Sommerlied

[63] Blaue Berge!

Von den Bergen strömt das Leben.

Reine Luft für Mensch und Vieh;

Wasserbrünnlein spat und früh

Müssen uns die Berge geben.

Frische Matten!

Grüner Klee und Dolden schießen;

An der Schmehle schlank und fein

Glänzt der Tau wie Edelstein,

Und die klaren Bächlein fließen.

Schlanke Bäume!

Muntrer Vögel Melodeien

Tönen im belaubten Reis,

Singen laut des Schöpfers Preis.

Kirsche, Birn und Pflaum gedeihen.

Grüne Saaten!

Aus dem zarten Blatt enthüllt sich

Halm und Ähre, schwanket schön,

Wenn die milden Lüfte wehn,

Und das Körnlein wächst und füllt sich.

An dem Himmel

Strahlt die Sonn im Brautgeschmeide,

Weiße Wölklein steigen auf,

Ziehn dahin im stillen Lauf.

Gottes Schäflein gehn zur Weide.[63]

Herzensfrieden,

Woll ihn Gott uns allen geben!

O dann ist die Erde schön.

In den Gründen, auf den Höhn

Wacht und singt ein frohes Leben

Schwarze Wetter

Überziehn den Himmelsbogen,

Und der Vogel singt nicht mehr.

Winde brausen hin und her,

Und die wilden Wasser wogen.

Rote Blitze

Zucken hin und zucken wider,

Leuchten über Wald und Flur.

Bange harrt die Kreatur.

Donnerschläge stürzen nieder.

Gut Gewissen,

Wer es hat, und wer's bewachet,

In den Blitz vom Weltgericht

Schaut er, und erbebet nicht,

Wenn der Grund der Erde krachet.

[1807]


Quelle:
Johann Peter Hebel: Poetische Werke. München 1961, S. 63-64.
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