Dritter Theil

Im nächsten Konzert wurden die göttlichen Scenen der Antigone von Traetta aufgeführt; und Alle hielten sie für die höchste Vollkommenheit der Kunst. So ganz sich und alles um sie her vergessend hatte man Hildegarden noch nicht gesehen: sie war leibhaftig die erhabne zärtliche Griechin, welche auf dem nächtlichen Schlachtfelde vor Theben die heilige letzte Pflicht gegen den geliebten erschlagnen Bruder erfüllt; auch so in dem weißen Trauergewand und Schleyer. Den Kältesten traten die Zähren des Mitleids in die Augen bey der feyerlichen Klage des Chors, ihren seelenrührenden Accenten dazwischen, und den wehmüthigen gefühlvollen reinen Nachlauten an den abgeschiednen Geist, von der hohen jungfräulichen Schönheit. Es herrschte dabey die tiefste Stille: nichts regte sich; Luft und Herzen füllte nur süße Trauer von Melodie und Harmonie.

Der Prinz war der erste, welcher eine Weile hernach zu Hildegarden sagte: »Unsere Empfindungen gestatten keinen Ausdruck von Worten; wir alle schweben bey dem Zauber Ihrer Töne zwischen Erd' und Himmel. Mit welcher wunderbaren Gewalt entzückt und fesselt Ihre Stimme!«

Er wendete sich dann zu dem jungen Kapellmeister, und sagte: »Noch[3] hat keine Musik so starken Eindruck auf mich gemacht; sie faßt rührend das Loos der Menschheit in sich.«

Die Damen wollten die Scenen wiederhohlt haben; aber Hildegard und der Prinz gestatteten es nicht: »So etwas,« sagten sie, »verliert durch die Wiederhohlung, und bekommt einen Anstrich vom Gemeinen. Alles Erhabne und Außerordentliche zeigt sich nur einmal in der Natur, feyerlich vorüberschreitend; und so soll es auch in der Kunst seyn: wenigstens muß eine Zeitperiode dazwischen fallen, wo die Kunst alsdann wieder neu und nicht mehr gemerkt wird.«

Lockmann kam den Tag darauf um die gewöhnliche Zeit. Die Mutter war wieder mit ihrer Arbeit beschäftigt, und schien sich nun den Musiksaal zu ihrem gewöhnlichen Aufenthalt gewählt zu haben. Hildegard saß schon mit der Iphigenia in Tauris am Klavier.

Sie hielten alle drey diese Oper, nebst der Alceste, für Glucks größtes Meisterstück.

»Der Plan des Gedichts,« fing Lockmann an, »ist mit Verstand und Kenntniß dessen, was wirkt, angelegt. Guillard hat das Ganze für seine Zeit bearbeitet, und Scenen erdacht, die, mit der Gewalt der Musik, wie Pfeile das Herz treffen. Er hätte zwar mehr Schönheiten vom Euripides hineinbringen können; aber er hat auch manches Unnütze weggelassen. Was beym bloßen Lesen zu künstlich ist und die Täuschung stört, verschwindet bey der lebendigen Fülle und dem Zauber der Töne im wirklichen Schauspiel. Man kann diese Oper kühn unter die wenigen höchst vollkommnen Werke ihrer Art rechnen.«

»Es ist nichts Mittelmäßiges darin; alles greift ein, und macht das rührendste Schauspiel tiefer Leiden von drey großen vortreflichen[4] Menschen: der gefühlvollen unter Barbaren verbannten Iphigenia; des ächten Helden Orestes; und des ächten Helden und Freundes Pylades. Die schönen Chöre der Griechischen Priesterinnen, Scythen, Eumeniden, und endlich der Griechen, die alle nicht erzwungen, sondern natürlich herbeykommen, geben dem Ganzen Pracht und Haltung.«

»Der Charakter der drey Hauptpersonen ist durchaus meisterhaft beobachtet.«

»Die Gewittersymphonie mit dem bald einfallenden Chor der Priesterinnen, unter Anführung der Iphigenia, ist ganz in Einem Guß, originell pittoresk, besonders in dem Zug der Wolken, welchen die Hörner durch den vier Takte lang angehaltenen Ton bey dem Zephyrspiel der andern Instrumente im Andante vortreflich darstellen; und sie ergreift, vorzüglich durch das hohe Pfeifen der Piccolflöten, gleich stürmisch erhaben.«

»Man kann in Musik nicht leidenschaftlicher ausdrücken, als Iphigeniens Traum ausgedrückt ist, besonders bey den Worten: Mon père percé de coups – c'étoit ma mère – c'est Oreste.«

»Reizender Seelenklang gleich in der ersten Arie der Iphigenia: O toi, qui prolongea mes jours.«

»Die Chöre sind durchaus schön und voll Gefühl.«

»Thoas tritt dann auf, und macht einen herrlichen Kontrast mit dem zarten Jungfräulichen der Priesterinnen, besonders in der Arie: Des noirs pressentimens. Eine Stelle von großer pittoresker Wirkung ist: Je crois voir sous mes pas la terre s'entrouvrir, et l'enfer prêt à m'engloutir dans ses abîmes effroyables. Und eben so: Tremble! ton supplice s'apprête! Melodie, Rhythmus und Begleitung stellen recht den Charakter des barbarischen Königs dar.«[5]

»Der Anfang


des zweyten Akts

ist lauter zarte Empfindung im kurzen Vorspiel von Instrumenten. Vortreflich sind die Gefühle beyder Freunde ausgedrückt, wie sie im Tempel allein sich sammeln. Schöne leidenschaftliche Musik in der Arie des Orestes: Dieux, qui me poursuivez. Dieß ist gerade das Tragische, wenn ein großer Mensch in verwickelte Umstände kommt, wo er nicht anders handeln kann.«

»Der Charakter des Pylades, als eines zärtlichen, klugen und standhaften Freundes, ist gut gehalten; seine Arie: Unis de la plus tendre enfance, himmlisch.«

»Vortrefliches Recitativ im Duett, wie beyde von einander getrennt werden, voll Wirkung auf dem Theater.«

»Göttliche Scene des Orestes darauf, wie er, allein, zur Ruhe kommt und einschlummert; das Sinken der Wellen nach dem Sturm, ist in der Begleitung höchst sinnlich ausgedrückt.«

»Der Chor der Eumeniden in der vierten Scene, schrecklich, und voll Darstellung des Wesentlichen vom Ganzen; welches nichts anders ist, als Qual und Pein über Muttermord, und Erduldung der Todesangst; alles im reizenden Gewande der Fabel und alten Sage. Glucks Musik ist zugleich pittoresk, und giebt den Schwung der Fackeln an. Die blasenden Instrumente – Flöten, Hoboen, Klarinetten, Fagotten, und besonders Posaunen – thun große Wirkung.«

»Iphigenia kommt gegen das Ende dazu, und das Gespräch zwischen Orestes und ihr, worin sie ihn ausfragt, ist ganz göttlich. Die Musik steigt durch mancherley Töne bey Agamemnon bis in Des dur, und kommt hernach, wo er seine Mutter als Mörderin[6] nennt, in B moll. Es ist das Höchste von musikalischer Declamazion.«

»Die Schlußarie der Iphigenia: O malheureuse Iphigénie, hat großen lyrischen Schwung, und drückt die gewaltige Fülle des Leidens im Herzen vortreflich aus. Doch merkt man, daß sie sich von der andern Musik unterscheidet. Mit geringer Veränderung ist es die göttliche, in Neapel berühmte Musik zu se mai senti spirarti sul volto.«


»Der dritte Akt

ist von der größten Wirkung auf dem Theater.«

»Die wehmüthige Declamazion und Melodie der Iphigenia schmelzt vorher das Herz, damit die heftigen Schläge hernach desto tiefer eindringen. Das Spiel der schwesterlichen Sympathie ist in der Poesie vortreflich. Himmelschöne Seelenaccorde in Iphigeniens Arie: D'une image, hélas! trop chérie.«

»Die Scene, wo sie den Orestes wählt, um ihn nach Argos zu senden, ist in der Poesie, vorzüglich aber in der Musik, äußerst rührend und zart behandelt, voll der natürlichsten Darstellung und meisterhaftesten Declamazion.«

»Das Duett in der vierten Scene: Et tu prétens encore, que tu m'aimes? ist erhabner Wetteifer der Freundschaft und Heldengröße; es gehört unter die allerrührendsten und schönsten. Der Dichter hat die Scene vortreflich behandelt, damit sie nicht bloße alltägliche Moral würde. Der Ton C moll ist gut gewählt.«

»Das nun folgende Recitativ des Orestes gehört aber zu dem Allerstärksten, was ich auf dem Theater kenne: Quoi! je ne vaincrai pas ta constance funeste! Die Wiederhohlung des ne sais-tu pas? mit immer höher steigender Leidenschaft, die Verstärkung und[7] Erhöhung der Stimme bis zum Schreyen, und die Fülle der Begleitung, hauptsächlich die Accorde der stürmenden Posaunen, mit den Klarinetten und Hoboen, und gegen das Ende mit den rauschenden Geigen – setzen die kleinste Fiber der Zuhörer in Erschütterung, und machen den Triumph der Musik über alle Künste; denn keine andre kann solche gewaltige Empfindungen hervorbringen.«

»Die Arie des Pylades nach diesem Sturm: Ah, mon ami, j'implore ta pitié; ist entzückend: sie thut durch ihre reine Seelenaccente dem Herzen wohl.«

»In der fünften Scene setzt Orest es endlich durch in einem vortreflichen kurzen Gesange, worin er drohet, daß er sich selbst das Leben nehmen will.«

»Pylades beschließt den Akt mit einer schönen Arie an die Freundschaft, worin er den Vorsatz äußert, seinen Freund zu retten.«

»Die mehrsten vorhergehenden Arien haben Griechischen Rhythmus, und geben der Handlung etwas Antikes, welches die Täuschung noch befördert.«


Vierter Akt.

»Vortrefliche Darstellung der Iphigenia, wie sie nun bald den Orestes opfern soll.«

»Die Arie: Je t'implore et je tremble, o Déesse implacable, drückt den Widerwillen und innern Kampf gut aus. Gluck hat in dieser Oper einige Arien im gemilderten Italiänischen Styl angebracht, die dem Ganzen Zierde geben; unter andern diese, welche den Charakter einer Arie der Berenize von ihm hat.«

»Nun kommen die traurigen Chöre der Priesterinnen, ganz vortreflich und voll weiblicher Grazie: O Diana, sois nous propice;[8] und: Chaste fille de Latone; immer nur in zwey Sopranstimmen.«

»Göttliches Recitativ der Iphigenia und des Orestes dazwischen; ganz aus der Seele declamirt: Voilà le terme heureux de mes longues souffrances! und die kurze Cavatine: Que ces régrets touchants pour mon coeur ont de charmes!«

»Großer Theaterstreich, wie Iphigenia das Messer in die Hand nimmt, und Orestes, knieend, vor dem Stoße noch ausruft: Ainsi tu péris en Aulide, Iphigénie, o ma soeur! Die Erkennung, recht auf Einen Punkt gesammelt, brennt und lodert. Sie ruft: Mon frère Oreste! und der Chor der Griechischen Priesterinnen: Oreste, notre Roi!«

»Mit Genie ausgefühlte zarte Züge. Iphigenia: O mon frère! in A dur, Melodie in der großen Terz. Orestes: O ma soeur, oui, c'est vous! in A moll, der kleinen Terz.«

»Göttlich darauf Iphigenia: O mon frère, o mon cher Oreste! in E moll; und weiter hernach: Laissons là ce souvenir funeste! Laissez moi ressentir l'excès de mon bonheur! jubelnd im ganz heitern C dur. Eine himmlische Cavatine!«

»Der Ausgang – wo Thoas kommt und erfährt, daß der Fremde Orestes ist, ihn grausam barbarisch dennoch geopfert haben will, und von Pylades, der mit einer Schaar Griechen herbeyeilt, umgebracht wird, worauf denn Diana erscheint – hat gute passende Musik. Der letzte Chor: Les Dieux long tems en courroux, ist vortreflich.«

»Gluck umwindet sein Lieblingskind gleichsam mit einem Zaubergürtel, indem er das Gewitter, wie in der Ferne – ein Muster vom Gebrauch des Orchesters!1 – bey dem Gefecht der Griechen und[9] Scythen im vierten Akt; und die Begleitung der Arie des Orestes im zweyten Akt, während deren dieser zur Ruhe kommt und einschlummert, – als Diana erschienen ist, passend wieder anbringt.2«

»Um einem recht fühlbar zu machen, was Musik ist und bewirken kann: lasse man dieses Drama, ohne Musik von treflichen Schauspielern aufführen. Es wird eine unerträgliche Nüchternheit entstehen, und der größte Theil vom Rausche der Leidenschaft verschwinden.«

»Die Pariser haben nicht übel geurtheilt, als sie von Glucks Musik sagten: sie sey antiker Schmerz, Griechische Thränen, und jungfräuliche Frischheit. Alles dreyes trift in den Iphigenien zusammen.«

»Zuhörer,« fuhr Lockmann fort, »die das Ganze nicht kennen, verlieren zu viel, wenn man einzelne Scenen aus Glucks neuern Werken für sie herausheben will; die Musik ist fast immer mit Poesie und Handlung unzertrennlich vereinigt, und alle Scenen bekommen ihren wahren vollen Gehalt durch das Vorhergehende und Nachfolgende. Außerdem gehört Musik, deren Wirkung das Genie für eine Peterskirche, für ein Theater von S. Carlo berechnet hat, nicht für Säle und Zimmer; die Sphäre ist schon viel zu beschränkt für die Gewalt der Posaunen, Trompeten und Pauken, und solche Musik paßt so wenig hinein, als Figuren aus einer Kuppel des Correggio, oder aus der Kreuzabnehmung von Rubens. Dergleichen Sachen muß man an Ort und Stelle selbst sehen und hören, wie den Mont blanc in Natur, das Wetter- und Schreckhorn, die Stürze des Rheins, Rhodans und der Aar, und die Wuth des[10] Boreas in den schäumenden Wogen des Weltmeers. Nur ein Kenner von viel Erfahrung und lebhafter Einbildungskraft kann, abgesondert von dem Ganzen, dem Künstler einigermaaßen nachempfinden. Ein bloßer Theoretiker lese die Partitur vom Recitativ des Orestes: Quoi, je ne vaincrai pas ta constance funeste! hör' es dann mit vollem geübten Orchester in einem weiten Schauspielhause: und er wird die Wahrheit des hier Gesagten auch wider Willen empfinden.«

»Doch wollen wir in der Folge zu unserm eignen Genuß einige Rhapsodien wagen.«

»Ehe wir mit Gluck anfingen, bracht' ich Ihnen, weil ich die Abschrift damals noch nicht ganz erhalten konnte, die schönsten Scenen der besten Oper, die ich in Italien gehört habe. Ich hoffe, daß man sie in unserm Konzert mit großem Vergnügen hören wird.«

Hildegard hatte sich schon an den herrlichen Melodien geweidet, ohne noch den Sinn der Worte recht fassen zu können. Sie hohlte die Scenen gleich von ihrem Zimmer. Lockmann legte sie nach einander in Ordnung, und sagte:

»Die Oper heißt Giulio Sabino; die Musik ist von Sarti. Er selbst führte sie zu Venedig, während des Karnevals von 1781, im Theater S. Benedetto vortreflich auf. Pacchiarotti war Giulio Sabino, und die Pozzi machte die Epponina, dessen Gattin.«

»Der Stoff aus der Geschichte ist anziehender als gewöhnlich, und uns viel näher, als die Griechischen und Römischen Helden. Julius Sabinus wurde für einen Enkel des Julius Cäsar gehalten, der mit dessen Aeltermutter, einer Gallierin, vertrauten Umgang gehabt hatte. Die Poesie ist treflich für eine Oper eingerichtet, und[11] hat die ergreifendsten Situazionen; die Worte der Arien sind aber weit fleißiger bearbeitet, als das Andre.«

»Bey der Aufführung war immer, ungewöhnlicher Weise, alles so gänzlich still, daß auch der leiseste Ton nicht verloren ging. Ich habe dabey süße Thränen weinen sehn, und oft in Entzückung, mit gleichen Gefühlen, ausrufen hören: O caro! o cara! o cari! Ein Nobile, der einen geheimen Groll gegen Pacchiarotti haben mochte, räusperte sich anfangs einigemal; aber die Volksstimme gebot ihm bald Stillschweigen: Non ha il senso comune.«

»Tacitus berührt die Geschichte des Julius Sabinus, und erzählt, daß er, nachdem er von den Römern abgefallen war, und eine Schlacht verloren hatte, sein Schloß anzündete, aussprengen ließ, er sey darin verbrannt, und sich neun Jahre lang verbarg, ohne von seinen Freunden verrathen zu werden.«

»Nach Verlauf dieser Zeit beginnt das Schauspiel.«

»Titus verliebt sich, auf seinem Zug gegen die Rebellen, in des Sabinus treue Gattin Epponina; sieht ihn selbst unerkannt, als einen Deutschen Helden, der bey ihm Dienste nehmen will; entdeckt alsdann, wer er ist, und nimmt ihn in seiner unterirdischen Wohnung gefangen.«

»La tu vedrai, chi sono, non ti parlo invano3; ist die erste Arie des Helden bey der Zusammenkunft mit dem Titus. Sie gehört, mit dem begleiteten Recitativ vorher, unter das klassische Heroische der Musik, und ist Glanz und Muth von jugendlicher Tapferkeit, in Melodie und Harmonie eines Diomedes würdig. Es brennt recht auf das Herz, wenn bey e della tromba il suono, che[12] oggetto è di spavento4, die Trompeten anstatt der Hörner einfallen, und die Bewegung rascher wird. Die Läufe gleichen einem brünstigen Wiehern nach der Schlacht. Beym Anhören zuckte es mir immer in der Faust. Ein göttlicher Gesang! Vortrefliche Begleitung im Recitative zu Balenar il lampo (della spada)5. Der Anfang der Arie ist recht straff und gespannt; dann die Läufe meisterhaft für die Stimme. Die Harmonie hält sich fast durchaus in C dur, und besteht meistens in Konsonanzen. Dieß erhebt die Seele ungemein.«

»Trema il cor, non v'è più speme6. Eine Bravourarie für die Pozzi zur Verzierung. Die Läufe und das lange Halten auf Einem Tone sind bloße Kunst; aber reizende Musik.«

»Das Duett für die Epponina und den Sabino: Come partir poss'io; muß man von schönen Kehlen hören. Es ist vollendet in der neuern Zärtlichkeit.«

»Cari figli un altro amplesso, dammi, o Sposa, un altro addio, o figli, o Sposa, cari pegni del cor mio, ah non posso, o Dio, lasciarvi, nè celarvi il mio dolor«7! ist eine von den großen Scenen der neuern Musik. Sie macht auf dem Theater erstaunliche Wirkung. Sabinus wird in der unterirdischen Wohnung mit seiner ganzen Familie von Titus überrascht, und gefangen genommen. Heldencharakter voll Gefühl herrscht durchaus. Das lange Recitativ mit[13] Begleitung ist ein Meisterstück von Declamazion, Darstellung und Kunst. Venite, o figli, al vostro sen stringete il più misero padre8; die Begleitung bey si, son Sabino9 – Violinen und Bässe in Oktaven und hastigen Absätzen – macht einen vollkommen heroischen Ausdruck. Epponina bittet, zum herrlichen Kontrast, meistens in der Harmonie von verkleinerten Septimen. Göttlich sagt er dazwischen: Il mio sangue avilisci10!

»Gewaltiger tragischer Ausdruck ist in der Stelle: Io già lo sento, quel che invita alla tomba, orribile di morte atro lamento11; worauf die traurigen Töne der Hoboe und des Fagots im Einklang immer fortgehen E intorno errar mi veggo lo stuol funesto delle larve orrende12; schöner enharmonischer, äußerst leichter Uebergang aus Es mol in E dur, durch die Sexte H zu Dis. Addio miei cari figli! vortreflich das cari in der Melodie ausgedrückt durch den fremden halben Ton des, c, h, c c, Sextquintenaccord auf g. Gerad' in solchen Kleinigkeiten liegt das höchst Lebendige der Darstellung bey der Aufführung.«

»Göttliche Melodie alsdann in der Arie. Der weite Umfang der melodischen Perioden verstärkt die Leidenschaft gewaltig; celarvi il mio dolor, ist ein Sprung vom zwey gestrichnen F ins ungestrichne B und G, und in einem Athem das lar ins zweygestrichne G zwey Oktaven hinaufgerissen. Dazu gehören freylich Sänger wie Pacchiarotti.[14] Wenn man die ganze gesammte Musik als einen Baum betrachten wollte; so stände diese Scene wie ein zarter schlanker blühender Sproß im höchsten Gipfel.«

»Noch mehr kann man dieß von dem Rondo sagen: In qual barbaro momento io ti do l'estremo addio! mit dem Recitativ und dem Marsch vorher D'una vita, infelice ecco l'infausto fine13

»Rechte Muster von schönen Darstellungen tiefer tragischer Gefühle! Sarti hat sich dadurch zu den ersten Meistern der Kunst hinaufgeschwungen. Auch mag ihn Pacchiarotti's Vortrag nicht wenig begeistert haben.«

»Wieder ein reizender enharmonischer Gang von As dur in E dur, durch einen bloßen Nachschlag der kleinen Terz, bey Costanza, anima mia! pochi momenti restano al tuo penar14

»Bey der Stelle: Un passagio è la morte, ah, non l'oscuri un ombra di timor!15 sieht man mit Lust, wie die Musik, in der vollkommensten Kunst des Helldunkels, sich sogleich nach dem Sinn ändert.«

»Herrlich geht das Rondo in ein Duett aus: Ah, si compia il fato rio!16«

Hildegard mußte selbst gestehen, daß vortrefliche Italiänische Musik, von vortreflichen Neapolitanischen, Römischen und Venezianischen Stimmen vorgetragen, einen Reiz und Zauber, eine Süßigkeit, einen Flug, und ein Feuer habe, wodurch sie mehr als jede andre Herz[15] und Ohr unaussprechlich entzücke. »Man muß diesem sinnlichen schwärmerischen Volke die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß es in der Musik – Erfindung und Ausführung zusammengenommen – oben an steht!« So endigten sie fast mit Einem Munde.

Alsdann sprachen sie von andern Dingen; und Lockmann blickte dabey Hildegarden oft verstohlen zärtlich an. Eine Weile hernach, gegen Sonnenuntergang, gesellte sich der junge Hohenthal zu ihnen.

Hildegarden selbst verlangte, wieder mit ihrem Liebling allein zu seyn; doch war sie nach der letzten Scene in ihrem Zimmer schüchtern: ihr Verstand hatte einen geheimen Kampf mit ihrer Empfindung, ihrem Gefühl; eben deßwegen war sie unentschieden, und nahm keine andre Maßregel.

Als Mutter und Tochter sich noch etwas umgekleidet hatten, gingen sie zusammen in das Schloß, wo Lockmann sich von ihnen trennen, und traurig die himmlische Schönheit der Gesellschaft überlassen mußte.

Den folgenden Morgen, bey heiterm blauen Himmel und warmen Sonnenschein, begegneten Hildegard und ihr Bruder auf einem kurzen Spaziergange in dem angenehmsten Schatten des Schloßgartens Lockmannen und dem alten guten Reinhold. Die Freude über die Zusammenkunft glänzte in aller Augen, lächelte auf ihren Lippen, und äußerte sich in gefälligem Scherz und Muthwillen.

Sie gingen so unter allerley Gespräch länger als eine Stunde auf und ab, und kamen endlich von der Baukunst in allen Welttheilen – der Vögel, der wilden Thiere, der Biber und Menschen – wie immer wo Hildegard und Lockmann waren, auf die Musik. Man erinnerte sich noch lebhaft an den Streit, welchen der Baumeister[16] mit dem letztern angefangen hatte. Das Wesentliche desselben ward wiederhohlt. Der Alte ergriff den jungen Künstler bey der Hand, und sagte: »Mein Sohn, noch immer hast Du Dein Versprechen nicht erfüllt; Du wolltest mir ja zeigen, wie große Meister dieselbe Leidenschaft, dieselbe Empfindung mit denselben Tönen ausdrücken, und zwar aus natürlichem Gefühl, ohne daß einer es dem andern nachmacht.«

Lockmann erwiederte: »Ich werde nichts schuldig bleiben, und getraue mir, mein Versprechen noch heute zu erfüllen.«

Hildegard faßte ihn gleich beym Wort, und sagte, mit einem Blick auf ihre Uhr: »Wir haben noch zwey Stunden bis zu Tische; die Zeit wäre jetzt so recht heiter dazu. Begleiten Sie uns nach Hause, und seyn Sie unsre Gäste, wenn Sie nichts Wichtigeres zu thun haben und nicht schon versprochen sind.«

Mit Freuden nahmen beyde die Einladung an, und man machte sich nun sogleich auf den Weg.

Lockmann fuhr fort: »Wir haben schon so viel Musik durchgegangen, daß es keiner andern dazu bedarf.«

»Eigentlich aber sind nur ein gutes Fortepiano, die Stimme einer Hildegard, ein reines wohlgebildetes Gehör, und ein fühlendes Herz dazu nöthig, um die an und für sich wesentlich verschiednen Charakter der Accorde zu erkennen. Die Ausbildung derselben zum wirklichen Leben richtet sich freylich nach den Worten und Personen, wie alles Einzelne in der Natur nach Ort und Umständen. Die Eiche bleibt aber immer Eiche, sie mag hundert Fuß hoch seyn, oder nur so eben aus dem Kern hervorsprossen; die Zeder bleibt Zeder, sie mag auf den Höhen des Libanon den Stürmen Trotz bieten, oder in einem Englischen Garten zur Verzierung angepflanzt seyn. Die[17] Bildung des Menschen richtet sich nach jedem Klima; doch überall ist er der Herr der Schöpfung.«

»Die Töne bestehen aus einem so zarten Elemente, daß sie sich geschmeidig nach der Verschiedenheit aller Kehlen und Instrumente, und überhaupt der Materie, durch die sie hervorgebracht werden, richten. Doch überall bleibt das Allgemeine, ihr Verhältniß von Höhe und Tiefe und Dauer zu einander; und der Charakter, der Ausdruck desselben.«

Während dieser Einleitung waren sie nach Hause, und bis in den Musiksaal gekommen. Hildegard hielt sich noch ein wenig in der Küche auf; unterdessen stimmte Lockmann das Klavier, und fing an, als sie hereintrat.

»Das Beständige und Allgemeine des Ausdrucks liegt in der Harmonie und dem Rhythmus; die Melodie schöpft aus beyden ihr Lebendiges.«

»Die Griechen vernachlässigten die erstre; wir Neuern den letztern.«

»Harmonie und Disharmonie ist leichtes oder schweres Verhältniß der Luftschwingungen in verschiednen Formen, und verschiednen Graden von Geschwindigkeit für das menschliche Ohr.«

»Die verschiednen Formen entstehen durch Verschiedenheit der Kehlen und Instrumente. Diese Art von Harmonie und Disharmonie ist, was Wirkung betrift, noch wenig untersucht worden; man hat sie, ungeachtet ihrer großen Wichtigkeit, immer dem eignen Gefühl der Komponisten, und übrigens meistens dem Ungefähr überlassen.«

»Die leichten und angenehmen Verhältnisse gehen bis auf die Zahl Sechs, von 1, 2, 3, 4, 5 und 6; und bis auf die mehrfache Verdoppelung dieser Zahlen. Die Natur selbst hat das Ohr des Menschen darnach geformt; die Bogengänge des Labyrinths sind [18] gerad' in den Verhältnissen der Hauptkonsonanzen – der Oktav, reinen Quinte und großen Terz – 2, 3, 517

»Wenn das große tiefe E Eine Schwingung macht, so macht in derselben Zeit das ungestrichne C deren zwey, das ungestrichne G drey, das eingestrichne C vier, das eingestrichne E fünf, und das eingestrichne G sechs

»Und hier haben wir alle Töne, die man Konsonanzen nennt, wenn man die dritte Oktav (acht) im zweygestrichnen C noch hinzunimmt.«

»Ueberhaupt sind Konsonanzen die Töne der Dreyklänge, die zu ihrer Vollständigkeit keinen vierten nöthig haben. Der verminderte Dreyklang ist schon ein Bruchstück der kleinen Septime.«

»Die Oktave, 1 und 2, stimmt so mit dem Grundton zusammen, daß die Töne dem Ohr fast nur zu Einem Ton werden. Sie ist die vollkommenste Konsonanz, und will durchaus rein seyn. Die Griechen liebten sie vor jeder andern; ihr Chor soll in ihrem besten Zeitalter nur daraus bestanden haben. Sie gleicht Vater und Sohn. Auch das Auge liebt dieses Verhältniß; und in der Baukunst giebt es die schönsten Thüren und Fenster.«

»Die vier Oktaven unsers Systems sind wie Knabe und Jüngling, Mann und Greis; der Umfang von Gefühlen des menschlichen Lebens. Was wir an Tiefe von Kenntnissen gewinnen, verlieren wir an Stärke und Behendigkeit.«

»Der Oktav am nächsten kommt die Quinte, in dem Verhältniß von 3 zu 2. Sie ist der himmlische Geist, der den schon organischen Stoff ausbildet, und darin strahlt und glänzt.«[19]

»Dann erhebt sich die Quart, 4 zu 3, in der zweyten Oktave zur höhern Ausbildung und Festigkeit.«

»Und endlich die große Terz, 5 zu 4, als das Herz, der Sitz vom Leben und vom frohen Gefühl des Daseyns in höchster Vollkommenheit.«

»O, wär' ich Pythagoras, um Ihnen die entzückende Vollkommenheit aller Urgeschöpfe in den geheimnißvollen Verhältnissen von 1, 2, 3, 4 und 5 tief genug auszuempfinden und zu schildern!«

»Dann ertönt die Oktav, 6, von der Quinte 3; und es entsteht die kleine Terz, das eingestrichne G zu dem eingestrichnen E, in dem Verhältnisse von 5 zu 6: der Geist schon nicht mehr im Schaffen und freyen Wirken, sondern wie vom Himmel verbannt, hienieden auf der Erde umherschauend; wenn ich das Bild noch ferner anwenden darf.«

»Die große und kleine Sext sind nur umgekehrte Terzen. Die große liegt schon in der ersten Quinte, dem ungestrichnen G, und der großen Terz, dem eingestrichnen E, da; und verhält sich wie 5 zu 3. Die kleine Sext entsteht, wenn die dritte Oktave des Grundtons, das zweygestrichne C, 8, zu der großen Terz, 5, sich hören läßt. Und dann strömt die ganze Harmonie aller Konsonanzen in vollem Leben durch die Luft.«

»Das Verhältniß von 1 zu 7, oder – nach der zweyten Oktave, dem eingestrichnen C, berechnet – das Verhältniß von 4 zu 7, welches mit CEG die Verhältnisse von 4, 5, 6 und 7 ausmachen würde, haben wir in unserm System nicht. Einzelne Theoretiker wollten den Ton zwischen A und B setzen und, mit dem vollkommnen Dreyklang verbunden, als einen besondern nicht dissonirenden Accord einführen; aber das musikalische Europa scheint ihn bis jetzt als eine mathematische[20] Grille zu verwerfen. Vielleicht wird er noch von einem großen Meister zum Ausdruck einer passenden Empfindung gebraucht (des Moments zum Beyspiel, wo eine schöne Seele in der Wahl steht, ob sie zur Sünde übergehen will, oder nicht); wenn er nicht schon oft aus Instinkt von gefühlvollen Sängern und Sängerinnen gebraucht ward.«

»Tartini, welcher ihn die konsonirende Septime nannte, und nach ihm Kirnberger18, glaubten, er könne in Melodie und Harmonie dienen. Rameau aber nannte diese 7 einen verlornen Ton, und schloß ihn von der Harmonie aus.«

»Das Verhältniß von 6 zu 7, zum Beyspiel von dem eingestrichnen G zu einem Ton zwischen dem eingestrichnen A und B, der zum eingestrichnen C weder die übermäßige Sext (welche sich dazu wie 1/2 2/2 8/5 verhält), noch die kleine Septime wäre, die in dem Verhältnisse 9/16 mit diesem Tone steht; ingleichen das Verhältniß von 7 zu 8 fällt also weg, und die erste Dissonanz fängt in dem Verhältnisse von 8 zu 9 an, welches die große Sekunde, das zweygestrichne C zum zweygestrichnen D, ausmacht.«

