Vierte Szene


[100] Genoveva tritt auf.


GOLO.

Da naht sie! Blicke weg, ruhmredger Tor!

Wozu? Ich seh sie doch! Und wenn mein Geist

Ihr Bild sich malt, so blickt es sanft und mild,

Doch sie blickt ernst. Drum schau sie immer an!


Er wendet sich und stürzt ihr, wie niedergeworfen, zu Füßen.


Verzeiht Ihr?

GENOVEVA.

Niemals, daß Ihr vor mir kniet!

GOLO sich erhebend, und sie von der Seite betrachtend, für sich.

Ich kniee nur, damit sie zögern muß!

O, jeder Blick in dieses Angesicht

Ist ein Gewinn, und jedes Wort, entlockt

Dem rührend-süßen Mund, bereichert mich

Und weckt die Ahnung einer Seligkeit,

Fremd und geheim, in meiner tiefsten Brust;

Wie, wenn Musik erklingt, Entzückungen

Durch alle Nerven, leise schwellend, ziehn.

Und soll der Durstge, wenn ein voller Strom

Umflutend ihn erfaßt, die Lippen feig

Zusammenpressen, daß kein Tropfe ihm,

Durchdringend, kühlt den heißen Herzensbrand?

Wenn das die Tugend ist, verfluch ich sie!

GENOVEVA.

Ihr weint!

GOLO.

Tu ichs? Dann ists das erste Mal,

Und wie Gewitter-Regen, der umsonst

Den Blitz, nachstürzend, auszulöschen sucht.


Er faßt sich ans Auge.


Weg, Sündflut vor der Sünd! Du kömmst zu früh!

O Genoveva, seht, mir fehlt ein Tuch,

Und Tränen stehen einem Mann so schlecht;

Ich bitt Euch, trocknet mir die Tränen ab.

GENOVEVA.

Wie rot er wird! O echte Männerscham!

Ei, Eurer Wangen Glut ersparte mir

Die Mühe schon, sie sog die Tränen ein.

GOLO für sich.

Ich hatt als Knabe einst ein Saitenspiel,

Und liebt es sehr, und übte viel und gern[100]

Die heitre Kunst, die aus Metall und Holz

Mit edler Müh den holden Wohllaut lockt.

Doch eines Abends, als ich einsam mich,

Die Saiten rührend, im Gewäld erging,

Da schnitten mir die Töne mördrisch-tief

Ins Herz, das Auge ward mir feucht, und kalt

Schlich Schauer mir nach Schauer durch das Mark.

Wohl war das süß, und lange sog ich still

Die wunderbare Todeswollust ein,

Dann aber zuckt ich knirschend auf, zerriß

Die Saiten, und zerschlug das Instrument,

Und nie ein andres nahm ich in die Hand.


Mit einem zornigen Blick auf sie.


Mir deucht, ich sollte heut dasselbe tun!

O, Sünde ists, so liebenswürdig sein,

Daß man durch einen Blick, durch einen Ton,

Ja, durch ein Lächeln selbst, das ihm nicht gilt,

Den Mann im Innersten in Fesseln legt,

Die Kraft ihm bricht, den stolzen Mut ihm raubt.

Was ist wohl süßer! Plötzlich an den Hals

Ihr fliegend, alles, was man ist und war,

Zu setzen an den räuberischen Kuß,

In dem man Zeit und Ewigkeit vergißt,

Und dem Fluch folgt, welcher vierfach trifft:

Von Gott, von ihr, von ihm und von mir selbst

Wie, oder zieh in grimmger Notwehr ich

Mein Schwert, und – Ha, Verfluchter, zieh dein Schwert,

Doch kehr es reuig-wütend gegen dich!

Welt-End ist da, nachdem du dies gedacht;

Gott, aufgestört aus seiner ewgen Ruh,

Erhebt sich schaudernd und versiegelt stumm

Den Schöpfungsborn, damit nicht einst ein Mensch

Geboren wird, der, was du denkst, vollbringt.

Auf deine Knie!


Er kniet.


Verzeiht mir, edle Frau!


Für sich.


Schurk! Schurk! Du greifst zugleich nach ihrer Hand,

Wie jener, der dem Muttergottesbild,

Vor dem er beichtete, ein Kleinod stahl.[101]

GENOVEVA.

Ihr ängstigt mich! Was soll ich Euch verzeihn?

GOLO.

Daß ich – o, daß ich nicht den Hals mir brach!

GENOVEVA.

Ihr frevelt, Golo, daß Ihr also sprecht!

Steht auf! Steht auf! Und wollt Ihr knie'n durchaus –

In der Kapelle ist dazu der Ort.

GOLO erhebt sich.

Gebt Euer Buch mir, und ich folg Euch gern

Zu Beichtstuhl und Altar.

GENOVEVA.

Ich geh allein!

Doch wißt, mich wunderts sehr, daß Ihr von mir

Vergebung Euch erfleht, und nicht von Gott.

