Zimmer in Mac-Gregors Schloß


[559] Margarete (kauert bewegungslos in einer Ecke).

Mac-Gregor. Maria. Douglas.


MAC-GREGOR er legt Douglas' und Marias Hände ineinander.

Ihr seid jetzt Mann und Weib. Wie eure Hände

Vereinigt sind, so sollen auch die Herzen,

In Leid und Freud, vereinigt sein auf immer.

Zwei mächt'ge Sakramente, das der Kirche

Und das der Liebe, haben euch verbunden;

Ein Doppelsegen ruht auf euren Häuptern;

Und auch den Vatersegen leg ich drauf.


Er legt segnend seine Hände auf beider Haupt.


DOUGLAS.

Mit Stolz, Mylord, nenn ich Euch heute: Vater.

MAC-GREGOR.

Mit noch weit größerm Stolz nenn ich Euch: Sohn.


Sie umarmen sich.


MARGARETE singt im abgebrochenen Wahnsinntone.

»Was ist von Blut dein Schwert so rot?

Edward, Edward?«

DOUGLAS erschrocken auffahrend und nach Margarete schauend.

Um Gott, Mylord, welch gläsern geller Laut?

Es fängt zu singen an, das stumme Bild –[559]

MAC-GREGOR mit erzwungenem Lächeln.

Stört Euch nicht dran. Es ist die tolle Margarete,

Gehört zum Schloß. Sie leidet an der Starrsucht,

Seit Jahr und Tag. Mit stieren Augen liegt sie

Gekauert, manch unheimlich lange Stunde;

Und dann und wann, wie 'n Stein, der sprechen kann,

Bewegungslos, quäkt sie ein altes Lied –

DOUGLAS.

Warum behaltet Ihr im Schloß solch Schrecknis?

MAC-GREGOR leise zu ihm.

Still, still. Sie hört jedwedes Wort; – schon lange

Hätt ich sie fortgeschafft – doch darf ich nicht.

MARIA.

Laßt ruhn die arme, gute Margarete.

Erzählt mir lieber etwas Neues, Douglas.

Wie sieht's in London aus? Bei uns in Schottland

Erfährt man nichts.

DOUGLAS.

Noch ist's das alte Treiben.

Man rennt, und fährt, und jagt, Straß' auf, Straß' ab.

Man schläft des Tags, und macht zum Tag die Nacht.

Vauxhall und Routs und Picknicks drängen sich;

Und Drurylane und Coventgarden locken.

Die Oper rauscht. Pfundnoten wechselt man

Für Musiknoten ein. »God save the King«

Wird mitgebrüllt. Die Patrioten liegen

In dunkeln Schenken und politisieren,

Und subskribieren, wetten, fluchen, gähnen,

Und saufen auf das Wohl des Vaterlands.

Roastbeef und Pudding dampft, der Porter schäumt,

Und sein Rezept schreibt lächelnd der Quacksalber.

Die Taschendiebe drängen. Gauner quälen

Mit ihrer Höflichkeit. Der Bettler quält

Mit seinem Jammeranblick und Gewimmer.

Vor allem quält die unbequeme Tracht,[560]

Der enge Wespenrock, das steife Halsband,

Und gar der babylonisch hohe Turmhut.

MAC-GREGOR.

Da lob ich mir mein Plaid und meine Mütze.

Ihr tatet gut, daß Ihr die Narrenkleider

Vom Leib geworfen habt. Ein Douglas muß

Im Äußern auch ein Schotte sein, und heute

Lacht mir das Herz im Leib, wenn ich Euch schaue,

Euch alle, in der lieben Schottentracht.

MARIA.

Erzählt mir was von Eurer Reise, Douglas.

DOUGLAS.

Zu Wagen fuhr ich bis an Schottlands Grenze.

Das ging mir viel zu langsam. In Old-Jedburgh

Nahm ich ein Pferd. Ich gab dem Tier die Spor'n.

Mich selber aber spornte Liebessehnsucht.

Ich dachte nur an Euch, Marie, und pfeilschnell,

Durch Busch und Berg und Feld, trug mich mein Roß.

Im Wald bei Invernes wär mir's bald schlecht

Bekommen, daß ich in Gedanken ritt.

Piff! Paff! erweckten mich aus meinen Träumen

Die Kugeln, die mir um die Ohren pfiffen.

