraten mein Geschlecht.


Ab in die Kapelle.


GOLO.

Kein Vaterunser will ich sprechen mehr,

Kein Ave, wie ich sonst doch gerne sprach,

Wenn morgens eine erste Lerche stieg,

Wenn abends eine ferne Glocke klang.

Von jetzt an soll mir zum Legendenbuch

Das Leben Siegfrieds dienen, meines Herrn,

Gedenken will ich all der Tugenden,

Der Tapferkeit, des hohen Edelmuts,

Wodurch er seinen Feinden selbst so oft

Die Tränen in die Augen hat gelockt,

Will mich der Zeit erinnern, wo kein Held,

Kein Heiliger, mir anders denkbar war,

Als nur in seiner herrlichen Gestalt,

Will seine Taten, seine Worte mir,

Wie Perlen, die er, wo er ging, gesät,

Zusammen reihn zu einem Rosenkranz,

Und, den beschämt abbetend Tag für Tag,

Ersticken mein Gefühl, damit ich bald,

Von dem Gedanken seiner Trefflichkeit

Durchbohrt, verschwinde in das leere Nichts.[99]


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 98-100.
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