1.

[49] Goldne Menschen, Silbermenschen!

Spricht ein Lump von einem Toman,

Ist die Rede nur von Silber,

Ist gemeint ein Silbertoman.


Doch im Munde eines Fürsten,

Eines Schaches, ist ein Toman

Gülden stets; ein Schach empfängt

Und er gibt nur goldne Toman.


Also denken brave Leute,

Also dachte auch Firdusi,

Der Verfasser des berühmten

Und vergötterten »Schach Nameh«.


Dieses große Heldenlied

Schrieb er auf Geheiß des Schaches,

Der für jeden seiner Verse

Einen Toman ihm versprochen.


Siebzehnmal die Rose blühte,

Siebzehnmal ist sie verwelket,

Und die Nachtigall besang sie

Und verstummte siebzehnmal –


Unterdessen saß der Dichter

An dem Webstuhl des Gedankens,

Tag und Nacht, und webte emsig

Seines Liedes Riesenteppich –


Riesenteppich, wo der Dichter

Wunderbar hineingewebt

Seiner Heimat Fabelchronik,

Farsistans uralte Kön'ge,
[49]

Lieblingshelden seines Volkes,

Rittertaten, Aventüren,

Zauberwesen und Dämonen,

Keck umrankt von Märchenblumen –


Alles blühend und lebendig,

Farbenglänzend, glühend, brennend,

Und wie himmlisch angestrahlt

Von dem heil'gen Lichte Irans,


Von dem göttlich reinen Urlicht,

Dessen letzter Feuertempel,

Trotz dem Koran und dem Mufti,

In des Dichters Herzen flammte.


Als vollendet war das Lied,

Überschickte seinem Gönner

Der Poet das Manuskript,

Zweimalhunderttausend Verse.


In der Badestube war es,

In der Badestub' zu Gasna,

Wo des Schaches schwarze Boten

Den Firdusi angetroffen –


Jeder schleppte einen Geldsack,

Den er zu des Dichters Füßen

Kniend legte, als den hohen

Ehrensold für seine Dichtung.


Der Poet riß auf die Säcke

Hastig, um am lang entbehrten

Goldesanblick sich zu laben –

Da gewahrt' er mit Bestürzung,
[50]

Daß der Inhalt dieser Säcke

Bleiches Silber, Silbertomans,

Zweimalhunderttausend etwa –

Und der Dichter lachte bitter.


Bitter lachend hat er jene

Summe abgeteilt in drei

Gleiche Teile, und jedwedem

Von den beiden schwarzen Boten


Schenkte er als Botenlohn

Solch ein Drittel, und das dritte

Gab er einem Badeknechte,

Der sein Bad besorgt, als Trinkgeld.


Seinen Wanderstab ergriff er

Jetzo und verließ die Hauptstadt;

Vor dem Tor hat er den Staub

Abgefegt von seinen Schuhen.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 49-51.
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