Drei Straßenräuber stürzten auf mich ein.

Ein Kampf begann. Es regneten die Hiebe.

Ich wehrte mich der Haut; doch unterliegen

Hätt ich wohl müssen –

O weh! Marie erbleicht,

Und wankt, und sinkt –


Margarete springt hastig auf und hält die in Ohnmacht fallende Maria in ihren Armen.


MARGARETE.

O weh! mein rotes Püppchen

Ist kreideblaß, und kalt wie Stein. O weh!


Halb singend, halb sprechend und Maria streichelnd.
[561]

»Püppchen klein, Püppchen mein,

Schließe auf die Äugelein!


Püppchen fein, du mußt sein

Nicht so kalt wie Marmelstein.


Rosenschein will ich streun

Auf die weißen Wängelein.« –

MAC-GREGOR.

Halt ein, verrücktes Weib, mit Wahnsinnsprüchen

Betörst du ihr noch mehr das kranke Haupt –

MARGARETE mit dem Finger drohend.

Du? du? willst schelten? Wasch dir erst die Hände,

Die roten Hände; du befleckst mit Blut

Klein Püppchens weißes Hochzeitkleid. Geh fort.

Ich rat dir gut.

MAC-GREGOR ängstlich.

Die tolle Alte faselt! –

MARGARETE singend.

»Püppchen klein, Püppchen mein,

Schließe auf die Äugelein!«

MARIA sie erwacht aus ihrer Ohnmacht und lehnt sich an Margarete.

Erzählt nur weiter, wie es ging. Ich höre.

DOUGLAS.

Es tut mir leid – was ich erzählt – doch hört:

Ein andrer Reiter sprengte rasch herbei,

Fiel jenen Räubern plötzlich in den Rücken,

Und hieb drauflos mit Kraft. Ich selbst bekam

Jetzt neuen Mut und freies Spiel. Wir schlugen

Die Hunde in die Flucht. Ich wollte danken

Dem edlen Retter. Aber dieser rief:

»Ich habe keine Zeit«, und jagte weiter.[562]

MARIA lächelnd.

Ach, Gott sei Dank! Ihr habt mich sehr geängstigt.

Jetzt bin ich wieder wohl. Margarete, führ mich.

Freundinnen warten meiner in dem Saal.

MARGARETE ängstlich zu Mac-Gregor.

Du, sei nicht bös. Die arme Margarete ist

Nicht immer toll.

MAC-GREGOR.

Geht nur, wir folgen gleich.


Maria und Margarete gehen ab.

Mac-Gregor. Douglas.


DOUGLAS.

Ich staune, ist Marie so krankhaft reizbar?

Sie ist so ängstlich heute; sie erbleicht

Und zittert bei dem leisesten Geräusch –

MAC-GREGOR.

Douglas! ich will und darf's Euch nicht verhehlen,

Was heut so sehr Mariens Seele ängstigt.

Verzeiht, daß ich's Euch früher nicht eröffnet.

Tollkühn ist Euer Mut, und die Gefahr,

Die ich mit Klugheit von Euch abgewendet,

Hättet Ihr selber rastlos aufgesucht;

Fort hätt es Euch getrieben, ihn zu zücht'gen,

Den Frevler, der Mariens Ruhe störte.

DOUGLAS.

Wer darf Mariens Ruh' gefährden, sprecht?

MAC-GREGOR.

Hört ruhig an die traurige Geschichte.

Sechs Jahre sind es jetzt, da kehrte ein

Bei uns ins Schloß ein fahrender Student

Aus Edinburgh, mit Namen William Ratcliff.[563]

Den Vater hatt ich einst gekannt, recht gut,

Recht gut, recht gut, er hieß Sir Edward Ratcliff.

Gastfreundlich nahm ich also auf den Sohn,

Und gab ihm Speis' und Obdach, vierzehn Tage.

Er sah Marie, und sah ihr in die Augen,

Und sah dort viel zu tief, begann zu seufzen,

Zu schmachten und zu ächzen – bis Maria

Ihm rund erklärte: daß er lästig sei.

Die Liebe packt' er in den Korb und ging. –


Zwei Jahre drauf kam Philipp Macdonald,

Der Earl von Ais, warb um Mariens Hand,

Und warb mit gutem Glück, und nach sechs Monden

Stand am Altare, hochzeitlich geschmückt,

Die holde Braut – der Bräut'gam aber fehlte.

