38.

[87] Manch Bild vergessener Zeiten

Steigt auf aus seinem Grab,

Und zeigt, wie in deiner Nähe

Ich einst gelebet hab.


Am Tage schwankte ich träumend

Durch alle Straßen herum,[87]

Die Leute verwundert mich ansahn,

Ich war so traurig und stumm.


Des Nachts, da war es besser,

Da waren die Straßen leer;

Ich und mein Schatten selbander,

Wir wandelten schweigend einher.


Mit widerhallendem Fußtritt

Wandelt ich über die Brück';

Der Mond brach aus den Wolken

Und grüßte mit ernstem Blick.


Stehn blieb ich vor deinem Hause,

Und starrte in die Höh',

Und starrte nach deinem Fenster –

Das Herz tat mir so weh.


Ich weiß, du hast aus dem Fenster

Gar oft herabgesehn,

Und sahst mich im Mondenlichte

Wie eine Säule stehn.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 87-88.
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