Caput XXIII

[489] Als Republik war Hamburg nie

So groß wie Venedig und Florenz,

Doch Hamburg hat bessere Austern; man speist

Die besten im Keller von Lorenz.
[489]

Es war ein schöner Abend, als ich

Mich hinbegab mit Campen;

Wir wollten miteinander dort

In Rheinwein und Austern schlampampen.


Auch gute Gesellschaft fand ich dort,

Mit Freude sah ich wieder

Manch alten Genossen, zum Beispiel Chaufepié,

Auch manche neue Brüder.


Da war der Wille, dessen Gesicht

Ein Stammbuch, worin mit Hieben

Die akademischen Feinde sich

Recht leserlich eingeschrieben.


Da war der Fucks, ein blinder Heid'

Und persönlicher Feind des Jehova,

Glaubt nur an Hegel und etwa noch

An die Venus des Canova.


Mein Campe war Amphitryo

Und lächelte vor Wonne;

Sein Auge strahlte Seligkeit,

Wie eine verklärte Madonne.


Ich aß und trank, mit gutem App'tit,

Und dachte in meinem Gemüte:

›Der Campe ist wirklich ein großer Mann,

Ist aller Verleger Blüte.


Ein andrer Verleger hätte mich

Vielleicht verhungern lassen,

Der aber gibt mir zu trinken sogar;

Werde ihn niemals verlassen.
[490]

Ich danke dem Schöpfer in der Höh',

Der diesen Saft der Reben

Erschuf, und zum Verleger mir

Den Julius Campe gegeben!


Ich danke dem Schöpfer in der Höh',

Der, durch sein großes Werde,

Die Austern erschaffen in der See

Und den Rheinwein auf der Erde!


Der auch Zitronen wachsen ließ,

Die Austern zu betauen –

Nun laß mich, Vater, diese Nacht

Das Essen gut verdauen!‹


Der Rheinwein stimmt mich immer weich

Und löst jedwedes Zerwürfnis

In meiner Brust, entzündet darin

Der Menschenliebe Bedürfnis.


Es treibt mich aus dem Zimmer hinaus,

Ich muß in den Straßen schlendern;

Die Seele sucht eine Seele und späht

Nach zärtlich weißen Gewändern.


In solchen Momenten zerfließe ich fast

Vor Wehmut und vor Sehnen;

Die Katzen scheinen mir alle grau,

Die Weiber alle Helenen. – – –


Und als ich auf die Drehbahn kam,

Da sah ich im Mondenschimmer

Ein hehres Weib, ein wunderbar

Hochbusiges Frauenzimmer.
[491]

Ihr Antlitz war rund und kerngesund,

Die Augen wie blaue Turkoasen,

Die Wangen wie Rosen, wie Kirschen der Mund,

Auch etwas rötlich die Nase.


Ihr Haupt bedeckte eine Mütz'

Von weißem gesteiftem Linnen,

Gefältelt wie eine Mauerkron',

Mit Türmchen und zackigen Zinnen.


Sie trug eine weiße Tunika,

Bis an die Waden reichend.

Und welche Waden! Das Fußgestell

Zwei dorischen Säulen gleichend.


Die weltlichste Natürlichkeit

Konnt man in den Zügen lesen;

Doch das übermenschliche Hinterteil

Verriet ein höheres Wesen.


Sie trat zu mir heran und sprach:

»Willkommen an der Elbe

Nach dreizehnjähr'ger Abwesenheit –

Ich sehe, du bist noch derselbe!


Du suchst die schönen Seelen vielleicht,

Die dir so oft begegent

Und mit dir geschwärmt die Nacht hindurch,

In dieser schönen Gegend.


Das Leben verschlang sie, das Ungetüm,

Die hundertköpfige Hyder;

Du findest nicht die alte Zeit

Und die Zeitgenössinnen wieder!
[492]

Du findest die holden Blumen nicht mehr,

Die das junge Herz vergöttert;

Hier blühten sie – jetzt sind sie verwelkt,

Und der Sturm hat sie entblättert.


Verwelkt, entblättert, zertreten sogar

Von rohen Schicksalsfüßen –

Mein Freund, das ist auf Erden das Los

Von allem Schönen und Süßen!«


»Wer bist du?« – rief ich – »du schaust mich an

Wie'n Traum aus alten Zeiten –

Wo wohnst du, großes Frauenbild?

Und darf ich dich begleiten?«


Da lächelte das Weib und sprach:

»Du irrst dich, ich bin eine feine,

Anständ'ge, moralische Person;

Du irrst dich, ich bin nicht so eine.


Ich bin nicht so eine kleine Mamsell,

So eine welsche Lorettin –

Denn wisse: ich bin Hammonia,

Hamburgs beschützende Göttin!


Du stutzest und erschreckst sogar,

Du sonst so mutiger Sänger!

Willst du mich noch begleiten jetzt?

Wohlan, so zögre nicht länger.«


Ich aber lachte laut und rief:

»Ich folge auf der Stelle –

Schreit du voran, ich folge dir,

Und ging' es in die Hölle!«
[493]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 489-494.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutschland. Ein Wintermärchen
Deutschland: Ein Wintermärchen
Deutschland. Ein Wintermärchen
Neue Gedichte: Deutschland. Ein Wintermärchen. Atta Troll (insel taschenbuch)
Deutschland: Ein Wintermärchen (insel taschenbuch)
Deutschland. Ein Wintermärchen (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Suttner, Bertha von

Memoiren

Memoiren

»Was mich einigermaßen berechtigt, meine Erlebnisse mitzuteilen, ist der Umstand, daß ich mit vielen interessanten und hervorragenden Zeitgenossen zusammengetroffen und daß meine Anteilnahme an einer Bewegung, die sich allmählich zu historischer Tragweite herausgewachsen hat, mir manchen Einblick in das politische Getriebe unserer Zeit gewährte und daß ich im ganzen also wirklich Mitteilenswertes zu sagen habe.« B.v.S.

530 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon