Baumzucht

[249] Der Adjunkt tritt mit schwarzen Lippen, ohne daß er's weiß, mit blauen Zähnen und herabhängenden Schnüren an den Beinkleidern, zu dem Hausfreund. »Die Kirschen«, sagt er, »schmecken mir doch nie besser, als wenn ich selber frei und keck wie ein Vöglein auf den luftigen Baum kann sitzen, und essen frisch weg von den Zweigen die schönsten, – auf einem Ast ich, auf einem andern ein Spatz.«

»Wir nähren uns doch alle«, sagt er, »an dem nämlichen großen Hausvaterstisch und aus der nämlichen milden Hand die Biene, die Grundel im Bach, der Vogel im Busch, das Rößlein und der Herr Vogt, der darauf reitet.«

»Hausfreund«, sagt der Adjunkt, »singt mir einmal in Eurer Weise das Liedlein vom Kirschbaum. Ich will dazu pfeifen auf dem Blatt.«


Der lieb Gott het zum Frühlig gseit:

»Gang, deck im Würmli au si Tisch!«

Druf het der Chries-Baum Blätter treit

viel tausig Blätter grün und frisch.


Und's Würmli usem Ey verwachts,

's het gschlofen in si'm Winterhuus,

es streckt si, und spert's Müüli uf,

und ribt die blöden Augen us.


Und druf se hets mit stillem Zahn

am Blättli g'nagt enander no

und gseit: »Wie ist das Gemües so gut!

Me chunnt schier nimme weg dervo.«


Und wieder het der lieb Gott gseit:

»Deck jez im Imli au si Tisch.«

Druf het der Chriesbaum Blüethe treit,

viel tausig Blüethe wiiß und frisch.[249]


Und's Immli siehts und fliegt druf los,

früeih in der Sunne Morge-Schin.

Es denkt: »Das wird mi Caffe sy,

si hen doch chosper Porzelin.


Wie sufer sin die Chächeli gschwenkt!«

Es streckt si trochche Züngli dri.

Es trinkt und seit: »Wie schmeckts so süeß,

do mueß der Zucker wohlfel sy.«


Der lieb Gott het zum Summer gseit:

»Gang, deck im Spätzli au si Tisch!«

Druf het der Chriesbaum Früchte treit.

Viel tausig Chriesi roth und frisch.


Und's Spätzli seit: »Isch das der B'richt?

do sizt me zu, und frogt nit lang.

Das git mer Chraft in Mark und Bei',

und stärkt mer d'Stimm zum neue Gsang.«


»Hausfreund«, sagt der Adjunkt, »hat Euch auch manchmal der Feldschütz verjagt ab den Kirschbäumen in Eurer Jugend? Und habt Ihr, wenn's noch so dunkel war, den Weg doch gefunden auf die Zwetschgenbäume im Pfarrgarten zu Schopfen, und Apfel und Nüsse eingetragen auf den Winter, wie meiner Frau Schwiegermutter ihr Eichhörnlein, das sie Euch geschenkt hat? Man denkt doch am längsten dran, was einem in der Jugend begegnet ist.«

»Das geht natürlich zu«, sagt der Hausfreund, »man hat am längsten Zeit daran zu denken.«


Der lieb Gott het zum Spötlig gseit:

»Ruum ab! sie hen jez alli g'ha.«

Druf het e chüele Bergluft gweiht,

und's het scho chleini Rife g'ha,


Und d'Blättli werde gel und roth

und fallen eis im andere no[250]

und was vom Boden obsi chunnt,

mueß au zum Bode nidsi go.