»Alle Theile einer Saite kommen bey dem Anschlag oder Strich nach und nach, mit der gesammten Bewegung auch in einzelne; bey langer Dauer vom Ton des großen C kann sich endlich das viergestrichne C hören lassen; und dieses Nach- und Zusammentönen macht den Klang aus.«

»Die Quinte, Quarte, Terz und Sext brauchen zu ihrer harmonischen Fülle nur Einen Ton; daraus entsteht der Dreyklang mit seinen[21] Verwechselungen: die keuscheste Vereinigung von Konsonanzen, bey welcher nichts zu viel und nichts zu wenig ist.« –

»Der Dreyklang mit der großen Terz und reinen Quinte, der so genannte harte, ist der Ausdruck von Vollkommenheit, Schönheit, Stärke; welche von so vielerley Art seyn kann, als Wesen in der Natur und Kehlen und Instrumente vorhanden sind. Alles kann dadurch ausgedrückt werden, wenn es in Vollkommenheit hat, was es haben soll; sowohl das Angenehmste: Vereinigung, Aussöhnung zweyer Liebenden; als das Furchtbarste: der Tod.«

»Der Dreyklang mit der kleinen Terz und reinen Quint, der so genannte weiche, drückt geringere Vollkommenheit und Stärke aus; es fehlt zum glücklichen Ganzen etwas, dem Weibe der Mann, dem Manne das Weib: Sehnsucht, Zärtlichkeit, Traurigkeit von allerley Art; eben deswegen aber zuweilen auch tieferes Gefühl, als der harte.«

»Der verminderte Dreyklang, wo zur kleinen Terz noch die falsche Quinte hinzukommt, zeigt eine solche Lücke in der Vollkommenheit an, daß alles darauf treibt, sie bald zu ersetzen.«

»Der Ausdruck dieser Dreyklänge wird etwas verändert, wenn man die Töne verwechselt, und entweder die Terz oder die Quinte zum Grundton nimmt. Bey der Terz als Grundton, entsteht die Sext; gleichsam eine höhere Stufe, auf welche das Wesen steigt, oder Fluß und Regung; und bey der Quint als Grundton, die Quart und Sext, worin die Existenz, das Leben, auf seine höchste Stufe gebracht wird. Nichts kann in der Musik mehr blitzen und strahlen, als wenn der harte Dreyklang von den Instrumenten eines großen Orchesters so aus einander gebreitet in der ganzen Fülle und Verdoppelung durch alle Oktaven des Sextquartenaccords in der Luft schwebt. Die[22] Kadenzen werden auf ihm gemacht, damit die Stimme, oder die Melodie der Instrumente, aus seinem hohen Leben sich nach und nach, wie ein Adler oder Falk, in weiten Kreisen aus dem Aether, wieder herablasse; wozu auch das Wort (Kadenz) erfunden ward. Er ist der Accord des Enthusiasmus. Wahrscheinlich schrieb Rousseau, als er eben matt und von der Arbeit erschöpft war, in seinem musikalischen Wörterbuche unter andern seichten und falschen Zeilen, auch die: La Fadeur de Sixte-Quart. Welche Pracht und Herrlichkeit, welcher Inbegriff von allen Gefühlen des Ganzen, herrscht nicht darin am Ende der Komposizionen von großen Meistern!«

»Freylich kann man in dieser Höhe ein Stück weder anfangen noch endigen; und die Natur verlangt in der Musik immer Grund und Boden, sowohl beym Anfang als am Ende.«

»Das Wort Accord hat nach und nach einen weitläuftigen Sinn bekommen. Vorher verstand man darunter den Zusammenklang von vier Konsonanzen, oder von mehrern bey der Verdoppelung einiger von denselben; jetzt bedeutet es den Zusammenklang von vier oder mehrern Tönen überhaupt, sie mögen Konsonanzen oder Dissonanzen unter sich seyn.«

»Die vier Hauptaccorde, nächst den Accorden der Dreyklänge, sind vier Septimenaccorde, von denen jeder mit vier Tönen in der diatonischen Tonleiter liegt. Sie machen in ihren unendlich mannigfaltigen Umkehrungen, Verwechselungen und Vorhaltungen gleichsam fast alle übrigen Elemente der musikalischen Welt aus.«

»Der erste ist der Accord der kleinen Septime mit dem harten Dreyklang der Dominante, oder Quinte des Grundtons. Er kommt in der diatonischen Leiter nur Einmal vor, ist der erste Matador, und entscheidet. Aus seinen Verwechselungen entstehen, so wie aus[23] den Verwechselungen aller Septimenaccorde, der Quintsext-, der Terzquartsext-, und der Secund-Accord; je nachdem die Terz, die Quinte, oder Septime in der Tiefe liegen.«

»Sein Ausdruck ist das Zeugen und Werden des Dreyklangs, und alles dessen, was dieser für Leben, Geist und Gehalt hat.«

»Wenn er nicht der Accord der Quinte des Grundtons vom Ganzen ist: so ist er der Accord der Dominante einer neuen Existenz, wohin die vorige übergeht.«

»Am schönsten klingt er, wenn die große Terz, la note sensible, oben schwebt; schmachtende Lippen am vollen Becher der Lust, Berührung des heiß verlangten Zieles. Im Allgemeinen ist er Uebergang in irgend eine Existenz, sie sey höchst glücklich, oder höchst schrecklich.«

»Eins der vortreflichsten Muster vom Ausdruck des Schrecklichen findet man in der Sophonisbe von Traetta, (Akt III. Sc. 10.) bey den Worten: Ah, non credei, che si terribil fosse l'aspetto della morte. Die ganze Melodie bewegt sich, in Mark und Bein dringend, durch alle Töne desselben auf der Dominante G, hält am meisten in der Note sensible, und stürzt sich bey Morte fürchterlich in die große Terz des harten Dreyklangs von C.«

»Eben so vortreflich, und noch tragischer, braucht diesen Accord Sarti in der göttlichen Scene, wo Giulio Sabino von seinen zarten Kindern und seiner geliebten Gattin Abschied nimmt; bey der Stelle: Jo già lo sento quel che invita alla tomba orribile di morte atro lamento. Auch hier stürmt die Melodie durch alle Töne desselben (nach der Grundharmonie, auf der Dominante B, in Wirklichkeit aber im Sextquintenaccord auf D der Terz) bis bey lamento in Ges Es.«

»Gluck braucht ihn eben so in der Alceste (Akt II. Scene 6.) bey den Worten: Ah già s'avanza il momento fatale.«[24]

»Als Uebergang vom Leiden zum Glück braucht ihn eben dieser Meister zu Anfang des dritten Akts im Orfeo bey den Worten: Fra poco il nostro cielo, il nostro sole il mondo di bel nuovo vedrai; und in der zweyten Scene des vierten Akts der Iphigenia in Tauris, bey der göttlichen Stelle des Orestes: Voilà le terme heureux de mes longues souffrances.«

»Er geht in allen seinen Verwechselungen entweder in den Grundton, oder in eine neue Harmonie über: die Septime in die Terz, und die große Terz in den Ton.«

»Den verschiednen mannigfaltigen Reiz und Ausdruck im Auseinanderbreiten, oder Zusammenziehen dieses Accordes, und in Bestimmung des Tons, welcher die Melodie führen, welcher der Harmonie zur Grundlage dienen; ferner, ob die Dissonanz, welche in allen Umkehrungen dieselbe bleibt, der Stimme oder einem der süßesten Instrumente gegeben werden; ob sie verborgen, versteckt, vorüberschlüpfend seyn; welcher Ton ausgelassen, welcher verdoppelt werden soll: alles dieses muß der Tonkünstler in seinem Herzen und gutem Gehör fühlen; so wie auch alle Verzierung des Accords.«

»Jeder Ton darin ändert sich, nachdem er in Verhältniß und Verbindung steht.«

»Wenn die große Terz, oder die Septime dieses Accords ein Instrument oder eine Stimme hat, welche diese Töne gar nicht rührend hervorbringen kann; so geht aller Reiz und Ausdruck verloren. Der vortreflichste Sänger und die vortreflichste Sängerin werden zu Schanden, wenn sie gerade diese wesentlichen Töne nicht natürlich rein und stark nach allen gehörigen Graden in ihrer Kehle haben. So viel kommt darauf an, ob ein Komponist seine Leute kennt! Daher richtet ein verständiger zuweilen durch mittelmäßige Personen[25] mehr aus, als ein unverständiger durch die vortreflichsten. Ich habe in Rom gesehen, daß Sänger bey der ersten Oper, von einem andern Meister, fast vom Theater gejagt wurden, welche bey der zweyten, von Cimarosa, bezauberten und wie verwandelt schienen.«

»Der zweyte Septimenaccord ist der Accord der kleinen Septime mit der kleinen Terz und reinen Quinte. Er kommt am öftesten, dreymal, in der diatonischen Leiter vor: auf der Secunde, großen Terz und großen Sexte; dieß giebt ihm Mannigfaltigkeit von Uebergang und Regung.«

»Sein Ausdruck ist Beharrlichkeit und Festigkeit in der Existenz, dem Leben und dem Vorsatze, worin man sich befindet. Er zeigt so recht die Mühe des Erdenlebens und die Anwendung der Kraft an; doch schwebt darin das entzückende Gefühl der Stärke. Alles ist mit Nerve durchzogen. Er fällt durch die Süßigkeit des vorigen gar leicht wieder in die schöne frische reine Existenz, oder überhaupt den Charakter derselben. Durch die verschiednen Verwechselungen verändert er sich mehr oder weniger, eben so wie der vorige.«

»Ein Demosthenes, der in der großen Volksversammlung einen Wetterstrahl herniederdonnert, und dadurch alle Verräther, alle Widersacher, zu Boden wirft und verscheucht; ein Herkules, der den Anteus mit gewaltigen Armen emporhebt, und in der Luft erdrückt; eine Sophonisbe, die den Giftbecher ergreift, um sich von den Römischen Räubern nicht im Triumph aufführen zu lassen; eine Iphigenia, Elektra, Antigone, wenn sie ihre schönsten Thaten beginnen: das sind die schönen Bilder zu diesem Accord.«

»In einer anhaltenden Reihe von Septimengängen, mit Klarinetten, Hörnern, Fagotten und starken Bässen, leuchtet sein Charakter erst recht hervor. Er muß in Scenen, worin Kampf und Ueberwindung vorkommt, herrschen, und mit andern schicklichen abwechseln.«[26]

»In Jomelli's Todtenmesse sind mehrere Muster seines Ausdrucks; als gleich bey requiem aeternam, lux perpetua, rex gloriae, de ore leonis, peccata mundi.«

»Gluck braucht den Secundenaccord davon treflich im Orfeo zu Ende des zweyten Akts, bey den Worten des Chors: Che più diviso sia da te; wo er eine dauernde unzertrennliche Glückseligkeit ausdrückt. Von seinem Ausdruck in einfacher Reinheit ist ein schönes Muster in eben dieses Meisters Iphigénie en Aulide (Akt II. Sc. 5.) bey den Worten: Qu'elle n'a rien à craindre. Und zwey andre herrliche Beyspiele seiner Fülle in einem Chore der Iphigénie en Tauride (Akt II. Sc. 6.) bey den Worten: Patrie infortunée, où par des noeuds si doux notre ame est encore enchainée; und in der ersten Scene des vierten Akts derselben, bey Iphigeniens Worten: Dans le fond de mon coeur mets la férocité.«

»Er macht recht das aus, was man im Kolorit saftig nennt.«

»Der dritte Septimenaccord ist der Accord der kleinen Septime mit der kleinen Terz und falschen Quinte. Er kommt in der diatonischen Leiter nur einmal vor. Wenn er wesentlich, und die Dissonanz kein bloßer Vorhalt ist: so drückt er Kampf und Leiden aus, und gehört unter die tragischen.«

»Gluck braucht ihn in der Verwechselung der Sextquinte gleich beym ersten Ausruf des Orestes zu Ende des ersten Akts der Iphigénie en Tauride zu den Worten: O mon ami, c'est moi, qui cause ton trépas. Eben so darin wieder Orestes zum Pylades, in der ersten Scene des zweyten Akts: Je t'ai donné la mort. Und in der zweyten Scene des vierten Akts, wo Orest sterben will: Les dieux m'en avoient fait un devoir nécessaire, in der Verwechselung der[27] Secunde19. Leo bringt im Miserere durch ihn die rührendsten Stellen hervor. Die herzergreifendste ist: Et spiritum rectum innova in visceribus meis. Bey rectum ist er in der Verwechselung der Terzquartsext mit dem herben Vorhalt der großen Septime. Bey visceribus meis geht ihm dann die große Septime und übermäßige Sext erschütternd vor; und, in visceribus, wird zweymal in der Verwechselung der Sextquinte darin wiederhohlt. Man kann nichts Flehenderes hören, als die, drey Takte lang angehaltne Quinte des Soprans und Sexte, mit Abwechselung des höhern halben Tons in der Melodie, des Tenors dazu. Die ganze Stelle ist noch ein Meisterstück von melodischem Auseinanderbreiten der Stimmen.«

»Bey Septimengängen, wo er in die Dissonanzen der vorigen übergeht, merkt man recht die Schwermuth, die darin liegt.«

»Der Accord, wo die kleine Septime auf dem verminderten Dreyklange nur einen Vorhalt der kleinen Sexte macht, ist die köstlichste, süßeste und erquickendste Frucht des ganzen Tonreichs; bey keinem schmelzen so reizende Tinten zur ausdruckvollsten höchsten Schönheit zusammen; Raphael, Corregio und Tizian können durch die ausempfundenste Mischung der Farben nichts Lieblicheres in Blick, Kuß und Umarmung holder Jungfrauen und Jünglinge, zärtlicher treuer Freunde, darstellen.«

»In der Septime schwebt erstlich das Gefühl des eigentlichen dritten Septimenaccords, nur nicht tragisch, sondern gemildert und gereinigt; dann ihr eignes, als zärtlicher Vorhalt; dann etwas von[28] dem Herben der None, nach der Grundharmonie; ferner im Ganzen desselben das Schmachtende des verminderten Dreyklanges; dann in der Quinte und der bald auf die Septime folgenden Sext dazu das Entzückende des ersten Septimenaccords in der ersten Verwechselung, der Sextquinte; und auf der Note sensible zittert alles vor Lust, und glänzt wie Wonnethräne.«

»Auch haben die größten Komponisten, so wie die bewundertsten Sängerinnen und Sänger, mit diesem Accord ihre höchsten Zaubereyen verrichtet. Er hat etwas äusserst Bittendes und Flehendes; sein eigentlicher Charakter ist die süßeste Zärtlichkeit; und er gehört ohne allen Zweifel zu den entzückendsten Accorden für den Ausdruck.«

»Majo braucht ihn meisterhaft in dem herrlichen Duett am Ende des zweyten Akts vom Montezuma:

Caro ti lascio addio!

Ben mio addio!

Er läßt in ihm auf der Silbe di eine Kadenz halten, und bringt ihn, zur höchsten Verstärkung des Ausdrucks, gleich wieder auf einem andern Tone bey den Worten: Mi si divide il cor.«

»Jomelli im zweyten Akt des Vologeso (Scene 2) bey Lascia mi, o cara, la pace in sen. Und in der göttlichen Arie der Berenize im zweyten Akt eben dieser Oper bey L'ira sospendi, sospendi l'ira!«

»So in Glucks Alceste bey Io morirò d'amor in der schönen Arie Non vi turbate, no! (letzte Scene des zweyten Akts.) Und doppelt bey den Worten des Achilles in der Iphigénie en Aulide (Akt II. Sc. 5.): Je saurai me contraindre.«

»Noch eins der schönsten Muster seines Ausdrucks ist in desselben[29] Meisters Iphigenia in Tauris (Akt III. Sc. 4.) bey den Worten des Pylades: Oreste, hélas! peut-il me méconnaître20

»Der vierte Septimenaccord ist der Accord der großen Septime mit der reinen Quinte und großen Terz. Er kommt in der diatonischen Leiter zweymal vor.«

»Bey diesem ist die Kraft am angestrengtesten, und er gelangt erst durch die Tiefen der vorigen wieder zur Ruhe, oder reinen Existenz. In seinen Verwechselungen ist er der ungelenkigste unter allen.«

»Ein vortrefliches Muster seines höchst tragischen Ausdrucks ist in Admets No, crudel, in Glucks Alceste bey den Worten: E un si barbaro abbandono, in der ersten Umkehrung desselben, der verkleinerten Sext; wo aber die Melodie den Sturz der großen Septime des Grundaccords selbst hat. Die reine Quinte wird hier herbe Dissonanz, und kämpft recht, wie göttlicher heroischer Charakter in den Tragödien des Sophokles und Euripides, mit den Uebeln der Welt.«

»Viel verstärkter ist sein Ausdruck in der sechsten Scene des zweyten Akts der Iphigenia in Tauris, wo der Chor in Iphigeniens Worte: Mêlez vos cris plaintifs à mes gémissemens; einfällt. Die eingeleitete und dauernde Dissonanz in der Höhe der Melodie zerreißt das Herz.«

»Am schneidendsten wird er in derselben Oper von diesem großen Meister des Ausdrucks angebracht, wo Iphigenia dem Orestes das Herz durchstoßen soll: Je tremble, et mon bras plus timide – Chor: Frappez!«[30]

»Nicht so in regelmäßiger Folge, sondern nur als Accent der Wehmuth, Bitterkeit, des Abscheus und Entsetzlichen, thut schon die verkleinerte Sext die größte Wirkung; und die Meister im Tragischen bringen dadurch die vortreflichsten Stellen hervor.«

»So gebraucht sie Traetta für Muttermord im Chor der Furien, die den schlummernden Orestes peinigen, bey den Worten: D'una madre svenata da te, zu zvenata. Gluck fühlte nicht so tief, als er dieselbe Empfindung bey Il a tué sa mère, zwey Takte lang in der übermäßigen Sext ausdrückte; hier gleichsam Rubens gegen Raphael. Im Orfeo hat er sie doch treflich bey den Worten Cosa sìa languir d'amour; und so in der Iphigenia in Aulis, wo Agamemnon klagt: D'une victime si tendre et si chère.«

»So gebraucht sie Jomelli im Cajo Fabrizio in der dritten Scene des dritten Akts: La vita mi sento mancar; und in der letzten Scene des ersten Akts der Dido, Mi sento morir.«

»Pergolesi in seiner berühmten Arie: Se cerca se dice bey piangendo partì; und mehrmals im Stabat mater und Salve regina.«

»Der Grundbaß der wesentlichen Septimenaccorde schreitet mit der Quart in die Höhe, und mit der Quint in die Tiefe, wodurch man sie am leichtesten von bloßen Vorhalten unterscheiden kann.«

»Ein uneigentlicher Septimenaccord ist der Accord der verminderten Septime auf dem verminderten Dreyklang: er gleicht in seinem Ursprung dem mit der kleinen Septime darauf, und ist, wie dieser, ein Septnonenaccord; die verkleinerte Septime geht eben so in die Sext vom Quintsextenaccord der ersten Versetzung des ersten Septimenaccords über.«

»Er ist der sinnlichste Ausdruck des Leidens: nichts sträubt und wehrt sich mehr darin; lauter Elegie und Wehklage; der Zusammenklang[31] aller Gefühle und Empfindungen, besonders nach der tragischen Katastrophe; in einer Reihe nach einander fast zu weiblich für edle Jünglinge und Männer. Gluck braucht ihn zu häufig; aber nichts drückt den Moment der tiefsten Niederbeugung besser aus. Bey Entzücken, das an Schmerz grenzt, ist er im Taumel der Lust noch an seiner Stelle. Er gestattet nur weiche zarte Töne.«

»Eine verlaßne Ariadne; ein Petrarca, der den Tod seiner Laura beweint; junge Trojaner und Trojanerinnen, die zur Sklaverey abziehen: das sind die traurigen rührenden Bilder dazu; Saiteninstrumente die schicklichste Begleitung.«

»Reizende Beyspiele dieses Ausdrucks findet man bey den großen Meistern überall. Eins der schönsten mag wohl gleich zu Anfang der Kantate Orfeo von Pergolesi seyn, bey den Worten: E qui nel muto orrore in dolci accenti, wo dieser Accord nach der verkleinerten Sext auf orrore entzückende Wirkung thut.«

»In den Verwechselungen wird er durch den Kontrast doch zuweilen grell und schneidend.«

»Auf ihm werden eigentlich die enharmonischen Gänge gemacht; er ist gleichsam der Kapitalschlüssel der Harmonie, und man kann mit ihm überall hingehen.«

»Wenn die verkleinerte Septime auf dem verminderten Dreyklang nur Vorhalt der Sexte ist: so schwebt sie auf der Note sensible der weichen Tonart; und Septime und Note sensible drücken eben so die Begierde aus in eine beruhigende Harmonie sich aufzulösen, als die kleine Septime auf der Note sensible der harten Tonart. Beyde sind zärtliche oder entzückende Berührung zur Vereinigung. Die Note sensible schwillt unwiderstehlich in den Grundton; die Septime schmilzt in die reine Quinte, entweder unmittelbar, oder indem sie[32] durch die Sext sie erst betastet, und die Fülle der kleinen Terz und falschen Quinte bildet sich zur Terz des Dreyklangs.«

»Man streitet über den Ursprung des Accords der übermäßigen Sext; je nachdem man die Quart oder die Quinte dazu nimmt, kann man ihn von zweyerley Septimenaccorden herleiten: dem Accord der kleinen Septime auf dem verminderten Dreyklange, und dem Accord der verkleinerten Septime. Die erste Herleitung hat die Geschichte der Musik für sich. Die Alten brauchten den Terzquartenaccord, um zu einer Art von Schluß auf der Dominante der weichen Tonarten zu gelangen. Wir thun dieß ebenfalls, und erhöhen nur die Sext einen halben Ton, um zur Dominante die Note sensible zu erhalten, welche jenen fehlte.«

»Andre behaupten, er sey eine Umkehrung des verkleinerten Septimenaccords, und wollen dazu die Quinte, oder, wegen Gefahr verbotner Quinten, nur die Terz, welche man verdoppeln kann; der Baß aber, sagen sie, werde einen halben Ton niedriger genommen, um den Charakter der weichen Tonart im Absteigen beyzubehalten. Wenn man den Accord versetze, so komme die Septime sogleich, nur mit der verminderten Terz, zum Vorschein.«

»Die übermäßige Sext ist herber Uebergang in die Dominante oder Quinte eines Molltons. Ihr Ausdruck ist tiefes Weh, äußerster Schmerz, der seiner Natur nach wenig Momente dauern kann, wie wenn man eine Wunde bekommt durch Stich oder Hieb. Sie drückt gewissermaaßen die Schärfe, die Spitze aus, wodurch das Leiden entsteht.«

»Im Stabat mater von Pergolesi ist sie an ihrer rechten Stelle bey den Worten: In tanto supplicio. In der Kantate Orfeo braucht dieser Meister sie dreymal hinter einander bey Euiridice, dove sei, e dove, dove sei!«[33]

»So braucht Jomelli sie recht wesentlich, wo Aeneas der Dido ankündigt, daß er sie verlassen muß; und sie darauf in plötzlichem Erschrecken ausruft: A chi, misera me, darò più fede! tief aus der Seele.«

»Im Ippolito ed Aricia von Traetta ist ein Meisterstück von ihrem Gebrauch gleich in der ersten Scene. Aricia soll aus Politik des Theseus sich der ewigen Keuschheit im Tempel der Diana und zu ihrer Nymphe widmen; liebt aber den Hippolyt, der ihr seine Leidenschaft schon zu erkennen gegeben hat. Diese Situazion ist durch die Musik ganz vortreflich aus der zarten jungfräulichen Seele dargestellt; ein Triumph der Gabrieli

»Als die fromme Unschuld in dem feyerlichen Tempel auftritt, ruft sie voll Kummer aus: O di tranquilla pace amabil sede, ascolta, o tempio, i voti miei.«

»Auf einem Worte, wo man es nicht denken sollte, auf amabil, herrscht in der Musik der Schmerz der übermäßigen Sext; und vortreflich, aus dem Innersten geschöpft! Nichts konnte das Mißhellige des Gegenstandes für das innre Gefühl besser ausdrücken. Die Scene ist recht im großen Styl; das Gold vom Genie hervorgegraben und herausgeschmolzen, die Wortschlacke den Schulmeistern überlassen. Alsdann folgt die süße Wehmuth der verkleinerten Septime durch das Ganze.«

»Paesiello braucht in seiner Passion bey den Worten: Tutto geme il mondo afflitto, zu geme erst die verkleinerte Septime selbst, und giebt der Melodie die verkleinerte Terz davon, anstatt der kleinen, in einem Abstand von zwey Oktaven, wo sie dem Gehör faßlich wird.«

»Noch mehr wird sie es in einem Abstand von drey Oktaven; näher[34] klappt sie eher als daß sie klänge, drückt aber Stöhnen von beklemmtem Herzen und höchste Wehmuth vortreflich aus. Bey afflitto kommt dann die übermäßige Sext durch die Umkehrung.«

»In großen Werken darf man nicht damit spielen, nicht das Pulver zur leeren Pracht vergebens verschießen, um das mit der Kugel geladne Gewehr zur rechten Zeit abfeuern und den bestimmten Fleck treffen zu können.«

»Die übermäßigen Intervallen drücken überhaupt heftige Leidenschaft aus, die sich nicht mehr verbergen kann. Als Beyspiel von der übermäßigen Secunde: Padre, regina, deh! questo cor lasciate; Hippolyt im dritten Akt, bey Traetta

»Jomelli braucht dieselbe vortreflich mit der übermäßigen Quart siebenmal nach einander, bey den Worten des Orestes: Cessa, di lacerarmi, di lacerarmi il core.«

»So Traetta, zweymal die übermäßige Quart bey der Phädra, die über den Hippolyt erbittert ist: Perderlo vorrei, perderlo vorrei.«

»So wieder Jomelli die übermäßige Quinte bey der Stelle des Orestes: Nascondimi di quel seno l'acerba ferità.«

»Uebrigens kann man den Ausdruck der einzelnen Intervallen, auch für die bloße Melodie, weder im Aufsteigen, noch im Heruntergehen bestimmen, wenn man nicht schon in der Harmonie der Dreyklänge damit anfängt. Zwey Töne machen noch kein Ganzes aus; wenigstens muß der dritte hinzugedacht werden. Wer zum Beyspiel sagt: die kleine Terz ist traurig, die reine Quinte fröhlich; der müßte den weichen Dreyklang aus traurig-fröhlich bestehen lassen. Und wenn er den Ausdruck der großen Terz im Heruntergehen melancholisch schildert: so könnte ein Ding zum Vorschein kommen, das traurig-fröhlich-melancholisch zu gleicher Zeit wäre.«[35]

»Die Vorhalte sind gleichsam Mitteltinten, die Harmonie zu verschmelzen; sie können bey allen Accorden und deren Verwechselungen angebracht werden, geben denselben oft einen starken Reiz, und machen die zufälligen Dissonanzen aus. Sie drücken entweder ein Sträuben, oder eine Begierde aus bey Freude und Leid. Es kommt auf Ort und Umstände an, ob sie edel oder unedel sind, ob sie Kraft und Stärke, oder bloße Ziererey, Empfindeley und unerträgliche Künsteley zeigen.«

»Der wichtigste unter ihnen ist der Vorhalt der None, welche die Terz und Quinte bey sich hat, und sich dadurch von der Secund, unterscheidet. Das Sträuben darin kann Widerwille und Haß werden.«

»Und nächst der None der Vorhalt der Quarte, die sich zuweilen von ihrem vorigen Vergnügen noch nicht losreißen kann, oder lüstern den neuen Genuß beschaut.«

»Secunde, Quart, Sext, Septime und None können, jede einzeln, und mehr oder weniger beysammen, den Vorhalt ausmachen; sie bleiben allezeit aus dem vorigen Takt in dem neuen liegen. Quart und Sext sind die angenehmsten; besonders ist die Sext ein ungemein reizender Uebergang bey den Accorden der kleinen Septime: ganz Jungfräulichkeit, die sich sträubt, doch von der Natur unüberwindlich hingerissen wird. Sie sind die Quellen der Manieren im Singen und Spielen; und aus ihnen entsteht gleichsam die gute Lebensart im Gesang.«

»Das beste System für die Musik ist das, worin man das Ganze der Harmonie am leichtesten übersehen, und die Regeln, nach welchen die großen Meister gearbeitet haben, am richtigsten und faßlichsten entwickeln kann. Ein bequemeres, als das alte war, erdachte [36] Rameau; man sollte seine Verdienste nicht verkennen, und endlich einmal in Deutschland aufhören, den Franzosen in ihm zu verfolgen. Kirnberger machte es nur einfacher, und dabey vollständiger; einiges Falsche, das man schon vorher bemerkt hatte, ward darin ausgemerzt. Aber noch immer finden sich Schwierigkeiten in den Versetzungen der Septimenaccorde, und den Vorhalten, wo beyde sich in einander verlieren; die Natur unterwirft sich nirgends so ganz der Regel.«

Reinhold hatte mit der größten Aufmerksamkeit zugehört, und sagte: »Man kann fast nicht zweifeln, daß der wahrste und eigentlichste Ausdruck bey allen diesen Stellen in der gebrauchten Harmonie liege, besonders wenn sie von solchen Kehlen und mit solchem lebendigen Gefühl vorgetragen werden. Inzwischen glaube ich doch, daß bey einigen, für den größern Theil des Publikums, schönere Melodie das völlig ersetzen könnte, was ihr an ächtem Gehalt bey andrer Harmonie abgehen möchte.«

Lockmann erwiederte: »Warum sollte nicht die schönste Melodie mit der wahrsten Harmonie vereinigt seyn können?«

»Der vortreflichste musikalische Ausdruck irgend einer Empfindung, einer Leidenschaft, beruhet fürs erste auf der Harmonie; nach deren Verhältnissen kommt dann der Vortrag in der gefälligsten Melodie, und mit dieser der ergreifendste Rhythmus.«

»Alle drey müssen vereinigt seyn; aber die erste ist das Wesentlichste: sie enthält die Elemente, aus denen die andern beyden bestehen. Man mag Messing noch so schön prägen, und auch etwas von dem königlichen Metall hinzu gethan haben: die Kunst der Bildung wird, was den inneren Werth betrift, nie die Gediegenheit des Goldes ersetzen.«[37]

Der Alte erwiederte lächelnd: »Wir wollen keinen neuen Streit anfangen; sonst könnt' ich sagen: Luft ist Luft, und nicht so verschieden, wie Metalle. Ich fühl' es, daß man bey so gewaltigen Gefühlen, wie zum Beyspiel in der Iphigénie en Tauride herrschen, in der Harmonie so tief gehen muß, als man kann; daß der Accord der großen Septime hierbey ein ungleich mächtigerer Hebebaum ist, als die andern, und daß die schönsten Phrasen in Terzen und Sexten dagegen kindisch sind.«

»Friede! Friede und Freude, Lust und Wonne für den reizenden Unterricht, den ich vor vielen Jahren genossen zu haben wünschte! Man lernt dadurch Kern von Schale richtiger unterscheiden.«

Es ging nun zu Tische. Auch die Mutter war ausgegangen, und hatte die Frau von Lupfen, die ihr unterweges begegnete, mitgebracht. Als man an der Tafel in Ordnung war, fing Hildegard an, den Alten wegen seiner vorigen Geringschätzung der Instrumentalmusik zum Besten zu haben, und sagte: »Sie scheinen nun mit Herrn Lockmann einverstanden zu seyn, daß jeder Accord seinen besondern Ausdruck habe, und daß man etwas Besonderes dabey empfinde, auch ohne daß Worte es bezeichnen. Musik an und für sich wäre demnach die reine und allgemeine Kunst; und Vocalmusik nur ein Theil davon. Die allgemeine stände weit über dieser, und ließe sich nur zu ihr hernieder.«

Auch Lockmann neckte ihn: »Oder die Dichter erhöben sich zuweilen bis zu dem Tonkünstler, und ersännen Worte zu dessen Melodien; wie man es bey Haydn und bey vielen reizenden Liedermelodien in mehreren Sprachen versucht hat. Man machte das Hemde und den Rock nach dem Leibe.«

Die Frau von Hohenthal selbst fügte lächelnd hinzu: »Noverre[38] behauptete, ein Tonkünstler, der für das Ballet schreiben wolle, müsse, wo nicht selbst Tänzer seyn, doch die Tanzkunst vollkommen verstehen. So wie der Tonkünstler zu den Texten des Dichters Melodie und Harmonie erfände: so sollte eigentlich der Balletmeister seine Tänze zu dem Rhythmus der Musik und zu ihrem Ausdruck überhaupt, erfinden.«

Reinhold antwortete: »Ich alter Mann bin seit Kurzem noch von mancher Meinung zurückgekommen. So glaubt' ich zum Beyspiel, daß keine Sängerin in der Welt mit ihrer Stimme Farinelli'n und Caffarelli'n gleich kommen könne; und hier vor mir blüht und strahlt in üppiger Schönheit die lebendige Widerlegung: aber auch die Widerlegung alles jetzt Gesagten.«

»Zugegeben, wenn Sie wollen, daß die reine allgemeine Musik für die Region der Geister seyn mag. Für mich ist die Musik bloß menschliche Kunst; der Mensch brachte sie aus sich selbst hervor, und sie hat aller andern Natur wenig zu danken. Die menschliche Stimme ist der erste Quell derselben, gute Vocalmusik das Muster aller; und die Sprache davon unzertrennlich.«

Lockmann erwiederte: »Die Musik ist eine Kunst, die hauptsächlich das Innere, Unsinnliche, weit umher für das Ohr in die Lüfte verbreitet, und allgemein ausdrückt, was die Sprache oft nur rauh und eckicht andeuten kann. Wer keine gute Stimme hat – warum sollte der es nicht mit Instrumenten thun?«

Frau von Lupfen fiel ein: »Nicht wahr, lieber Reinhold, Krücken und Stelzen? Die menschliche Stimme allein kann Empfindungen durch Töne ausdrücken, welche nicht mehr allgemein sind, sondern etwas ganz Bestimmtes von Person zu Person sagen.« Dann wendete sie sich zu Hildegarden, und[39] sagte: »Boshafte! Dein Sieg über uns sollte Dir, auch unerörtert genug seyn.«

Diese erröthete, und erwiederte: »Boshafte, Du selbst! – Instrumentalmusik, worin Fluß wahren Gefühls, und Schwung, Flug origineller Phantasie herrscht, von Virtuosen in höchster Fertigkeit vortreflich vorgetragen, drückt ein so eignes geistiges Leben im Menschen aus, daß es jeder anderen Sprache unübersetzbar ist. Herr Reinhold muß die Meisterstücke von Tartini und Pugnani ganz vergessen haben.«

Hohenthal hemmte den Zwist sogleich dadurch, daß er der Frau von Lupfen, neben welcher er saß, scherzend ins Ohr raunte: »Meine Schwester ist unschuldig; warum haben wir unsre schönen Stimmen verloren!«

Der Alte ergötzte sich an dem Muthwillen, und fing nun wirklich an, die Instrumentalmusik zu preisen. Er rühmte sie für den Tanz, für die Jagd, für die Kriegsschaaren, und überhaupt als umgebende Pracht und Herrlichkeit der Menschenstimme aus der Natur um sie her. Auch erzählte er dazu manche Beyspiele.

