10


Himmelfahrt

[219] Der Leib lag auf der Totenbahr',

Jedoch die arme Seele war,

Entrissen irdischem Getümmel,

Schon auf dem Wege nach dem Himmel.


Dort klopft' sie an die hohe Pforte,

Und seufzte tief und sprach die Worte:

»Sankt Peter, komm und schließe auf!

Ich bin so müde vom Lebenslauf –

Ausruhen möcht ich auf seidnen Pfühlen

Im Himmelreich, ich möchte spielen

Mit lieben Englein Blindekuh

Und endlich genießen Glück und Ruh'!«


Man hört Pantoffelgeschlappe jetzund,

Auch klirrt es wie ein Schlüsselbund,

Und aus einem Gitterfenster am Tor

Sankt Peters Antlitz schaut hervor.


Er spricht: »Es kommen die Vagabunde,

Zigeuner, Polacken und Lumpenhunde,

Die Tagediebe, die Hottentotten –

Sie kommen einzeln und in Rotten,

Und wollen in den Himmel hinein

Und Engel werden und selig sein.

Holla! Holla! Für Galgengesichter

Von eurer Art, für solches Gelichter

Sind nicht erbaut die himmlischen Hallen –

Ihr seid dem leidigen Satan verfallen.

Fort, fort von hier! und trollt euch schnelle

Zum schwarzen Pfuhle der ewigen Hölle –«
[219]

So brummt der Alte, doch kann er nicht

Im Polterton verharren, er spricht

Gutmütig am Ende die tröstenden Worte:

»Du arme Seele, zu jener Sorte

Halunken scheinst du nicht zu gehören –

Nu! Nu! Ich will deinen Wunsch gewähren,

Weil heute mein Geburtstag just

Und mich erweicht barmherzige Lust –

Nenn mir daher die Stadt und das Reich,

Woher du bist; sag mir zugleich,

Ob du vermählt warst? – Eh'liches Dulden

Sühnt oft des Menschen ärgste Schulden;

Ein Eh'mann braucht nicht in der Hölle zu schmoren,

Ihn läßt man nicht warten vor Himmelstoren.«


Die Seele antwortet: »Ich bin aus Preußen,

Die Vaterstadt ist Berlin geheißen.

Dort rieselt die Spree, und in ihr Bette

Pflegen zu wässern die jungen Kadette;

Sie fließt gemütlich über, wenn's regent –

Berlin ist auch eine schöne Gegend!

Dort bin ich Privatdozent gewesen,

Und hab über Philosophie gelesen –

Mit einem Stiftsfräulein war ich vermählt,

Doch hat sie oft entsetzlich krakeelt,

Besonders wenn im Haus kein Brot –

Drauf bin ich gestorben und bin jetzt tot.«


Sankt Peter rief: »O weh! o weh!

Die Philosophie ist ein schlechtes Metier.

Wahrhaftig, ich begreife nie,

Warum man treibt Philosophie.

Sie ist langweilig und bringt nichts ein,

Und gottlos ist sie obendrein;

Da lebt man nur in Hunger und Zweifel,

Und endlich wird man geholt vom Teufel.
[220]

Gejammert hat wohl deine Xantuppe

Oft über die magre Wassersuppe,

Woraus niemals ein Auge von Fett

Sie tröstend angelächelt hätt –

Nun, sei getrost, du arme Seele!

Ich habe zwar die strengsten Befehle,

Jedweden, der sich je im Leben

Mit Philosophie hat abgegeben,

Zumalen mit der gottlos deutschen,

Ich soll ihn schimpflich von hinnen peitschen –

Doch mein Geburtstag, wie gesagt,

Ist eben heut, und fortgejagt

Sollst du nicht werden, ich schließe dir auf

Das Himmelstor, und jetzo lauf

Geschwind herein –

Jetzt bist du geborgen!

Den ganzen Tag, vom frühen Morgen

Bis abends spät, kannst du spazieren

Im Himmel herum und träumend flanieren

Auf edelsteingepflasterten Gassen.

Doch wisse, hier darfst du dich nie befassen

Mit Philosophie; du würdest mich

Kompromittieren fürchterlich –

Hörst du die Engel singen, so schneide

Ein schiefes Gesicht verklärter Freude –

Hat aber gar ein Erzengel gesungen,

Sei gänzlich von Begeistrung durchdrungen,

Und sag ihm, daß die Malibran

Niemals besessen solchen Sopran –

Auch applaudiere immer die Stimm'

Der Cherubim und der Seraphim,

Vergleiche sie mit Signor Rubini,

Mit Mario und Tamburini –

Gib ihnen den Titel von Exzellenzen

Und knickre nicht mit Reverenzen.
[221]

Die Sänger, im Himmel wie auf Erden,

Sie wollen alle geschmeichelt werden –

Der Weltkapellenmeister hier oben,

Er selbst sogar, hört gerne loben

Gleichfalls seine Werke, er hört es gern

Wenn man lobsinget Gott dem Herrn

Und seinem Preis und Ruhm ein Psalm

Erklingt im dicksten Weihrauchqualm.


Vergiß mich nicht. Wenn dir die Pracht

Des Himmels einmal Langweile macht,

So komm zu mir; dann spielen wir Karten.

Ich kenne Spiele von allen Arten,

Vom Landsknecht bis zum König Pharo.

Wir trinken auch – Doch apropos!

Begegnet dir von ungefähr

Der liebe Gott, und fragt dich: woher

Du seiest? so sage nicht: aus Berlin,

Sag lieber: aus München, oder aus Wien.«


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 219-222.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte 1853 und 1854
Gedichte. 1853 und 1854
Gedichte: 1853 und 1854

Buchempfehlung

Brachvogel, Albert Emil

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.

68 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon