[100] Genoveva tritt auf.
GOLO.
Da naht sie! Blicke weg, ruhmredger Tor!
Wozu? Ich seh sie doch! Und wenn mein Geist
Ihr Bild sich malt, so blickt es sanft und mild,
Doch sie blickt ernst. Drum schau sie immer an!
Er wendet sich und stürzt ihr, wie niedergeworfen, zu Füßen.
Verzeiht Ihr?
GENOVEVA.
Niemals, daß Ihr vor mir kniet!
GOLO sich erhebend, und sie von der Seite betrachtend, für sich.
Ich kniee nur, damit sie zögern muß!
O, jeder Blick in dieses Angesicht
Ist ein Gewinn, und jedes Wort, entlockt
Dem rührend-süßen Mund, bereichert mich
Und weckt die Ahnung einer Seligkeit,
Fremd und geheim, in meiner tiefsten Brust;
Wie, wenn Musik erklingt, Entzückungen
Durch alle Nerven, leise schwellend, ziehn.
Und soll der Durstge, wenn ein voller Strom
Umflutend ihn erfaßt, die Lippen feig
Zusammenpressen, daß kein Tropfe ihm,
Durchdringend, kühlt den heißen Herzensbrand?
Wenn das die Tugend ist, verfluch ich sie!
GENOVEVA.
Ihr weint!
GOLO.
Tu ichs? Dann ists das erste Mal,
Und wie Gewitter-Regen, der umsonst
Den Blitz, nachstürzend, auszulöschen sucht.
Er faßt sich ans Auge.
Weg, Sündflut vor der Sünd! Du kömmst zu früh!
O Genoveva, seht, mir fehlt ein Tuch,
Und Tränen stehen einem Mann so schlecht;
Ich bitt Euch, trocknet mir die Tränen ab.
GENOVEVA.
Wie rot er wird! O echte Männerscham!
Ei, Eurer Wangen Glut ersparte mir
Die Mühe schon, sie sog die Tränen ein.
GOLO für sich.
Ich hatt als Knabe einst ein Saitenspiel,
Und liebt es sehr, und übte viel und gern[100]
Die heitre Kunst, die aus Metall und Holz
Mit edler Müh den holden Wohllaut lockt.
Doch eines Abends, als ich einsam mich,
Die Saiten rührend, im Gewäld erging,
Da schnitten mir die Töne mördrisch-tief
Ins Herz, das Auge ward mir feucht, und kalt
Schlich Schauer mir nach Schauer durch das Mark.
Wohl war das süß, und lange sog ich still
Die wunderbare Todeswollust ein,
Dann aber zuckt ich knirschend auf, zerriß
Die Saiten, und zerschlug das Instrument,
Und nie ein andres nahm ich in die Hand.
Mit einem zornigen Blick auf sie.
Mir deucht, ich sollte heut dasselbe tun!
O, Sünde ists, so liebenswürdig sein,
Daß man durch einen Blick, durch einen Ton,
Ja, durch ein Lächeln selbst, das ihm nicht gilt,
Den Mann im Innersten in Fesseln legt,
Die Kraft ihm bricht, den stolzen Mut ihm raubt.
Was ist wohl süßer! Plötzlich an den Hals
Ihr fliegend, alles, was man ist und war,
Zu setzen an den räuberischen Kuß,
In dem man Zeit und Ewigkeit vergißt,
Und dem Fluch folgt, welcher vierfach trifft:
Von Gott, von ihr, von ihm und von mir selbst
Wie, oder zieh in grimmger Notwehr ich
Mein Schwert, und – Ha, Verfluchter, zieh dein Schwert,
Doch kehr es reuig-wütend gegen dich!
Welt-End ist da, nachdem du dies gedacht;
Gott, aufgestört aus seiner ewgen Ruh,
Erhebt sich schaudernd und versiegelt stumm
Den Schöpfungsborn, damit nicht einst ein Mensch
Geboren wird, der, was du denkst, vollbringt.
Auf deine Knie!
Er kniet.
Verzeiht mir, edle Frau!
Für sich.
Schurk! Schurk! Du greifst zugleich nach ihrer Hand,
Wie jener, der dem Muttergottesbild,
Vor dem er beichtete, ein Kleinod stahl.[101]
GENOVEVA.
Ihr ängstigt mich! Was soll ich Euch verzeihn?
GOLO.
Daß ich – o, daß ich nicht den Hals mir brach!
GENOVEVA.
Ihr frevelt, Golo, daß Ihr also sprecht!
Steht auf! Steht auf! Und wollt Ihr knie'n durchaus –
In der Kapelle ist dazu der Ort.
GOLO erhebt sich.
Gebt Euer Buch mir, und ich folg Euch gern
Zu Beichtstuhl und Altar.
GENOVEVA.
Ich geh allein!
Doch wißt, mich wunderts sehr, daß Ihr von mir
Vergebung Euch erfleht, und nicht von Gott.
