5.

Aus einem Briefe

[283] Die Sonne spricht:


Was gehn dich meine Blicke an?

Das ist der Sonne gutes Recht,

Sie strahlt auf den Herrn wie auf den Knecht;

Ich strahle, weil ich nicht anders kann.
[283]

Was gehn dich meine Blicke an?

Bedenke, was deine Pflichten sind,

Nimm dir ein Weib und mach ein Kind,

Und sei ein deutscher Biedermann.


Ich strahle, weil ich nicht anders kann,

Ich wandle am Himmel wohl auf, wohl ab,

Ass Langeweile guck ich hinab –

Was gehn dich meine Blicke an?


Der Dichter spricht:


Das ist ja eben meine Tugend,

Daß ich ertrage deinen Blick,

Das Licht der ew'gen Seelenjugend,

Blendende Schönheit, Flammenglück!


Jetzt aber fühl ich ein Ermatten

Der Sehkraft, und es sinken nieder,

Wie schwarze Flöre, nächt'ge Schatten

Auf meine armen Augenlider...


Chor der Affen:


Wir Affen, wir Affen,

Wir glotzen und gaffen

Die Sonne an,

Weil sie es doch nicht wehren kann.


Chor der Frösche:


Im Wasser, im Wasser,

Da ist es noch nasser

Als auf der Erde,

Und ohne Beschwerde

Erquicken

Wir uns an den Sonnenblicken.


[284] Chor der Maulwürfe:


Was doch die Leute Unsinn schwatzen

Von Strahlen und von Sonnenblicken!

Wir fühlen nur ein warmes Jücken,

Und pflegen uns alsdann zu kratzen.


Ein Glühwurm spricht:


Wie sich die Sonne wichtig macht,

Mit ihrer kurzen Tagespracht!

So unbescheiden zeig ich mich nicht,

Und bin doch auch ein großes Licht,

In der Nacht, in der Nacht!


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 283-285.
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