66.

[137] Mir träumt': Ich bin der liebe Gott,

Und sitz im Himmel droben,

Und Englein sitzen um mich her,

Die meine Verse loben.


Und Kuchen eß ich und Konfekt

Für manchen lieben Gulden,

Und Kardinal trink ich dabei,

Und habe keine Schulden.


Doch Langeweile plagt mich sehr,

Ich wollt, ich wär auf Erden,

Und wär ich nicht der liebe Gott,

Ich könnt des Teufels werden.


»Du langer Engel Gabriel,

Geh, mach dich auf die Sohlen,

Und meinen teuren Freund Eugen

Sollst du herauf mir holen.


Such ihn nicht im Kollegium,

Such ihn beim Glas Tokaier;

Such ihn nicht in der Hedwigskirch',

Such ihn bei Mamsell Meyer.«
[137]

Da breitet aus sein Flügelpaar

Und fliegt herab der Engel,

Und packt ihn auf, und bringt herauf

Den Freund, den lieben Bengel.


»Ja, Jung', ich bin der liebe Gott,

Und ich regiere die Erde!

Ich hab's ja immer dir gesagt,

Daß ich was Rechts noch werde.


Und Wunder tu ich alle Tag',

Die sollen dich entzücken,

Und dir zum Spaße will ich heut

Die Stadt Berlin beglücken.


Die Pflastersteine auf der Straß',

Die sollen jetzt sich spalten,

Und eine Auster, frisch und klar,

Soll jeder Stein enthalten.


Ein Regen von Zitronensaft

Soll tauig sie begießen,

Und in den Straßengössen soll

Der beste Rheinwein fließen.


Wie freuen die Berliner sich,

Sie gehen schon ans Fressen;

Die Herren von dem Landgericht,

Die saufen aus den Gössen.


Wie freuen die Poeten sich

Bei solchem Götterfraße!

Die Leutnants und die Fähnderichs,

Die lecken ab die Straße.
[138]

Die Leutnants und die Fähnderichs,

Das sind die klügsten Leute,

Sie denken: alle Tag' geschieht

Kein Wunder so wie heute.«


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 137-139.
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