Leicht habt Ihr mich, Gott habt Ihr schwer gekränkt.
Viel edle Güter hat er Euch vertraut:
Kraft, Jugend, einen ritterlichen Arm!
Dies alles, wie ein trunkner Steuermann
Mutwillig zwischen Klippen treibt sein Schiff,
Statt es vorbeizulenken, setztet Ihr
Um eine Torheit tollkühn auf das Spiel.
Der Atem stockte mir, als ich zum Turm
Empor Euch klimmen sah, ich winkte Euch,
Denn rufen konnt ich nicht, Ihr ließt nicht ab,
Ich glaube gar, Ihr lachtet, häßlich klangs,
Kaum wußt ich, durft ich beten, durft ich nicht.
GOLO.
Sie hat für dich gebetet. Freue dich!
Nein, sei kein Tor! Sie tats nur, daß dein Bild
Sich nicht zerschmettert, blutig und entstellt,
Zu ihrem Herzen schleiche, und, sie kalt
Berührend, weck aus linder Seligkeit.
O, sei gewiß, den schwarzen Mörder selbst
Verschont in ihrer heilgen Näh der Blitz,
Damit er fallend nicht ein Blumenbeet
Beflecke, das ihr Düfte senden soll.
In Lächeln wandelte sich Gottes Zorn,
Als sie in Angst um mich emporgeschaut,
Und wie ein Vater, wenn sein Kind sich naht,
Vergißt, daß er den Diener strafen will,
So streut' er Lilien mit der rechten Hand,
Auf sie herab, und mit der linken gab
Er seinem Engel einen stummen Wink,[102]
Mir, ihretwegen, Schutz und Schirm zu sein.
Ich kann es ihr nicht danken, ihr Gebet;
Läg ich zu ihren Füßen jetzt, ein Klump,
Ein rauchender, von Knochen, Fleisch und Blut,
Sie würde weinen, und im Schmerz um mich,
Wär es auch nur auf einen Augenblick,
Vergessen, daß sie eines andern ist;
Ja, fühlen würde sies in tiefster Brust,
Daß ich ein Opfer ihrer Schönheit sei,
Und Liebe, welche stumm den Tod erwählt,
Sie wird verziehn, erwidert, nie verdammt.
GENOVEVA.
Ihr redet, Golo, warum nicht mit mir?
Ich sah Euch niemals so, Ihr seid wohl krank.
GOLO.
Ich bin ganz Wunde, und mich heilen, heißt
Mich töten!
GENOVEVA.
Seine ganze Krankheit ist
Die Jugend, die in ihrer Kraft erstickt,
Weil noch die Welt sie nicht zum Dienst berief.
Ei, Golo, blickt doch freudig auf, und fühlt,
Was ich gefühlt, als ich aus sichrem Tod
Euch stolz und trotzig wiederkehren sah.
Wenn Gott den Frevelmut des Jünglings schützt,
So ists ein Zeichen, daß er schon den Tag
Im Auge hat, wo er des Manns bedarf.
Erkennt dies still und beugt Euch demutvoll
Und harrt, bis er Euch winkt, er winkt gewiß!
GOLO erschüttert.
O!
GENOVEVA lächelnd.
Habt Ihrs heute doch mit Gott gemacht,
Wie einst mit Eurer Amme, wißt Ihrs wohl?
Herr Siegfried hat es mir erzählt, es kam,
Ich weiß nicht, wie, mir oft schon in den Sinn.
Als die einmal mit Euch am tiefen Rhein
Vorüber ging, da rieft Ihr, plötzlich Euch
Von ihr losreißend und dem blanken Strom
Zueilend: Bin ich wirklich dir so wert,
Wie du mir sagst, so zeigs! und sprangt hinein.
Sie stürzt Euch nach, und –
GOLO.
Noch erröte ich![103]
Ich konnte schwimmen, und sie wußt es nicht,
Sie konnt es nicht, und sank. Ich ward bezahlt.
Ein Fischer kam zuletzt und zog für tot
Sie aus den Wellen. In erstarrter Hand
Hielt sie mein Käpplein fest, als wär ichs selbst.
Das ging ans Herz mir. Ja, sie zeigte mir,
Was ich ihr galt.
GENOVEVA.
Gott hats Euch auch gezeigt!
Er hätt Euch seinen Engel nicht gesandt,
Wär Euch nicht eine Tat bestimmt, so groß,
So schwer, daß sie jedweden anderen
Zum Feigling machen wird, zum Helden Euch.
Und kommt dereinst ein Tag, der das verlangt,
Was Ihr verweigern könnt, und doch ein Mann
Noch bleiben, und ein tapfrer Mann dazu,
Dann denkt: Gott bin ichs schuldig! und vollbringts.
GOLO für sich.