Es war eine Lust, ihn reden zu hören, und zu sehen, wie die blühende Jugend ihm dafür liebkoste.

Das machte ihn weichherzig, und er fuhr dann fort: »Nun kann ich zufrieden den Ueberrest meines Pfades wallen. Ich habe viel Schönes und Gutes auf dieser Welt empfunden und genossen; und noch die letzten Sonnenblicke des Lebens erheitern warm und erfreulich meine Seele. Auch bleiben in den angenehmsten Gegenden von Europa Denkmahle von mir zurück, bey denen man sich meiner vielleicht mit Wohlwollen erinnern wird.«

Dieß rührte die Frau von Hohenthal innig, und sie wünschte die[40] Risse von seinen merkwürdigsten Gebäuden zu sehen. Selbst in Italien hatte er einige, unter andern ein Theater, aufgeführt; auch in der Provence und der Schweiz; in Deutschland mehrere bequeme Wohnungen. Dann war er Erbe eines sehr wohlhabenden Oheims in Holländischen Diensten geworden, und hatte sich in der schönen Gegend am Rheinstrom, seinem Vaterlande, zur Ruhe gesetzt.

Er versprach, einige von seinen Rissen hervorzusuchen, und fügte hinzu: »Das Ohr ist ein weit feinerer Sinn, als das Auge: es empfindet die Verhältnisse viel richtiger, und bildet den Geist, daß er die Schönheit derselben erfinden und beurtheilen kann. Was Ihnen an meinen Arbeiten gefallen mag, hab' ich wohl der Musik zu verdanken. Lockmann hat mich recht ergriffen, als er das Verhältniß der Oktave mit der schönsten Form der Thüren und Fenster verglich. Eben so haben wir in der Baukunst Quinten, Quarten, Terzen und Sexten, und überhaupt, was er die vollkommne Existenz in der Tonkunst nennt. Ich kann sie Ihnen selbst an diesem Hause zeigen, welches mir unter allen meinen Gebäuden das liebste ist.«

Dieß war nun wie zur Erkenntlichkeit aus Lockmanns Seele. Feyerabend nahm ihm das Wort vor dem Munde weg, und sagte:

»So war die Erziehung der Griechen ein immerwährendes Gefühl von Harmonie: Gymnastik für den Körper; Musik für Herz und Geist. Wie die Musik: so beruht die ganze Moral, und endlich jede Kunst, auf Verhältnissen. Glücklich der Mensch dessen moralischer Sinn die Harmonie der Tugenden so leicht erkennen kann, wie unser göttliches Ohr die Reinheit der Konsonanzen!«

Lockmann fuhr fort: »Warum sollt' es nicht auch bey uns einmal[41] wieder so werden? Wie viele müßige Stunden hat nicht der junge Bürger, selbst der Landmann, der Soldat, der Jäger, der Künstler, und die Jugend überhaupt, wo sie nicht wissen, was sie vor langer Weile anfangen sollen? Es fehlt nur zweckmäßige Anleitung; die mehrsten würden sich gern mit Musik beschäftigen. Doch zeichnen sich Böhmen, Thüringen und Sachsen, nächst Italien, schon jetzt durch musikalische Erziehung vor allen Ländern der Welt aus.«

Unter diesen und andern angenehmen Gesprächen, kam man mit der Mahlzeit bis zu den schönen Früchten. Endlich schenkte Hildegard aus einer Flasche aromatisch duftendem Johannisberger die Gläser voll, stieß mit dem guten heitern Reinhold an, indeß die Andern das Beyspiel fröhlich befolgten, und sagte: »Ewige Lust und Wonne den Erfindern der Trompete, des Horns und der Pauke, der Geigen und Klaviere!« Frau von Lupfen fuhr in dem Tone fort: »Die edle Menschenstimme sey überall die Königin, der sie huldigen!«

Man stand auf, und ging in ein Nebenzimmer zum Kaffee. Hohenthal mußte hernach einige von seinen Zeichnungen hohlen.

Er brachte bald architektonische und andre; auch eine von einem Englischen Kriegsschiffe mit vollen Segeln in See. Der alte Meister lobte ihn nach Verdienst wegen der Richtigkeit, Schönheit und zweckmäßigen Manier, gab ihm gefällig hier und da ersprießlichen Unterricht, und rühmte, ganz frey von Neid und Eifersucht, die Englischen Architekten, nach deren Gebäuden er zwey aufgenommen hatte. Auch Lockmann bewunderte die Fertigkeit des Jünglings. Hildegard und Frau von Lupfen sagten ihm mit Empfindung angenehme Worte; so daß der Edle erröthete, und die Zeichnungen geschwind[42] wegtrug. Zur fernern erfreulichen Unterhaltung kam er mit den Ruinen von Palmyra und Balbeck wieder.

Reinhold hatte in Rom den Borra, welcher sie zeichnete, persönlich gekannt, und eben dort den geistreichen gefühlvollen Wood einigemal gesprochen; bey der Erinnerung an sie machten diese Meisterstücke ihm doppelte Freude.

Nachdem sie bey dem Schönsten sich eine Weile aufgehalten hatten, sagte er: »Nach dem Perikles ist das erste Jahrhundert die dritte goldne Periode der Baukunst. Die Peterskirche muß an Schönheit und Pracht den zwey Sonnentempeln weichen. Sonderbar, daß in dem kleinen Bezirk, von wo die großen weitverbreiteten Religionen über unsern Erdball ausgingen, die Denkmahle von Verehrung der sichtbaren ungeheuern Lebensquelle, auch in Ruinen, alle anderen Tempel überblenden!«

Feyerabend bemerkte ferner, indem er die drey hundert und vier und achtzig haushohen Marmorsäulen vom Hof des einen berechnete: »Verehrung der Universalwesen, wovon wir und alle einzelnen Dinge abstammen, ist bey dem sich selbst überlassenen Menschen ganz natürlich. Er hält, wenn nicht übernatürliche Offenbarungen ihn eines Bessern belehren, Sonne und Feuer im April, May und Junius sehr leicht für den allgemeinen elastischen Zeugungsgeist, und die andern Elemente für die reizenden Grazien, mit denen er sich begattet.«

Das Gespräch kam nun auf die Zenobia, das in jeder Rücksicht, auch im Genusse der Liebe, außerordentliche Weib. Hohenthal übersetzte Reinholden Woods meisterhafte Schilderung von ihr, bis dahin wo sie wieder zum Gewöhnlichen und Niedrigen herabsinkt, und in der Gefangenschaft ihre erhabnen Freunde verräth.[43]

Die Geschichte machte auf Hildegarden tiefen Eindruck, den sie nicht verbergen konnte. Sie drückte Palmyra an ihr Herz, und sagte dabey: »O edle Kunst, Stolz und Zierde des Menschen! du machst uns allgegenwärtig.«

Sie und Lockmann mußten dem Alten noch ein paar Duette singen. Hildegard dankte ihrem Lehrer dann scherzhaft, daß er wenigstens von einigen Provinzen Deutschlands gut gesprochen habe; und so gingen sie aus einander.


Unterdessen feyerte der Prinz nicht. Er suchte Mittel und Wege, Hildegarden allein zu erhaschen; dieß war ihm aber bis jetzt noch nicht gelungen, da sie sich so klug und fein vor ihm hütete. Er hatte, um Gelegenheit zu finden, schon öfters ihre Mutter und ihren Bruder besucht; durch seinen Kammerdiener Lux, einen durchtriebnen Vogel, aller Schelmstücke voll, ihr Kammermädchen zu gewinnen getrachtet; und dieses, durch Veranstaltung auf einem Spaziergange, wo Lux aus Ehrerbietung sich absonderte, selbst gesprochen: aber alles war vergeblich; Fanny stand schon in Verbindung, die sie unbestechlich machte. Das viel ältere Kammermädchen der Mutter, Susanna, eine Betschwester und eine Deutsche, schien für seine Absichten unbrauchbar.

Mit Wolfseck war nichts auszurichten: das sah er wohl ein. Nun ging sein Plan darauf, sich Zeit und Spielraum zu verschaffen. Er wollte Hildegarden, auch wider ihren Willen, nach Wien bringen: in eine größere Sphäre, wo Zerstreuungen und Verführungen aller Art weit leichter seyn würden. Mit dem jungen schönen Lockmann argwohnte er, bald nach seinen ersten Angriffen, ein tieferes Verständniß. Ein so kluges Frauenzimmer, meinte er, das von der Natur[44] so reichlich zum höchsten Vergnügen ausgesteuert sey, könne auf dieses unmöglich so ganz Verzicht thun. Wallersheimen hielt er für zu leicht und zu geckenhaft, als daß sie an eine ernsthafte Verbindung mit ihm denken sollte; und er hatte bey ihm das Wahre getroffen. Von dem reizenden Kapellmeister getrennt, glaubte er, würde sie wohl zahmer werden. An eine Verheurathung mit Törring, um nicht sitzen zu bleiben, dächte sie wahrscheinlich eben so wenig, als an eine mit Wolfseck.

Die Hauptstadt von Oestreich war für den jungen Hohenthal gewiß der beste Ort, sich für seine künftige Bestimmung zu bilden. Dagegen konnte nichts eingewendet werden. Die Mutter reiste wenigstens auf ein halbes Jahr mit ihm dahin; wo konnte sie in Deutschland den Winter angenehmer zubringen, besonders da sie in der Residenz des Fürsten keine Wohnung hatte? Daß die Tochter beyde begleitete, war höchst schicklich. Für sie besonders mußte Wien, der Musik wegen, viele Reize haben; auch konnte er sagen: dort sey Gelegenheit für sie, eine große Partie zu machen. Er fühlte wohl, daß der Fürst, der von ihrem Umgang bezaubert war, sie ungern entbehren würde; aber er durfte ja nur vorstellen: es wäre bloß auf einen Winter, und sie käme im Frühling mit neuen Vollkommenheiten zurück. Die Fürstin sollte getreulich dazu helfen.

Fürs erste suchte er den jungen Hohenthal nach diesem Aufenthalt lüstern zu machen, und schilderte ihm mit Beredtsamkeit alle die Vortheile, die er dort für seine künftige Laufbahn hätte. Dieß gelang ihm gleich nach Wunsch.

Alsdann wendete er sich an die Mutter, in Gesellschaft der Fürstin. Die Sache war so klar, daß sie wenig Bedenklichkeiten gestattete; Hohenthal konnte nirgends seine Studien mit mehr Nutzen fortsetzen,[45] und bessere Bekanntschaften für die Zukunft machen. Hildegard regte ihr zwar dabey das Herz auf, und sie blickte dem Prinzen hell in die Augen; inzwischen verließ sie sich darauf, daß ihre Tochter den edelsten Charakter hatte, und der großen Welt schon gewohnt war.

Der Prinz redete mit seinem Vater darüber, wie sich leicht denken läßt, nur in Rücksicht Hohenthals; und erhielt dessen ganzen Beyfall. Es könne nicht fehlen, meinte der Fürst: der heroische, verstand- und kenntnißreiche Jüngling müsse bey dem erhabnen Joseph bald wohl angeschrieben stehen.

Man dachte auf baldige Ausführung des Plans.

Es fiel Hildegarden sehr auf, als die Mutter ihr zuerst Nachricht davon gab. Sie wurde davon ganz durchdrungen, wußte sich nicht sogleich zu fassen, und schwebte mit der Mutter im Zimmer auf und nieder. Der angelegte Plan war ihr deutlich; und sie brach nur deshalb nicht los, weil ihre Mutter hinzusetzte: »Gluck und Haydn sind jetzt die größten Meister der Musik in Deutschland, und wohl in ganz Europa. Auch kommen die besten Italiänischen Sänger und Sängerinnen nach Wien; deren Bekanntschaft wird Dir schon allein sehr angenehm seyn und viel Vergnügen machen.«

»O gewiß!« antwortete Hildegard leise obenhin, in andres tiefes Nachdenken verloren.

Der Mutter selbst lag es am Herzen, sie bey dieser Gelegenheit aus den gefährlichen Verbindungen zu bringen, in welche sie unschuldiger Weise gerathen war. Wallersheim stand ihr nicht an; überdieß hatte sie in Erfahrung gebracht, daß er vorher Neigung für die junge Wolfseck habe blicken lassen, und wollte nicht doppelte Feindschaft auf sich laden. Törring war ein heftiger Mann; und[46] bey seinen Jahren ließ sich keine gute Ehe mit ihm erwarten. Der schöne Kapellmeister, den Hildegard so oft sah, mußte doch endlich Verdacht erregen. Aus allen diesen Gründen hatte die Mutter den Vorschlag angenommen.

Es ward darüber ein Besuch angemeldet; so konnte Hildegard sich entfernen und weiter für sich überlegen.

»Armer Lockmann!« das war ihr erstes Wort, als sie in ihr Zimmer trat. – »Doch vielleicht ist es in dieser Rücksicht gut; was hätte endlich daraus werden sollen? Ach, der Holde liebt mich zu zärtlich, zu feurig, als daß ich eine bloße freundschaftliche Verbindung mit ihm wagen könnte. Genug, ich habe mich mit ihm zu weiter nichts verpflichtet. Er muß sein Schicksal standhaft ertragen, und es soll nur kurze Zeit dauern. O, könnte ich aus einem Schiffbruch an die Küsten von Sicilien, Spanien oder Portugall schwimmen, und, jedem unbekannt, mein Glück mir selbst schaffen! Welche Fesseln! Verzeih es mir, herzlich geliebte Mutter! Theurer Bruder! Doch wenigstens soll dem Prinzen seine Absicht nicht gelingen.«

Den neuesten Brief der Herzogin D****, welche ihr die Dido von Piccini aus Paris geschickt, hatte sie erst vor einigen Tagen aus Lucern erhalten. Ihre Freundin meldete ihr darin, daß sie, nach kurzen Spazierreisen in die Runde, sich einige Wochen in Basel aufzuhalten gedächte, wohin sie ihre Antwort richten könnte. Wie ein Blitz flog der Gedanke in Hildegards Seele: »Wenn du mit der D**** eine Zusammenkunft veranstaltetest, die Lupfen auf ihr Gut begleitetest, und jene dorthin, oder auch an einen Mittelort beschiedest! In London waren wir ja Ein Wesen. Sie ist kühn, und hat Geist, wie Keine von unserm Geschlecht. Es ist keine Zeit zu verlieren. Mir drohen die neuen Bekanntschaften in Wien; aus[47] denen werde ich mich nie wieder los wickeln und los reißen. Man wird mir mit Gewalt die Flügel beschneiden.«

Mit diesen Gedanken saß sie bey der Abendmahlzeit, behielt sie beym Einschlummern, wachte mit ihnen auf, und brütete den ganzen Tag über ihnen, so daß sie überall zerstreut war; doch in diesen Momenten ein doppelt reizendes Geschöpf: wirklich genialisch lebhaft. Den Abend, kurz vor dem Abgange der Post, bat sie ihre Freundin in einer Nachschrift zu dem schon fertigen Briefe: sie möchte in Basel noch einen andern von ihr abwarten. Vielleicht könnte sie bey Gelegenheit der Reise nach Wien, die sie ihr gemeldet hatte, es möglich machen, daß sie in der Nähe von Basel einander wieder sähen und sprächen.

Uebrigens stellte sie eben dieselben Betrachtungen an, wie ihre Mutter: daß der Kreis, worin sie lebe, nicht mehr für sie tauge, daß sie den Nachstellungen des Prinzen hier eben so ausgesetzt sey, als an jedem andern Orte, und daß es sich nicht schicke, ihr gewöhnliches Stillschweigen über ihn zu brechen, weil die Mutter sonst nur zu neuer Furcht und unnöthiger Vorsicht veranlaßt werden, und in sie dringen würde, eine Partie zu nehmen.

Hohenthal freute sich wie ein Kind auf Wien. Feyerabend pries den Aufenthalt daselbst aus allen Gründen; die Mutter sah dort die größten Vortheile. Hildegard mußte von ihrer Verstellungskunst Gebrauch machen, und stimmte jungfräulich schüchtern mit in diese Aeußerungen. Der Prinz hielt sich nun klüglich zurück, wie ein Vogelsteller, nachdem er genug gelockt hat, hinter dem Herde bleibt. Uebrigens wurde von dem Vorhaben noch nichts bekannt gemacht.

Im nächsten Konzert sang Hildegard nur das Duett aus Sarti's [48] Giulio Sabino: Come partir poss'io; aber fast zerstreuet, und nicht mit der Lust wie gewöhnlich. Doch entzückten ihre süßen Töne. Die heroische Arie des Giulio Sabino von Lockmann gesungen: La tu vedrai, chi sono, no, non ti parlo invano; ergriff den Prinzen ganz sonderbar. So wie hierin, wurde Lockmann auch in dem göttlichen Rondo: In qual barbaro momento io ti do l'estremo addio! allgemein bewundert. Der Prinz erstaunte bey diesen ersten Worten; doch hörte er bald, daß sie nicht weiter auf die gegenwärtigen Umstände paßten. Hildegard that sich Gewalt an, ihn gelassen anzublicken, und ihm hier und da eine Antwort zu geben. Er machte immer gewandt und fein den Hofmann.

Löffler spielte dazwischen mit seltner Fertigkeit ein Violin-Konzert von Viotti.

Lockmann hatte seine Oper schon seit einigen Wochen zu Ende gebracht, sie doppelt abschreiben, und die drey Akte des einen Exemplars, jeden besonders, leicht und zierlich Italiänisch einbinden lassen. Am folgenden Nachmittag, wo er auf einige Augenblicke mit Hildegarden allein war, überreichte er ihr sein Werk, und nahm sich gleich dafür einen himmlisch süßen Kuß, nach welchem er, wie ein gejagter lechzender Hirsch nach frischen Quellen, so lange geschmachtet hatte.

»Ach Gott!« rief sie, voll wehmüthigen Mitleidens, aus.

Die Mutter war eben bey ihrem Sohne auf der andern Seite; sie kam aber bald wieder, so daß er nur noch sagen konnte: sie möchte verschweigen, daß die Musik von ihm wäre. Er hatte nicht die geringste Ahnung von dem, was vorging, legte den Ausruf zu seinem Vortheil aus, setzte sich, erquickt und gestärkt, ans Klavier, und fing an.
[49]

»Achille in Sciro,


von einem jungen neuern Tonkünstler.«

»Das Gedicht von Metastasio ist das ergreifendste und erfreulichste Schauspiel für diejenigen, die den Achill aus der Iliade kennen.«

»Das Heer der Griechen war versammelt, und schon bereit, nach Troja hinüber zu schiffen, um die Schmach des Vaterlandes zu rächen. Nur ging die Sage: diese Stadt könne ohne den jungen Achill nicht eingenommen werden.«

»Thetis, seine Mutter, wußte aber schon, daß er nach dem Verhängnisse dort umkommen sollte, und hatte ihn durch einen Getreuen, den Nearch, in Frauenzimmerkleidern am Hofe des Lykomedes auf der Insel Skyros versteckt. Er wird da unerkannt unter die Mädchen der Deidamia, Tochter des Königs, aufgenommen. Achilles giebt sich dieser bald zu erkennen; beyde verlieben sich in einander, und so weiter.«

»Ulysses wird auf ein dunkles Gerücht nach Skyros geschickt, ihn dort auszukundschaften. Es gelingt dem Schlauen. Nach einem harten Kampfe zwischen Ruhm und erster Jünglingsliebe in dem Herzen des Helden, bey der hohen Schönheit und dem zauberischen Widerstand der Geliebten, segelt der Kühne mit ihm ab.«

»Der Stoff gehört gewiß unter die anziehendsten; und der Dichter wußte ihn für die Italiänischen Theater, besonders für das Römische, reizend zu bearbeiten. Er hatte im Virgil, Ariost, und Tasso bewunderte Muster vor sich. Die Fabel ist indeß viel reiner und natürlicher, als die von der Dido, und von der Armida. Das Unschickliche darin, nämlich daß man einen Achilles verkleidet unter[50] Mädchen steckt, ohne an den Erfolg zu denken, geht voraus, und fällt nicht auf den Vater der Deidamia; man denkt nun wenig daran, Thetis mag es lächelnd verantworten: es ist nun einmal geschehen, wird für bekannt angenommen, und Dichter sowohl als Zuhörer bekümmern sich weiter nicht darum.«

»Achilles in weiblicher Kleidung muß noch die Sopranstimme haben; sonst würde alle Täuschung verloren gehen. Die Rolle desselben kann bey uns in Deutschland nur eine Sängerin machen, deren Gestalt und Charakter dafür paßt.«

»Das Wesentliche ist: erste Leidenschaft der Liebe, und heroisches Wesen, das sich bey dem Anblick der kriegerischen Gegenstände nicht mehr verbergen läßt; kurz: Kampf zwischen Ruhm und Liebe in dem Herzen eines jungen Helden. Ein Lieblingsthema der Italiäner. Ich selbst habe eine junge Dame in Florenz, Fantastici, über dieses Thema eine Menge vortreflicher Strophen, einige voll des höchsten lyrischen Feuers, improvisiren hören, und mit Lust ihren Gesang auf dem Fortepiano begleitet.«

»Ihre Geschmeidigkeit und Kunst, gnädiges Fräulein, hab' ich schon in den schwersten Rollen bewundert. Möchten Sie doch diese Melodien würdig finden, mich auch durch sie noch zu bezaubern!«

Er spielte ohne weitere Vorrede sogleich die Symphonie: voll edler Zärtlichkeit im Andante, und voll heroischen Wesens im Allegro, das in einen raschen Kontretanz überging, begleitet von Hörnern, Klarinetten. Flöten, Cymbeln, und Handtrommeln für das festliche Getümmel der Bacchantinnen, die aus dem Tempel ihres Gottes ziehn, und dann mit ihren Thyrsusstäben ein kurzes Ballet unter folgendem Wechselgesange beginnen:


[51] Coro.

Ah, di tue lodi al suono,

Padre Lieo, discendi!

Ah, le nostr' alme accendi

Del sacro tuo furor!


Parte del Coro.

O fonte de' diletti,

O dolce obblio de' mali,

Per te d'esser mortali

Noi ci scordiam talor.


Tutto il Coro.

Ah, le nostr' alme accendi

Del sacro tuo furor!


Parte del Coro.

Per te, se in fredde vene

Pigro ristagna e langue,

Bolle di nuovo il sangue

D' insolito calor.


Tutto il Coro.

Ah le nostr' alme accendi

Del sacro tuo furor.


Parte del Coro.

Chi te raccoglie in seno,

Esser non può fallace;

Fai diventar verace

Un labbro mentitor.


Tutto il Coro.

Ah le nostr' alme accendi

Del sacro tuo furor.


Parte del Coro.

Tu dai corragio al vile,

Rasciughi al mesto i pianti,

Discacci dagli amanti

L'incommodo rossor.


Tutto il Coro.

O fonte de' diletti,

O dolce obblio de' mali,

Accendi i nostri petti

Del sacro tuo furor.


Chor.

Beym Schall deines Lobes, o Vater Bacchus, steige herab vom Olymp! Entzünd' unsre Seelen mit deiner heiligen Wuth!


Ein Theil des Chors.

O Quelle des Vergnügens, o süße Vergessenheit der Sorgen, du erhebst an deinen Festen uns über der Sterblichkeit Loos.


Der ganze Chor.

Entzünd' unsre Seelen mit deiner heiligen Wuth!


Ein Theil des Chors.

Durch dich, wenn in kalten Adern träge das Blut schleicht und matt wird, wallt es von neuem mit ungewöhnlicher Wärme.


Der ganze Chor.

Entzünd' unsre Seelen mit deiner heiligen Wuth.


Ein Theil des Chors.

Wer dich in den Busen aufnimmt kann kein Betrüger seyn. Durch dich vergißt sich der Lügner, und redet Wahrheit.


[52] Der ganze Chor.

Entzünd' unsre Seelen mit deiner heiligen Wuth.


Ein Theil des Chors.

Du giebst dem Feigen Muth, trocknest dem Betrübten die Thränen, verjagst von liebenden Seelen die beschwerliche Schüchternheit.


Der ganze Chor.

O Quelle des Vergnügens, o süße Vergessenheit der Sorgen, entzünd' unsre Seelen mit deiner heiligen Wuth.


Der Gesang war für zwey Soprane und einen Alt. Die Melodien schmolzen reizend in eine Harmonie, einfach, und abwechselnd voll; die Instrumente flogen jubelnd dazwischen.

Hildegard ward von der schönen, so ganz Griechischen Natur entzückt. Ihr Gesicht glänzte von süßer Empfindung; sie rief einmal über das andre ihm zu: »Vortreflich!« Selbst die Mutter stand dazwischen auf, ließ ihre Arbeit, und lauschte. Lockmann war höchst glücklich.

Hildegard sagte noch: »Der Chor bleibt der Musik eigen, und ist ihr höchster Triumph über die andern Künste; weder die Poesie noch die Mahlerey kann das übereinstimmende Gefühl einer Menge so stark ausdrücken. Bey jener ist das Wort zu willkührlich, als daß viele eben dasselbe treffen sollten; diese hat nur Moment, und zu wenig Dauer. Die Worte der Poesie zeigen sich hier nur wie Wellen[53] im Sturm auf der Tiefe. – Und welch ein treflicher Rhythmus zum Tanze!«

Lockmann fuhr fort: »Die Trompete schmettert plötzlich in der Ferne, unweit des Gestades; sie verkündigt die Ankunft zweyer Schiffe, und hemmt Gesang und Tanz.«


»Deidamia tritt darüber hervor, und sagt zu Achill, der als Pyrrha verkleidet ist: Udisti?

Achille. Udii.

Deidamia. Chi temerario ardisce

Turbar col suon profano

Dell' Orgie venerate il rito arcano?«


Deidamia. Hast Du gehört?

Achill. Ich habe.

Deidamia. Welcher Verwegne wagt es, mit fremdem Laut den geheimen Gebrauch der heiligen Orgien zu stören?


»Und so beginnt reizend das Schauspiel.«

»Deidamia flieht. Ulysses landet, sucht den Achill zu entdecken, und findet ihn nach verschiednen Proben in der Pyrrha.«

»Um dem Ganzen Fülle und Abwechselung zu geben, läßt der Dichter noch vorher den Prinzen Theagenes, welchem Lykomedes seine Tochter zur Gattin bestimmt hatte, auf einer andern Seite der Insel landen.«

»Nearch kündigt dieß dem Achill gleich in der dritten Scene an, um seine Liebe noch mehr zu entflammen; und dieser drückt sein Gefühl darüber in folgender Arie aus:


Involarmi il mio tesoro!

Ah, dov' è quest alma ardita?

A da togliermi la vita.

Chi voul togliermi il mio Ben.


M' avvilisci in queste spoglie

Il poter di due pupille;

Ma lo so, ch'io sono Achille,

E mi sento Achille in sen.«


Mir mein Kleinod rauben? Ha, wo ist diese kühne Seele? Der muß mir das Leben rauben, der mir die Geliebte nehmen will.


Die Macht zweyer Augen erniedrigt mich in diese Kleidung. Aber ich[54] weiß, daß ich Achilles bin, und fühle mich Achilles in der Brust.


Hildegard sang sie gleich voll Feuer. In der Melodie blitzten und strahlten die ersten schönen Charakterzüge des Helden.

Deidamia fertigt dann den Prinzen bald ab, in einer Arie, wozu Lockmann Melodie und Begleitung in die Seele und Kehle seiner Hildegard ausempfunden hatte.


Del sen gli ardori

Nessun mi vanti;

Non soffro amori,

Non voglio amanti;

Troppo mi è cara

La libertà.


Niemand sage mir zärtlich vor seine Flamme im Busen. Ich dulde die Liebe nicht, will keine Liebhaber; die Freyheit ist mir allzutheuer.


Herbe Jungfräulichkeit und Dianenwesen, obgleich verstellt, herrschte darin durch und durch. Sie merkte es, und mußte darüber lächeln.

»Alles dient bloß zum Vorspiel im ersten Akt,« fuhr Lockmann fort; »doch ist es Lust zu sehen, was Deidamia und Nearch zu thun haben, den Achill einigermaaßen in die gehörigen Schranken zu bändigen. Ulysses hat dagegen zu leichte Arbeit.«

»Der Kern vom Ganzen ist die siebente, achte und neunte Scene des zweyten Akts; sie gehören unter das Schönste der Italiänischen Oper.«

»In der siebenten giebt Lykomedes dem Ulysses bey Nacht ein Gastmal, in einem prächtigen, herrlich erleuchteten Saale.«

»So bald sie an der Tafel sitzen, fängt die Musik an, und der Chor beginnt nach einer festlichen Einleitung von Instrumenten:«


Lungi, lungi fuggite, fuggite

Cure ingrate, molesti pensieri!

No, non lice del giorno felice

Che un istante si venga a turbar.


Dolci affetti, diletti sinceri

Porga amore, ministri la pace;

E da' moti di gioia verace

Lieta ogni alma si senta agitar.


Lungi, lungi fuggite, fuggite

Cure ingrate, molesti pensieri!

No, non lice del giorno felice

Ch'un istante si venga a turbar.


Fliehet, fliehet weit weit unangenehme Sorgen, beschwerliche Gedanken![55] Nein, es ist nicht erlaubt, einen Augenblick des glücklichen Tages zu stören.


Süße Gefälligkeiten, lautere Vergnügen erzeige die Liebe, bringe der Friede dar; und von den Gefühlen einer wahrhaften Freude sey jede Seele froh durchdrungen.


Fliehet, fliehet weit weit unangenehme Sorgen, u.s.f.


»Achill, als Pyrrha, steht hinter seiner geliebten Deidamia, und bedient sie. Die Scene ist von dem Dichter mit seltner Grazie behandelt; und die Rolle des verkleideten jungen Helden, des größten unter allen Homerischen, gestattet das erfreulichste Theaterspiel.«

»Lykomedes fragt bald:


Quando da' Greci lidi i vostri legni

L'ancora scioglieranno

Ulisse. Al mio ritorno; altro non manca

Ch'il soccorso di Sciro.

Licomede. O qual mi toglie

Spettacolo sublime

La mia canuta étà!

Ulisse. (Non si trascuri

L'opportuno momento!)

E di te degna,

Gran Re, la brama.«


Lykomed. Wann werden Eure Schiffe von den Griechischen Ufern die Anker lichten?

Ulyß. Bey meiner Zurückkunft; nur der Beystand von Skyros fehlt noch.

Lykomed. O, welch ein erhabnes Schauspiel raubt mir das graue Alter!

Ulyß. (Der günstige Augenblick werde nicht versäumt!) Das[56] Verlangen, großer König, ist Deiner würdig.


»Hier fängt die Begleitung von kriegerischen Instrumenten an, und schwillt nach und nach immer höher.« – Lockmann sang, und schlug mächtig die Fülle heroischer Accorde mit den ergreifendsten Uebergängen.


»Ove mirar più mai

Tant' armi, tanti Duci,

Tante squadre guerriere,

Tende, navi, cavalli, aste, e bandiere?


Tutta Europa v'accorre. Omai son vuote

Le selve, e le città. Da padri istessi

Da vecchi padri invidiata, e spinta


La gioventù proterva

Corre all' armi fremendo. –

– – Chi d'onore

Sente stimoli in sen, chi sa, che sia

Desío di gloria, or non rimane.«


Wo könnte man je so viel Zurüstungen, so viel Heerführer sehen, Zelte, Schiffe, Rosse, Lanzen, Fahnen!


Ganz Europa läuft herbey; die Wälder, die Städte sind leer. Von den Vätern selbst, den alten Vätern beneidet und fortgetrieben, eilt die wilde Jugend tobend zu den Waffen. – –


Wer in der Brust den Stachel der Ehre fühlt, wer weiß, was Verlangen nach Ruhm ist, bleibt nicht zurück.


»Achill geräth außer sich.


Deidamia. Ma Pirra!«


Deidamia. Aber Pyrrha!


Hildegard selbst glühte, und rief dazwischen: »Wahre Beredtsamkeit in der Musik, erst durch sie recht hinreißend.«[57]

»Lykomed fordert ihn zum Singen auf; Deidamia muß ihn selbst bitten.«

»Er setzt sich, rührt die Guitarre, und fängt das reizende Lied an:


Se un core annodi,

Se un alma accendi,

Che non pretendi

Tiranno Amor?

Vuoi, che al potere

Delle tue frodi

Ceda il sapere,

Ceda il valor.


Coro.

Se un core annodi,

Se un alma accendi,

Che non pretendi

Tiranno Amor?


Pirra.

Se in bianche piume

De' Numi il Nume

Canori accenti

Spiegò talor:

Se fra gli armenti

Muggì negletto:

Fu solo effetto

Del tuo rigor.


Coro.

Se un core annodi, etc.


Pirra.

De' tuoi seguaci

Se a far si viene,

Sempre in tormento

Si truova un cor.

E vuoi, che baci

Le sue catene,

Che sia contento

Del suo dolor.


Coro.

Se un core annodi,

Se un' alma accendi,

Che non pretendi,

Tiranno Amor?«


Wenn du ein Herz fesselst, eine Seel' entflammst; was verlangst du nicht, Tyrann Amor?

Du willst, daß der Macht deines Truges die Klugheit und die Stärke weichen.


Chor.

Wenn du ein Herz fesselst, eine Seel' entflammst; was verlangst du nicht, Tyrann Amor?


Pyrrha.

Wenn in weißen Federn der Gott der Götter einst zärtliche Accente lispelte; wenn er unter Heerden ohne Verehrung brüllte: das wirktest du allein durch deine Strenge.


Chor.

Wenn du ein Herz fesselst, eine Seel' entflammst, u.s.w.


[58] Pyrrha.

Wenn ein Herz unter dein Gefolge kommt: so ist es stets in Marter.

Und du willst, daß es seine Ketten küsse, sich weide an seinem Schmerz.


Chor.

Wenn du ein Herz fesselst, eine Seel' entflammst: was verlangst du nicht, Tyrann Amor!


In der Melodie aus Hildegards frischen lächelnden Lippen, und dem Zephyrspiel um sie her, war ein solcher Zauber, daß die Mutter selbst glaubte, noch nie etwas so Liebliches gehört zu haben.

»Jetzt bringen einige von dem Gefolge des Ulysses Geschenke für den Lykomed; unter andern eine herrliche Rüstung mit Schwert und Schild. Achill ruft dabey vor sich aus:«


»O ciel, che miro!

Licomede. Mai non si tinse in Tiro

Porpora più vivace! (ammirando le vesti)

Teagene. Altri sin ora (ammirando le vasi)

Sculti vasi io non vidi

Di magistero egual

Deidamia. L'Eoa marina (ammmirando le gemme)

Non à lucide gemme al par di quelle.

Achille. Ah, chi vide fin ora armi più belle!

(Si leva per andare a veder più da vicino le armi.)«


Achill. O Himmel, was seh ich!

Lykomed. Glänzender ward nie in Tyrus ein Purpur gefärbt! (die Kleider bewundernd.)

Theagenes. Von gleich meisterhaftem Grabstichel (die Gefäße bewundernd)[59] sah ich bis jetzt noch keine Gefäße ausgearbeitet.

Deidamia. So hellleuchtend wie diese (die Edelsteine bewundernd) haben die östlichen Gestade keine Edelsteine.

Achilles. Ach, wer sah je schönere Rüstung und Waffen! (Er steht auf, und geht, die Waffen mehr in der Nähe zu betrachten.)


»Dieß ist ganz nach dem schönen antiken Basrelief.


Deidamia. Pirra, che fai? ritorna

Agli interrotti carmi.

Achille. (Che tormento crudele!)

(di dentro) All' armi! all' armi!«


Deidamia. Pyrrha, was machst Du? kehre zurück zum unterbrochnen Gesange.

Achilles. (Welche grausame Marter!) (Hinter der Scene) Zu den Waffen! zu den Waffen!


»Ulysses hatte auf dem Platze vor der Burg, und in der Burg selbst, ein verstelltes Gefecht angeordnet. Alles läuft davon; nur Achilles bleibt, und, in einen Winkel versteckt, Ulysses mit seinem Vertrauten.«

»Nun kommt die göttliche achte Scene.«


»Achille. Ove son? Che ascoltai? mi sento in fronte

Le chiome sollevar! Qual nebbia i lumi

Offuscando mi va! che fiamma è questa

Onde sento avvamparmi!

Ah, fernar non mi posso. All' armi! all' armi!«


Achill. Wo bin ich? was hört' ich? mir sträuben sich die Haare auf dem Haupte! Welch eine Dunkelheit befällt meine Augen! Welch eine Flamme fühl' ich in mir[60] auflodern! Ha! ich kann mich nicht mehr fassen! Zu den Waffen! zu den Waffen!


»Hohes Muster heroischer Accente!« sagte Hildegard entzückt vor sich.


Ulisse. Guardalo! (ad Arcade)

Achille. E questa cetra

Dunque è l'arme d'Achille?

Ah no; la sorte

Altre m'offre, e più degne.

A terra, a terra

(Getta la cetra, e va all' armi portate co' doni di Ulisse)

Vile stromento. All' onorato incarco

Dello secundo pesante (Imbraccia lo scudo)

Torni il braccio avvilito: in questa mano

Lampeggi il ferro. (Impugna la spada) Ah ricomincio adesso

A ravvisar me stesso! Ah, fossi a fonte

A mille squadre e mille!


Ulysses. Betracht' ihn! (zum Arkas)

Achill. Und diese Zitter ist also, die Rüstung Achills? Ha, nein! das Schicksal zeigt mir andre, und würdigere Waffen. Auf den Boden, auf den Boden, (er wirft die Zitter weg, und geht zu den Waffen, die mit den Geschenken des Ulysses herbeygetragen worden sind) niedriges Instrument! Der verunehrte Arm kehre zurück zur rühmlichen Last des schweren Schildes! (er nimmt den Schild an den Arm.) In dieser Hand blitze das Schwert! (er ergreift das Schwert.) Ha, jetzt fang ich an, mich selbst wieder zu erkennen. O, wär' ich an der Spitze von tausend und wieder tausend Schaaren!


»Dieß alles muß unter Begleitung der dazu gewählten Instrumente gehört werden.«


Ulisse. E qual sarà, se non è questo Achille? (Palesandosi.)

Achille. Numi? Ulisse, che dici?

Ulisse. Anima grande,

Prole de' Numi, invitto Achille, al fine

Lascia, che al sen ti stringa.

Eh non è tempo

Di finger più. Si, tu la speme sei

Tu l'onor della Grecia,

Tu dell' Asia il terror. Perché reprimi

Gl' impeti generosi

Del magnanimo cor? Son di te degni;

Secondali, Signor. Lo so, lo veggo,

Raffrenar non ti puoi.

Vieni: io ti guido

Alle palme, à trofei. La Grecia armata

Non aspetta che te. L' Asia nemica

Non trema, che al tuo nome.

Andiam.


Ulysses. Und wer sollt' Achill seyn,[61] wenn dieser nicht Achill ist? (Er tritt hervor und zeigt sich.)

Achill. Götter! – Ulysses, was sagst du?

Ulysses. Große Seele, Abkömmling der Götter, unüberwindlicher Achilles, laß mich Dich endlich an meine Brust drücken! O, es ist umsonst, Dich länger zu verstellen! Ja, Du bist die Hofnung, Du die, Ehre Griechenlands, Du der Schrecken Asiens. Warum unterdrückst Du die Aufwallungen der Heldenbrust? sie sind Deiner würdig. Folg ihnen, Herr. Ich weiß, ich sehe, Du kannst dir nicht mehr Einhalt thun. Komm! ich führe Dich zu Palmen, zu Siegszeichen. Nur Dich erwartet das bewafnete Griechenland. Das feindliche Asien zittert nur bey Deinem Namen. Laß uns gehn!


Lockmann declamirte dieß voll Begeistrung; eben so das Folgende. Er hatte die Rolle des Ulysses ganz für sich ausgearbeitet.


[62] Achille. Si vengo.

Guidami, dove vuoi – ma –

Ulisse. Che t'arresta?

Achille. E Deidamia?

Ulisse. E Deidamia un giorno

Ritornar ti vedrà cinto d'allori,

E più degno d'amore.

Achille. E intanto –

Ulisse. E intanto

Che d'incendio di guerra

Tutta avvampa la terra, a tutti ascoso

Qui languir tu vorresti in vil riposo?

Diria l' étà futura:

Di Dardano le mura

Diomede espugnò; d'Ettore ottenne

Le spoglie Idomeneo; di Priamo il trono

Miser tutto in faville

Stenelo, Ajace. – E che faceva Achille?


Achill. Ja, ich komme. Führe mich, wohin Du willst – aber –

Ulysses. Was hält Dich?

Achill. Und Deidamia?

Ulysses. Und Deidamia wird Dich, eines Tages, mit Lorbeern umgeben, und der Liebe würdiger zurückkehren sehen.

Achilles. Und während –

Ulysses. Und während, daß von den Flammen des Krieges die ganze Erde lodert, wolltest Du, Allen verborgen, hier in feiger Ruhe hinsinken? Was würde die künftige Welt sagen! Diomedes erstürmte die Mauern des Dardanus; Idomeneus erhielt die Rüstung Hektors; Sthenelos, Ajax setzten den Thron des Priamos in Brand und Flammen – Und was that Achilles?


»Ulysses parodirt hier in der Musik das Liedchen, das Achill als Pyrrha sang.«


Achille, in gonna avvolto

Traea misto e sepolto

Fra le ancelle di Sciro i giorni sui,

Dormendo al suon delle fatiche altrui.


Achilles, in Weibertracht versteckt, verlebte seine Tage, unter die Zofen[63] von Skyros begraben, und schlief bey dem Schall fremder Thaten.


Hildegard rief dabey: »O, ein entzückendes Schauspiel, die Oper, worin Dichter und Tonkünstler so zu einem göttlichen Wesen vereinigt sind!«


Ah non sia verl Destati alfine: emenda

Il grave error. Più non soffrir, che alcuno

Ti miri in queste spoglie. Ah, se vedessi

Quale oggetto di riso

Con que' fregi è un guerriero! In cuesto scudo

Lo puoi veder. Guardati, Achille! (Gli leva lo scudo) Dimmi,

Ti riconosci? (Presentandogli lo scudo)

Achille. Oh vergognosi, oh indegni

Impacci del valor, come finora

Tollerar vi potei! Guidami, Ulisse

L'armi a vestir. Fra questi ceppi avvinto

Più non farmi penar.

Ulisse. Seguimi! (Ò vinto!)


Ha, es sey nicht wahr! Erwach endlich; verbeßre den schweren Irrthum. Erdulde nicht länger, daß Dich einer in dieser Kleidung betrachtet. Ach, wenn Du sähest, welch ein Gegenstand des Gelächters ein Krieger mit diesen Zierrathen ist! In diesem Schilde kannst Du es sehen. Betrachte Dich Achilles! (Er nimmt ihm den Schild ab.) Sage mir, erkennst Du Dich? (Er hält ihm den Schild vor).

Achill. O schimpfliche, o unwürdige Hindernisse der Tapferkeit, wie hab ich euch bis jetzt ertragen können! Führe mich, Ulysses, die Rüstung anzulegen! laß mich nicht länger in diesen Banden leiden!

[64] Ulysses. Folge mir. (Ich habe gesiegt!)


»Neunte Scene. Nearch kommt herbey.«


Nearco. Pirra, Pirra, ove corri?

Achille. Anima vile,

Quel vergognoso nome

Più non t' esca da' labbiri! i miei rossori

Non farmi rammentar! (partendo)

Nearco. Senti! tu parti?

E la tua Principessa?

Achille. A lei dirai –

Ulisse. Achille, andiam.

Nearco. Che posso dirle mai? –

Achille. Dille, che si consoli;

Dille, che m' ami; e dille

Che parti fido Achille,

Che fido tornerà.

Che a suoi begli occhi soli

Vuo' che il mio cor si stempre,

Che l' Idol mio fu sempre,

Che l' Idol mio sarà.


Nearch. Pyrrha, Pyrrha, wo läufst Du hin?

Achill. Niedrige Seele, dieser schimpfliche Name gehe nicht mehr über Deine Lippen. Erinnere mich nicht wieder an das, worüber ich erröthe! (im Fortgehen.)

Nearch. Höre! Du verläßt uns? und Deine Geliebte?

Achill. Du wirst ihr sagen –

Ulysses. Achill, laß uns gehen!

Nearch. Was kann ich ihr sagen ...?

Achill. Sag ihr, sie solle sich trösten; sag ihr, sie solle mich lieben; sag ihr, Achilles verlasse sie getreu, er komme getreu zurück.

Sag ihr, daß mein Herz an ihren schönen Augen allein sich erweichen soll, daß sie immer mein Abgott war, immer mein Abgott seyn wird.


Edle Zärtlichkeit mit heroischer Harmonie vereinigt schwellten Hildegards Brust. Sie sang die Arie zweymal, und fing sie aus Lust zum drittenmal wieder an. Der Rhythmus war heftig nach der[65] Natur: kein Wort in der Melodie mehr wiederhohlt, als in der Poesie; alles lauter schnelle Blitze dankbarer süßer Gefühle.

»Sie eilen fort. Deidamia erhält durch den Nearch die entsetzliche Nachricht.«


»Im dritten Akt

tritt Achilles in strahlender Rüstung mit dem Ulysses auf, um an Bord zu gehen. Deidamia eilt herbey, und sucht ihn aufzuhalten. Nun beginnt der größte Kampf zwischen Ruhm und Liebe.«

»Achilles sagt endlich:


A compiacerti – (a Deidamia) (o stelle!)

E debolezza; a seguitarti (ad Ulisse) (oh Numi!)

E crudeltà. Si, ma la gloria esige – –

No, l'amor mio non soffre – oh gloria! oh amore!«


In Dein Verlangen einzuwilligen (zur Deidamia) (o Himmel!) ist Schwachheit; Dir zu folgen (zum Ulysses) (o Götter!) ist Grausamkeit. Ja, aber der Ruhm erfordert – – Nein, meine Liebe duldet nicht – – – O Ruhm! O Liebe!


Die Musik dazu war reiner Seelenklang, abwechselnd nach den gewaltigen Bewegungen im Herzen.

»Deidamia sinkt in Ohnmacht. Ulysses kann ihn nicht mehr losreißen.


Eh! tu pretendi

Prove di crudeltà, non di valore.

Scostati, Ulisse!«


Ha! Du verlangst Proben von Grausamkeit, nicht von Muth. Ulysses, weg von meiner Seite!


»Dieser muß nun Gewalt brauchen. Er geht, und entdeckt die ganze Geschichte dem Vater.«

»Deidamia kommt wieder zu sich. Nearch sagt ihr dessen Vorhaben; sie ruft:
[66]

Misera! oh Dei

Che fia di me! Se m' abbandoni, Achille,

A chi ricorrerò?

Achille. Ch'io t'abbandoni

In periglio si grande! ah no: sarebbe

Fra le imprese d'Achille

La prima una viltà. Vivi sicura;

Lascia pur di tua sorte a me la cura.

Tornate sereni

Begli astri d'amore!

La speme baleni

Fra il vostro dolore;

Se mesti girate,

Mi fate morir.

Oh Dio! lo sapete,

Voi soli al mio core

Voi date e togliete

La forza e l' ardir.«


Ich Unglückliche! o ihr Götter, was soll aus mir werden! Wenn mich Achilles verläßt, zu wem soll ich meine Zuflucht nehmen?

Achilles. Ich Dich in so großer Gefahr verlassen! Ha nein! unter den Thaten des Achilles würde die erste eine Niederträchtigkeit seyn. Sey sicher! und überlaß mir die Sorge für Dein Schicksal.

Werdet wieder heiter schöne Gestirne der Liebe! Die Hofnung blitze unter euerm Schmerz. Wenn ihr traurig blickt, so tödtet ihr mich.

O Gott! Ihr wißt es, ihr allein gebt meinem Herzen Stärke und Kühnheit, und nehmt sie ihm wieder.


Die Melodie zu dieser Arie, aus dem E dur, von Hoboen, Fagotten und Hörnern begleitet, war ganz aus Lockmanns Herzen, Engelsgesang, und konnte neben den schönsten von Majo stehen. Er selbst sang sie mit so zerschmelzender Zärtlichkeit, daß Hildegard ihre Gefühle dabey nicht mehr unterdrücken konnte. Ihr Busen wallte auf und nieder; sie mußte mehr als einmal tiefen Athem schöpfen. Die Thränen glänzten im himmlischen Licht ihrer Augen, und die[67] Mutter selbst ward tief gerührt. Sie sagte: »Solche Musik, mit solchem Ausdruck vorgetragen, kann von Niemand anderm seyn, als von Ihnen selbst.«

Die Tochter schwieg; auch Lockmann schwieg, und fuhr dann weiter fort:

»Achilles geht; er will sie bey ihrem Vater in Schutz nehmen, und läßt sie bey dem Nearch.«

»Nun in der Poesie noch eine vortrefliche Scene der Deidamia.«


Numi clementi

Se puri, se innocenti

Furon gli affetti miei: voi dissipate

Questo nembo crudel. Voi gl'inspiraste:

Protegeteli voi. Se colpa è amore,

Si lo confesso, errai.

Ma grande è la mia scusa:

Achille amai.


Chi può dir, che rea son io,

Guardi in volto all' idol mio:

E le scuse del mio core

Da quel volto intendera.


Da quel volto, in cui ripose

Fausto il ciel, benigno Amore

Tante cifre luminose

Di valore e di beltà.


Gütige Götter, wenn meine Neigungen rein und unschuldig waren: so zerstreut dieses grausame Ungewitter! Ihr gabt sie mir: nun beschützt sie auch. Wenn Liebe ein Verbrechen ist: so bekenn' ich, ich habe gesündigt. Aber groß ist meine Entschuldigung: ich liebte den Achilles.


Wer sagen kann, daß ich strafbar bin, sehe meinem Geliebten ins Gesicht: und wird die Entschuldigung meines Herzens aus diesem Gesichte vernehmen.


Aus diesem Gesicht, in welches der günstige Himmel, die wohlthätige Liebe, so viel glänzende Züge von Tapferkeit und Schönheit legten.
[68]

Das Ganze war ein Muster der rührendsten musikalischen Elegie, aus dem A moll.

»Der Vater ist natürlich bald zufrieden gestellt. Selbst der Prinz, ihr bestimmter Bräutigam, unterstützt beyde; so daß Lykomedes endlich ausruft:


(a Licomede.) L'esser padre a tal figlio è gran mercede. – –


– – Gl' illustri sposi unisca

Il bramato da lor laccio tenace;

E la gloria e l'amor tornino in pace.«


Der Vater eines solchen Sohns zu seyn ist eine große Belohnung. – – –


Die erhabnen Verlobten vereinige das von ihnen gewünschte feste Band; und Ruhm und Liebe mögen wieder friedlich beysammen wohnen.


»Das Ganze schließt ein feyerlicher Chor.«

»Theagenes, Lykomedes und Nearch haben in der Poesie schöne Scenen und Arien; sie dienen aber meistens nur zur Verzierung und Ausfüllung des Ganzen.«

»Ulysses hat, außer dem Angeführten, noch einiges Vortrefliche, das ins Wesentliche eingreift; als in der ersten Scene des dritten Akts, wo Achilles ganz als großer Held erscheint, und Ulysses ausruft:


Oh sensi! oh voci! oh pentimento! oh ardori

Degni d' Achille! e si volea di tanto

Fraudar la terra? e si speró di Sciro

Nell' angusto recinto


Celar furto si grande! Oh troppa ingiusta,

Troppa timida madre! E non previde,

Che a celar tanto fuoco

Ogni arte è vana, ogni ritegno è poco?


Del terreno nel concavo seno

Vasto incendio se bolle ristretto,

A dispetto del carcere indegno

Con piùsdegno gran strada sifa.


Fugge allora; ma, intanto che fugge,

Crolla, abbatte, sovverte, distrugge

Piani, monti, foreste, e città.«


O Gefühl! o Worte! o Reue! o Gluth! würdig des Achilles. Und um so vieles wollte man die Erde betrügen? und man hofte, in dem engen Bezirk von Skyros einen so großen Raub zu verbergen!
[69]

O allzuungerechte, allzufurchtsame Mutter! Und sah sie nicht voraus, daß ein so großes Feuer zu verbergen, jede Kunst eitel, jede Rückhaltung zu wenig ist?


Wenn im hohlen Schooß der Erde eine ungeheure Feuersbrunst verschlossen kocht: so reißt sie sich mit größrer Wuth aus dem unwürdigen Kerker in weiter Oefnung.


Sie flieht dann; aber indeß sie flieht, erschüttert sie, wirft nieder, kehrt um, zerstört Ebnen, Berge, Wälder und Städte.


Alles war im Charakter des Ulysses, und doch mit hoher lyrischer Begeisterung vorgetragen; und im zweyten Theil der Arie ein meisterhafter doppelter Kontrapunkt.

»Deidamia,« fuhr Lockmann fort, »hat noch erhabne lyrische Stellen; besonders die dritte Scene im dritten Akt, wo sie den Achilles mit der feurigsten Beredtsamkeit der höchsten Leidenschaft zurückzuhalten, strebt. Aber sie ist hier zu sehr nach Tasso's Armida kopirt. Welche Worte zum Beyspiel für die zarte jungfräuliche Seele:


– – Parti; ma prima

Quel glorioso acciaro

Immergi in questo sen. L' opra pietosa

Giova ad entrambi. Ad avvezzarti, Achille,

Tu cominci alle stragi; io fuggo almeno

Un più lungo morir. Tu lieto vai

Senza aver, chi t' arresti – – –


Ah perfido! ah spergiuro!

Barbaro! Traditor! Parti; e son questi

Gli ultimi tuoi congedi? Ove s' intese

Tirannia più crudel! Va scellerato,

Va pur; fuggi da me; l'ira de' Numi

Non fugirrai. Se v'è giustizia in cielo,

Se v'è pietà, congiureranno a gara

Tutti tutti a punirti. Ombra seguace

Presente ovunque sei

Vedrò le mie vendette. Jo già le godo

Immaginando; i fulmini ti veggo

Gia balenar d'intorno« – – etc.


Geh; aber tauche das glorreiche Schwert erst in diese Brust. Die[70] mitleidige That hilft beyden: Dir Achilles, daß Du anfängst, Dich zu Mord und Verderben zu gewöhnen; und ich vermeide wenigstens ein langsameres Sterben. Du gehst froh davon, ohne daß jemand da ist, der Dich aufhält. – –


Ha, Treuloser! ha Meineidiger! Barbar! Verräther! Du gehst; und das ist Dein letzter Abschied? Wo hörte man je eine größere Tyranney! Geh Bösewicht, geh nur! fliehe von mir! dem Zorn der Götter wirst Du nicht entfliehen. Wenn Gerechtigkeit, wenn Erbarmen im Himmel ist: so werden sie alle, alle um die Wette sich verschwören, Dich zu strafen. Als ein folgender Schatten, gegenwärtig wo Du seyn magst, werd' ich meine Rache sehen. Schon weid' ich mich daran in der Vorstellung; schon seh' ich die Wetterstrahlen um Dich blitzen –.
[71]

»Metastasio war hier als Nachahmer auf das Vorbild, außer sich, geheftet, und schöpfte nicht in sich. Andre Dichter nach ihm schrieben glücklicher seine Kopie für ihre Armiden fast nur ab.«

»Es ist in dieser Oper kein Duett und kein Terzett; aber warum sollen ewig dieselben Formen in jeder wiederhohlt werden? Selbst dieses giebt der Musik im Ganzen nun wieder eine neue reine Keuschheit nach dem immerwährenden Französischen Lärmen.«

Hildegard hatte bey dieser Musik neue unaussprechliche Empfindungen; mit solcher Allgewalt und Vertrautheit rührte noch nie ein Meister ihr Herz.

»Ich huldige Ihrem Genius,« sagte sie endlich; »Sie haben ganz das so seltne Gefühl und die Kunst der Sprache der Töne, und reden sie mit einer solchen Gewandtheit und Fertigkeit, und immer nach den Gegenständen, schmeichelnd, edel-lieblich und zärtlich, heroisch, strahlend und blendend, und klagend und drohend den Schmerz der Verzweiflung, daß Sie völlig Tyrann Ihrer Zuhörer sind, und mit ihnen machen können, was Sie wollen.«

Die Mutter fügte hinzu: »Achilles hat in der Musik Ihre Physiognomie; und wer Sie kennt, sieht Sie in seinen Melodien.«

Die Tochter fiel ein: »O, alles regt, alles bewegt sich darin, und ist hohes Werk der Natur. Ich möchte ihn schon auf dem Theater sehn!«

Glücklich und froh erwiederte Lockmann: »Stolze Erhebung und der süßeste Lohn für mich ist Ihr so lebhafter Beyfall; doch bitt' ich Sie, meinen Namen zu verschweigen. Es ist immer eine gefährliche Sache um das erste Urtheil des Publikums! Nur Wenige empfinden gleich anfangs klar und zuverlässig: die Menge entscheidet, und folgt nur zu oft den Anregungen von Neid und Kabale. Die[72] größten Meisterstücke der neuern Zeit, ein Tartüffe von Moliere, ein Se cerca se dice von Pergolesi – ich bin übrigens weit davon entfernt, mein jugendliches Produkt mit ihnen in Vergleichung zu stellen – haben so unterliegen müssen.«

»Wohl wahr,« versetzte Hildegard; »der nahe geborgte Glanz des Mondes wird oft mehr verehrt, als das ewig lodernde Quellenfeuer des Sirius. So soll es Ihrem Werke freilich nicht ergehen. Doch schweigen wollen wir.«

Der junge Künstler konnte nicht länger bleiben; bis zum Rausch und Taumel begeistert, und doch bescheiden, küßte er Mutter und Tochter dankbar die Hand, versprach im nächsten Konzert die Hauptscenen mit voller Musik aufzuführen, und entfernte sich.

»Gewiß,« fuhr die Mutter selbst nun ferner fort, »ein außerordentlicher junger Mann, der bald allgemeine Bewunderung erregen muß!«

Hildegard, noch in die Fülle ihrer Empfindungen verloren, setzte sich still und rasch an das Fortepiano. Die Mutter ging in Gedanken auf und ab, setzte sich aber, als ihre Tochter das Vortreflichste wiederhohlte, bald neben sie. Das Tornate sereni begli astri d'amore, einen wahren Zauber, sang diese zweymal und dreymal. Die Mutter hohlte den Sohn; auch er hatte noch nie etwas so Schönes, Schmeichelndes und Zärtliches gehört. Sie konnte nicht umhin, ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit den Komponisten zu nennen. Er erstaunte; so auch über das Dille che si consoli; doch am meisten über das erhabne und feurige Ove son? Che ascoltai! Mi sento in fronte le chiome sollevar. Das Guitarreliedchen, Se un core annodi, spielte er gleich auswendig, so sehr gefiel es ihm; und eben so den dithyrambischen Kontretanz am Schlusse der[73] Symphonie. Feyerabend kam herbey; es war ein Fest und ein Genuß.

Nach Tische ward vor dem Schlafengehen das Köstlichste noch einmal gesungen und gespielt. Hildegard konnte nicht einschlummern; sie stand nach Mitternacht auf, setzte sich im bloßen Hemde aus Fortepiano, lispelte:


Se un core annodi,

Se un alma accendi,

Che non pretendi

Tirrano Amor?


Vuoi, che al potere

Delle tue frodi

Ceda il sapere,

Ceda il valor;


und tastete leise leise in der nächtlichen Dämmerung die Begleitung dazu. O, hätte Lockmann hier das süßeste Leben auf Erden erlauschen und erblicken können!

Die hohe Schönheit schwebte ein paarmal auf und ab, und seufzte: »Ach, daß er so leidenschaftlich ist! daß du ihn zurücklassen mußt! Ach, daß nichts so ganz vollkommen glücklich seyn kann und darf! Hartes Loos der Menschheit!«

So legte sich die Unschuld wieder in ihr Bett, hüllte sich ein, und sank in einen Schlummer hin von Phantasien der Zukunft.

Den folgenden Morgen ward die Neuigkeit der Frau von Lupfen, ebenfalls unter dem Siegel der Verschwiegenheit, anvertrauet. Solche mannigfaltige neue entzückende Schönheiten hatte sie nicht erwartet, so hoch sie den jungen Künstler auch schätzte.

Lockmann hielt doppelte Probe, und beydemal waren Hildegard,[74] ihr Bruder und Feyerabend zugegen. Er gab die Oper für das Werk eines jungen Neapolitaners, Passionei, aus, und sagte: sie sey ihm vor wenig Wochen zugeschickt worden. Alle freuten sich höchlich darüber, und behaupteten, daß die Italiänische Musik gewiß nicht im Fallen sey. Besonders bewunderte man, wie leicht und gut die glänzendsten Läufe und Sprünge für die Instrumente gesetzt waren. Hildegard wollte nur mit halber Stimme singen; aber alles fiel ihr so in die Kehle, alles war für den Umfang ihrer Stimme, für ihre Art und Weise, so leicht, daß sie aus Lust das Schönste, wie auf einem großen Theater, sang.

Die Fülle und Pracht des Instrumentenspiels hob manche Melodie ganz anders hervor, ohne sie zu bedecken, oder zeigte sie in dem Lichte, wo sie am mehrsten Reiz hatte. Alle behaupteten, Neapolitanische Melodie gehe über alles. Lockmann sagte dießmal nichts über den Werth der Musik; so kamen denn Alle mit ihren eignen natürlichen Empfindungen zum Vorschein, und man hörte, wie sehr ihr Geschmack für Harmonie, Melodie und Rhythmus während der kurzen Zeit durch die hohen Muster und den vortreflichen Unterricht sich ausgebildet hatte.