Leicht habt Ihr mich, Gott habt Ihr schwer gekränkt.

Viel edle Güter hat er Euch vertraut:

Kraft, Jugend, einen ritterlichen Arm!

Dies alles, wie ein trunkner Steuermann

Mutwillig zwischen Klippen treibt sein Schiff,

Statt es vorbeizulenken, setztet Ihr

Um eine Torheit tollkühn auf das Spiel.

Der Atem stockte mir, als ich zum Turm

Empor Euch klimmen sah, ich winkte Euch,

Denn rufen konnt ich nicht, Ihr ließt nicht ab,

Ich glaube gar, Ihr lachtet, häßlich klangs,

Kaum wußt ich, durft ich beten, durft ich nicht.

GOLO.

Sie hat für dich gebetet. Freue dich!

Nein, sei kein Tor! Sie tats nur, daß dein Bild

Sich nicht zerschmettert, blutig und entstellt,

Zu ihrem Herzen schleiche, und, sie kalt

Berührend, weck aus linder Seligkeit.

O, sei gewiß, den schwarzen Mörder selbst

Verschont in ihrer heilgen Näh der Blitz,

Damit er fallend nicht ein Blumenbeet

Beflecke, das ihr Düfte senden soll.

In Lächeln wandelte sich Gottes Zorn,

Als sie in Angst um mich emporgeschaut,

Und wie ein Vater, wenn sein Kind sich naht,

Vergißt, daß er den Diener strafen will,

So streut' er Lilien mit der rechten Hand,

Auf sie herab, und mit der linken gab

Er seinem Engel einen stummen Wink,[102]

Mir, ihretwegen, Schutz und Schirm zu sein.

Ich kann es ihr nicht danken, ihr Gebet;

Läg ich zu ihren Füßen jetzt, ein Klump,

Ein rauchender, von Knochen, Fleisch und Blut,

Sie würde weinen, und im Schmerz um mich,

Wär es auch nur auf einen Augenblick,

Vergessen, daß sie eines andern ist;

Ja, fühlen würde sies in tiefster Brust,

Daß ich ein Opfer ihrer Schönheit sei,

Und Liebe, welche stumm den Tod erwählt,

Sie wird verziehn, erwidert, nie verdammt.

GENOVEVA.

Ihr redet, Golo, warum nicht mit mir?

Ich sah Euch niemals so, Ihr seid wohl krank.

GOLO.

Ich bin ganz Wunde, und mich heilen, heißt

Mich töten!

GENOVEVA.

Seine ganze Krankheit ist

Die Jugend, die in ihrer Kraft erstickt,

Weil noch die Welt sie nicht zum Dienst berief.

Ei, Golo, blickt doch freudig auf, und fühlt,

Was ich gefühlt, als ich aus sichrem Tod

Euch stolz und trotzig wiederkehren sah.

Wenn Gott den Frevelmut des Jünglings schützt,

So ists ein Zeichen, daß er schon den Tag

Im Auge hat, wo er des Manns bedarf.

Erkennt dies still und beugt Euch demutvoll

Und harrt, bis er Euch winkt, er winkt gewiß!

GOLO erschüttert.

O!

GENOVEVA lächelnd.

Habt Ihrs heute doch mit Gott gemacht,

Wie einst mit Eurer Amme, wißt Ihrs wohl?

Herr Siegfried hat es mir erzählt, es kam,

Ich weiß nicht, wie, mir oft schon in den Sinn.

Als die einmal mit Euch am tiefen Rhein

Vorüber ging, da rieft Ihr, plötzlich Euch

Von ihr losreißend und dem blanken Strom

Zueilend: Bin ich wirklich dir so wert,

Wie du mir sagst, so zeigs! und sprangt hinein.

Sie stürzt Euch nach, und –

GOLO.

Noch erröte ich![103]

Ich konnte schwimmen, und sie wußt es nicht,

Sie konnt es nicht, und sank. Ich ward bezahlt.

Ein Fischer kam zuletzt und zog für tot

Sie aus den Wellen. In erstarrter Hand

Hielt sie mein Käpplein fest, als wär ichs selbst.

Das ging ans Herz mir. Ja, sie zeigte mir,

Was ich ihr galt.

GENOVEVA.

Gott hats Euch auch gezeigt!

Er hätt Euch seinen Engel nicht gesandt,

Wär Euch nicht eine Tat bestimmt, so groß,

So schwer, daß sie jedweden anderen

Zum Feigling machen wird, zum Helden Euch.

Und kommt dereinst ein Tag, der das verlangt,

Was Ihr verweigern könnt, und doch ein Mann

Noch bleiben, und ein tapfrer Mann dazu,

Dann denkt: Gott bin ichs schuldig! und vollbringts.

GOLO für sich.

