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Rote Pantoffeln

[198] Gar böse Katze, so alt und grau,

Sie sagte, sie sei eine Schusterfrau;

Auch stand vor ihrem Fenster ein Lädchen,

Worin Pantoffeln für junge Mädchen,

Pantöffelchen von Maroquin,

Von Saffian und von Satin,

Von Samt, mit goldnen Borden garniert

Und buntgeblümten Bändern verziert.

Am lieblichsten dort zu schauen war

Ein scharlachrotes Pantöffelchenpaar;

Es hat mit seiner Farbenpracht

Gar manchem Dirnchen ins Herz gelacht.


Eine junge weiße Edelmaus,

Die ging vorbei dem Schusterhaus,

Kehrt' wieder um, dann blieb sie stehn,

Tät nochmals durch das Fenster sehn –

Sprach endlich: »Ich grüß Euch, Frau Kitze, Frau Katze,

Gar schöne rote Pantöffelchen hat Sie;

Sind sie nicht teuer, ich kauf sie Euch ab,

Sagt mir, wieviel ich zu zahlen hab.«


Die Katze rief: »Mein Jüngferlein,

Ich bitte gehorsamst, treten Sie ein,

Geruhen Sie, mein Haus zu beehren

Mit Dero Gegenwart; es verkehren[198]

Mit mir die allerschönsten Madel

Und Herzoginnen, der höchste Adel –

Die Töffelchen will ich wohlfeil lassen –

Doch laßt uns sehn, ob sie Euch passen –

Ach, treten Sie ein und nehmen Sie Platz –«


So flötet die boshaft listige Katz',

Und das weiße, unerfahrene Ding

In die Mördergrub', in die Falle ging –

Auf eine Bank setzt sich die Maus

Und streckt ihr kleines Beinchen aus,

Um anzuprobieren die roten Schuhe –

Sie war ein Bild von Unschuld und Ruhe –

Da packt sie plötzlich die böse Katze

Und würgt sie mit der grimmigen Tatze,

Und beißt ihr ab das arme Köpfchen,

Und spricht: »Mein liebes, weißes Geschöpfchen,

Mein Mäuschen, du bist mausetot!

Jedoch die Pantöffelchen scharlachrot,

Die will ich stellen auf deine Gruft;

Und wenn die Weltposaune ruft

Zum Jüngsten Tanz, o weiße Maus,

Aus deinem Grab steigst du heraus,

Ganz wie die andern, und sodann

Ziehst du die roten Pantöffelchen an.«


Moral


Ihr weißen Mäuschen, nehmt euch in acht,

Laßt euch nicht ködern von weltlicher Pracht!

Ich rat euch, lieber barfuß zu laufen,

Als bei der Katze Pantoffeln zu kaufen.
[199]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 198-200.
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