Dem heilgen Fluß ist ihre Seele gleich,
Aus dem Aussätzge, niedertauchend, rein
Und leuchtend sich erhoben. Sünde kann
Sie sich nicht denken; was sie dafür hält,
Ist schlackig Gold, das gleich geläutert wird,
Sobald es ihr Gedanke nur erfaßt.
In plötzlicher Bewegung sein Schwert ziehend.
O Genoveva, weihe du mein Schwert!
GENOVEVA.
Am liebsten dazu, daß es immerdar
In seiner Scheide bleibe. Doch, es will
Geschwungen sein. So weih ichs denn als Weib,
Gedenkend meines eigenen Geschlechts,
Das, schwach und waffenlos, in seinem Feind
Zugleich den Freund und den Beschützer sieht,
Gedenkend dessen, was von Jugend auf
Als aller Greuel höchster mir erschien.
Wenn irgendwo ein edles Frauenbild,
Von einem ehrvergeßnen Mann verfolgt,
Nur kaum sich schnöder Übermacht erwehrt;
Wenn sie, durch wilde Wünsche, halb verhehlt,
Halb ausgesprochen, schon befleckt sich dünkt,
Und fort und fort sich nun in Tränen wäscht;[104]
Wenn alle Heilgen ferne sind, von Gott
Zurückgehalten, der den Himmlischen
Verbot, den irdschen Helden eine Tat
Zu rauben, die sie jenen zugesellt:
Dann hat dies Schwert
Sie berührt es.
ein Recht auf Blut, dann solls,
Der hart bedrängten Unschuld letzter Hort,
Dräuen, verwunden, töten, wenn es muß.
Ist doch das Schwert ein rächerischer Blitz,
Der, statt aus Himmelshöhn, aus dunklem Schoß
Der Erde kommt, die, innerlich ergrimmt
Ob all dem Frevel, den sie tragen muß,
Ihn sendet, daß er ihn bestraft und tilgt.
GOLO.
Ein Schauer faßt mich. Ist es nicht Gott selbst,
Der also zu mir spricht durch ihren Mund?
Zu Genoveva.
Wie kommt Ihr darauf?
GENOVEVA.
Habt Ihr nie gehört,
Was für ein Ende meine Schwester nahm?
In ernstem Kloster sah von ungefähr
Ein Ritter sie bei einem Kirchen-Fest.
Erglüht verfolgt' er Gottes reine Braut
Mit ungestümem Werben, plötzlich ihr
Zu Füßen stürzend, als sie ahnungslos
Bei Mondenlicht im Garten sich erging.
Sie floh entsetzt; er aber rief ihr nach:
Du sollst heraus aus dieser Mauern Kreis,
Und muß ich auch mit meiner eignen Hand
In Brand sie stecken, daß des Feuers Glut
Dich scheuche; der Äbtissin sagte sies,
Und in derselben Nacht noch ging des Herrn
Geweihtes Haus in düstern Flammen auf.
GOLO.
Und Eure Schwester?
GENOVEVA.
Keiner sah sie mehr.
Man meinte, daß sie in der Finsternis
Wohl nicht den Weg fand, der ins Freie führt.
Das glaub ich nicht. Sie wollte nur den Weg[105]
Nicht wandeln, welcher sie mit Schmach bedroht.
GOLO.
Entsetzlich!
GENOVEVA.
Wenn ich meines Herzens Trieb
Nicht folgte, der auch mich ins Kloster zog,
So war es nur, weil ich die Schwester dort
An jedem Ort in Flammen sterben sah.
Gern stellt ich sie mir nur mit Palmen vor,
Die Himmelskrone in dem goldnen Haar
Und stimmend in den Halleluja-Ruf.
Doch oft verwandelt sich vor meinem Blick
Ihr edles Bild, ich sehe sie verzerrt,
In Rauch und Qualm, ich höre ihren Schrei!
Sie geht in die Kapelle.
GOLO.
O, daß sie eine goldne Wolke jetzt
Dem trüben Kreis, wo man verlangt und wünscht,
Enthöbe! Denn, was auf die Erde sich
Herniederläßt, das will die Erde auch
Mit Banden, schwer und unrein, wie sie selbst,
Festketten, daß es adle ihren Staub.
Darum gebiert sie nichts Geflügeltes,
Als nur den Vogel, und der Vogel selbst,
Sobald er edel ist, kehrt nie zu ihr
Zurück, selbst dann nicht, wenn der Lenz die Flur
Mit allen seinen Blumen überdeckt.
Von ferne nur, von einem Blütenbaum,
Sieht er sich Lilien und Rosen an
Und schwingt sich dann zur Sonne wieder auf.
Nimm, Ewiger, nimm sie zu dir empor!
Nur, weil es Edelsteine gibt und Gold,
Gibts Räuber. O, ich fühl es, dieses Weib,
Wenn du nicht schnell sie unserm Blick entziehst,
Ruft Sünd ins Dasein, außerordentlich,
Wie ihre Schönheit, einzig, wie sie selbst![106]
Ausgewählte Ausgaben von
Genoveva
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