Dem heilgen Fluß ist ihre Seele gleich,

Aus dem Aussätzge, niedertauchend, rein

Und leuchtend sich erhoben. Sünde kann

Sie sich nicht denken; was sie dafür hält,

Ist schlackig Gold, das gleich geläutert wird,

Sobald es ihr Gedanke nur erfaßt.


In plötzlicher Bewegung sein Schwert ziehend.


O Genoveva, weihe du mein Schwert!

GENOVEVA.

Am liebsten dazu, daß es immerdar

In seiner Scheide bleibe. Doch, es will

Geschwungen sein. So weih ichs denn als Weib,

Gedenkend meines eigenen Geschlechts,

Das, schwach und waffenlos, in seinem Feind

Zugleich den Freund und den Beschützer sieht,

Gedenkend dessen, was von Jugend auf

Als aller Greuel höchster mir erschien.

Wenn irgendwo ein edles Frauenbild,

Von einem ehrvergeßnen Mann verfolgt,

Nur kaum sich schnöder Übermacht erwehrt;

Wenn sie, durch wilde Wünsche, halb verhehlt,

Halb ausgesprochen, schon befleckt sich dünkt,

Und fort und fort sich nun in Tränen wäscht;[104]

Wenn alle Heilgen ferne sind, von Gott

Zurückgehalten, der den Himmlischen

Verbot, den irdschen Helden eine Tat

Zu rauben, die sie jenen zugesellt:

Dann hat dies Schwert


Sie berührt es.


ein Recht auf Blut, dann solls,

Der hart bedrängten Unschuld letzter Hort,

Dräuen, verwunden, töten, wenn es muß.

Ist doch das Schwert ein rächerischer Blitz,

Der, statt aus Himmelshöhn, aus dunklem Schoß

Der Erde kommt, die, innerlich ergrimmt

Ob all dem Frevel, den sie tragen muß,

Ihn sendet, daß er ihn bestraft und tilgt.

GOLO.

Ein Schauer faßt mich. Ist es nicht Gott selbst,

Der also zu mir spricht durch ihren Mund?


Zu Genoveva.


Wie kommt Ihr darauf?

GENOVEVA.

Habt Ihr nie gehört,

Was für ein Ende meine Schwester nahm?

In ernstem Kloster sah von ungefähr

Ein Ritter sie bei einem Kirchen-Fest.

Erglüht verfolgt' er Gottes reine Braut

Mit ungestümem Werben, plötzlich ihr

Zu Füßen stürzend, als sie ahnungslos

Bei Mondenlicht im Garten sich erging.

Sie floh entsetzt; er aber rief ihr nach:

Du sollst heraus aus dieser Mauern Kreis,

Und muß ich auch mit meiner eignen Hand

In Brand sie stecken, daß des Feuers Glut

Dich scheuche; der Äbtissin sagte sies,

Und in derselben Nacht noch ging des Herrn

Geweihtes Haus in düstern Flammen auf.

GOLO.

Und Eure Schwester?

GENOVEVA.

Keiner sah sie mehr.

Man meinte, daß sie in der Finsternis

Wohl nicht den Weg fand, der ins Freie führt.

Das glaub ich nicht. Sie wollte nur den Weg[105]

Nicht wandeln, welcher sie mit Schmach bedroht.

GOLO.

Entsetzlich!

GENOVEVA.

Wenn ich meines Herzens Trieb

Nicht folgte, der auch mich ins Kloster zog,

So war es nur, weil ich die Schwester dort

An jedem Ort in Flammen sterben sah.

Gern stellt ich sie mir nur mit Palmen vor,

Die Himmelskrone in dem goldnen Haar

Und stimmend in den Halleluja-Ruf.

Doch oft verwandelt sich vor meinem Blick

Ihr edles Bild, ich sehe sie verzerrt,

In Rauch und Qualm, ich höre ihren Schrei!


Sie geht in die Kapelle.


GOLO.

O, daß sie eine goldne Wolke jetzt

Dem trüben Kreis, wo man verlangt und wünscht,

Enthöbe! Denn, was auf die Erde sich

Herniederläßt, das will die Erde auch

Mit Banden, schwer und unrein, wie sie selbst,

Festketten, daß es adle ihren Staub.

Darum gebiert sie nichts Geflügeltes,

Als nur den Vogel, und der Vogel selbst,

Sobald er edel ist, kehrt nie zu ihr

Zurück, selbst dann nicht, wenn der Lenz die Flur

Mit allen seinen Blumen überdeckt.

Von ferne nur, von einem Blütenbaum,

Sieht er sich Lilien und Rosen an

Und schwingt sich dann zur Sonne wieder auf.

Nimm, Ewiger, nimm sie zu dir empor!

Nur, weil es Edelsteine gibt und Gold,

Gibts Räuber. O, ich fühl es, dieses Weib,

Wenn du nicht schnell sie unserm Blick entziehst,

Ruft Sünd ins Dasein, außerordentlich,

Wie ihre Schönheit, einzig, wie sie selbst![106]


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 100-107.
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