Hildegard in der Rolle des Achilles, und Lockmann selbst als Ulysses entzückten durch ihren Gesang bis zum Jubel. Für die erste Probe nahm er nur das Wesentliche. Bey der zweyten aber wollten Hildegard und ihr Bruder das Werk ganz hören. Nun bemerkte man erst, mit wie viel Gefühl und Kunst es angelegt und ausgeführt war: so blitzten und strahlten die Hauptscenen hervor, und so wich das weniger Bedeutende zurück. Selbst Leo und Jomelli, Händel und Gluck würden in dieser jungen Pflanzschule mit frohem und vergnügtem Lächeln zugegen gewesen seyn.[75]

Den Tag vor dem Konzerte war eine wilde Schweinsjagd, zu Ehren eines durchreisenden Pohlnischen Fürsten, welcher den Prinzen von Wien aus kannte. Hildegard konnte sich davon nicht lossagen, so gern sie auch gewollt hätte. Auf dieser Jagd geriethen Törring und Wallersheim in einen bittern Wortwechsel.

Im Konzerte wurden Passionei und Hildegard allgemein bewundert. Der fremde Fürst erstaunte über die seltne Schönheit und hohe Kunst in jeder Rücksicht. Der Prinz zeichnete sich durch richtige und fertige Urtheilskraft aus; er setzte den neuen jungen Neapolitaner an Mannigfaltigkeit des Ausdrucks, an Reinheit und Zweckmäßigkeit noch über Majo, und an Schönheit origineller Melodie diesem wohl gleich. Man könne hier, äußerte er, bey keiner Arie sagen, wie Gluck einmal bey einer sonst meisterhaften von Salieri: puzza di Musica. Das hier und da blühende jugendlich Ueppige bekränze, ziere nur festlich und lebendig, wie frische Morgenblumen eine reizende Gestalt. Kurz, Passionei könne die Kunst zu ihrer wahren hohen Vollkommenheit bringen. Zugleich machte der Prinz Hildegarden und dem Kapellmeister über Vortrag und Aufführung die angenehmsten Lobsprüche. Wer Musik verstand, und Werth, Gehalt unterscheiden konnte, stimmte damit laut überein; und fügte noch dieses und jenes im Besondern hinzu.

Hohenthal konnte jetzt nicht länger an sich halten; er nahm Lockmann voll Eifer bey der rechten Hand, zog ihn hervor, und sagte zu der umstehenden Menge: »Es ist nicht erlaubt, dem bescheidnen Meister seinen ihm gebührenden Ruhm länger vorzuenthalten. Passionei, der junge Neapolitaner, das neue strahlenvoll aufgehende Gestirn, ist Lockmann, der Deutsche[76]

Dieser erröthete über und über, als rund umher frohes Erstaunen auf ihn blickte.

»Willkommen unter uns, hoher schöpferischer Geist!« rief der Prinz, umfaßte ihn mit beyden Armen, drückte ihn an seine Brust, und zollte dem Adel der Natur den Kuß der Bewunderung.

»Nächstens solche Musik zu der Poesie eines Klopstock oder Göthe, lieber Lockmann!« rief der Fürst, und drückte ihm warm und herzlich die Hand.

Der alte Reinhold eilte, mit Zähren des Entzückens in den Augen, herbey, umfaßte ihn voll Enthusiasmus, und rief: »Segen Dir, mein Sohn, für die Freude, die Du mir verschafst!«

Es war eine schöne Scene.

Ove son? che ascoltai? mußte wiederhohlt werden; und Hildegard sang es mit neuen Verzierungen unübertreflich.


Tornate sereni

Begli astri d'amore! sang Lockmann selbst, auf ihr dringendes Verlangen.

Zum Beschlusse ward der Anfangschor nebst der Symphonie wiederhohlt:


Ah, di tue lodi al suono,

Padre Lieo, discendi!

Ah, le nostr' alme accendi

Del sacro tuo furor!


Alles drang jetzt noch weit tiefer ein.

Der fremde Fürst, den das unvorbereitete doppelte Schauspiel überrascht, ergötzt und ergriffen hatte, schickte dem Meister noch denselben Abend einen Ring mit einem prächtigen Brillant, nebst einem angenehmen Billet.[77]

Den andern Nachmittag war Spazierfahrt; und Abends bis tief in die Nacht Ball, wozu sich Mehrere aus der Nachbarschaft schon Tags zuvor eingefunden hatten.

Hildegard betrug sich gegen Wallersheim, der sie gefahren hatte, und gegen ihren andern Liebhaber, mit der größten Vorsicht. Dieß machte, daß sie nicht mit dem gewöhnlichen Leben tanzte; doch an Kunst und Fertigkeit übertraf sie auch so alle Andren bey weitem. Sie tanzte mit dem Grafen von Törring, und dem Herrn von Wallersheim gleich freundlich und gut; konnte aber doch nicht hindern, daß beyde noch in eben dieser Nacht sich auf den andern Morgen an einen entlegenen Ort beschieden. Mit dem fremden Fürsten, einem guten muntern Herrn in die Dreyßig, überließ sie sich nur einmal schon spät ganz der Freude in einem kosakischen Tanze. Beyde wurden bewundert; vorzüglich Hildegard, die das wilde Spiel mit unbeschreiblichem Reiz im natürlichsten Charakter trieb.

Lockmann hatte sich zu Feyerabenden unter die Zuschauer gestellt, und verwendete in hohem Entzücken kein Auge von ihr; aber bald hernach sank er von seinen herrlichen Aussichten in einen tiefen Abgrund, als Feyerabend gegen ihn den unschuldigen Wunsch äußerte, daß er den Winter mit der Familie Hohenthal in Wien seyn möchte.

»Wie? in Wien?« fragte Lockmann erstaunt.

Die hastige Frage fiel Feyerabenden auf. Man hatte ihm zwar gesagt, er möchte noch nichts davon bekannt werden lassen; aber er glaubte, Lockmann, als Freund vom Hause, wisse alles, wie er selbst.

In der Zerstreuung entdeckte er diesem mit wenig Worten das ganze Vorhaben. Hohenthal, sagte er, solle da seine Studien fortsetzen,[78] und Mutter und Schwester würden ihn begleiten und den nächsten Winter in Wien zubringen.

Diese Nachricht fiel Lockmannen sehr aufs Herz. Zum Glück brachte das Gedränge sie bald von einander; das Orchester fing den Kontretanz von Lockmanns Oper an, und seine heftigen Empfindungen blieben unbemerkt.

Alles um ihn her war nur ein verwirrtes buntes Gaukelspiel; er mußte freye Luft haben, machte sich fort, tappte wie betäubt auf sein Zimmer, und murmelte zwischen den Zähnen: »O die Falsche! die Falsche!« Nun ging er eine Zeitlang hastig auf und ab; sann tief nach, und endlich kamen die Worte aus seinem Munde: »Nicht einmal bis zur Vertraulichkeit hast du es mit ihr bringen können! Es ist nichts! alles umsonst! Du mußt das Aeußerste wagen.«

Er kleidete sich aus, warf sich auf sein Bett, und brachte die Nacht zu, wie auf der Folter.

Den folgenden Morgen – es war der wärmste Tag zu Anfang des Septembers, und das schönste Wetter – schlugen sich Törring und Wallersheim im Wald auf der Grenze. Törring parirte sich eine Streifwunde in die linke Seite, und traf zugleich Wallersheimen mit einem starken Gegenstoß zwischen die rechte Schulter. Ihre beyden Begleiter brachten sie nun aus einander.

Lockmann ging den Nachmittag nicht zu Hildegarden. Er dachte: »Es wäre doch nur wieder die alte Leyer; da säße die Mutter, und es würde dir nicht möglich seyn, deine Empfindungen zu verbergen.«

Hildegard hatte sich auf jeden Fall schon zur Abreise vorbereitet; sie erwartete ihn voll Unruhe, Sorge und Ueberlegung, wie sie ihm die Neuigkeit beybringen könnte. Es war ihr recht und auch[79] nicht recht, als er gegen Abend sich noch immer nicht hatte sehen lassen.

Schon glänzte Jupiter am östlichen Himmel. – In Gedanken versunken und verloren, doch fest in dem Entschlusse, sogar bis in Hildegards Schlafgemach zu dringen, ging Lockmann die Schloßtreppen hinunter, und eilte nach der Stelle des Gartens, wo er über die Mauer gestiegen war. Er fand noch die Stange da liegen, und der Abendstern funkelte ihm Muth ein. Weil sich niemand sehen ließ, so legte er die Stange an, kletterte hinauf, schwang sich auf den Ast der Buche, hängte sich mit beyden Händen an diese, und in einem Satze war er auf dem Boden. Er verbarg sich in das Gesträuch, und sein Herz schlug in der Dunkelheit mächtig.

Dießmal hatte er den rechten Zeitpunkt getroffen. Hildegard legte in ihrem Zimmer gerade die überflüßigen Kleider ab, und machte Anstalt, ihren schönen Körper auf den gestrigen Tanz zu erfrischen.

Bald sah er sie in einem weißen Gewande den einen Gang leicht heran schreiten; und sein Herz schlug vor Erwartung der Dinge.

Er versteckte sich tiefer. Sie drehte den schönen, in den wallenden Locken so reizenden Kopf herum, zog nun unbesorgt das Gewand aus, und warf es auf den grünen Rasen am Wasserbecken. Indessen schlich er sich näher herbey; und als sie eben mit den Armen das Hemd über das Gesicht breitete, und es ausziehen wollte: war er in drey Sätzen bey ihr, und hielt sie mit dem rechten Arm, um den Rücken her, umschlungen. Sie that vor Schrecken einen durchdringenden Schrey. Er ließ sich dadurch nicht stören, und betastete gierig mit der linken Hand den entzückenden Leib. Verstrickt drehte und wendete sie sich, und schoß rückwärts. Schnell und hastig griff er in die gewölbten Hüften, hob die süße Last auf, und legte, oder[80] warf sie nieder auf den weichen Rasen. Hier zerriß Hil degard sich endlich das Hemd über dem Kopf, und bekam die Arme frey. Nun begann der Kampf. Sie war übermannt: er hielt sie fest; doch vermocht' er nicht, etwas auszurichten.

»Falsche!« sagte er leise mit süßem Tone, und ließ Kuß über Kuß auf ihre Lippen regnen: »Heimlich wolltest Du von hier weg, nach Wien, und Deinen Getreuen verspottet zurücklassen? O, wir sind für einander geboren und erzogen, himmlisches Wesen, süßes reizendes Leben! Wir werden mit einander glücklich seyn, glücklicher als irgend ein andres Paar. Nur in die weite Welt! Ich muß Dich mit Gewalt von Deinem mütterlichen Boden los reißen!«

Sie trat unterdessen mit beyden Beinen nach ihm, suchte ihn von sich zu stoßen, konnte es nicht, biß nun, und flehte, weil er sie geschickt der Anwendung ihrer Stärke beraubt hatte.

»Lassen Sie mich, Lockmann! Sonst ewige, bittere Feindschaft! Sie sollen mir nachfolgen, ich will alles thun; nur lassen Sie mich jetzt.«

Vor Wuth der Leidenschaft sah und hörte er nicht. Er flehte nur: »Barmherzigkeit, Mitleiden! Sey gütig, sey hold, Engel! O, alles in mir ist unüberwindliches Feuer der Liebe für Dich, für alle Deine unaussprechliche Schönheiten und Reize!« Mit diesen Worten drückte er sein flammendes Gesicht an ihre Brust.

»Mörder! Räuber!« schrie sie endlich, rang sich darüber die Hände los, wälzte sich auf die Seite, und in einem listigen Ruck stürzte sie mit ihm – er unten, sie oben – ins Wasser, wo es am tiefsten war. Auch jetzt hielt er noch fest, bis ihm das Wasser in Nase, Ohren und Mund drang. Schon sanken sie beyde; jetzt griff er aus Instinkt um sich, und ließ sie, um sich selbst zu retten.[81]

Wie ein Schwan schwamm sie nun empor, und davon. Schon im Ertrinken, ganz unter der Fluth, umklammerte er noch ihr linkes Bein; und so ward er von ihr fortgezogen, bis in seichtes Wasser, und ans andre Ufer, wo keine Gefahr mehr war.

Ganz von sich und sinnlos lag er da. Von neuem erschreckt, zog sie ihn mit den Händen aufs Trockne, und rüttelte und schüttelte an ihm, bis er anfing, sich zu regen, und das Wasser ihm wieder zum Munde herausquoll. Sie zupfte ihn in der Angst an der Nase, und kneipte ihn in die Seiten. Als er sich endlich hob und erbrach, gab sie ihm, damit er desto besser zu Bewußtseyn käme, eine hinlängliche Zahl derber Ohrfeigen links und rechts, und rechts und links. Er stützte sich darüber mit beyden Händen auf, und würgte sich aus allen Kräften.

Sie eilte zu ihrem Gewand und Hemde, trocknete sich geschwind, warf beydes über sich, und sah nach ihm hin. Als er sich noch mehr aufrichtete, und um sich blickte, vergaß sie die Pantoffeln, und lief wie eine Atalanta davon. Sie mußte aber unwillkührlich ein helles Gelächter aufschlagen, als sie sah, wie er sich so würgte, wodurch er völlig wieder zu sich kam.

Inzwischen war sie den langen Garten zu Ende, schon vorn, schloß auf, schlüpfte durch die Thür, schloß zu, und ging nun bedachtsam mit nackten Füßen in das Haus, und die Treppe hinauf in ihre Zimmer. Noch ganz in Wallung und in Furcht blickte sie zum Fenster hinaus, wo sie aber nichts mehr von ihm sehen konnte.

»O Lockmann! Du schlimmer als alle Andre!« Mit diesen Worten ging sie nun auf und ab, und freute sich, daß sie glücklich entkommen war. Dann wusch sie sich die niedlichen Füße, einen nach dem andern,[82] und kleidete sich um. »Nein, nein,« sagte sie dazwischen; »so weit soll es nicht kommen, guter Lockmann

Er stand unterdessen, nun wieder zu sich gekommen, stumm und verzweifelt an der Wasservertiefung. Die Nässe troff ihm von Kleid und Haaren. Er war schon im Begriff, sich von neuem hinein zu stürzen, als seiner Phantasie auf einmal vorschwebte, welche lächerliche und erbärmliche Figur er todt darin machen würde. – Langsam ging er unter die Linden, und fing an, die Bisse zu fühlen, die sie ihm mit ihren perlenartigen, aber scharfen Zähnen in die Lippen und ins Kinn gegeben hatte; auch summte ihm der Kopf noch von den gewaltigen Ohrfeigen.

Jetzt blieb ihm kein andrer Versuch übrig. Wehmüthig und traurig, doch dabey noch voll seliger Empfindung über das ihm ganz neue Ringspiel, kletterte er die Buche hinauf, und ließ sich an der Stange die Mauer wieder hinunter, schweifte noch einige Zeit wild im Felde herum, und begab sich dann in das Schloß. Hier begegnete ihm, als er nach seinem Zimmer eilte, auf der zweyten Treppe der Prinz.

Diesen dünkte, beym Lampenschein Lockmanns Haar und Kleidung durchaus naß gesehen zu haben; aber er trauete seinen Blicken nicht, weil er sie nur so flüchtig geworfen hatte.

Der Biß in die Unterlippe war heillos. Er wusch die Wunde, so wie die andern, mit Essig aus. Natürlicher Weise schmerzten sie ihn heftig; aber sie waren noch in der Ursache entzückend. Nun fing er an vernünftiger zu denken: »Immer ein starker Schritt weiter! die Abreise wird nicht so geschwind vor sich gehen.«

Etwa eine Stunde nachher kam der junge Hohenthal nach Hause, und Hildegard wurde zu Tische gerufen. Sie war daran, obgleich wieder in Ordnung, sehr zerstreut, doch äußerst lebhaft. Um ihren[83] Muthwillen an irgend etwas auszulassen, neckte sie ihren Bruder mit seinem kriegerischen Wesen, und Feyerabenden zum Kontrast mit seinem Stubensitzen. Beyde wehrten sich tapfer; doch blieb etwas Komisches, das sie nicht von sich abwälzen konnten. Der Mutter schmeichelte Hildegard auf die angenehmste Weise.

Vor dem Schlafengehen war ihr Bruder einige Augenblicke mit ihr allein auf dem Musiksaal. Hier sagte er ihr im Vertrauen, daß Wallersheim und Törring einander in einem Zweykampf verwundet hätten. Sie erschrak darüber, und beyder Thorheit that ihr leid; doch kam der Vorfall ihr gerade gelegen.

Den folgenden Morgen nach dem Frühstück erzählte sie ihn der Mutter, und diese erschrak darüber weit mehr. Tief bewegt, mit Thränen in den Augen, faßte Hildegard ihre Rechte, küßte sie zärtlich, drückte sie an ihr Herz, und sagte: »O, liebe theure Mutter, ich kann hier nicht länger bleiben. Die Lupfen reist in den ersten Tagen der nächsten Woche ab. Lassen Sie mich mit ihr gehen. Wir treffen einander dann binnen Kurzem in Regensburg. Vierzehn Tage, drey Wochen – was will das sagen? Meine beste Freundin nächst der Lupfen, die Herzogin D****, ist jetzt in Basel, und verlangt sehnlich, mich einmal wieder zu sprechen. Das Gut der Lupfen ist nicht weit davon; ich könnte die D**** dahin bescheiden. O, liebe theure Mutter, schlagen Sie mir diese Bitte nicht ab. Vielleicht bered' ich die Herzogin, uns nach Wien zu begleiten.«

Die Mutter antwortete nicht sogleich, und dachte eine Weile nach. Hildegard schmiegte sich an ihren Busen: »O, beste Mutter, ich bin bey der Lupfen gut aufgehoben. An meiner Aufführung haben Sie, glaube ich, nichts auszusetzen; lassen Sie mich nicht vergebens bitten!«[84]

»Liebe Tochter, was machst Du mir für Sorge!« sagte die Mutter dann gerührt; und fuhr mit kluger Miene fort: »O, wie wird Lockmannen zu Muthe seyn, wenn Du so plötzlich wegreisest!«

»Lockmannen?« erwiederte Hildegard schnell, und erröthete; »dem mag zu Muthe seyn, wie ihm will. Es ist wahr, der junge schöne vortrefliche Mann voll Geist und Talent hat, bey öfterm Umgange und gleicher Beschäftigung, Neigung, ja Leidenschaft für mich bekommen, und es auch gewagt, sie mir zu entdecken; ich habe ihn aber mit Spott und Vernunft davon zurückzubringen gesucht, und die letzte Zeit, wie Sie wissen, ihn fast niemals allein gesehen. Ihre Vorsorge, daß Sie bey seinen Stunden immer zugegen waren, habe ich innerlich gepriesen. O, es ist sehr gut, daß ich auch von dem schnell wegkomme! Er würde mir, bey längerem Aufschub, ganz natürlich die Ohren voll jammern. Doch, liebe Mutter, schonen Sie ihn, und lassen Sie Sich nichts merken.«

Sie sagte dieß mit so viel Unschuld, und einem Ausdruck so voll Wahrheit, daß die Mutter ihr Herz erleichtert fühlte, und beynahe schon nachgab.

Hildegard drang noch einmal in sie, und stellte vor: was für ein Gerede die Wolfsecke, Wallersheime, und die Fürstin anfangen würden; und wie stolz oder kindisch sie dabey erscheinen müßte. Endlich sagte die zärtliche Mutter: »Nun denn! ich verlasse mich auf Deinen guten Verstand; wir, Dein seliger Vater und ich, haben nichts an Dir verabsäumt. Du denkst und lebst nun für Dein eignes Wohl. Kinder muß man hüten; Erwachsene können nicht mehr gehütet werden, und verdienen es auch nicht, wenn sie ihr eignes Glück verscherzen wollen.«

»O, göttliche Worte!« erwiederte Hildegard freudig; »sie sollen tief in mein Gedächtniß eingegraben bleiben.«[85]

Sogleich eilte sie zu ihrem Bruder, und sagte ihm: »Freue Dich; binnen vierzehn Tagen, höchstens drey Wochen, wirst Du abreisen. Ich gehe, vielleicht schon künftigen Montag, mit der Lupfen voraus auf ihr Gut, und schreibe der Herzogin, die jetzt mit ihrem Gemahl in Basel ist, daß wir uns dort treffen wollen. Wenn ich sie nur bereden kann, den Winter mit uns in Wien zu bleiben!«

Er drohte ihr schalkhaft mit einem Finger, und sagte: »Die Mutter ist sehr gut, daß sie dieß geschehen läßt. Ihr drey Weiber beysammen könnt in Schwaben, auch während der kurzen Zeit, eine Menge Unheil anfangen.«

Sie erwiederte lachend: »Wir kommen bald in Regensburg wieder zu einander;« gab ihm einen schwesterlichen zärtlichen Kuß, und verließ ihn, um geschwind der Herzogin zu schreiben. Auch der Lupfen, mit der sie schon in der engsten Vertraulichkeit des Prinzen wegen Verabredung genommen hatte, machte sie höchst vergnügt die Einwilligung ihrer Mutter bekannt.

Wegen Lockmanns war ihr Bruder immer ohne Sorgen gewesen; er kannte sie von London aus hinlänglich, und hielt ihren Umgang mit diesem Künstler für weiter nichts als für Spielerey aus Liebe zur Musik. Doch möchte er sich wohl betrogen haben, wenn Lockmann seine Plane schlauer betrieben hätte, und nicht so ehrlich, so hastig gewesen wäre.

Sonntags Abends beurlaubte sich Hildegard mit ihrer Mutter bey dem Fürsten, und dann bey der Fürstin. Ihre plötzliche Abreise wurde bey beyden auf eine nothwendige Zusammenkunft mit der Herzogin von D**** geschoben. Der Fürst erfuhr jetzt zuerst, daß Mutter und Tochter fest entschlossen waren, das erste halbe Jahr mit dem jungen Hohenthal in Wien zu bleiben. Es that ihm äußerst[86] leid, Hildegarden so lange zu entbehren. Er gab ihr zum Andenken sein reichstes Porträt in Miniatur von dem berühmten Mengs, woran die bloße Einfassung mit Edelsteinen über tausend Louisd'or werth war, umarmte sie dabey als zärtlicher Vater, und küßte sie auf Mund und Stirn und Augen, und wieder, wie verliebt, recht mit Genuß, auf den zarten Purpur der Lippen. Dann sagte er lächelnd: »O die süßen, gewaltigen Töne, und die sinnreichen Reden, die mich aus ihnen entzückt haben! Kommen Sie bald wieder!« Er trennte sich von ihr mit Thränen in den Augen.

Als sie die Zimmer der Fürstin verlassen hatten, begegnete ihnen im Saale der Prinz. Sie sagten ihm flüchtig dasselbe; er erstaunte drüber, mußte sich aber doch fassen. Die ganze fürstliche Familie hatte inzwischen noch nichts von dem Zweykampf der beyden Nebenbuhler gehört; er wurde auch noch einige Zeit geheim gehalten, und der Fürst that hernach weislich, als ob er nichts davon erfahren habe. Hildegard zeigte bey dem Abschied überhaupt bewundernswürdige Gegenwart des Geistes, und sagte dem Fürsten, der Fürstin, und auch dem Prinzen die angenehmsten Dinge.

Noch denselben Abend schrieb sie, obgleich im Innersten bewegt, doch klug und fein, ihrem Lockmann. Sie dankte ihm herzlich für seinen vortreflichen Unterricht, für die hohen Meisterstücke, mit denen er sie bekannt gemacht, und für das viele Vergnügen, das sie in seinem Umgange genossen habe. Dann sagte sie ihm: eine nothwendige Zusammenkunft mit einer Dame aus London veranlasse ihre plötzlliche Abreise; im nächsten May komme sie gewiß zurück, hoffe, dann wieder durch einen neuen Achill von ihm entzückt und bezaubert zu werden, u.s.w.

Dieß Billet legte sie, nebst einer nicht geringen Summe, in ihr eignes[87] kostbares Englisches Schreibzeug, das er einmal sehr gelobt hatte, und setzte noch in einigen Zeilen hinzu, daß er es von ihr zum Andenken annehmen müsse und solle.

Sie brachte das Schreibezeug ihrer Mutter, zeigte ihr alles, und bat sie, es ihm morgen nach ihrer Abreise einhändigen zu lassen. Die Mutter war froh, daß dieser gefährliche Umgang sich glücklicher endigte, als sie erwartet hatte, und versprach gutmüthig, was die Tochter wollte.

Noch denselben Abend ward alles auf einen schönen leichten Englischen zweysitzigen Wagen gepackt, den die Mutter ihr mit gab. Den andern Morgen bey Tagesanbruch ging es fort. Der Abschied war kurz; doch flossen Zähren wehmüthiger dunkler Gefühle, ob man gleich einander bald wieder zu sehen hoffte.

Katt, der vortrefliche Jäger des Herrn von Lupfen, welcher letztre bis den Winter zurückblieb, fuhr mit den beyden Kammermädchen voraus, um überall die Posten zu bestellen; und Hildegard mit der Frau von Lupfen gleich nach.

Fast eine Stunde Wegs wurde wenig oder nichts gesprochen. Endlich sagte Hildegard lächelnd, vom lieblichsten Purpur der Morgenröthe beleuchtet: »War es doch bey einem so leichten Geschöpfe, wie ich bin, als hätte ein großes Floß auf dem Rheinstrom sollen flott gemacht werden. Ein paar Dutzend Anker wurden erst gelichtet.« Vor sich dachte sie hinzu: »Aber nun soll es auch unaufhaltbar fortgehen.«

Die Frau von Lupfen pries die Engländerinnen, im Punkte des Reisens, vor den Weibern jeder andern Nazion glücklich; und setzte hinzu: »Sie allein führen das wahre menschliche Leben.«

Der Postillion fuhr scharf, und die Pferde jagten in der Kühle mit[88] Lust. Schon sahen sie auf den Höhen die schönen Gewässer des Vater-Rheins blinken, aus welchen hier und da ein dünner Nebel dampfte. Die ganze Gegend war eine pittoreske Masse, ein großes harmonisches Werden. Die Sonne stammte und glühte durch das Gewölk; und nun strahlte sie weit und breit durch die freyen Räume des Aethers.

Am Gebirge schoß ein Falk auf, und verlor sich bald in hohem Fluge. »Glückliche Vorbedeutung!« riefen beyde.

Hildegard fuhr fort: »Es gehört viel Uebung dazu, die Verschiedenheit des Lichts rein empfinden zu können; von dem leisesten Piano und den zarten Melodien der ersten Morgendämmerung, bis zu den großen Accorden und starken Tönen in ihren Verbindungen, Dissonanzen und Auflösungen. Die Natur ist auch hierin unendlich reich. O, der Mensch hat viel zu genießen!«

Eine Weile hernach sprachen sie von der Herzogin D****. Hildegard erzählte dabey, daß diese, noch unverheurathet, mit ihrer Mutter schon zweymal ganz Italien durchreist wäre. Nach verschiedenen andren Anekdoten von der Herzogin und ihrem Gemahl, setzte sie hinzu: die erste Frucht ihrer Liebe sey gleich nach der Geburt gestorben; und jetzt reisten sie, um sich zu zerstreuen, von einem angenehmen Ort zum andern.

Nun erst brachte Frau von Lupfen das Gespräch auf den komischen Wolfseck, die Herren von Wallersheim und Törring, den schlauen Prinzen, und den vortreflichen Meister, den schönen jungen Lockmann. Die Eigenschaften Aller, und zuletzt der ganze Hof, wurden mit weiblicher Feinheit und vieler Kenntniß beurtheilt. »Ach, der arme Lockmann!« brach die Frau von Lupfen schalkhaft noch einmal über ihn aus, als sie eben bey der ersten Stazion anlangten;[89] »daß so etwas doch so umständlich ist, und man es nicht so leicht mit sich nehmen kann!« Hildegard hatte keinen Moment mehr, ihr darauf zu antworten.

Lockmann wußte noch nichts von der plötzlichen Abreise, und machte sich allerley Grillen, als das Schreibezeug mit dem Billet überbracht wurde. Wie erstaunte er, als er dieses las! »Wann ist sie abgereist?« fragte er den Bedienten hastig. – »Diesen Morgen, mit der Frau von Lupfen.« – Er erkundigte sich nach der übrigen Begleitung, und fertigte den Bedienten geschwind ab, um mit seinen Empfindungen allein zu seyn.

Ihr nach, ihr nach, wallte jeder Blutstropfen in ihm. Unzähligemal betrachtete er die holden Züge ihrer Hand mit nassen Augen, und drückte sie an Mund und Herz. Dann eröfnete er das schöne Schreibezeug. Die Goldstücke, welche er darin fand, sah er mit dem höchsten Widerwillen an; doch beruhigte er sich endlich auch darüber mit dem Gedanken: es war der Mutter wegen schicklich. »O, ein langer, langer trauriger Winter! Ach, sie kehrt nie wieder zurück! O Natur, ich habe dein schönstes Kleinod verloren! Welchem Unwürdigen wird es zu Theil werden! Ich bin ein Schatten; mein Leben ist fort!« So tobten die Gefühle in ihm auf und ab.

Der Prinz vermuthete eine Verabredung zwischen beyden, auf diese feine Weise durchzugehen, und hielt Lockmannen streng im Auge. Wallersheim und Törring ärgerten sich über ihre Wunden, als sie die Abreise erfuhren. Der letztre glaubte noch immer, jener habe hauptsächlich Schuld daran, daß er nicht glücklicher gewesen sey. Wolfseck fing endlich an zu begreifen, daß er ein dummes Unternehmen gewagt habe. Die Weiber, welche Anspruch auf Eroberungen machten, waren froh über Hildegards Entfernung. Aber[90] alles fühlte, daß der Hof seiner schönsten Zierde beraubt sey. Reinhold besuchte das nächste Konzert in Trauerkleidung; die ganze Kapelle sah verstört aus, und nichts wollte klingen. Selbst Madam Ewald und die andern Zofen krächzten wie die Raben. Niemand hörte zu. Im Hohenthalischen Hause machte man Anstalten, der Schönheit so bald wie möglich nachzufolgen. Man vermißte sie überall, und die Gesellschaft hatte gar keinen Reiz mehr.

Die Reise der beyden Damen war eine immerwährende Lustbarkeit. Frau von Lupfen hatte den Weg oft gemacht, und ihre Bekannten beeiferten sich, Hildegarden fest zu halten. Die Männer dünkte, nie etwas Schöneres gesehen zu haben; und doch sang sie nirgends: sie trieb nur, fort zu kommen, und gab auf dem letzten Drittel des Weges keinen Besuch mehr. Wenn sie einen Wagen hinter sich rollen hörte, so dachte sie immer, ihre Mutter und ihr Bruder wären darin.

Es schien ein höheres Wesen im Spiel zu seyn. Den andern Tag, als sie auf dem Gute der Frau von Lupfen angekommen waren, traf auch schon die Herzogin ein. Welche Herrlichkeit und Wonne! Die beyden Freundinnen konnten sich an einander nicht satt sehen, nicht genug küssen und umarmen; und alle drey wurden ein Kleeblatt. Frau von Lupfen fand die Herzogin so recht nach ihrem Geschmack: gut, lebhaft, voll Geist, und fern von aller Ziererey. Sie hätte die neue Freundin gern den ganzen Winter bey sich behalten mögen; aber Hildegard ging bey ihrem Anliegen rasch zu Werke. Schon den andern Morgen, wo sie eine Unterredung mit der Herzogin allein hatte, ward beschlossen, daß sie in ihrer Gesellschaft den Winter, und vielleicht noch den Sommer, eine Reise durch Italien machen wollte. »Es wäre kindisch und einfältig,« sagte die Engländerin,[91] »Gefahren, oder wenigstens verdrießlichen Händeln, die wir vor uns sehen, nicht klug und vernünftig ausweichen zu wollen! Schreib das Deiner Mutter und Deinem Bruder. Sie werden nach und nach schon zufrieden seyn, wenn sie sehen, daß sie nicht anders können; und wir ziehen über den Brenner in das gelobte Land. Sind die vortreflichsten Menschen im Unglück, dann sagt mancher Tropf: hätten sie nur dieses oder jenes gethan! und doch würde er eben dasselbe vorher sehr bitter getadelt haben.«

Frau von Lupfen, auf die das Unangenehme des Entschlusses fallen mußte, fand ihn etwas grell; doch ergab sie sich endlich aus zärtlicher Freundschaft. Damit der Weg dem Prinzen nicht verrathen werden könnte, wurde ferner beschlossen, der Mutter zu melden: sie wären nach den Hierischen Inseln gereist, und wollten den Ueberrest des Winters in dem einsamen Nizza zubringen. Frau von Lupfen versprach, das Geheimniß getreulich zu verschweigen.

