1. Krönung

[177] Ihr Lieder! Ihr meine guten Lieder!

Auf, auf! und wappnet euch!

Laßt die Trompeten klingen,

Und hebt mir auf den Schild

Dies junge Mädchen,

Das jetzt mein ganzes Herz

Beherrschen soll, als Königin.


Heil dir! du junge Königin!


Von der Sonne droben

Reiß ich das strahlend rote Gold,

Und webe draus ein Diadem

Für dein geweihtes Haupt.

Von der flatternd blauseidnen Himmelsdecke,

Worin die Nachtdiamanten blitzen,

Schneid ich ein kostbar Stück,

Und häng es dir, als Krönungsmantel,

Um deine königliche Schulter.

Ich gebe dir einen Hofstaat

Von steifgeputzten Sonetten,

Stolzen Terzinen und höflichen Stanzen;

Als Läufer diene dir mein Witz,

Als Hofnarr meine Phantasie,[177]

Als Herold, die lachende Träne im Wappen,

Diene dir mein Humor.

Aber ich selber, Königin,

Ich knie vor dir nieder,

Und huld'gend, auf rotem Sammetkissen,

Überreiche ich dir

Das bißchen Verstand,

Das mir, aus Mitleid, noch gelassen hat

Deine Vorgängerin im Reich.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 177-178.
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