[278] Das ist ein Geigen und Flöten
Bis über das Dorf hinaus:
Sie feiern die Kirmeß heute
Mit Tanz und Spiel und Schmaus.
Wenn ich ein Mädchen wäre,
So schaut' ich die Burschen an,
Doch jetzt betracht' ich die Mädchen,
Ein Mann sucht keinen Mann!
Die Blonde hat mir gefallen,
So lang' ich die Braune nicht sah,
Jetzt ist mir, als hätt' ich gesündigt;
Ei, war sie denn schon da?
Es darf sie nur Einer küssen,
Doch Jeder tanzt mit ihr,
Und auch den plattsten Gesellen
Vergoldet ihr Auge mir.
Und schlägt sie's erglühend nieder,
Weil sie des Sponsen sich schämt,
Erhebt es dafür das seine,
Man sieht, daß ihn's nicht grämt.
Und dies gefällt mir eben,
Er fühlt die Ehre doch,
Und denkt er daran im Alter,
So steift sich sein Rücken noch.
Im Alter, ach, im Alter!
Ja, ja, wir werden alt!
Er, ich, du selbst, wir Alle,
Wir werden alt und kalt![278]
Die Kinder stecken des Abends
Zuweilen Papier in Brand
Und legen's auf den Ofen
Und kauern sich um den Rand.
Sie freu'n sich der hüpfenden Funken
Mit Grau und Schwarz vermischt,
Und wetten, wer von Allen
Am letzten wohl erlischt.
Wir hüpfen, wie diese Funken,
Ueber der Erde Rund
Und leuchten vielleicht am hellsten
In dieser frohen Stund'.
Wer weiß, wer von uns Allen
Zuletzt erlöschen mag?
Der weiß auch, wer am längsten
Erzählt von diesem Tag!
Du schönstes Kind, ich ahne,
Das wirst du selber sein,
Ich sehe dich, wie doppelt,
Maifrisch, und alt, wie Stein.
Jetzt drehst du dich im Reigen,
So reizend und geschwind,
Wie dort das Rosenblättchen
Im Sommerabendwind.
Jetzt hockst du blind im Lehnstuhl,
Die Enkel um dich her,
Du sprichst von diesem Tage,
Sie glauben, von einer Mähr'.
Du streichelst mit knöchernem Finger
Die Enkelin, die dir gleicht,[279]
Du sagst: ich war dir ähnlich,
So jung, so schön, so leicht!
Sie aber kann's nicht glauben,
Und das verdenk' ich ihr nicht,
Sie müßte sich sagen: ich selber
Bekomm' einst ein solches Gesicht!
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe letzter Hand)
|
Buchempfehlung
Das chinesische Lebensbuch über das Geheimnis der Goldenen Blüte wird seit dem achten Jahrhundert mündlich überliefert. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Richard Wilhelm.
50 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro