Achte Szene


[120] Golo tritt mit Ritter Tristan ein.


TRISTAN.

Gott grüß Euch, edle Frau!

GENOVEVA.

Er sei mit Euch!

TRISTAN halb für sich.

Ein echtes deutsches Weib! Vor jedem Blick

Aus eines Mannes Aug wird sie aufs neu

Zur Jungfrau, und verschließt sich in sich selbst!

GENOVEVA.

Saht Ihr noch niemals eine deutsche Frau?

TRISTAN.

Verzeiht. Ich komme aus dem Morgenland

Und grüße drum die Heimat doppelt warm.

Mich sendet Eur Gemahl, mein würdger Freund,

Mit seinem wärmsten Gruß und diesem Brief.


Er überreicht Genoveva einen Brief.


GENOVEVA.

O sprecht, wann kommt er selbst?[120]

TRISTAN.

Dies weiß nur Gott,

Der uns bis jetzt erst halben Sieg vergönnt.

GOLO.

Wie, Ritter? Ist der Krieg nicht aus? Und doch

Seh ich Euch hier? Verzeiht, dies wundert mich.

TRISTAN.

Mir fesselte ein Schwur den Arm.

GOLO.

Ein Schwur?

Ein Schwur, daß Ihr nicht kämpfen wollt? Bei Gott,

Das Wunderbarste, das ich je vernahm.

TRISTAN.

Ich spare, bis nachher, die Antwort mir.

GENOVEVA die inzwischen gelesen hat.

Der Brief ist gut. Allein, was seh ich hier?

Ein roter Fleck! Und offenbar von Blut!

TRISTAN.

Verzeiht! Ich ritzte neulich mir die Hand

An meinem neu erkauften Schwert.

GENOVEVA.

Nein! Nein!

Inwendig ist der Fleck. Das ist das Blut

Von meinem Siegfried. Euer Ritterwort,

Daß Ihr mir nichts verhehlen wollt!

TRISTAN.

Ich gebs!

GENOVEVA.

Mir meldet er, er sei gesund und wohl.

Ists wahr?

TRISTAN.

Darf ich ihn Lügen strafen?

GENOVEVA.

Sprecht!

TRISTAN.

Daß er verwundet wurde, schreibt er nicht?

Dann hat ers wohl vergessen. Ja, so gehts,

Wenn eine Wund so klein ist, daß sie dem

Zum Schimpf gereicht, der sie geschlagen hat.

Ich hatte auch einmal ein solches Ding:

Eh mans betrachten konnte, wars geheilt.

GENOVEVA.

Bedenkt, Ihr sprecht zu einer Frau!

TRISTAN.

Nun ja!

Ich sag auch nicht, es sei ein Nadelstich,

Das wär gewissermaßen falsch. Doch glaubt:

Die Narbe dieser Ritze wird sich sehr

Zu schämen haben, wenn sie sich dereinst

Mit ihren Schwestern auf der Brust vergleicht.

Der Pfalzgraf Siegfried ist ein reicher Mann,

Was Wunden anbetrifft, ihm tuts nicht not,[121]

Daß er die Schrammen mitzählt, wie ein Knapp.

GENOVEVA.

Wo ist die Wunde?

TRISTAN.

Wo das Herz nicht ist,

Und auch die Lunge nicht: im Oberarm.

Ich sah sie, als sie frisch war, denn ich kam

Den Tag ins Lager, wo er sie erhielt.

Mein Ritterwort: jetzt ist sie längst geheilt!

GENOVEVA.

Ich darf nicht zweifeln, und ich zweifle doch!

TRISTAN für sich.

Verfluchter Blutfleck! Warum schrieb er auch,

Als ihm gerad der Arm verbunden war.

Ich sollte schweigen. Ei, ich tats. Der Brief,

Der unvernünftge, ward zum Plauderer.


Laut.


Nun fällt mirs ein. Geschrieben war der Brief,

Bevor der Graf die Wunde noch erhielt.

Gesiegelt ward er später. Als ich ging,

Rief er mir noch mit muntrer Stimme nach:

Wenn über andern, die Euch selbst vielleicht

Betreffen, Euch mein Unfall nicht entfällt,

So sagt doch meiner Frau davon ein Wort.

Doch – setzt er schnell hinzu – sagt ihr zugleich,

Die kleine Wunde sei ihr bester Freund,

Sie sei ein Schild, der mich vor größern schützt,

Denn aus dem Feld hält sie mich doch entfernt,

Ich kann jetzt tanzen, aber fechten nicht.

GENOVEVA.

Herr Siegfried wird den Tod mit einem Scherz

Empfangen, daß ich mich nicht ängstige.

Nicht diese Reden, muntrer, als er selbst,

Mich tröstet Euer ritterliches Wort.

TRISTAN.

Das kanns.

GENOVEVA.

Ich dank Euch, Ritter. Golo, sorgt

Für unsern Gast.

TRISTAN.

Nicht weil' ich, edle Frau.

Fünf Jahre sinds, seit ich mein Weib nicht sah,

Ich weiß nicht, lebt sie oder ist sie tot,

Nun mein Geschäft bestellt ist, eile ich,

Sie aufzusuchen.


Zu Golo.


Doch zuvor ein Wort

Mit Euch noch, junger Herr.


Zu Genoveva.


Verzeihet mir,[122]

Es muß in Eurer Gegenwart geschehn.

Ich tat, wie ich gesagt, den Schwur, mein Schwert

Nie gegen einen Heiden mehr zu ziehn,

Entscheidet Ihr, ob ich ihn halten darf. –

Als ich vor Jahren mit dem großen Heer

Auszog ins Morgenland, das heilge Grab

Von seinen Drängern zu befrein, da fiel

Mit andern ich den Feinden in die Hand,

Weil wir zu ungestüm ums vorgewagt.

Umsonst ertrotzt ich mir den Tod, ich ward

Zum Sklaven erst, zum Gärtner dann gemacht,

Und in der Hoffnung auf den künftgen Tag

Trug ich des gegenwärtgen Schmach und Leid.

Mein Herr, der König, kam zum Garten nie,

Doch, seine junge Tochter, ernst und tief

In Schleier eingehüllt, betrat ihn oft.

Lang wandelte das Mägdlein an mir hin

Und schien mich nicht zu sehen, während ich,

Wie es die Sitte dort erheischt, sie floh.

Doch plötzlich ward sie anders, stand mir oft

Zur Seite, eh ich sie noch kommen sah,

Verlangte Blumen, oder eine Frucht,

Und wenn sie fortging, lag ein Edelstein

Zu meinen Füßen, auch wohl rotes Gold. –

In einer stummen Mitternacht, wo mich

Der Schlaf auf meinem Lager floh, trat sie

Mit leisen Schritten, zögernd bald, und bald

Zum Vorwärtsgehn sich zwingend, bei mir ein.

Sie wähnte, daß ich schliefe, lüftete

Den Schleier, seufzte, schlug ihn ganz zurück

Und trat mit ihrer Fackel an mein Bett.

Sie war so schön, daß ich, zum ersten Mal

Ihr Antlitz unverhüllt erblickend, mich

Als Wachenden durch einen hastgen Laut

Des Staunens, der Bewundrung, ihr verriet.

Den schien sie zu mißdeuten, beugte sich

Auf mich herab, und sprach: ich wußt es ja,

Daß du mich lieben mußtest, nun gereut[123]

Michs nimmer, daß ich kühn mich zu dir schlich.

Wie eine Kohle, fühlt ich ihren Mund

Auf meinem, heiße Zähren doch dabei

Entstürzten ihren Augen, Wang und Stirn

Mir netzend, warmen Regentropfen gleich.

Ich wand mich ernst aus ihren Armen, sie

Stand regungslos, und starrte nach mir hin,

Als wär das Ungeheuerste geschehn.

Dann ward ihr Angesicht zur Flamme, stolz

Hob sich ihr Busen, drohend rief sie aus:

Was lebst du denn, wenn du nicht lieben kannst!

»Ich habe längst ein Weib – versetzt ich sanft –

Und keine lieb ich, als die eine nur!«

»Er hat ein Weib! – sie wiederholt es dumpf –

Und keine liebt er, als die eine nur!«

Sie ward zu Stein, ich nahte ihr, da stieß

Sie mich zurück und schwankte aus der Tür.

Bald kehrte sie, drei Schwarze folgten ihr,

Von denen einer einen Becher trug.

Sie sah mich nicht mehr an, sie zitterte

Und sprach, wie eine Tote spricht: trink aus!

»Ich trinke!« rief ich, heftete den Blick

Auf sie, und trank, und hielt den Trank für Gift,

Von der Verschmähten rächend mir gereicht,

Damit ich nie verriete, was sie tat.

Bald schwand mir das Bewußtsein, kalt, wie Eis,

Auf meinen Lippen fühlte ich den Druck

Der ihren, von mir stoßen wollt ich sie,

Doch schon versagte meinem Arm die Kraft.


Nach einer langen Pause.


Wo wacht ich auf? Auf einem schnellen Schiff,

Das mich gerades Wegs zur Heimat trug!

Nicht Gift: sie hatte einen Schlaftrunk mir

Gemischt, der Hirn und Sinne still betäubt,

Und schlummernd durch verschwiegne Diener mich

Hinunter bringen lassen an den Strand.

Von solchem hohen Edelmut besiegt,

Schwur ich mir unter Tränen glühnder Scham,[124]

In einem Heiden nie jetzt noch den Feind,

In ihm Fatimens Bruder nur zu sehn.

Darf ich ihn halten? – Edle Frau, lebt wohl!


Er geht rasch ab. Golo folgt ihm.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 120-125.
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