Hildegard studirte dann den Brief an ihre Mutter aus, und schrieb ihn den folgenden Morgen unter Herzklopfen. Sie erzählte alles von dem Prinzen, auch das Gespräch bey dem l'Hombrespiel, und erklärte, weshalb sie dieß nicht sogleich entdeckt habe. Ueberhaupt schilderte sie den Prinzen als einen zweyten Lovelace; und setzte hinzu: ihr Geschlecht habe an Einem weiblichen Messias genug; sie wolle sich nicht zur zweyten Clarisse kreuzigen lassen.

Es koste ihr, hieß es in dem Briefe weiter, viel Ueberwindung, diesen Schritt zu thun; aber er sey nothwendig. Uebrigens gelobte sie die untadelhafteste Aufführung an, und wiederhohlte die eignen Worte der Mutter. Endlich schloß sie mit der Aeußerung: Binnen einem halben Jahre würde sie hoffentlich ohne Gefahr wieder bey ihr seyn können, wonach sie sehnlich verlange.[92]

Beyde Freundinnen fanden den Brief vortreflich; und Frau von Lupfen versprach, ihn durch einen Kurier zur gehörigen Zeit nach Regensburg zu überschicken. »Drey solche Weiber,« sagte die Herzogin, »werden doch wohl mit einem Deutschen Prinzen fertig werden!«

Damit sie nicht übereilt würden, fuhren sie gleich den folgenden Tag nach Inspruck ab. Den Leuten im Hause ward eine ganz andre Fahrt, und nur die nächste Stazion gesagt.

Wie auch die geistreichsten Weiber immer etwas, und zuweilen das Wichtigste, vergessen: so schrieb die D**** erst in Inspruck selbst an die Frau von Hohenthal; versprach ihr die höchste Sorgfalt für ihre Tochter; und bat sie rührend, daß sie ihr das unschätzbare Glück gönnen möchte, nur die kurze Zeit, sechs Monate lang, die Gesellschaft derselben genießen zu dürfen. Sie werde, setzte sie noch hinzu, bey ihr besser aufgehoben seyn, als bey einem Herrn von Wolfseck; in welchem Fall sie deren Begleitung doch auch würde haben entbehren müssen.

Den Brief datirte sie von dem Gute der Frau von Lupfen, und schickte ihn dieser durch eine Stafette.

Von eben daher meldete mit dieser Gelegenheit auch Hildegard ihre Ankunft; und beschrieb bey guter Laune, wie galant die Herren in Franken und Schwaben auf ihrer Reise gewesen wären; fügte aber einige dunkle Worte von den Gefahren hinzu, die sie in Wien erwarteten.

Nun ging es ohne Säumen von dem Thal, durch welches die Inn schnell wie ein Pfeil schießt, den steilen Brenner hinauf, und von dessen Marmorhöhen mit Lust hinab durch die pittoresken Felsenwände von Tyrol, den Weg entlang, welchen die Etsch zeigt, in eine[93] Stadt nach der andern. In dem angenehmen geräumigen Kessel von Gebirgen zu Roveredo, von wo schon der Monte Valdo anfängt sich in die mildere Luft gegen Verona hin zu erheben, rasteten sie einige Tage.

Bey der Familie Fontana lernten sie die gebildeten Menschen des Orts kennen. Hildegard war hier die Schwester des Herzogs. Ihre hohe Schönheit bezauberte Aller Augen, so daß die D**** und ihr Gemahl darüber vernachlässigt wurden. Noch weit mehr that dieß der reizbare Italiänische Sinn zu Verona und Mantua, so daß Hildegarden die allgemeine Huldigung bald unerträglich ward, und sie aus zarter Achtung für ihre Freundin auf dem Wege nach Mayland sich in deren Bruder verwandelte. Welch ein himmlischer Jüngling war sie nun, mit dem sonnichten Blick und den Absalonslocken unter dem runden Hut, und mit dem schlanken Wuchs unter dem Venezianischen Scharlachmantel!

Sie ergötzten sich eben zu Turin an dem göttlichen Spiel und der Eitelkeit des alten Fauns Pugnani, der sich mehr als gewöhnlich angriff: als in Regensburg der Frau von Hohenthal der Brief der Frau von Lupfen eingehändigt wurde.

Sie ließ im ersten Schrecken das Papier aus der Hand fallen. Ihr Sohn, der von der Brücke kam, an deren einem Pfeiler ein Schiff gescheitert war, trat in das Zimmer, hob den Brief bestürzt auf, und las ihn. »O Gott!« sagte sie; »das hab ich nicht von ihr erwartet!« Der junge Hohenthal ging in Ueberlegung einmal auf und ab, und sagte dann:

»Das Unglück ist nicht so groß! vielleicht ist es gar keins, und so recht gut. Sie will nach Italien, und hat die Zeit nicht erwarten können. Nur sollte sie gegen uns nicht mit dem Popanz von Lovelace,[94] dessen erträumten Bubenstücken, und der ewigen Briefstellerin Clarisse aufgezogen kommen! ... Das verdammte Romanlesen! ... Der Prinz und sie sind ganz andre Menschen. Sie ist ja so erstaunlich vor ihm auf ihrer Hut; und hätt' es also wohl mit ihm aufnehmen können. – Der Herzog ist ein rechtschaffner Mann, nur zu verliebt in seine Frau, und zu nachgiebig gegen sie; die Herzogin – freylich voll wilder Einfälle und Launen, aber doch tugendhaft. Hildegard hat in ihrem Charakter manches mit ihr gemein. Für ihre Person bin ich außer Sorge; wenn nur ihre Leidenschaft für die Musik sie nicht zu thörichten Streichen verleitet!«

Die Mutter faßte darauf wieder etwas Muth, und sagte: »Hildegard denkt edel, und war in ihrer Aufführung immer untadelhaft. Der Prinz hat etwas Falsches im Auge, und bey viel Verstand und Feinheit etwas Verwegnes in seinen Gesichtszügen. Ach! es schmerzt mich nur, daß ich meine Tochter nicht mehr bey mir habe, und nicht weiß, wo sie nun herumirrt!«

Die Lupfen schrieb: Hildegard habe sich nicht halten lassen, und sey mit der Herzogin nach der Schweiz gegangen.

»O, die heillosen drey Weiber!« sagte Hohenthal lachend. »Hat es mir doch geahndet, daß bey dieser Zusammenkunft etwas Sonderbares herauskommen würde. Wir müssen sie nun wohl ihrem Schicksal überlassen; an Nachreisen ist nicht zu denken.«

Fanny, ihr schönes Kammermädchen, lag ihm dabey nicht wenig im Sinn. Doch dachte der hochstrebende Jüngling auch hier: »Vielleicht ist es gut so.«

Kurz, sie schrieben beyde ein halbes Dutzend Briefe an die drey Weiber, und wuschen ihnen tüchtig die Köpfe, jedes nach seiner Art: die Mutter zärtlich, rührend, und besorgt; der Sohn mit hellem[95] Verstand und voll Feuer; dann fertigten sie den Jäger Katt wieder als Kurier ab, und reisten gerades Wegs nach Wien, wo der Prinz schon acht Tage vorher angekommen war, um Anstalten zu ihrem Empfang zu treffen.

Hildegard hatte in Mayland – wo sie sich nach der Rückkehr aus Turin einige Zeit aufhielten, um die Briefe von Deutschland abzuwarten – ein Fortepiano von Stein zu ihrem Gebrauch bekommen, und sang der D**** die schönen Scenen aus Lockmanns Achilles vor. Diese konnte sich daran nicht satt hören, und erstaunte zugleich über die vollendete Kunst im Gesang ihrer Freundin. Sie war eine ausgebildete Kennerin, spielte selbst die Harfe vortreflich, und brauchte ihre Fingerkoppen nicht, wie ihre Lehrerin Madame Krumholz, mit Pomaden zu erweichen; sondern lockte auch ohnedieß die leisesten Töne, so zart wie ein Windhauch, aus dem Instrument hervor. Hildegard erzählte auf ihr Verlangen manches von dem jungen Meister, und machte sie zugleich mit den schönsten Scenen von Jomelli, Majo und Traetta bekannt. Von dem letztern hatte sie die Sophonisbe ganz bey sich. Die erhabne Scene, wo die heroische Königin das Gift trinkt, machte auf die Herzogin und ihren Gemahl, der die Geige nicht übel spielte, und Hildegarden sehr gut begleitete, den tiefsten Eindruck. Beyde wünschten, sie auf dem Theater mit voller Musik zu hören und zu sehen.

Hildegard ging wenig in Gesellschaft, und sah mit Begierde und Lust nur das Merkwürdigste in dem schönen Lande. Doch machte sie überall, auf öffentlichen Spaziergängen, in den Kirchen und an der Tafel, Bekanntschaft mit den interessantesten Personen. Dabey konnte sie ein Abentheuer mit drey der schönsten Damen nicht vermeiden, die ihretwegen höchst eifersüchtig auf einander wurden, und[96] lange in bittrer Feindschaft blieben, als Hildegard und ihre Gesellschaft nach dem Empfang der Briefe plötzlich abreisten. Es würde zu weitläuftig und gegen unsern Zweck seyn, wenn wir solche Novellen, deren sich in der Folge noch manche zutrugen, erzählen wollten. Hildegard ward dabey immer gewandter und geschickter, den unerfahrnen Jüngling zu spielen.

Die Briefe von Hause freuten Hildegarden höchlich, obgleich die zärtliche Besorgniß und einige zornige Worte der Mutter sie bis zu Thränen rührten.

In Cremona sahen und hörten sie die besten Geigen in der Welt von Amati, Steiner und Stratuarius, die bey einigen Familien immer vom Vater auf den Sohn kommen, nicht veräußert werden dürfen, und folglich immer in dem Orte bleiben. Der ätherreine, gewölbtvolle, süße Kapweinklang des vortreflichsten unter allen Instrumenten bringt hier auch immer Virtuosen hervor, und die Reisenden bewunderten mehrere edle junge Herren, die mit großer Gefälligkeit ihretwegen einen Wettstreit hielten.

Sie setzten über den königlichen Po, den Rheinstrom von Italien. Hildegard konnte der Begierde kaum widerstehen, sich hinein zu stürzen, wie eine Najade durch seine Quellenwasser zu gaukeln, und sich mit ihm zu vermählen.

Den andern Morgen, als sie zu Parma angekommen waren, wallfahrteten sie sogleich zu Correggio's Zaubereyen; spielten in Lust und Vergnügen mit dem heitern Knaben Jesus auf der Flucht nach Aegypten; vergossen Thränen mit der in den tiefsten Schmerz versunknen Magdalena bey dem vom Kreuz abgenommenen Geliebten im Schooße der erblassenden Mutter, und schwebten mit dem Verklärten in den Höhen des Himmels.[97]

Den Nachmittag weideten sie Herz und Auge an der Erscheinung der Madonna mit dem Kleinen bey dem heiligen Hieronymus. O, wie so lieblich der holde Knabe mit dem zarten Händchen in den blonden Locken der schönen Magdalena spielt! Der Herzog sagte scherzend: er möchte wohl mehr als eine Ewigkeit mit der Magdalena beysammen seyn. Die Herzogin bemerkte unterdessen, daß die Kinder der Lombardey an Schönheit und Lebhaftigkeit alle andern überträfen, und daß Tizian und Correggio die göttlichsten Modelle gehabt hätten. Mit einem schmachtenden Blick gen Himmel erbat sie sich einen solchen Engel. Hildegard stand schwebend in dem lichten See von Schönheit.

Die Sonne senkte sich schon nach den Alpen hinab, als sie noch das alte jetzt ungebrauchte Theater besahen. Sie maßen es mit ihren Schritten, und fanden es gerad' in zwey gleiche Theile getheilt: funfzig Schritte des Herzogs nahmen die zwölf Bänke und die achtzehn Logen, jede mit Toskanischen Säulen ein; und funfzig die Bühne. Die größte Breite hielt ihrer vierzig. Für Scenen zur See konnte es drey Fuß unter Wasser gesetzt werden. Es gefiel der ganzen Gesellschaft ungemein; der Herzog und die Herzogin wünschten es nach London.

Hildegard war aus geheimer Lust auf der Bühne geblieben, indeß ihre Freundin, und, außer andern Personen, die sie hinein begleitet hatten, auch ein Unbekannter auf die hintersten Logen stiegen. Die Herzogin rief ihr zu: sie möchte einige Töne singen, damit sie vernähme, wie es für die Zuhörer ausfiele.

Sogleich trat Hildegard an das äußerste Ende, und gab leise das zweygestrichne C an. Der Ton flog süß und rein durch den ganzen Raum. Sie gab ihn noch einmal leise an, schwellte ihn bis zu einer[98] beträchtlichen Stärke, und ließ ihn allmählig sinken, dann langsam verschwinden, und zwar mit einer solchen Festigkeit und Klarheit, daß alle Anwesenden erstaunten.

Bravissimo, bravone! rief der Unbekannte, ganz außer sich.

Sie trat etwas hervor, und machte erst einen leisen Lauf, dann einen stärkeren, dann einen in weitem Umfang und mit der größten Fülle. Es war, als ob bey einem majestätischen Gewitter Blitze zum Einschlagen am Himmel flammten.

Sogleich erhob sich ein Jubel von Beyfall, worüber Hildegard vergnügt lächelte.

Der Unbekannte sagte vor sich: »Wer ist der Musico, der unter allen, die ich je gehört habe, bey weitem die vortreflichste Stimme hat, daß ich ihn nicht kenne!«

Die Herzogin betrachtete ihn aufmerksamer; er war ein wohlgewachsner Mann in den Vierzig, mit geistreicher Physiognomie, schönen großen Augen voll Feuer, und, nach seiner Kleidung zu urtheilen, von Vermögen.

Sie rief Hildegarden zu: Se un core annodi! Hildegard sang es zum Entzücken.

Die Herzogin rief weiter: Tornate sereni! – Die Welschen Herzen brannten, und konnten ihren Rausch von Beyfall nicht bändigen.

Der Unbekannte fragte in loderndem Enthusiasmus die Herzogin: »Ist er auf das Karneval schon versprochen? Wer ist der göttlich schöne Jüngling? Er fällt mir wie vom Himmel.«

Hildegard fing inzwischen, ihrer Seits ebenfalls voll Enthusiasmus, an, das erhabne Recitativ zu deklamiren: Dove son? che m'avenne? Ihre Action dabey war die Natur der Leidenschaft selbst. Die Herzogin hatte während dessen Zeit eine ganze zusammenhangende[99] Geschichte für den Unbekannten – den Hauptunternehmer des Theaters Argentina zu Rom – auszudenken. Der erste Sänger, welchen er für das nächste Karneval angenommen hatte, lag in Turin gefährlich krank, und er reiste nun herum, einen andern aufzusuchen. Das von Hildegarden gesungene Recitativ bestärkte ihn vollends in seinem Entschlusse, diesen Sänger anzunehmen, es möchte auch kosten, was es wollte; und wenn er sich auch schon anderswohin versprochen hätte.

Er kannte den Achill von Metastasio sehr wohl, und auch die Musik dazu von verschiednen Meistern; aber diese übertraf bey weitem alle andren, und war ihm ganz neu. Er fragte die Herzogin noch einmal: »In Vertrauen! wie heißt der schöne Sänger? wo kommt er her? wo geht er hin? Ich frage zu seinem und meinem Vortheil.«

Die Herzogin antwortete: »Er heißt Passionei. Sein Vater, ein vortreflicher Tenorist, nahm ihn, als er noch keine zehn Jahr alt war, ich glaube aus dem Kirchenstaate, mit nach England, und reiste mit ihm, als er seine Stimme ausgebildet hatte, an den Nordischen Höfen herum, und alsdann durch Deutschland. Vor Kurzem starb er in den Niederlanden, und hinterließ seinem Sohn ein ansehnliches Vermögen. Achill war die letzte Oper, die er in Musik setzte. Diese und seine vorletzte, Sophonisbe, sind nie aufgeführt worden, und beyde völlig neu. Die Melodien zu den Hauptscenen sind meistens von dem jungen Passionei selbst. Er will nun eine Reise durch sein Vaterland machen, aus der Quelle schöpfen, und den gegenwärtigen Zustand der Musik kennen lernen, eh' er sich irgendwo öffentlich hören läßt.«

Der Römer war über diese Nachricht entzückt, und erwiederte: »Das braucht er nicht; ein solches Original ist vom Himmel bestimmt,[100] seinen eignen Flug zu nehmen. Ich stehe für den Erfolg. Mir fehlt der erste Sänger für das Theater Argentina, in Rom, dessen Unternehmer ich bin. Er soll gleich in der Hauptstadt der Welt strahlen und glänzen. Ich wag' es, ihm für das nächste Karneval achthundert Zechinen anzubieten, und bezahle ihm die beyden Opern dazu, wie dem besten Meister.«

Hildegard war inzwischen auf der Bühne verschwunden, kam nun, begeistert und in der besten Laune, am äußersten Ende wieder zum Vorschein, sang den Dithyramb:


Ah di tue lodi al suono

Padre Lieo discendi!


und machte Sätze, wie ein flüchtiges Reh; wie der wahre schnellfüßige Achill als Pyrrha. Man konnte nichts Reizenders sehen und hören, obgleich der Taumel von Instrumenten fehlte.

Der Römer und alle Andren waren vor Jubel außer sich. Die Herzogin antwortete ihm, als er ihr im Eifer die Hand drückte und küßte: er möchte sich von dem, was sie ihm gesagt hätte, gegen den jungen Passionei noch nichts merken lassen. Sie wolle zu ihrem eignen Vergnügen alles nach seinem Wunsche einzuleiten suchen. Der große Künstler – ein seltner Fall! – denke zu bescheiden von seinem Werth.

Der Römer begleitete sie bis an ihr Wirthshaus, und machte unterwegs Hildegarden die feinsten Lobsprüche, als ein ausgelernter Kenner. Sobald sie in ihren Zimmern allein waren, fing die Herzogin laut an zu lachen, und sagte: »Mädchen, Du hast diesen Abend Deine Sachen gut gemacht. Nun hör' aber auch, was für ein Glück Dir bevorsteht!«

»Du heißest Passionei. Dein Vater, ein vortreflicher Tenorist,[101] nahm Dich, als Du noch keine zehn Jahr alt warst, aus dem Kirchenstaate mit nach England, und zog mit Dir, als Deine Stimme sich ausgebildet hatte, an den Nordischen Höfen herum, alsdann durch Deutschland. Vor Kurzem starb er in den Niederlanden, und hinterließ Dir ein ansehnliches Vermögen. Achill war die letzte Oper, die er in Musik setzte; Sophonisbe seine vorletzte. Beyde sind nie aufgeführt worden, und völlig neu. Die Melodien zu den Hauptscenen sind meistens von Dir, dem jungen Passionei, selbst. Du willst – nun eine Reise durch Italien, Dein Vaterland, machen, und aus der Quelle schöpfen, ehe Du Dich irgendwo verpflichtest!«

»Gut, und nicht gut!« versetzte Hildegard; »und weiter?«

»Du trittst, obgleich ein solches Original vom Himmel bestimmt ist, seinen eignen Flug zu nehmen, dessen ungeachtet dazu genöthigt und erbeten, während des nächsten Karnevals in dem Haupttheater Argentina zu Rom als Achill und Sophonisbe auf; erhältst achthundert Zechinen, vielleicht auch mehr, und die beyden Opern werden Dir obendrein bezahlt. Der Grünmantel, der uns nach Hause begleitete, und dessen erster Sänger in Turin todt krank liegt, ist der Unternehmer des Theaters.«

»Bist Du unsinnig, Frau?« rief Hildegard, sprang auf, und faßte die Herzogin bey den Schultern. »Weißt Du nicht, daß kein Frauenzimmer ein Römisches Theater betreten darf? Und wenn nun Personen dort wären, die mich in Deutschland gesehn und gehört hätten! Es gäbe eine saubre Geschichte, wenn heraus käme, wer ich bin! Und mit unsrer alten Oper würden wir schöne Ehre einlegen!«

»Das alles habe ich schon überdacht;« erwiederte die Herzogin. »Die Römer sind Phantasten mit ihrem Theaterwesen; und die Kinder verdienen keine so mütterliche Züchtigung. Hat doch im neunten[102] Jahrhundert ein Englischdeutsches Mädchen einmal den Papst gemacht! natürlicher Weise ohne Bart; denn damals wählte man sie noch jung21. Du geistreiches Geschöpf wirst Dich doch also wohl nicht scheuen, auf sehr kurze Zeit einen armseligen Kastraten zu spielen? Wie lange hat der Chevalier d'Eon England und Frankreich getäuscht! Wenn auch einer oder ein Paar Deutschen, die Dich gesehen und gehört hätten, in Rom seyn sollten, wie man doch, da Du erst so kurze Zeit von Hause weg bist, gar nicht erwarten kann: so erkennen sie Dich unter der Travestirung zuverlässig nicht, und finden höchstens nur sonderbare Aehnlichkeit. Das Theater und die nächtliche Beleuchtung verändern übrigens so sehr, daß oft der Freund seinen Freund nicht erkennt. – Und bedenke den Ruhm, wenn es gelingt, woran ich gar nicht zweifle! – Von Traetta's Sophonisbe – ich will meinen Kopf darauf verwetten – weiß Niemand in Rom eine Note und Sylbe. Wir können sogleich eine Probe an dem Unternehmer machen. Das Geld theilst Du, heilige Cäcilia, unter die Armen aus. Ich habe mächtige Freunde in Rom; doch werd' ich mich bis auf die Letzt unbekannt halten. Die Gefahr ist auf jeden Fall nicht groß. – Auch alles dieses bey Seite gesetzt: warum soll der öffentliche Unterricht auf dem Theater, der oft so viel wirkt und so tief eindringt, immer Lohnbedienten, und nicht selten Personen von den verderbtesten Sitten überlassen werden, und Männern oder Frauenzimmern aus den höhern Klassen von ausnehmendem Genie und der ausgebildetsten Kunst versagt bleiben! Es ist Zeit, einmal ein untadelhaftes reizendes Beyspiel zu geben.«

[103] Hildegard sank bey diesen Reden auf einen Sopha, und stützte ihren schönen Kopf nachdenkend auf den rechten Arm.

Die Herzogin fuhr fort: »In Frankreich ist durch ein Gesetz entschieden, daß auch eine Person vom ältesten Adel, die sich dem Theater widmet, dadurch nichts von ihren Vorzügen und Rechten verliert. König Ludwig der Vierzehnte hat sich selbst auf dem Theater gezeigt. Sollte sich ein junges schönes Deutsches Fräulein, voll Leben, Geist und Talent, erniedrigen, wenn es auf einer Reise im Vorbeygehen muthwillig den Römern durch Kontrast ihre Thorheit darstellte? Eine Hildegard ist von der Natur dazu bestimmt, noch lange Zeit das Auslesen unter den edelsten Männern aller Nazionen zu haben. Ich wüßte nicht, was ich thäte, wenn ich an ihrer Stelle wäre. – Und Traetta's Oper? – die wollen wir nach dem Achill geben. Es ist endlich einmal Zeit, die alten Meisterstücke nicht vermodern zu lassen, und sie wieder aufzuführen, wenn die neuen Ernten schlechten Ertrag geben. Sollte auch – was doch gar nicht zu befürchten ist – ein musikalischer Cerberus in Rom den Schatz bewachen: so ist er doch für die übrigen hundert und sechzig tausend Seelen gewiß ganz neu. Und übrigens wird jeder Vernünftige die Entschuldigung des geschmackvollen Betrugs für gerecht erkennen. – Ferner soll Lockmann seinen verdienten Preis erhalten. Was kann er mehr verlangen, als daß sein erstes Werk in Rom aufgeführt, und von einer Hildegard gesungen wird! Wir brauchen kein Geld. O, wenn eine neuere dürftige Faustina so auftreten könnte! Es entschiede ohne allen Zweifel für das Glück ihrer übrigen Laufbahn. Ein Wunder, daß der schöne kühne Gedanke noch keiner eingefallen ist! – Und endlich, Kind, kann alles verborgen bleiben; es ist leicht so einzurichten, daß selbst Deine[104] Kammerjungfer nichts davon erfährt. – Damit der Unternehmer von der Sophonisbe nicht nachtheilig denke: so soll er, anstatt dafür zu bezahlen, die Einnahme von einer Vorstellung derselben geben.«

Der Herzog hatte stillschweigend mit vieler Ueberlegung zugehört, und sagte nun: »Der Gedanke ist kühn, aber schön, edel, wenn er glücklich ausgeführt werden kann. Ich mag freylich nichts damit zu thun haben; doch will ich alles Mögliche beytragen, wenn die Sache ins Mißliche gerathen sollte, sie wieder gut zu machen.«

Die Herzogin erwiederte in dem Schwung und Eifer, worin sie nun einmal war: »O, es kann nicht anders als gut gehen.«

Hildegard schwieg noch eine Weile, und bedeckte mit den zarten Händen die schönen Augen, aus denen der Trieb ihres Herzens gewaltig hervorstrahlte. Die D**** hatte ganz aus ihrer Seele gesprochen, und alles, was sie von ihrem Lockmann wußte, stimmte damit überein. Endlich sagte sie unentschieden und leise: »Gewiß, der Zeitpunkt zur That ist da; doch das Unternehmen gefährlich. Wir müssen es noch reifer überlegen.«

Die Herzogin sagte zum Beschluß: »Was von fern wie Gefahr aussieht, ist in der That oft keine, sondern ein Vergnügen.«

Den andern Morgen war der Unternehmer wieder bey ihnen. Hildegard versprach ihm noch nichts; doch ließ sie sich Signor Passionei nennen, und Hofnung von sich blicken.

Sie gingen mit ihm den Achill durch, der ihn entzückte und bezauberte. Dann auch die Sophonisbe, von der Hildegard noch am vorigen Abend vor dem Schlafengehen den Namen des Komponisten weggerissen hatte. Er setzte die erhabne Scene darin über alles, was er kannte; doch hielt er die Oper im Ganzen bey weitem nicht für ein so vollkommnes Kunstwerk, als die erstere. – An Traetta[105] dachte er dabey mit keinem Gedanken. Er ließ nicht ab mit Bitten, daß der junge Passionei Rom und ihn mit seiner göttlichen Stimme und Gestalt beglücken möchte. Dieser willigte aber aus Schüchternheit noch nicht ein, und sagte: Rom sey ein gar zu gefährlicher Ort.

Sie aßen Mittags bey Bodoni, dem Raphael der Buchdruckerkunst, dessen Werke der Herzog alle gekauft hatte. Hildegard trieb, in der ersten Angst vor ihrer Mutter und ihrem Bruder, daß sie noch den Nachmittag nach Reggio abfuhren. Der Unternehmer folgte ihr in Verzweiflung dahin.

Den folgenden Abend, eben als sie das Haus besahen, worin Ariost geboren ist, willigte sie endlich ein. Nach dem Vertrage, der in dem Wirthshause aufgesetzt wurde, erhielt sie für das kurze Karneval achthundert Zechinen, die Einnahme einer Vorstellung, freye Wohnung, freye Tafel mit mehrern Gedecken etc., und zweyhundert Zechinen für die Opern. Die Herzogin machte noch mit dem Unternehmer allein aus: er sollte von ihr und ihrem Gemal in Rom nichts sagen; Passionei würde sich übrigens zur gehörigen Zeit einstellen.

Er reiste in ihrer Gesellschaft nach Modena, und von dort sogleich nach Rom, um alles Uebrige zu veranstalten.

Hildegard hatte sich auf ihrer Reise durch die Lombardey mit so viel Geschmack und Vorsicht gekleidet, auch sich überall so edel betragen, daß man von ihrem Geschlecht nicht einmal etwas muthmaßte. Ihre wenigen Leute waren von erprobter Treue; keiner unter ihnen verstand Italiänisch, und konnte von dem Abentheuer, das Hildegard vorhatte, nur das Mindeste merken.

Von Modena, wo sie bey ihrer Abreise Salvini's Iliade kaufte,[106] um den Helden Homers überall gegenwärtig zu haben, fuhren sie nach Ferrara, ließen ihre Wagen da stehen, und machten einen Flug nach Venedig, um dort die Nachtigallen zu hören.

Noch an dem Abend ihrer Ankunft hielten die junge Zauberin Johanna Pavan und die launichte Theresia Almerigo in der heiligen Dämmerung der Kirche ai Mendicanti einen Wettstreit mit einander. Wahre Herzenslust für Hildegard! Besonders bewunderte sie das reine Metall der erstern. Schade, daß die lyrischen Schwärmerinnen Marchetti und Giuliana schon weggegangen waren. Hildegard erstaunte über die männliche Aufführung der ganzen Musik von den guten Mädchen; wobey Orchester und Gesang wie in einem Gusse zusammen stimmten.

Den andern Abend ward sie aufs neue durch den Contrealt der Bianca Sacchetti entzückt, die ihre Melodien mit so viel Grazie auszuzieren wußte.

Der Herzog bemerkte, das andre Geschlecht habe gewiß mehr Natur für die Musik, als die Männer, denen sie zu sehr bloßes Spiel sey. Er hielt diese Erziehungshäuser für ein Meisterstück guter Politik, da sie zugleich zum Vergnügen der Stadt und der ganzen Nazion dienen.

Hildegard sammelte schnell für sich die schönsten neuen Blumen. Der Herzog und seine Gemalin sagten aber: so bescheiden sie auch wäre, so ständen doch alle unendlich weit unter ihr.

Binnen wenig Tagen sah Hildegard, unter der vortreflichen Anführung ihrer Freundin, das Merkwürdigste und Außerordentlichste jeder Art, besser, als Andre vielleicht in so viel Monaten und Jahren.

Eben so zu Ferrara, Bologna und Florenz. Aus der letztern Stadt[107] antwortete sie unter Herzklopfen ihrer Mutter und ihrem Bruder: sie wären noch in Nizza, und wollten nun nach Genua, um den Winter in Italien zuzubringen; aber sie bäte dringend und flehend, den Prinzen nichts davon wissen zu lassen.

Die Briefe schickte sie an die Frau von Lupfen, und erzählte ihr Manches von ihrer Reise, verschwieg aber ihr gefährliches Unternehmen.

Fanny, ein kluges Mädchen, hing an Hildegarden mit seltner Treue, und hatte bis jetzt noch nichts verrathen, da es ihr in keinem Fall nützen, wohl aber viel schaden konnte. Auch diese schrieb von Nizza aus an die Kammerjungfer der Mutter, wie angenehm sie durch die Provence gereist wären, und wie vergnügt sie lebten.

Hildegard sah ein, daß es nothwendig sey, Fanny'n ihr Vorhaben zu entdecken, und daß diese sich als ihren Bedienten verkleiden müsse. Sie wollte in Rom außer ihr noch einen andern Italiänischen annehmen. Auf der Reise, in der freyen Luft, unter andern Menschen, schon fast ganz sich selbst überlassen, faßte sie Muth, wenn ihr das erste Unternehmen gelingen würde, die Rolle – natürlicher Weise als Frauenzimmer – weiter fort zu spielen. Zu einer andern in der Welt fühlte sie in sich noch wenig Beruf. Ach, ohne seine Leidenschaft wäre Lockmann der beste Begleiter für sie gewesen! und sie hätte ihm nur einen Wink geben dürfen.

Im Garten Boboli, auf einem Spaziergange, bey schönem Abendroth, wo sie mit Fanny allein sich hieran, und an der schönsten Aussicht in Florenz gegen den Berg von San Pelegrino hin, geweidet hatte, leitete sie die Sache ein, ohne vorher ihre Freundin um Rath gefragt zu haben. Fanny erstaunte. Doch, da sie aus London her an Abentheuer und Katastrophen gewöhnt war, so ließ sie sich[108] bald willig finden. In dem neuen Lande kam ihr überhaupt alles romantisch vor. Sie hatte sich schon mehrmals, wenn sie in dem Zimmer allein war, mit Hildegards Mantel und Hut vor den Spiegel gestellt, und, bey ihrem schönen Wuchse, Lust bekommen, sich wie ihre Herrschaft zu tragen.

Noch denselben Abend ward mit Hülfe der Herzogin die Kleidung erfunden, und nach dem eignen Geschmack des Mädchens gewählt, das für alle Art von Putz großes Talent hatte, und sich höchlich über die Neuigkeit freute. Fanny sang auch sehr artig Englische Lieder und Romanzen, und lallte naiv schon die nöthigsten Italiänischen Wörter.

