Scena secunda.

[533] Siluester. Eleonora. Vincentius Ladislaus vnd andere Auffwarter.

Vincentius stellet sich gar höfflich am Tische, stehet auff, leget einem jeden für, vnnd sihet sich allenhandt vmb nach dem neben Tisch, da die Jungfrawen sitzen, Vnnd weil er sich so Nerrisch anstellet, vnnd sich vmbsihet, lachet seiner die eine Jungfraw am Tische, Wie er die Jungfraw lachen sihet, ziehet er sich in den sinn, Sie habe jhn lieb, vnd gewinnet sie wieder lieb, vnd schielet allwege nach dem Tische, wo sie sitzet. Entlich fellt jhm das Messer vnter dem Tisch, nach demselben bücket er sich, vnd der Hertzog spricht.


SILUESTER. Herr Oberster, Was machet jhr vnter dem Tisch? Habt jhr etwas verlorn?

VINCENTIUS LADISLAUS. Gnediger Herr, Es hat sich das schneidende Instrument, das man zu zertheilung der Speise, Damit es der Schlung des Magens desto bas verdewen kan, Pfleget zugebrauchen, Durch seine bewegung vnter den Tisch verfüget, Vnd wir seind in wircklicher vbung, Vnnd gedencke es mit zuthat Göttlicher hülff wiederumb herauff zuuerschrauben. Sitzet ein weil stille, als wenn er inn gar tieffen gedancken wert, vnd sagt nichts.

SILUESTER. Herr Oberster, Wie sitzt jhr so stille?[533]

VINCENTIUS LADISLAUS. Gnediger Herr, Wir zweiffeln nicht, E.F. Durchl. werden ohn zweiffel in jhrem Lande grosse vnd viel wilde Schwein haben.

SILUESTER. Ja Herr Oberster, Wie fraget jhr so?

VINCENTIUS LADISLAUS. Wir gedencken jetzundt auff eine geschicht, so vns ein mal begegnet ist, Wenns E.F. Durchl. nicht zu wiedern were, so wolte derselben wir solchs erzelen.

SILUESTER. Ja, ich wils gerne hören.

VINCENTIUS LADISLAUS. Wir seind ein mal allein in einem Walde nach Wildtpret zuschiessen gangen, Da begegnete vns ein gros Wildt Schwein, Von welchem wir auch vor diesem lange gehort, Vnd das Alters halben Blindt worden war, Vnd eines andern jungen Schweins schwantz, welchs für jhm hergieng, vnd es führte, in dem Maul hielt. Als wir nun dieß grosse Schwein ersahen, vermeinten wir dasselbe mit einem Armbrust durch den Kopff zuschiessen, Schossen aber gar zu sehr auff die halbe, Vnd feileten also des grossen Schweins, Vnd traffen das kleine, Vnd schossen jhme den Schwantz abe. Dasselbe lieff nun von wegen grosser schmertzen hinweg, Das Alte aber blieb stehen, vnd hatte den Schwantz im Maul, Dann es wuste nirgendts hin, weil es Blindt war, Da lieffen wir alsbaldt hinzu, Nahmen den Schwantz, so es im Maul hatte, in die Handt, Vnd führten es noch bey Sieben Meil weges mit vns zu Haus.

IOHAN BOUSET. Es ist ein seltzamer Schuß, Aber es tregt sich wünderlich ding zu bey dem Weidwerck.

VINCENTIUS LADISLAUS schweiget ein weinig stille, vnd spricht darnach weiter. Wir wollen E.F. Durchleuchtigkeit noch eins erzelen: In einem Wald begegnet[534] vns ein gar vberaus starckes Wild Schwein, Dasselbe hatte Zähne, Die jhme einer halber Ellen lang zum Maul heraus stunden, Vnd als wir solches ersahen, krochen wir in einen alten Eichenbaum, vns zuuerstecken, Als nun das Schwein vns darin vermerckte, hieb es mit gewaldt durch den Baum, Das wir die Zähne zimblich lang wol sehen kondten, Derhalben nahmen wir vnsern Dolch, der oben am Heffte eine breite Platten hatte, Hielten den für das Loch, Vnd da nun das Schwein weiter zuarbeiten anfieng, vernietet es sich selber mit seinem Zahn, Vnd wir fingen dasselbe also, Welches hat gewogen Sieben Centner.

IOHAN BOUSET. Es mus euch im Baume leiden bange gewesen sein.

VINCENTIUS LADISLAUS. E.F. Durchleuchtigkeit verzeihen vns, das wir fragen, Hats auch Wölffe hier im Lande?

SILUESTER. Ja, mehr als vns lieb ist, Aber wie fraget jhr so darnach?

VINCENTIUS LADISLAUS. Vns ist einmal ein seltzamer Poß mit dem Wolff wiederfahren, Wir ritten durch einen Waldt in einem tieffen Schnee, Da lieff ein starcker Wolff mit aufgesperretem Rachen, Als ob er vns verschlingen wolte, Gerad zu vns, Auff das wir vns nun der gefahr entledigten, musten wirs wagen, Griffen derowegen mit der Handt den Wolff vngestümlich vnd eilents durch den Hals in den Leib, Erwüschten den Schwantz, Zohen denselben nach vns gar starck, Vnd wendeten den Wolff gar vmb, Wie ein Schuster die Schuch.

SILUESTER. Biß euch dann der Wolff nicht in den Arm?

IOHAN BOUSET. Das können E.G. wol gedencken, Weil er jhm den Arm so gar tieff hinein gestecket, das er nicht hat beissen können. Vincentius sitzet ein weile in gedancken, darnach spricht er.[535]

VINCENTIUS LADISLAUS. Wir wissen, Das E.F. Durchl. lust haben nach Gensen, Kranichen, vnd anderm Feder Wildtpret zuschiessen, Möchten derowegen wol wünschen, Das wir vnsern Wildschützen noch haben, vnd E.F. Durchleucht. denselben hetten sehen mögen. Derselbe hat einmal mit Schrot auff einen Schuß Zwölff Kranichen, Etzliche in die Flügel, Vnd etzliche in die Beine getroffen, Ist eilends zugelauffen, Damit sie sich nicht wieder erholeten, Sie auffgehoben, Vnd vnter den Gürtel gesteckt, Da haben sie sich wieder erholet, Vnd weil es ohne das grosser Wind gewesen, sich erhoben, Den Schützen weggeführet, Das wir nicht erfahren können, wohin er komen ist.

IOHAN BOUSET. Der Schütze mus grawsame seltzame gedancken gehabt haben, als er so in die Lufft kommen ist.

VINCENTIUS LADISLAUS. Wir wollen E.F. Durchleuch. noch einen seltzamen wünderlichen Schuß erzelen, Welchen wir selber gethan haben. Wir sind auff ein zeit spatzieren gangen, vnnd einem Eichorn den Kopff abgeschossen, Aber das Eichorn ist gleichwol dauon gelauffen, Den andern Tag kam zu vns ein Bawr, der sagte, Er hette ein Eichorn lauffen gesehen, das hette keinen Kopff gehabt, Da dachten wir alsbaldt, Es müste vnser Eichorn sein, Giengen derhalben hinaus, vnd schossen es noch einmal, Das es herunter fiel ins Wasser. Da hatten wir einen Schies Hundt, Vnd wie er dasselbe wolte herausserholen, bisse es denselben in die Nase, Entlich aber brachte ers heraus.

IOHAN BOUSET. Das ist ein wünderlicher Schuß gewesen. Der Hertzog jsset inmittelst einen Apffel, vnnd jsset die Kerne mit ein, da spricht.

VINCENTIUS LADISLAUS. Fürwar Gnediger Herr, Das ist nicht gut, das E.F. Durchleuchtigkeit die Kerne essen, Dan wir haben einen Man gekant, derselbe aß viel Granatepffel Körner, Letzlich wuchs jhm dauon ein grosser Granat Baum aus dem Maul, Augen, Ohren vnd Naselöchern,[536] Welcher gute Granaten getragen, Die wir gesehen, vnd selber dauon gessen haben.

IOHAN BOUSET. Die müssen gar gut gewesen sein. Sitzt ein weil stille, vnd bedencket sich.

SILUESTER. Herr Oberster, Wie sitzt jhr so? Wolt jhr nicht einmal herumb trincken?

VINCENTIUS LADISLAUS. Wir haben jetzunder keinen durst, Aber wir gedencken der zeit, das wirs besser kondten, Dann wir haben auff einmal selb vierde ein Lagel voll Maluasier ausgetruncken, Desgleichen haben wir auch auff ein andermal selb dritte in dreyen Trüncken, Sechszehen Maß Wein ausgetruncken.

IOHAN BOUSET. Weil jhr so viel trincken könnet, wolte ich euch nicht gerne vor einen Diener haben. Siluester schweiget ein weil stille, vnd weiset darnach auff einen Hechtskopff, vnd saget. Herr Oberster, hats bey euch in ewrem Lande auch wol so grosse Fische?

VINCENTIUS LADISLAUS. O jha, noch wol grösser als dieser. Es hat sich einmal bey vns ein seltzam geschicht mit einem vberaus grosser Fisch zugetragen, Wir sind einmal im Winter bey einem tieffen Wasser hergeritten, Vnd sahen, das eine Fisch Reuse vnter den Eiß Schulfern herfloß, da dachten wir, Es müsten ohne allen zweiffel gute Fische darin sein, Namen derowegen mit vnserm Knechte rath, Wie wir die Fische mit der Reusen möchten heraus bekommen, Derselbe bedachte sich nun nicht lange, Vnd ritte mit dem Gaul in das Wasser, In meinung, Die Reuse herausser zuholen. In dem kömpt ein grosser Fisch zu seinem grossen vnglück, vnd verschlinget jhn sampt dem Pferde, Drey Tage aber hernach wirdt der Fisch am Lande, da er sich ins Sandt gewickelt hatte, gefunden, Da schossen wir denselben Fisch todt mit einem Pirsch Rohr, Vnd liessen jhn auffschneiden, Da saß vnser[537] Diener noch auff dem Pferde, wie er war hinein gesprenget, Vnd kam wieder heraus mit dem Pferde vnuersehret.

IOHAN BOUSET. Ich wils wol gleuben, Dann es tregt sich viel seltzames dinges zu in der Welt, Ich habe gesehen eine Brawpfanne schmieden, die war so gros, Das drey hundert Schmiede daran arbeiteten, Vnd sassen so weit von einander, Das keiner des andern schlag hören kondte.

VINCENTIUS LADISLAUS. Was wolte man aber mit einer solchen grossen Pfannen machen?

IOHAN BOUSET. Der Fisch, dauon jhr gesagt solte darin gekochet werden. Vincentius schweiget ein weil stille, darnach spricht er.

VINCENTIUS LADISLAUS. Haben E.F. Durchleuchtigkeit auch Falcken?

SILUESTER. Ja, wir haben etliche, Wie fraget jhr aber so?

VINCENTIUS LADISLAUS. Es ist vns ein mal mit einem Reiger vnd Falcken ein seltzamer Poß begegnet, Wir waren mit einem Falcken auff dem Weidewerck, vnd hatten damit ein Reiger gehetzt, Wie aber der Falck den Reiger hoch in den Lüfften vberstiegen vnd gestossen, Fielen sie mit einander herunter, Vnd ein Wildschwein, so ongefehr an die stedte gelauffen kam, verschluckte beides den Falcken vnd Reiger, Wie ich das ersahe, Lieff ich im Zorn das Schwein an, Fieng es, Vnd schnitt es auff, Do kam der Falck vnuersehret den Reiger inn der Klawen haltend aus des Schweines Magen heraus geflogen.

IOHAN BOUSET. Dem Falcken vnnd Reiger muß grausam bange gewesen sein, ehe sie heraus kommen. Vincentius sitzet ein weil stille.[538]

SILUESTER. Herr Marschalk, Lasset auffheben. Wird auffgehoben, vnd sie stehen mit einander auff.


Quelle:
Herzog Heinrich Julius von Braunschweig: Die Schauspiele. Stuttgart 1855, S. 533-539.
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