Der lieb Gott het zum Winter gseit:

»Deck weidli zu, was übrig ist.«

Druf het der Winter Flocke gstreut –


»Hausfreund«, sagt der Adjunkt, »Ihr seid ein wenig heiser. Wenn ich die Wahl hätte ein eigenes Kühlein oder ein eigener Kirschbaum, oder Nußbaum, lieber ein Baum.«

Der Hausfreund sagt: »Adjunkt Ihr seid ein schlauer Gesell. Ihr denkt, wenn ich einen eigenen Baum hätte, so hätt ich auch einen eigenen Garten, oder Acker, wo der Baum darauf steht. Eine eigene Haustür wäre auch nicht zu verachten, aber mit einem eigenen Kühlein auf seinen vier Beinen könntet Ihr übel dran sein.«

»Das ist's eben«, sagt der Adjunkt, »so ein Baum frißt keinen Klee und keinen Haber. Nein er trinkt still wie ein Mutterkind den nährenden Saft der Erde, und saugt reines warmes Leben aus dem Sonnenschein, und frisches aus der Luft, und schüttelt die Haare im Sturm. Auch könnte mir das Kühlein zeitlich sterben. Aber so ein Baum wartet auf Kinder und Kindeskinder mit seinen Blüten, mit seinen Vogelnestern und mit seinem Segen. Die Bäume wären die glücklichsten Geschöpfe, meint der Adjunkt, wenn sie wüßten, wie frei und lustig sie wohnen, wie schön sie sind im Frühling und in ihrem Christkindleinsstaat im Sommer, und alles stehenbleibt und sie betrachtet und Gott dankt, oder wenn der Wanderer ausruht in ihrem Schatten, und ein Pfeiflein Tabak genießt, oder ein Stücklein Käs, und wie sie gleich dem Kaiser Wohltaten austeilen können, und jung und alt froh machen umsonst, und im Winter allein nicht heimgehen. Nein sie bleiben draußen und weisen den Wandersmann zurecht, wenn Fahrwege und Fußpfade verschneit sind. Rechts – jetzt links – jetzt noch ein wenig links über das Berglein.«

»Hausfreund«, sagt der Adjunkt, »wenn Ihr einmal Vogt werdet, Stabhalter seid Ihr schon, oder gar Kreisrat, das Alter hättet Ihr, so müßt Ihr Euere Untergebenen fleißig zur[251] Baumzucht und zur Gottseligkeit anhalten, und ihnen selber mit einem guten Beispiel voranleuchten. Ihr könnt Euerer Gemeinde keinen größeren Segen hinterlassen. Denn ein Baum, wenn er gesetzt oder gezweigt wird, kostet nichts oder wenig, wenn er aber groß ist, so ist er ein Kapital für die Kinder, und trägt dankbare Zinsen. Die Gottseligkeit aber hat die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens.«

»Wenn ich mir einmal so viel bei Euch erworben habe«, sagt der Adjunkt zum Hausfreund, »daß ich mir ein eigenes Gütlein kaufen, und meiner Frau Schwiegermutter ihre Tochter heiraten kann, und der liebe Gott beschert mir Nachwuchs, so setze ich jedem meiner Kinder ein eigenes Bäumlein, und das Bäumlein muß heißen wie das Kind, Ludwig, Johannes, Henriette, und ist sein erstes eigenes Kapital und Vermögen, und ich sehe zu, wie sie miteinander wachsen und gedeihen, und immer schöner werden, und wie nach wenig Jahren das Büblein selber auf sein Kapital klettert und die Zinsen einzieht. Wenn mir aber der liebe Gott eines von meinen Kindern nimmt, so bitte ich den Herrn Pfarrer oder den Dekan, und begrabe es unter sein Bäumlein, und wenn alsdann der Frühling wiederkehrt, und alle Bäume stehen wie Auferstandene von den Toten in ihrer Verklärung da, voll Blüten und Sommervögel und Hoffnung, so lege ich mich an das Grab, und rufe leise hinab: ›Stilles Kind, dein Bäumlein blüht. Schlafe du indessen ruhig fort! Dein Maitag bleibt dir auch nicht aus.‹«

Er ist kein unwäger Mensch der Adjunkt.

[1811]

Quelle:
Johann Peter Hebel: Poetische Werke. München 1961, S. 249-252.
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