Wir suchten überall, in allen Zimmern,

Im Hof, im Stall, im Garten – Ach! da fand man

Am Schwarzenstein den Leichnam Macdonalds.

DOUGLAS.

Wer war der Mörder?

MAC-GREGOR.

Lange war vergeblich

All unser Forschen – da gestand Maria,

Daß sie den Mörder kenne, und erzählte:

In jener Nacht, die auf den Mordtag folgte,

Sei William Ratcliff in ihr Schlafgemach

Plötzlich getreten, habe lachend ihr

Die Hand gezeigt, noch rot vom Blut des Bräut'gams,

Und habe Macdonalds Verlobungsring

Ihr dargereicht mit zierlicher Verbeugung.

DOUGLAS.

Verruchtheit! Welcher Hohn! Was tatet Ihr?

MAC-GREGOR.

Ich ließ den Leichnam Macdonalds beisetzen

In seines eignen Schlosses Ahnengruft,[564]

Und an der Stätte, wo der Mord geschah,

Pflanzt ich ein Kreuz, zum ewigen Gedächtnis.


Den Mörder Ratcliff suchte ich vergebens.

Man hatte ihn zuletzt gesehn in London,

Wo er, nach seiner Mutter Tod, sein Erbteil

In Saus und Braus verpraßte, und nachher

Von Spiel und Borg, und gar, wie ein'ge sagen,

Vom ritterlichen Straßenraube lebte.


Verstrichen waren seit der Zeit zwei Jahre,

Und Mord und Mörder waren fast vergessen,

Da kam hierher in unser Schloß Lord Duncan,

Hielt bei mir an um meiner Tochter Hand.

Ich will'gte ein, und mir gelang es auch,

Marias Jawort einem Mann zu schaffen,

Der aus dem Stamm der Schottenkön'ge sproßt.

Doch wehe uns! Bald stand am Hochaltar,

Festlich geschmückt, die heimlich bange Braut –

Und Duncan lag am Schwarzenstein erschlagen!

DOUGLAS.

Entsetzlich!

MAC-GREGOR.

»Auf! Steigt auf zu Roß!« rief ich

Den Knechten, und wir jagten und wir suchten,

In Busch und Feld, in Wäldern und in Klüften,

Drei Tage lang, jedoch umsonst, wir fanden

Die Spur des Mörders nirgends.

Ach! und dennoch,

Dieselbe Nacht von jenem Schreckenstag

Schlich William Ratcliff in Mariens Kammer,

Verhöhnte sie, und gab ihr zierlich grüßend

Des Bräutigams Verlobungsring zurück.

DOUGLAS.

Bei Gott! der Mensch ist kühn! den möcht ich treffen.[565]

MAC-GREGOR.

Er war's gewiß, den Ihr schon habt getroffen

Im Wald bei Invernes. Nur wundr' ich mich,

Daß keiner meiner Späher ihn gesehn; –

Denn, Graf, ich hab dafür gesorgt, daß ich

Nicht Euren Namen auch zu setzen brauche –

Auf das Gedächtniskreuz am Schwarzenstein.


Er geht ab.


DOUGLAS allein.

Aus Klugheit hat's Mac-Gregor mir verschwiegen

Bis nach der Trauung. Oh, das ist ein Fuchs!

Doch messen möcht ich mich mit jenem Trotzkopf,

Der finster grollend stets Marien ängstigt.

Mir soll er nicht den Ring vom Finger ziehen,

Denn wo mein Finger ist, ist auch die Hand.

Ich liebe nicht Marien, und ich bin

Auch nicht geliebt von ihr. Die Konvenienz

Hat unsern heut'gen Ehebund geschlossen.

Doch herzlich gut bin ich dem sanften Mädchen.

Ich möcht von Dornen ihre Pfade säubern –


Lesley, im Mantel gehüllt und sich vorsichtig umsehend, tritt herein.

Douglas. Lesley.


LESLEY.

Seid Ihr Graf Douglas?

DOUGLAS.

Ja, ich bin's, was wollt Ihr?

LESLEY er gibt ihm einen Brief.

So ist an Euch dies niedliche Billett.

DOUGLAS er hat den Brief gelesen.

Ja, ja! Sagt ihm, ich komm. Am Schwarzenstein!


Beide gehn ab.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 559-566.
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