Der Unternehmer hatte sie noch nicht bemerkt: wohl aber sie ihn zu Modena. Von Reggio war sie in dem andern Wagen hinter drein gefahren.

Nachdem man alles in Bereitschaft gesetzt hatte, ging es rasch den kürzesten Weg über Siena und Radicofani nach Rom.

Auf der letzten Post wartete Hildegard einige Stunden, ließ den Herzog mit seiner Gemalin vorausjagen, und folgte dann mit ihrer Fanny, die jetzt einen weißen Mantel und einen dreyeckigen mit Gold bordirten Hut trug.

O, welche Gefühle durchwallten ihr ganzes Wesen, als sie näher an Rom kam, und die Peterskuppel sich hoch empor in die Luft wölbte, und in der Abendsonne prangte! Der mildere Himmel der ganzen neuen Region schien sie mit liebkosenden Blitzen zu empfangen. Je weiter sie in den heitern Kreis der stolzen blauen Fernen hinein fuhren, desto wonnebanger schlug ihr Herz.

Als der Wagen an den Ponte Molle kam, sprangen einige junge Römer und Römerinnen hervor, und riefen: »Willkommen! Glück zu Deiner Ankunft!«[109]

Der Postillion hielt an. Sie sahen bald am Wagen, daß sie sich geirrt hatten, und waren überrascht von dem freundlichen Blick des fremden holden Jünglings. Das jüngste Frauenzimmer, an Gestalt eine antike Faustina, entschuldigte die Gesellschaft: daß sie geglaubt hätten, der Wagen brächte ihren Bruder, den sie von Ancona erwarteten. Ihre Augen waren die schönsten in Rom, und strahlten, wie große Fixsterne im reinsten Aether. Man wechselte von beyden Seiten die gefälligsten Worte.

Es ging nun schnell nach der Porta del Popolo, und durch eine herrliche Straße nach der andern schräg durch die Kutschenfahrt des Corso zu dem angenehmen Quartier beym Theater, welches schon längst für Passionei bereitet stand, und wo der Unternehmer selbst, höchlich über seine Ankunft erfreut, ihn empfing.

Die Sachen wurden abgepackt, der schöne Englische Wagen an einen sichern Ort gestellt, und alles bald in Ordnung gebracht.

Noch denselben Abend durchstrich der Unternehmer mit Passionei die großen nahen Plätze, bis zum Monte Citorio, wo er im Kaffeehause stolz seine neue Beute aufführte. Man erblickte mit Lust die schöne Gestalt, den schlanken königlichen Wuchs unter dem Venezianischen Mantel; und stand und sprach gefällig um den Jüngling her, als er ein Glas Gefrornes zu sich nahm.

Gegen Mitternacht hielten sie ein köstliches Mahl, wozu auch einige Freunde des Unternehmers, der zweyte, kaum sechzehnjährige Sänger – von Siena gebürtig, zart und weichlich von Person, aber von unbedeutenden Gesichtszügen, etwas kleiner als Passionei – und der Tenorist, ein starker Mann in die dreyßig, gut für die Rolle des Ulysses, eingeladen waren.

Man machte geschwind angenehme Bekanntschaft. Das Gespräch[110] ward kurzweilig und Italiänisch lebhaft. Passionei sprach wenig; aber alles, was er sagte, verrieth feinen Sinn und durchdringenden Verstand, welcher zuweilen mit dem übergroßen Aberwitz der Andren einen auffallenden Kontrast machte. Man ging spät aus einander. Unten, nicht weit von der Thür, kamen Alle darin überein: Passionei sey schön, geschmeidig, klug, verständig, und gelehrt in seiner Kunst.

Hildegard schlief sanft und ruhig, und erwachte, als schon die Sonne zu den Fenstern hereinschien, aus den lieblichsten Träumen.

Noch denselben Morgen nahm sie, auf Empfehlung des Unternehmers, einen jungen flinken Römischen Bedienten, mit Namen Paolo, an; und sagte, leichtweg ländlich sittlich scherzend, in Fanny's Beyseyn: »Der Name paßt gut zu dem Deinigen, Pietro;« – so wurde nämlich das Kammermädchen jetzt getauft; – »und ich hoffe, von dem neuen Apostel so gut wie von dem alten bedient zu werden.«

Von dem erstem begleitet, besah sie noch diesen Vormittag die Peterskirche, die Rotunde, und das Kolisäum: drey Wunderwerke, die ihre Seele zum Großen und Erhabnen stimmten.

Mittags war die Gesellschaft bey der Tafel zahlreicher: außer den schon gestern Abend da gewesenen Sängern, kamen auch die andern, und die Hauptpersonen vom Ballet und Orchester. Hildegard nahm mit ihrem gefälligen Wesen und sinnvollen Ausdruck bald alle für sich ein, so wenig Besonderes sie ihnen auch sagen konnte, da sie ihre Eigenschaften und Verhältnisse noch nicht kannte. Sie aß und trank wenig, und bemerkte für sich die Theatersitte, und – so viel davon zum Vorschein kam – das Eigne von denen, die sich auszeichneten.[111]

Den Abend machte sie die Höflichkeitsbesuche bey den Herren, die das Theaterwesen unter sich hatten; ihnen gefiel Hildegards reizende Figur und ihr bescheidnes, doch edles Betragen ungemein. Die nächstfolgenden Abende fuhr sie – immer von dem Unternehmer begleitet – zu den Römischen Damen und Vornehmen, die in der Musik den Ton angaben. Diese baten, um etwas von Hildegards Stimme und Methode zu hören, daß sie einige Kleinigkeiten, Lieder von Millico, Rondos von Sarti und Cimarosa, singen möchte. Sie that es, obgleich nachlässig und ohne Anstrengung, zu allgemeiner Bewunderung, besonders der Damen. Dabey erzählte der Unternehmer immer ihre Geschichte mit neuen Veränderungen und Zusätzen.

Erst als dieses beschwerliche Geschäft glücklich vollendet war, ging Hildegard, und zwar des Nachts, zu der Herzogin, die weit von ihr auf dem Spanischen Platze wohnte. Diese erzählte ihrer Freundin Wunder, was für Eroberungen sie schon gemacht, ohne daß man den geringsten Verdacht wegen ihres Geschlechtes hätte.

Gerade den achten Tag nach Hildegards Ankunft in Rom sollte Abends die erste Probe gehalten werden. Sehr viele Menschen hatten den neuen Sänger auf seinen Spaziergängen nach dem Vatikan und in die nahen Palläste, so wie auf seinen Spazierfahrten nach den entfernten, und nach den Villen, schon gesehn und gesprochen. Alles brannte nun vor Verlangen ihn auch singen zu hören. Der ganze Platz vor dem Theater stand gedrängt voll. Ungeachtet des strengsten Befehls, niemanden vom Volke hinein zu lassen, drohten die Verwegensten, das Thor zu erbrechen, wenn man es nicht öfnen wollte. Es war das wüthendste Geschrey und Getümmel.

[112] Passionei zeigte sich endlich auf einem Balcon; und man gebot Stille, um zu hören, was er sagen würde.

»Meine Herren,« erscholl weit und breit die süße helltönende Stimme, »wir dürfen für uns nicht thun, was Sie verlangen, so gern wir auch wollten. Haben Sie aber Geduld! Ich werde sogleich zum Gouverneur fahren, ihn dringend bitten, und, wie ich hoffe, bald mit der Erlaubniß wieder hier seyn.«

»Es lebe der Freundliche, Gute!« rief alles aus Einem Munde.

Wie gesagt, so gethan. Man hielt sich ruhig, bis er durch dringende Vorstellungen und einnehmende Bitten die gewünschte Erlaubniß erhalten hatte, und glücklich wiederkam. Das Thor ward geöfnet, und die Menge strömte nun unter Jubel in Parterre und Logen.

Nichts regte sich mehr, sobald das Orchester die Symphonie anfing. Sie gefiel, nebst dem Kontretanz und dem Chor, gleich außerordentlich.

Hildegard-Passionei sang darauf seine Scenen und Arien meistens nur sotto voce, zeigte aber bey einzelnen schweren Stellen die ausgebildetste Kunst einer reinen tonvollen Kehle. Er hatte sich für die achtzehn bis zwanzig Vorstellungen der Oper schon seine Oekonomie eingerichtet; und der rauschende Beyfall bey jenen schweren Stellen lockte ihm nur wenig mehr ab, als er geben wollte.

Der beliebteste Kapellmeister in Rom, ein junger Mann in die dreyßig, dirigirte. Hildegard selbst aber gab fast immer das Tempo an, ließ wiederhohlen, was nicht ganz nach ihrem Sinne ging, zeigte, jedoch gefällig und bescheiden, den rechten Vortrag; und man folgte gehorsam ihrer bessern Einsicht. Sie erstaunte über die vorher unerkannte Wirkung ganzer Scenen in dem weiten Raume des großen Theaters, und bewunderte Lockmann's zweckmäßige[113] Kunst: die kühnsten Striche gleichsam al Fresco, und die herbsten Dissonanzen in den entschiedensten rührungvollsten Ausdruck verschmolzen. Hildegard war oft bey Sacchini's Proben in London zugegen gewesen; sie ließ sich daher von der Menge nicht stören, sondern sprach und handelte wie ein erfahrner Meister.

Kurz, die erste Probe fiel äußerst gut aus. Alle Zuhörer fanden in der ganzen Oper nichts Mittelmäßiges, sondern jede Scene ungewöhnlich ausgearbeitet; und die feinsten Kenner bewunderten einen Reichthum klassischer Schönheiten, und den durchaus originellen großen Styl. Bravone il Maestro! bravissimo Passionei! erscholl oft von einzelnen Stimmen da und dort.

Am allgemeinsten bewunderte man: Se un core annodi; und die Scene: Ove son? che ascoltai? – Dille, che si consoli. Aber bey Tornate sereni begli astri d'amore! konnte man das Entzücken und den Jubel nicht bändigen. Eine rührende Stimme bat im Namen Aller schmeichelnd um Wiederhohlung. Passionei ließ sich auch gefällig finden, und zeigte nun, was er vermochte. Man hatte nie etwas Göttlicheres gehört, und gestand sich einander mit Zähren der Wonne in den Augen, daß er in Bravour und Ausdruck gleich stark sey, und alle Sänger, auch die berühmtesten, übertreffe.

Als die Zuhörer das Theater verließen, war auf den Straßen ein Schwirren in der Luft von der leichten Melodie: Se un core annodi, mit welcher sich hier und da die erhabne: Tornate sereni, durchkreuzte und vermischte.

Zu Mitternacht bey den Abendmahlzeiten ward von weiter nichts gesprochen, und man ließ durch ganz Rom das Lob des unvergleichlichen Sängers hoch leben.

Die folgenden Proben wurden kurz vorher angesagt, und deshalb[114] ungestörter gehalten. Hildegard sah dabey mehr auf das Ganze und den Vortrag des Orchesters. Auch der zweyte Sänger that sich nun hervor, und näherte sich bey seiner Hauptscene: Numi clementi, dem Vortreflichen. Sie gab mit Feinheit Acht auf sein Eigenthümliches, um bey Gelegenheit, wenn der Fall vorkäme, es anderwärts in gehöriger Vollkommenheit zu zeigen; aber noch genauer merkte sie auf den Vortrag des Tenoristen, der jenen an Ausbildung und Fertigkeit bey weitem übertraf.

Die blasenden Instrumente, Hoboen, Fagotten, Hörner und Trompeten, waren glücklicher Weise meistens mit Deutschen, Böhmen und Oestreichern, oder mit Schülern von Deutschen besetzt, die der rastlose Unternehmer zum Theil in der Lombardey angeworben hatte.

Schon bey der vorletzten Probe kam alles bis zu einem Gusse: Geigen, Bratschen und Bässe begleiteten durchaus meisterhaft; kein Virtuose wollte sich mit seinen Künsteleyen zeigen. Die letzte aber war wirklich Vollendung. Jeder mußte dabey in seiner theatralischen Kleidung auftreten; das antike Griechische Kostume war angenommen, und, wegen des Pittoresken im ersten Chor, zwey der berühmtesten Mahler zu Rathe gezogen worden. Hildegard hatte es so klug eingerichtet, daß sie in ihrem Zimmer am Theater, mit Fanny'n allein und unbemerkt, sich anziehen, und für den dritten Akt umkleiden konnte. Sie ertheilte voll Enthusiasmus allen Sängern, Tänzern und Musikern das gebührende Lob; aber für die vernachlässigte Aktion noch ersprießlichen Unterricht.

Endlich kam der große Tag der ersten Vorstellung. Hildegard hatte die Nacht wieder so sicher und ruhig geschlafen, wie Alexander vor seiner berühmtesten Schlacht. Sie ward von dem edlen[115] Unternehmen begeistert, und fühlte sich ganz in ihrem natürlichen Beruf, wenn auch entdeckt werden sollte, wer sie wäre.

Schon mehrere Tage vorher war von der bestimmten Anzahl der Einlaßbillete keins mehr übrig, und sie stiegen zu einem unerhörten Preise.

Prächtig erscholl die Symphonie des Bacchanals. Der Vorhang ward aufgezogen, und der Kontretanz mit dem Chor begann zum Entzücken. Die süße Wuth des Gottes zuckte in den Nerven der Zuschauer, und alle hätten mitjubeln mögen.

Groß und hehr trat Pyrrha mit der Deidamia hervor; ihr Blick strahlte wild und kühn an das Seegestade, wo in der Ferne die Trompete schmetterte.

Udisti! fragte Deidamia bang und erschrocken; und Pyrrha antwortete mit dem festen Ton der Sicherheit: Udii. »O, wie schön er ist!« hörte man überall.

So fing pittoresk und reizend das Schauspiel an, und gewann gleich jedes Herz.

Bald flieht alles; und nur sie bleibt. Ihre erste Arie: Involarmi il mio tesoro! Ah dov'è quest' alma ardita? glich einem Baum in schöner Frühlingsblüthe, und versprach die goldnen Wunderfrüchte, die nachkamen. Bravo Passionei! erscholl von Parterre und Logen unter rauschendem Beyfall.

Gleich nachher fing sich in einer Loge nahe bey der Bühne ein Gespräch an, welches für Hildegar den hätte gefährlich werden können, wenn Römer und Römerinnen des mindesten Verdachtes fähig gewesen wären. Ein junger Lord, W*** C**, der schon vor zwey Jahren den Sommer über sich in Rom aufgehalten hatte, und vor wenig Tagen von einer Reise durch Griechenland, Kleinasien, Syrien[116] und Aegypten zurückgekommen war, sagte ziemlich laut zu einem berühmten Mahler: »Das Mädchen ist schöner, als alles, was ich jemals gesehen habe; und singt und spielt ihre Rolle unvergleichlich. Ich erwartete einen Opern-Achill; aber aus dieser athmet zu meinem größten Erstaunen Homers Genius. Wer ist sie? wie heißt sie?« Er hatte, in Hildegards Schönheit vertieft, und von ihrem Blick gefesselt, gar nicht Acht gegeben, was um ihn her war gerufen und gesprochen worden.

Der Mahler antwortete lachend: »Es ist der Sänger Passionei. Auf den Theatern unsrer heiligen Stadt dürfen keine Frauenzimmer erscheinen; aber die jungen Kastraten ahmen sie so gut nach, daß sie die feinsten Kenner täuschen, wie wir an Ihnen ein Beyspiel sehen.«

Der Engländer hatte für sein Lieblingsstudium, die Naturgeschichte, und auch um mit tieferer Kenntniß sich an den Werken der Kunst zu weiden, von welchen er durch Erbschaft eine reiche Sammlung besaß, die Anatomie geübt, und wußte die Verschiedenheit des Männlichen und Weiblichen nicht bloß aus dem Albini. Er war etwas aufgebracht über die Zurechtweisung; doch hielt ihn das Sonderbare des Vorfalls zurück, dem Künstler die Augen zu öfnen. Die Andern in der Loge verzogen hinter seinem Rücken den Mund.

Der Mahler wollt' es noch besser machen; und, eben als der Sieneser die Arie: Del sen gli ardori nessun mi vanti, gegen den Charakter derselben ziemlich weichlich sang, fuhr er fort: »Eine solche Beraubung in der Kindheit macht zuweilen, daß späterhin die Formen sich sehr verändern.«

Der Lord erwiederte hierbey kalt und lächelnd nur: »Dieser hat seinen Bubenkopf glücklich behalten!«[117]

Ein Jüngling in der Loge erwiederte feurig: »Könnt' es ein Frauenzimmer geben, das einen so festen süßen Ton der ersten Gattung und solche Lungen hätte; so müßt' es gewiß von sonderbarer Laune seyn, wenn es bey so viel Schönheit ...« – Das halbe Parterre gebot Stillschweigen. Kurz, es war alles in die Luft gesprochen; man hielt des Lords Aeußerung für ungereimt, dachte nicht weiter daran, ließ sich während des Zwischenakts das Gefrorne wohl schmecken, sprach über Personen in Parterre und Logen, und freute sich höchlich über das Ballet, worin Theseus den Minotaurus erlegte.

In der siebenten Scene des zweyten Akts ward bey der schönen Stelle: Ove mirar più mai tant armi, tanti duci, der Tenorist zuerst bewundert, aber noch mehr der Meister.

Das Lied der Pyrrha: Se un core annodi, erregte allgemeinen Jubel. Doch der Kern des Ganzen: Ove son? che ascoltai? machte den stärksten Eindruck. Der Tenorist und Hildegard wetteiferten; sie war aber unendlich mehr der Griechische Held, und ließ sich von seinem Theatralischen nicht mißleiten. Das Erstaunen des Lords stieg bis zum höchsten Enthusiasmus; er wußte selbst nicht mehr, was er über das Geschlecht der Person denken sollte, da er noch keinen Musico genau und oft beobachtet hatte. Gesang, Begleitung und Aktion – alles täuschte ihn, wie antik, wie Natur. Er rief ihr auch nach der vorübereilenden Arie:


Dille, che si consoli,

Dille, che m'ami;


so stark zu: Bravissimo Achille! daß Hildegard nach ihm blicken mußte, und die Blitze der Augen in einander flogen. Der Lord war ein schöner junger Mann, und hatte selbst etwas Griechisches in[118] seinem Kopfe, besonders in den runden braunen von Natur gelockten Haaren.

Nach dem zweyten Akt war ein Toben und Lärmen der Bewunderung, daß man sein eignes Wort nicht hören konnte; selbst das neue Ballet, die Einschiffung eines Französischen Regiments zu Toulon nach Amerika, brachte lange keine Stille zuwege.

Das

Tornate sereni

Begli astri d'amore!


im dritten Akt, übertraf aber an Wirkung alles Andre bey weitem. Auch zeigte Hildegard darin, von dem allgemeinen Beyfall begeistert und hingerissen, und nun freyer, muthiger, die Gewalt und Fülle ihrer Kehle, und den Reichthum ihrer Kunst am meisten. Nichts regte sich vor unaussprechlicher Lust. Sie machte Läufe und Stürze und Sprünge von drittehalb Oktaven, und schlug Nachtigallenreine Triller.

Am Ende der Arie richteten sich alle Gesichter mit bittenden Bewegungen nach der Loge des Gouverneurs, weil nur er in Rom das Recht hat, wiederhohlen zu lassen. Der strenge Mann rief auch zu allgemeinem Frohlocken, nach undenklicher Zeit zum erstenmal wieder: Ancòra!

Aber man traute seinen Ohren kaum, als der Gesang anfing, und man etwas ganz anders zu hören meinte. Da waren keine Flüge und Sprünge, sondern die lautersten einfachsten Accente wahrer Empfindung, die Natur durchaus in der höchsten Unschuld. Besonders der zweyte Theil:


O Dio, lo sapete,

Voi soli al mio core[119]

Voi date, e togliete

La forza, e l'ardir;


preßte auch den Kältesten Thränen aus: so wahr hatte man die zärtlichste Sprache der Liebe noch nicht gehört.

Eine edle Schönheit – eben die, welche Hildegarden bey ihrer Ankunft in Rom vor dem Ponte Molle anhielt – rief dazwischen unwillkürlich, nach einem starken Seufzer, mit lauter Stimme aus: »So hat mich noch kein Mensch gerührt!« Ihre Nachbarn mußten, lachen; fühlten aber dasselbe.

Ein uralter, längst vergessener, Kapellmeister mit schneeweißen Haaren, noch aus Leo's Zeiten, konnte sich ebenfalls nicht enthalten, dazwischen auszurufen: »Das ist der wahre Gesang; der greift ans Herz, und ist kein Spiel der Phantasie!«

Jeder Ton war ein elektrischer Schlag, und Parterre und Logen eine Fluth von göttlichem Gefühl.

O, wie glücklich war Hildegard, als sie dieß sah! sie hätte ihr Talent nicht für Zepter und Kronen vertauscht. Selbst Mutter und Bruder würden ihr die Ausschweifung vergeben haben, wenn sie zugegen gewesen wären. Ihren Lockmann wünschte sie gutherzig her nach Rom, in den Taumel der Bewunderung.

Die Herzogin schrieb ihr in der Loge: sie müsse diese Nacht bey ihr essen. Ach, viele Damen – verlangten heftig Passionei'n dasselbe zu schreiben. Der Herzog überbrachte das Billet seiner Gemalin; er wartete, bis Hildegard sich umgekleidet hatte, und nahm sie dann gleich mit in seinen Wagen.

Die D**** fiel über sie her, und erdrückte sie fast vor Liebe. »O, wenn Jemand für das Theater geboren ist: so bist Du es gewiß, mehr als Garrick Deines Geschlechts!«[120]

Man hält in dem Lande des Improvisirens die erste Vorstellung nur für die letzte Probe; daher stiegen an den zwey folgenden Tagen die Billete noch höher. Passionei erschien immer mit neuen Reizen, und ward vergöttert, angebetet. Nach und nach senkte sich das Stürmische der ersten Empfindungen in einen klaren See von allgemeinem Urtheil. »Es gab seines gleichen nicht, und er übertraf alles, was man gesehen und gehört hatte.« Kenner nannten die Musik ein Meisterstück; der Vater Passionei, sagten sie, habe gezeigt, wie ein Mann von Genie reformiren müsse, und sey nicht barbarisch, wie Gluck, zu Werke gegangen. Der Ausdruck herrsche bey der schönsten Melodie, und durch die gewaltigste Fülle der Instrumentenbegleitung, von welcher noch kein Italiäner solchen Vortheil gezogen habe. Doch sey es nur der erste glückliche Versuch, und bey weitem nicht alles, was sich leisten lasse. Noch fehle das leidenschaftliche Duett, Terzett, Quartett, und die Pracht der Chöre; die zwey darin wären Kleinigkeiten. Einige erfahrne Kenner, junge Damen von Geschmack, Sänger und Sängerinnen, und Neapolitaner und Venezianer, die sich eben in Rom aufhielten, und zum Theil die andern Bühnen besetzten, gaben diese Meinung an. Die letztern würden wohl nicht so mild geurtheilt haben, wenn sie nicht geglaubt hätten, der Tonkünstler sey schon todt.

Der große Haufe der Römer schwärmte inzwischen immer fort, und kannte nichts Schöneres und Erhabneres. Das Theater war voll, so lange die Oper gegeben wurde. Die Herzogin sammelte eine Menge Sonette und die ausschweifendsten Lobeserhebungen. Passionei ward in den interessantesten Stellungen gezeichnet, gemahlt, und zwar oft entstellt, doch einigemal vortreflich nach dem Leben kopirt, und schon in einem historischen Gemählde angebracht, welches[121] der junge Lord von einem Künstler aus London nach dem antiken Basrelief für sich verfertigen ließ.

Der Lord erfuhr gleich den zweyten Tag Pas sionei's kurze Geschichte, die bald allgemein bekannt wurde. Niemand dachte weiter darüber nach; ihm allein kam sie verdächtig vor. Er hatte in London, von wo er freylich schon seit drey Jahren abwesend war, nie etwas von einem Passionei gehört. Sein Verlangen, den Sänger in der Nähe zu sehen und zu sprechen, war brennend; es wollte ihm aber nicht damit glücken. Hildegard ging wenig aus, und nahm Besuche, von denen sie anfangs bestürmt wurde, eben so wenig an, als Einladungen. Sie war jeden Tag mit ihrer Rolle beschäftigt, und erdachte etwas Neues dafür; überdieß hatte sie noch die Sophonisbe zu studiren, die Klippe, an welcher sie zu scheitern befürchtete. Die erste Probe dieser Oper ward so geheim veranstaltet, daß kein Fremder hinzukam; auch hatten die Römer in sieben Schauspielhäusern jetzt so viel zu sehen und zu hören, daß sie wenig deshalb nachforschten!

Die Probe übertraf bey weitem Hildegards Erwartung. Den Masinissa, machte der Sieneser, freylich zu jung für diese Rolle; und den Siface der Tenorist, für welchen diese Rolle so gut geschrieben war, daß er recht darin glänzen wollte. Beyde hatten wenig zu lernen; die Melodien fielen leicht in die Kehle. Ueberhaupt bestand die ganze Oper nur in Sophonisben; alles Andre war Nebenwerk. Die beyden Virtuosen auf der Hoboe und dem Horn freuten sich indeß sehr über ihre Solos in der vierten Scene des dritten Akts.

Hildegarden war ein schwerer Stein vom Herzen, als weder der Kapellmeister, welcher die Aufführung dirigirte, noch einer von den andern Tonkünstlern nur das Mindeste von einem Betruge äußerten,[122] und alle die Musik der schönen Scenen, besonders der erhabnen im dritten Akt, bewunderten. Sie sagten: manches sey gewöhnlich, und das Ganze nicht so neu und gediegen, wie der Achill, aber doch der Styl vortreflich; die letzte Scene klassisch, und allein eine Oper werth. Hiermit urtheilten sie nicht übel; verstanden sich aber wenig auf Physiognomie der Geister.

Die erste Probe ging so gut, daß man nur noch zwey andre hielt.

Bey der ersten Aufführung waren die Billete noch theurer als beym Achill.

Hildegard hatte sich reich und mit Geschmack gekleidet, und in ihrem gelockten Haar strahlte ein Diadem von großen Diamanten. In der vierten Scene bey den Worten: Intesi, ti basti, s'io cesso d'odiarti, glaubten alte Kenner in ihr die junge Gabrieli zu sehen und zu hören. Niemand aber dachte an Traetta.

Der Tenorist erhielt vollen Beyfall in der letzten Scene des ersten Akts. Dieser gefiel zwar, erregte aber bey weitem nicht so viel Enthusiasmus, wie der erste Akt des Achill.

Im zweyten trank man Chocolate und aß Gefrornes. Man hielt alles darin für gewöhnlich; nur das Terzett erregte Aufmerksamkeit.

Aber im dritten lebte alles wieder auf. Bey der Arie: Sventurata in van mi lagno, zeigte Hildegard sich in ihrer stärksten Bravour, wie man sie noch nicht gehört hatte. Alles erstaunte über die Neuheit und das Glänzende ihrer Manieren und Läufe; und mehr als Eine Stimme rief: »So etwas kann kein Frauenzimmer!«

Der junge Lord, welcher noch keine Vorstellung versäumt hatte, verwunderte sich seinerseits über die allgemeine Blindheit. So lange [123] Hildegard noch den Achill spielte, dünkte er sich nie recht sicher; jetzt aber – Doch er wollte warten.

Die zehnte Scene war der Triumph von allem; das ganze Theater lauschte wie gefesselt und gebunden, und jedem lief ein Schauder nach dem andern durch die Glieder.


Ecco al mio labbro già la tazza letal!

Ma ohime! la mano perchè mi trema,

Qual si spande intorno fosco vapor,

Sotto l'incerte piante il suol perchè vacilla –

Dove son? che m'avenne?

E questo forse il natural ribrezzo al tremendo passaggio?

Ah, non credei, che si terribil fosse l'aspetto della morte!


Man hörte kaum, und hatte nur Augen: so sehr war die königliche Gestalt in jeder Stellung, Bewegung und Geberde Sophonisbe. Das hohe Tragische that den Zuschauern wirklich zu weh. Der junge Lord rief außer sich: »Donna è vera Sofonisba!«

Dieß schallte Hildegarden schrecklicher in die Ohren, als hinter der Scene der Römische Marsch.


Ma qual suono lieto insieme e feroce? donde? s'osservi! aprite! –

O vista atroce! le navi! i prigioneri!

Invano m'attendete, o superbi! Io non verrò,

La mia difesa è questa. Bevvasi! –

O dio! ma dunque ò da morir cosi?

I ferri! le catene!

Mi lascian tutti, misera, in abbandono; e sol m'avvanza,

Che soccorso crudel? la mia constanza.


Das Quintett zum Beschlusse, wo sie stirbt, vollendete die ungeheure Wirkung; die Zuschauer waren blaß und von Schrecken versteinert.[124]

Erst als der Vorhang fiel, schöpften sie wieder recht Athem, und riefen: Bravissimo Passionei!

Die Donna des Lords war ganz und gar in die bloße Luft gesprochen; er blieb aber überzeugt, wie von seinem Leben, daß Passionei ein Frauenzimmer sey.

Hildegard hatte, als sie das Donna hörte, große Mühe, die Scene gehörig auszuspielen; und konnte sich auch nachher nicht gleich wieder davon erhohlen. Sie wußte nicht, woher das Wort kam. Der Engländer war ihr freylich jederzeit in die Augen gefallen, und sie sah seinen schönen Kopf gern, so wie die noch schönern Augen, welche so voll Seele Acht gaben und auf ihr Spiel lauerten. Sie dachte einen Augenblick, die Herzogin oder ihr Gemal müßten sie verrathen haben; doch verwarf sie diesen Argwohn bald.

Als die Gefahr mit Traetta überstanden war, glaubte sie endlich das Natürlichste: es habe ein feiner Lobspruch seyn sollen.

Bey den Abendmahlzeiten, und am folgenden Morgen in den Kaffeehäusern, urtheilte man über die Oper ziemlich eben so wie das Orchester. Von Passionei aber sagte man: er sey ein Phönix von Sänger; alle wesentlichen Eigenschaften vereinigten sich bey ihm in hoher Vollkommenheit.

Bey der zweyten Vorstellung gefiel alles weit mehr; man übersah nun das Ganze, und erwartete mit Begierde den dritten Akt. Die erhabne tragische Scene zerriß das Herz nicht mehr so stark, und that nur lieblich weh; der Beyfall war daher froher, besonnener und allgemeiner. Hildegards Blicke bewachten fein, doch nicht unbemerkt, den jungen Lord. Sein Herz schlug ihr in vollen Flammen entgegen; doch betrug er sich sehr verständig.

Den Vormittag darauf kamen die drey Unternehmer des Theaters[125] zu ihrem Abgott Passionei, schütteten einen Haufen schöner vollwichtiger Zechinen auf eine Tafel, zählten ihm achthundert Stück vor, die er gegen Quittung in Empfang nahm, und sagten ihm, daß der Rest beym Schluß des Karnevals erfolgen würde. Sie wollten zugleich für das nächste Jahr einen Kontrakt mit ihm schließen; er ließ sich aber noch nicht ein, ob er gleich ihnen Hofnung machte.

Als sie fort waren, that Hildegard dreyhundert Zechinen in einen Beutel, rief Fanny'n, und drückte ihr denselben, zum Lohn für ihre Treue und Verschwiegenheit, in die Hand. Das übrige Geld schloß sie ein.

Mittags speiste sie bey der Herzogin, welche muthwillig darüber scherzte, daß die Römer sich klüger als alle Welt dünkten; und den Nachmittag fuhr sie zu einem Banquier, den ihre Freundin ihr als den sichersten empfohlen hatte, um für die andern fünfhundert Zechinen einen Wechsel zu kaufen.

Passionei kam vor dessen Haus, nahe bey der Villa Aldobrandini, und stieg, als die Thür geöfnet wurde, noch in Gedanken verloren, aus dem Wagen. Man führte ihn in ein Zimmer, und – welche angenehme Ueberraschung! – dieselbe junge schöne Römerin, von der er bey seiner Ankunft unweit des Ponte Molle bewillkommt worden war, kam ihm freundlich entgegen.

Sie erröthete, als sie den Sänger empfing, der sie, wie noch kein Mensch, gerührt hatte. Ihre Augen waren wirklich schöne Gestirne der Liebe, wie es in der Arie heißt, und die Natur schien sie aus den reinsten und heißesten Sonnenstrahlen gebildet zu haben; ihre Blicke loderten von unwillkürlichem Feuer.

