Großmutter

[240] Mit Ehrfurcht stand ich einst vor dir,

In einer ernsten Stunde,

Den Segen, fromm, erbat ich mir

Von deinem heil'gen Munde.

Du sahst nicht mehr, du hörtest kaum,

Kalt waren deine Hände,

Und, sprachst du, war's, als ob im Traum

Ein Todter Worte fände.


Du strichst die Locken mir zurück,

Dann frugst du manche Sachen

Und batest mich, dein letztes Glück

Im Alter noch zu machen.

»Sie sagten mir, du wärest todt!«

Dumpf riefst du's aus und weintest;

Da ward mir klar in deiner Noth,

Daß du den Vater meintest.


Von seinem Leben sprachst du nun,

Als wär's mein eig'nes Leben;

Ich sah ihn in der Wiege ruh'n,

Mit Wonne dich darneben;

Ich gab durch manches schöne Jahr

Gerührt ihm das Geleite;

Ich sah ihn endlich am Altar,

An meiner Mutter Seite.


Manch schlichtes Glück erfreute ihn,

Ich wurde ihm geboren;

Mein Bruder dann; jetzt aber schien

Der Faden dir verloren.

Du stocktest plötzlich, brachest ab

Und frugst, was nun gekommen,[240]

Ich dachte an sein frühes Grab,

Doch schwieg ich, tief beklommen.


Du schluchztest, aufgethaut und weich,

Als hätt'st du Nichts vergessen,

Und doch begannest du zugleich,

Von einer Frucht zu essen.

Den Stuhl zum Ofen schobst du dann,

Dich wieder einsam wähnend,

Und fingest laut zu beten an,

Dein Haupt vorüber lehnend.


Ich aber sah von fern die Zeit

Auch mein schon dunkel harren,

Wo mir die Welt Nichts weiter beut,

Als Gräber aufzuscharren,

Und, weil dem schlotternden Gebein

Sich noch versagt das Bette,

Ich, selbst verglüht, in Gottes Sein

Mich still hinüber rette.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. 1. Abteilung: Werke, Berlin [1911 ff], S. 240-241.
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