Caput VII

[365] Düster, in der düstern Höhle,

Hockt im trauten Kreis der Seinen

Atta Troll, der Menschenfeind,

Und er brummt und fletscht die Zähne:


»Menschen, schnippische Kanaillen!

Lächelt nur! Von eurem Lächeln

Wie von eurem Joch wird endlich

Uns der große Tag erlösen!


Mich verletzte stets am meisten

Jenes sauersüße Zucken

Um das Maul – ganz unerträglich

Wirkt auf mich dies Menschenlächeln!


Wenn ich in dem weißen Antlitz

Das fatale Zucken schaute,

Drehten sich herum entrüstet

Mir im Bauche die Gedärme.


Weit impertinenter noch

Als durch Worte offenbart sich

Durch das Lächeln eines Menschen

Seiner Seele tiefste Frechheit.


Immer lächeln sie! Sogar

Wo der Anstand einen tiefen

Ernst erfordert, in der Liebe

Feierlichstem Augenblick!


Immer lächeln sie! Sie lächeln

Selbst im Tanzen. Sie entweihen

Solchermaßen diese Kunst,

Die ein Kultus bleiben sollte.
[365]

Ja, der Tanz, in alten Zeiten,

War ein frommer Akt des Glaubens;

Um den Altar drehte heilig

Sich der priesterliche Reigen.


Also vor der Bundeslade

Tanzte weiland König David;

Tanzen war ein Gottesdienst,

War ein Beten mit den Beinen!


Also hab auch ich den Tanz

Einst begriffen, wenn ich tanzte

Auf den Märkten vor dem Volk,

Das mir großen Beifall zollte.


Dieser Beifall, ich gesteh es,

Tat mir manchmal wohl im Herzen;

Denn Bewundrung selbst dem Feinde

Abzutrotzen, das ist süß!


Aber selbst im Enthusiasmus

Lächeln sie. Ohnmächtig ist

Selbst die Tanzkunst, sie zu bessern,

Und sie bleiben stets frivol.«


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 365-366.
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