3.

[52] Schach Mahomet hat gut gespeist,

Und gut gelaunet ist sein Geist.


Im dämmernden Garten, auf purpurnem Pfühl,

Am Springbrunn sitzt er. Das plätschert so kühl!


Die Diener stehen mit Ehrfurchtsmienen;

Sein Liebling Ansari ist unter ihnen.


Aus Marmorvasen quillt hervor

Ein üppig brennender Blumenflor.


Gleich Odalisken anmutiglich

Die schlanken Palmen fächern sich.


Es stehen regungslos die Zypressen,

Wie himmelträumend, wie weltvergessen.


Doch plötzlich erklingt bei Lautenklang

Ein sanft geheimnisvoller Gesang.


Der Schach fährt auf, als wie behext –

»Von wem ist dieses Liedes Text?«


Ansari, an welchen die Frage gerichtet,

Gab Antwort: »Das hat Firdusi gedichtet.«


»Firdusi?« – rief der Fürst betreten –

»Wo ist er? Wie geht es dem großen Poeten?«
[52]

Ansari gab Antwort: »In Dürftigkeit

Und Elend lebt er seit langer Zeit


Zu Thus, des Dichters Vaterstadt,

Wo er ein kleines Gärtchen hat.«


Schach Mahomet schwieg, eine gute Weile,

Dann sprach er: »Ansari, mein Auftrag hat Eile –


Geh nach meinen Ställen und erwähle

Dort hundert Maultiere und funfzig Kamele.


Die sollst du belasten mit allen Schätzen,

Die eines Menschen Herz ergötzen,


Mit Herrlichkeiten und Raritäten,

Kostbaren Kleidern und Hausgeräten


Von Sandelholz, von Elfenbein,

Mit güldnen und silbernen Schnurrpfeiferein,


Kannen und Kelchen, zierlich gehenkelt,

Lepardenfellen, groß gesprenkelt,


Mit Teppichen, Schals und reichen Brokaten,

Die fabriziert in meinen Staaten –


Vergiß nicht, auch hinzuzupacken

Glänzende Waffen und Schabracken,


Nicht minder Getränke jeder Art

Und Speisen, die man in Töpfen bewahrt,


Auch Konfitüren und Mandeltorten,

Und Pfefferkuchen von allen Sorten.
[53]

Füge hinzu ein Dutzend Gäule,

Arabischer Zucht, geschwind wie Pfeile,


Und schwarze Sklaven gleichfalls ein Dutzend,

Leiber von Erz, strapazentrutzend.


Ansari, mit diesen schönen Sachen

Sollst du dich gleich auf die Reise machen.


Du sollst sie bringen nebst meinem Gruß

Dem großen Dichter Firdusi zu Thus.«


Ansari erfüllte des Herrschers Befehle,

Belud die Mäuler und Kamele


Mit Ehrengeschenken, die wohl den Zins

Gekostet von einer ganzen Provinz.


Nach dreien Tagen verließ er schon

Die Residenz, und in eigner Person,


Mit einer roten Führerfahne,

Ritt er voran der Karawane.


Am achten Tage erreichten sie Thus;

Die Stadt liegt an des Berges Fuß.


Wohl durch das Westtor zog herein

Die Karawane mit Lärmen und Schrein.


Die Trommel scholl, das Kuhhorn klang,

Und lautaufjubelt Triumphgesang.


»La Illa Il Allah!« aus voller Kehle

Jauchzten die Treiber der Kamele.
[54]

Doch durch das Osttor, am andern End'

Von Thus, zog in demselben Moment


Zur Stadt hinaus der Leichenzug,

Der den toten Firdusi zu Grabe trug.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 52-55.
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