Auch sie war überrascht von der Zusammenkunft; und ehe sie noch[126] fragte, was sein Begehren sey, dankte sie ihm mit abgebrochnen Worten für das unaussprechliche Vergnügen, das er ihr als Achill gemacht habe.

Indessen kam ihr Bruder, der Banquier. Passionei sagte in wenig Worten sein Verlangen, welches sogleich erfüllt werden konnte. Er schrieb dem Banquier den Namen Kapellmeister Lockmann auf, zählte ihm die fünfhundert Zechinen vor, und blieb dann wieder mit der schönen Römerin allein, weil der Bruder wegging, ihm den Wechsel auszufertigen.

Sie erzählte ihm geschwind ihr Familienverhältniß. Vater und Mutter wären gestorben. Ihr Bruder sey das älteste Kind vom Hause; seine Frau lege so eben einen Besuch ab; und zwey ältere Schwestern wären verheurathet: eine in Ancona, die andre in Neapel. Dabey war sie so gut, so freundlich, mit Einem Wort: in Passionei verliebt.

Hildegard fühlte hier zum erstenmal etwas von dem Uebernatürlichen der Sappho. Sie ward blaß; ihr Herz schlug, daß sie Mühe hatte, es zu verbergen, und ein Seufzer nach dem andern drängte sich aus ihrer Brust hervor. Der Blick der himmlischen Unschuld flammte auf sie – ach! – wie eine zärtliche Umarmung. Sie konnte sich nicht enthalten, als sie neben dem schönen Mädchen am Fenster stand, dessen zarte Hand zu fassen, und an ihre Lippen zu drücken. Und das Mädchen ließ es lächelnd geschehen, als sie sich nur ein wenig geweigert hatte.

Der Bruder kam darüber wieder, und brachte den Wechsel, der auf die Gebrüder Bethmann in Frankfurt am Mayn gestellt war.

Jetzt fing auch er an, Passionei'n Lobsprüche zu machen, und erzählte dabey, daß Eugenia – so hieß die Schwester – ebenfalls[127] sänge, und seine Art und Manieren nachzuahmen gesucht hätte. Sie schlug bescheiden die Augen nieder, und sagte: »Warum mußt Du meine Verwegenheit dem Unerreichbaren entdecken?«

Er erwiederte: »Vielleicht ist er so gefällig, Dir einige Augenblicke Unterricht zu geben. Von einem solchen Meister sind die mehr werth, als Monate und Jahre von andern.« Nun führte er Passionei'n und Eugenien in das andre Zimmer, und langte eine Guitarre herunter.

Eugenia stimmte sie schüchtern, legte sie, reizend wie Erato selbst, an, that einige langsame Griffe, als ob sie nicht recht daran wollte, und sang dann plötzlich mit raschen Griffen, wie auf einmal begeistert, in quellreinen vollen Tönen, unter der allerfertigsten Begleitung der zarten Finger:


Se un core annodi,

Se un alma accendi,

Che non pretendi

Tiranno Amor!


Auf Tiranno legte sie einen Nachdruck, der Hildegarden durch Mark und Bein drang, so daß sie wirklich vor Schrecken darüber zusammen fuhr. Zum Glück für sie sang Eugenia gleich weiter fort. Einen solchen Auftritt hatte sie in ihrem Leben noch nicht gehabt; es ward ihr dunkel vor den Augen. Sie stammelte nur dazwischen: »Göttlich!« und nie hatte sie das Wort so gefühlt. Auf beyden Seiten war die tiefste Inbrunst der Natur für hohe Schönheit.

Passionei hörte still zu, und rühmte am Ende alles, was Eugenia vortreflich gesungen und gespielt hatte, nach Verdienst, besonders aber den Ausdruck voll der wahrsten Empfindung. »O,« sagte[128] Eugenia lächelnd – und es war, als ob der Himmel sich aufthäte –: »gerade den Ausdruck, wenn Sie mir nicht schmeicheln, hab' ich von Ihnen.«

Passionei beneidete sie wegen ihrer Fertigkeit auf dem so lieblichen Instrument; und machte ihr dann auf ihr Bitten langsam einige von seinen Manieren vor, die sie in ihre Kehle zu bekommen wünschte. O, wie sie ihn dabey anblickte, seine Töne wiederhohlte, und beyde sie in einander schmelzten! Eine größere Süßigkeit hat der Erdboden nie gehört.

Schade, daß sie darin gestört wurden! Jetzt kam die Frau vom Hause: auch eine schöne Römerin, nur nicht von so edler und geistreicher Art, und stark in die Zwanzig; da Eugenia kaum sechzehn Jahre haben mochte.

Sie ließ, als die kleine Gesellschaft eine Weile angenehme Gespräche geführt hatte, ihre Kinder kommen: ein Mädchen von sechs, und einen Buben von acht Jahren; beyde schön wie die Engel; der Bube seinem Vater ein wenig ähnlich, und das Töchterchen der Mutter.

Das Haus hatte eine Lage, die zu den zauberischesten in Rom gehörte. Eben schwebte das Kolisäum im süßen Abendlichte fern aus dem Grünen in die hohe Luft, wie ein Gemählde voll Empfindung vergangner Zeiten; und durch die hohen Bogen sah man Feld und Himmel. Rechter Hand leuchtete die Villa Casali, wie ein Lustsitz der Liebe hervor; und weiter hin Castel Gandolfo, Rocca di Papa und Frascati. Das schöne Gebirge wölbte sich majestätisch herum gen Tivoli, und der hohe Sorakte machte einen prächtigen Beschluß.

Rom lag vor der Höhe in den stolzen Formen seiner Gebäude, und[129] den rührenden Ruinen mit Grün überzogen, woraus hier und da Pinien und Zypressen sproßten und ihr Haupt erhoben.

Passionei war über eine Stunde da gewesen, als er sich empfahl; und mußte versprechen, seinen Besuch bald und oft zu wiederhohlen.

Die Ohren brausten Hildegarden im Wagen, als sie alles wieder durchempfand. »Wie mancher Einheimische und Fremde wird nach einem solchen Blicke schmachten! ... O, ich mag es nicht ausdenken!« So verstummte sie in sich.

Diesen Abend spielte sie ihre Rolle zum erstenmal sehr zerstreut; doch brachte die Gewalt der Musik im dritten Akt sie wieder zu sich. Am besten machte sie die Scenen von Jomelli, worin Sophonisbe von ihren Kindern Abschied nimmt, und deren Schönheit heute auch erst bemerkt wurde.

Den nächsten Morgen schrieb sie folgenden Brief:


»Mein lieber Lockmann,


ich habe mit der Herzogin D**** eine Reise nach Italien gemacht, und wir befinden uns jetzt in Rom. Sie erhalten hierbey zur Belohnung einen Wechsel von fünfhundert Ducaten, den sie sogleich heben können. Sie hätten fünftausend verdient. Wofür? das kann ich der Post nicht anvertrauen. Ich werde Ihnen Wunderdinge erzählen, wenn ich wieder bey Ihnen bin.«

»So bald das Karneval vorbey ist, reisen wir nach Neapel. Melden Sie mir dorthin den Empfang unter der Adresse der Herzogin bey dem G*** H***. Im May segeln wir nach Sizilien und Malta, und kommen durch Kalabrien zurück nach Neapel. Von da geht es den Sommer im Fluge nach Wien, und wir begleiten meine Mutter an den Rheinstrom. Leben Sie wohl.


Hildegard


Sie überlas Wechsel und Brief noch einmal; legte beydes wohl zusammen,[130] verklebte das Couvert mit Oblate, siegelte zu, und schrieb die Adresse. Den Nachmittag gab sie den Brief ihrer Fanny, daß diese ihn Abends richtig bestellen sollte.

Sie ging und fuhr nun oft aus, um die unendlichen Schätze Roms, die Pracht und Herrlichkeit, die Schönheit der Tempel, Palläste und Brunnen, und die Majestät der Ruinen zu sehen. Die Oper ging, mit unaufhörlichem und immer neuem Beyfall, ihren Gang fort. Hildegarden war die Sophonisbe ohne Vergleich leichter zu spielen, als der Achill, und alle Gefahr schien glücklich überstanden.

Die Leidenschaft des jungen Lords schlummerte inzwischen nicht; doch ging er behutsam zu Werke, weil die Erscheinung zu außerordentlich war.

Er hatte gleich zu Anfang einen Besuch bey der Herzogin gemacht, mit der er zu London immer nur in großen Gesellschaften gewesen war. Bey diesem Besuche wurde auch von Passionei gesprochen. Die Herzogin bewunderte und pries sein Talent, seine Figur, that aber, als ob sie ihn nicht näher kennte.

Erst bey der Vorstellung der Sophonisbe gelang es dem Lord, von dem Unternehmer selbst das Gegentheil heraus zu locken. Er erfuhr nun auch, daß beyde Frauenzimmer fast täglich zusammen kamen, und daß man in ihrem Hause glaubte, die Herzogin richte sich nach der Sitte der Römischen Damen, und Passionei sey ihr Cicisbeo. Begieriger, hinter die Wahrheit zu kommen, ist wohl noch kein Mensch gewesen, als der Lord. Er und die Herzogin, beydes geistreiche Personen von hoher Kultur, gewannen bald Hochachtung für einander, die bis zur Traulichkeit ging. In der Folge besuchte er sie öfter; doch traf er nie Passionei'n bey ihr, der, so lange der Achill auf dem Theater war, nur nach den Vorstellungen um Mitternacht[131] zu ihr kam. Wenn von ihm gesprochen wurde, hielt er aus Absichten seinen Verdacht immer zurück.

Als er die nähere Bekanntschaft zwischen beyden erfahren hatte, suchte er die Herzogin gleich den folgenden Morgen darüber auszuforschen. Diese gestand ihm lächelnd ein, sie wäre in Turin bey Pugnani mit Passionei bekannt geworden, hätt' es aber rathsam, gefunden, hier zu Land' ein Geheimniß daraus zu machen, daß er durch ihre Vermittelung Rom bezaubere. Der Unternehmer, sagte sie, wäre ein Plaudermaul. Uebrigens blieb es beym Alten.

Der Lord sah sie mit besonderm Blick an, und drohte ihr mit dem Zeigefinger.

Sie konnte ihm nur darauf sagen: »Geduld, Lord, und Verschwiegenheit! Sie sollen bald Alles erfahren, und von Herzen darüber lachen;« denn eben trat ihr Gemal mit einem Kardinal in das Zimmer, und unterbrach sie.

An den nächstfolgenden Tagen fand der Lord die Herzogin immer in Gesellschaft. Er ließ nun auflauern, um irgendwo Passionei'n allein zu haben. Zwey Besuche von ihm wurden nicht angenommen; auf das Theater ging er nicht, weil zu viel Personen hinauf kamen, das Getümmel zu groß war, und er kein Aufsehen machen wollte. An einem heitern Nachmittage meldete ihm endlich sein Kammerdiener: Passionei sey mit der Herzogin und einem Römischen Antiquar über die Engelsbrücke, nach der Peterskirche oder dem Vatikan, gefahren. Der Miethwagen des Lords stand immer bereit, und er fuhr in der besten Laune gleich nach.

Als er auf den Petersplatz kam, sah er den Wagen der Herzogin an dem Eingange der Kirche halten. Er stieg aus, und ging hinein. Es war sonst niemand darin als ein Küster, der an dem Pfeiler der[132] linken Seite – wo der Eingang zu der Treppe ist, auf welcher man zum Dache steigt – die Thür hinter sich zumachen wollte. Der Lord fragte ihn, ob er nicht eine Dame mit zwey Herren gesehen hätte. Der Küster antwortete: sie wären so eben hinauf gegangen, um die Einrichtung des Dachwerks und das Gewölbe der Kuppel von außen zu betrachten. Der Lord bat um Erlaubniß, die Gelegenheit zu benutzen; und sie wurde ihm sogleich bewilligt.

Er eilte voran, und fand oben Passionei'n in seinem Venezianischen Mantel rückwärts nach dem Platze zu stehen; indeß die Herzogin mit ihrem Begleiter in einem Gespräche war, und langsam nach der Kuppel wandelte.

Passionei drehte sich um; und ein freudiges »Ha!« der Verwunderung flog dem Lord von ihren lächelnden Lippen entgegen. Nun erfolgte eine Pause, die mehr sagte, als die lieblichsten Worte der Beredsamkeit. Beyder Blicke weideten sich an einander in hoher Schönheit; nur die ihrigen schüchtern und furchtsam, die seinigen mit kühner Begierde. Er ging zuerst auf sie zu, und faßte sie schon vertraut bey der zarten Mädchenhand. Beynahe hätte sie in der Zerstreuung ihm erlaubt, ihr die Hand zu küssen: doch besann sie sich noch, daß sie Passionei war; und entzog die Hand seinem warmen Druck.

Der Lord sagte ihr in Englischer Sprache: »Unverhoftes Glück, daß ich den Sänger, der einzig in seiner Art ist, und mich so oft mehr als irgend etwas in der Welt entzückt hat, endlich einmal bey der Hand fassen, und ihm meine höchste Bewunderung bezeugen kann!«

Die Herzogin hatte ihr den Lord schon genug geschildert, und beyde einander so oft betrachtet, daß sie ihm in derselben Sprache erwiederte: »Mir sank der Muth, Lord, so bald ich etwas von Ihnen[133] wußte; und ich schämte mich meiner Verwegenheit, den größten aller Helden, auch nur als verliebten Jüngling in Frauenzimmerkleidung, darzustellen. Wie weit muß in Ihren Augen der sanfte zierliche Metastasio hinter Ihrem Homer zurückgeblieben, und wie leicht sinnig ich Ihnen vorgekommen seyn! Zu seinem und meinem Glück sind die heutigen Römer so zahm geworden, daß Ihnen solche heroische wilde Gefühle ganz fremd sind.«

Sie sagte dieß in der besten Londoner Aussprache, mit einem solchen Feuer, und so schnell, daß der Lord erstaunte, und augenblicklich wieder anfing, über ihr Geschlecht zu zweifeln.

Unterdessen hatte der Küster die Herzogin eingehohlt. Sie wendete sich um, und erblickte den Lord bey Hildegarden, eben als er sie fragte: »Wie lange sind Sie in England gewesen? So leicht und vortreflich hat unsre Sprache noch kein Italiäner gesprochen.«

Die Herzogin rief und winkte beyde herbey, weil sie ganz richtig dachte, das würde eine Geschichte geben.

Der Lord zögerte; Hildegard aber eilte zu ihr hin, und antwortete nur, ganz als Italiäner: »Ich kam in früher Jugend, wo die Organe noch geschmeidig sind, nach London; und der gewaltige Trieb, die Sprache der ersten Nazion auf der Erde zu sprechen, machte, daß ich die meinige fast vergaß.«

Die Herzogin kam ihnen auf halbem Weg entgegen. »Verzeihen Sie, Herzogin,« stammelte der Lord verwirrt: »das glücklichste Ungefähr –« Die Wangen glühten, die Augen flammten ihm.

»Es freut mich, erwiederte die Herzogin, daß wir uns endlich alle Drey zusammen finden, was so oft mein Wunsch gewesen ist.«

Der Antiquar fuhr in seiner Erklärung fort, und wiederhohlte, wie kostbar, schön und zweckmäßig das Dachwerk des ungeheuren[134] Wundergebäudes sey; und welche Päpste, welche Architekten im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert sich dadurch verewigt hätten. Dann erzählte er, wie die Pfeiler der Kuppel gesunken, ein Riß in dieser entstanden, und der starke eiserne Reif darum befestigt worden wäre.

Der Küster fuhr fort, und beschrieb den Knopf der Kuppel. Vier bis fünf Personen, sagte er, könnten geräumig darin stehen, so klein er auch unten auf dem Platze aussähe; und alle Englische Damen, die hieher kämen, stiegen hinein.

»Die Verhältnisse,« sagte der Antiquar, »sind bey jedem Theil auf ein Haar berechnet; und dieß macht, daß das Ungeheure nirgends hervorspringt und auffällt, so bald man einigermaaßen das Ganze übersieht.«

Dabey kam die Gesellschaft in das Geländer oben auf der Kuppel, und genoß der schönsten Aussicht über Rom hin in die weite herrliche Gegend, und bis an das Seegestade. Von Griechenland her wehete heiter ein gelinder Ostwind.

Jetzt drängte die Herzogin den Lord nach der an dern Seite voran, um ein Wort mit ihm allein zu sprechen, und zu hören, was er von Passionei denke. Hildegarden wandelte, indeß der Antiquar anfing, ihn zu unterhalten, die Lust an, auf die Leiter zu steigen, die nach dem Knopfe führt; und in Gedanken schritt sie eine Sprosse nach der andern weiter, bis sie endlich an die schmale Oefnung kam.

Der Lord wollte sich noch nicht über Passionei auslassen, und langte das Geländer herum gerade unten bey dem Thürchen an, dem Eingang zur Leiter, als Hildegard den Kopf eben in den hohlen Raum steckte, und sich nun empor hob, und mit den Füßen hinein schritt.[135]

Er versäumte die Gelegenheit nicht, und stieg schnell hinter drein. Hildegard wollte, als sie kaum einige Namen gelesen hatte, wieder zurück; aber jetzt war er schon mit halbem Leibe hinter ihrem Rücken.

Sie erschrak, als sie bey einer plötzlichen Wendung ihn erblickte; doch konnte sie ihn jetzt nicht wohl mehr aufhalten. Zwar sagte sie, hastig bittend: er möchte sie erst hinunter lassen; aber in dem Augenblick stand er schon vor ihr. Ihr Mantel, in welchen sie sich fest wickelte, flog mit einem Riß aus einander; und so waren ihre Arme, ihre Weste und Halskrause dem Gierigen ein schwacher Widerstand. Er faßte entzückt die lieblich warmen herblich zarten schönsten Formen des Gefühls, die er bald von aller Hülle freygemacht hatte.

Sie schrie und rief, und suchte sich los zu winden; ihr war, als ob der Satan sie in Händen habe, aber Satan der Engel des Lichts.

»Wundergeschöpf! Wir müssen Eins werden; so wollen es Natur und Schicksal!« Dieß flog unter Kuß auf Kuß voll Zärtlichkeit aus seinen Lippen.

Die Herzogin war schon an der Oefnung, Hildegarden zu Hülfe zu kommen, und rief dem Lord zu: er sollte sich mäßigen; aber er ließ sich nicht stören, und flisterte: »Besänftige Dich! sey gut und hold! Mein Herz und Geist, alle meine Sinne, mein Leben hängt an Dir; ich bete Dich an. Dein Geschlecht war mir den ersten Augenblick, als ich Dich sah, nicht verborgen.«

Hildegard weinte vor Scham und Zorn. »Sie sehen mich für etwas anders an, als ich bin. Lassen Sie mich! Ich beschwöre Sie bey Ihrer edlen Denkungsart.«

Die Herzogin hatte ihn einigemal so derb in die Waden gekneipt,[136] daß er endlich nachgab. Hildegard schlug sogleich den Mantel wieder um sich, und stieg dann mit der Herzogin zuerst hinunter.

Antiquar und Küster waren gleich anfangs wieder auf das Geländer gegangen; sie verstanden nichts vom Englischen, glaubten, da die Sprache der Fremden so gedämpft war, sie trieben Scherz, und redeten der Herzogin zu, ebenfalls hinauf zu steigen.

Hildegard eilte nun mit dieser die Kuppel hinunter. Die Herzogin verabredete mit ihr in aller Geschwindigkeit, sie für Passionei's Tochter auszugeben; und übrigens sollte alles beym Alten bleiben.

Der Lord kam ihnen schnell nach. Sie faßten sich in Gegenwart des Antiquars und des Küsters, wie Leute von Welt. Die letztern beschrieben noch, wie prächtig die architektonische Erleuchtung des Tempels und der Kuppel am Petersfeste wäre. Die Fremden mochten aber nicht länger bleiben, gingen wieder hinunter, und trennten sich unten auf dem Platze: Hildegard mit zornigem und verschämtem Blick; der Lord mit Augen, worin die Freude über seine Entdeckung funkelte.

Die Herzogin sagte nachher zu Hildegarden: sie stände für seine Verschwiegenheit. Auch dieser selbst war deßwegen nicht sehr bange; nur fürchtete sie sich vor seinen Verfolgungen.

Der Lord verlangte unterwegs sehnlich, ihre wahre Geschichte zu wissen. »Wer mag sie seyn? – Eine Römerin? und so vertraut mit der Herzogin! So schön, so reizend, so blühend, so vortreflich: und doch so unbekannt! so fertig in unsrer Sprache! Wie entständ' in London und in ganz England eine solche Sängerin? Ihr Ruhm ginge ja durch Europa, und erschallte in beyden Indien. Ein unerklärliches Räthsel! ... Aber mein muß sie werden, für alles was ich habe!«[137]

Er nahm sich fest vor, auf jeden Fall ihr jährlich zwey-, drey-, viertausend Guineen – bey seinen reichen Einkünften gar nicht zu viel – auf Lebenslang auszusetzen; und mit der Zauberin zu reisen, wohin sie nur wollte.

Hildegard spielte diesen Abend, gegen alles Erwarten der D****, die Sophonisbe vortreflicher als je, weil sie ganz zur bangen Leidenschaft gestimmt war. Der Lord befand sich in der Loge der Herzogin, erfuhr aber von dieser nichts anders, als das Verabredete. Die reinsten Seelenaccente, alles, was Kunst und Empfindung vermag, durchblitzten und durchflammten sein Wesen.

Am Ende gab er der Herzogin in feinen Ausdrücken seinen Entschluß zu verstehen; diese benahm ihm aber im Ton der ungeheucheltsten Wahrheit alle Hoffnung, auf solche Weise je zu seinem Zwecke zu gelangen. Die Passionei, sagte sie, wäre ein Muster der strengsten Tugend.

»Wie kommt sie aber auf dieses Theater? und auf welchen andern ist sie schon gewesen?«

»Noch nie auf einem!«

»Nie auf einem Theater?«

»Nie, auf einem öffentlichen. Ich allein verleitete sie muthwillig zu diesem Schritte; gegen ihren Willen, obgleich nicht gegen ihre Neigung. Ihr Vater war, als ich sie an einem Deutschen Hofe kennen lernte, vor Kurzem gestorben. Ich nahm sie mit mir, daß sie in Italien die großen Schulen der Musik kennen lernen möchte.«

Dann wiederhohlte die Herzogin voll Enthusiasmus, mit weit mehr Beredtsamkeit, einen Theil von dem, was sie Hildegarden in Parma gesagt hatte. Ihre Erzählung war durch die Thatsachen und den Erfolg so wahrscheinlich, daß der junge Lord glaubte und erstaunte.[138]

Er bat um Erlaubniß, sie nach Hause begleiten zu dürfen.

Sie fanden ihren Gemal in Gesellschaft mit zwey Künstlern, einem Italiäner und einem Deutschen, denen er einige ihrer besten Gemählde abgekauft hatte. Als sie sich zur Tafel setzen wollten, fand zu allgemeiner Freude auch Hildegard sich ein, und bekam ihren Platz zwischen dem Lord und der Herzogin.

Man sprach bald über die Erziehung und Bildung der Künstler in Rom, über die Urtheile des Publikums, und über die immer entscheidenden Stimmen.

Die beyden Meister beklagten sich bitter über Ränke und Kabalen; und erzählten drollichte Anekdoten.

Dann sprach man über die vorzüglichsten lebenden Künstler, und die Hauptwerke, durch welche sie ihren Ruhm erlangt hatten; und verglich sie mit denen im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, und mit den Antiken. Die Laien sagten frey und edel ihre Meinung.

Hildegard machte mit reizender Bescheidenheit über das, was sie gesehen hatte, die feinsten und richtigsten Bemerkungen, worin lebendige Empfindung und geübter Verstand entzückend schön vereinigt waren. Die Künstler hörten dem unvergleichlichen Sänger, von dem sie so etwas nicht erwarteten, mit Vergnügen zu; und dem Lord schwoll die Brust noch höher von Leidenschaft.

Auch er sprach dann mit der Suada der Liebe von dem gegenwärtigen Griechenland, von Kleinasien, und seinen Reisen durch beyde Länder; er rühmte Choiseuls Eifer, und glänzte mit dem gebildetsten Geschmack, wie mit den gründlichsten Kenntnissen.

Die Zeit schwand mit Schnelligkeit dahin. Hildegard vergaß beynahe, daß sie Passionei war, und hing mit lauschendem Blick an[139] den zarten holden beredten Lippen, deren kühnen wilden Feuerkuß sie noch fühlte.

Die Gesellschaft trennte sich erst spät nach Mitternacht, und nur ungern.

Den folgenden Morgen gegen Mittag wollte der Lord Hildegarden einen Besuch machen; aber er ward nicht angenommen.

Den Nachmittag gab Hildegard-Passionei Eugenien, in Beyseyn der Schwägerin, gefällig eine halbe Stunde Unterricht.

Im Schauspiel erschien er mit neuen Reizen; und um Mitternacht aß er bey der Herzogin in derselben Gesellschaft, wie gestern.

Den andern Nachmittag sahen beyde die Villa Borghese mit einander, den folgenden die Villa Ludovisi; und so verstrich die Zeit des Karnevals.

Bey der letzten Vorstellung, deren Ertrag Hildegarden gehörte, und wobey die Römer ihre Erkenntlichkeit zeigten, übertraf sie sich selbst, und jede Beschreibung, so, daß Alles vor jubelndem Enthusiasmus brannte. Sie bestimmte die Einnahme ganz zu Preisen für junge Künstler. Man erstaunte über das unerhörte Beyspiel; aber noch immer blieb sie der Sänger Passionei, und man schöpfte nicht den geringsten Verdacht.

Der junge Lord hatte, wenn er, abgesondert von den Andern, auf Spaziergängen in den Villen der Stadt sich glückliche Momente mit ihr allein befand, alles nur Mögliche versucht; aber die leidenschaftlichste Beredsamkeit, die vortheilhaftesten Anerbietungen, Schmeicheleyen, Bitten, nichts brachte ihn weiter. In der Verzweiflung entschloß er sich endlich zu dem einzigen noch übrigen Mittel: sie zu heurathen; und machte ihr, als er in der Villa Pamfili wieder mit ihr allein war, förmlich den Antrag.[140]

Sie konnte darüber, daß er sich ihr so ganz hingeben wollte, die lauterste Zärtlichkeit nicht verbergen; die gefühlteste Hochachtung hatte sie ihm schon oft bezeigt. Mit einem Blick, in welchem ihre schöne Seele strahlte, sagte sie ihm: er möchte sich nicht von einer vorübergehenden Leidenschaft täuschen lassen; Gesetz und Gewohnheit habe mit der Ehe gar strenge Fesseln vereinigt, und nicht selten folge nach einem kurzen Zeitraum die bitterste Reue. Er kenne sie noch zu wenig, um sein künftiges Leben an sie zu wagen. Noch setzte sie muthwillig hinzu: Verstellung sey den Schauspielerinnen eigen. Auf Reisen in andren Gegenden, unter andren Menschen, würde der flüchtige Eindruck, den sie bey den Zaubereyen der Musik auf seine Sinne gemacht hätte, leicht verschwinden.

Er antwortete schnell und voll Feuer: »Ich reise in Gedanken noch immer herum durch die berühmtesten Gegenden; aber ich kenne nichts Göttlicheres für mich, als Sie. Dieß geht durchs Innerste, und wird so seyn, so lange ich athme.«

Er drückte sie dabey fest an sein Herz, und ihre Seelen ergossen sich durch Blick und Kuß in einan der.

Sie bat nur um Frist, bis sie einige Zeit zu Neapel sich ... Er ließ sie nicht weiter reden; doch mußte er endlich ihrem Willen nachgeben.

Selige Stätte der hohen Pinien zwischen blühenden Mandelbäumen und knospenden Pfirsichen und Aprikosen! Die Abendsonne bestrahlte sie mit ihrer Rosengluth aus dem Gewölk hervor, und ging in den heitersten Lüften unter.

Sie warteten nur die Feyerlichkeit beym Schlusse des Karnevals ab. Hildegard nahm an diesem Tage, Morgens, von Eugenien zärtlich Abschied. In einem Momente, wo sie mit ihrer Freundin[141] allein war, hätte sie sich ihr fast entdeckt. Indeß sagte sie ihr nur: sie müsse nach Neapel reisen, segle von da nach Sizilien, und hoffe zu Ausgang des Mayes wieder dort, und bald nachher in Rom einzutreffen. Dann habe sie ihr ein Geheimniß zu eröfnen, worüber sie sich verwundern werde. Ein schmachtender Kuß versiegelte ihren Freundschaftsbund auf Zeit Lebens; und Zähren rollten beyden im Gefühl himmlischer Schönheit aus den Augen.

Als Hildegard nach Hause kam, warteten die Unternehmer schon auf sie, ihr den Rest des Geldes auszuzahlen. Sie gab, gegen alle Gewohnheit, ihnen, den Sängern, den Tänzern und dem Orchester, Mittags einen prächtigen Schmaus, daß Alle taumelnd durch die Straßen zogen. Dann entließ sie ihren Italiänischen Bedienten, und fuhr, nun wieder in Frauenzimmerkleidern, – was man für einen Fastnachtsscherz hielt – mit der Herzogin und den beyden Engländern im Corso auf und ab.

Nach Mitternacht stieg die ganze Gesellschaft von einer üppigen Tafel in ihre Reisewagen. Es ging zum Johannisthore hinaus, daß von den Hufen der Pferde die Funken flogen; und man lachte den Weg fort über das glücklich bestandne große Abentheuer.

In Velletri war schon eine Mittagsmahlzeit für sie bestellt. Sie kamen bey guter Zeit dort an, und machten erst einen Spaziergang. Hildegard zeigte sich jetzt, da sie ihrer Rolle und aller Sorgen entledigt war, wieder in ihren natürlichen Reizen, und bezauberte, fesselte den Lord immer mehr durch neue Schönheiten des Körpers und des Geistes.

Sie aßen unter Scherz und Muthwillen, und schliefen dann ein paar Stunden: Hildegard von nun an immer mit der Herzogin in demselben Zimmer.[142]

Dann ging es im Fluge, doch für das brennende Verlangen des Verliebten noch immer zu langsam, mit steigender Lust fort durch die glücklichen Gefilde von Kampanien, bis sie die königliche Heerstraße hinter Kapua erreichten.

Wie im Triumph zog der Lord an einem heitern Morgen mit Hildegarden in dem Menschengewimmel der Strada di Toledo auf. »O, welch ein schönes Paar!« hörten sie überall bis zum Albergo reale.

Schon gegen Abend kam der Ungeduldige mit einem Notar, der den Ehekontrakt ausfertigen sollte. Hildegard weigerte sich, und zürnte über die Eilfertigkeit; die Herzogin aber redete ihr zu, gab ihr einen geheimen Wink, und ließ, doch gegen Hildegards Willen, schreiben. Als ihr Name kommen sollte, diktirte sie, anstatt Cäcilia Passionei, zu des Lords Erstaunen: Hildegard von Hohenthal. Die Herzogin schob das Papier lachend weg, und schickte mit Freundlichkeit den Notar fort, welcher sehr natürlich glaubte, daß man ihn zum Besten hätte. Und nun erfolgte zu des Lords unaussprechlicher Lust die wahre Entdeckung und Erkennung. Er hatte in London den Gesandten von Hohenthal und dessen Gemalin öfters in Gesellschaft gesehn, auch Hildegarden selbst einigemal, jedoch fast noch als Kind. Die Ferne der Zeit schwand, und er lag, glücklich wie ein Gott, zu ihren Füßen.

»Ach, daß der edle vortrefliche Mann nicht mehr lebt!« Bey diesen Worten bewölkten Thränen seinen Blick, und Hildegard seufzte tief.

Sie erklärte ihm nun mit Festigkeit, daß die Vermählung nicht eher vor sich gehen könne, als bis sie die Einwilligung ihrer geliebten verehrten Mutter und ihres theuern Bruders erhalten habe.[143]

»O Himmel!« rief er aus, wie ein lechzender Wandrer, der noch eine lange Strecke zum Felsenquell hinanklimmen muß. Er und die beyden Damen setzten sich in ihren Zimmern nieder, und schrieben, was ihnen Herz und Verstand eingab. Noch in derselben Nacht ward sein Kammerdiener als Kurier nach Wien abgeschickt.

Hildegard hatte schon vor drey Wochen in Rom durch die Frau von Lupfen einen Brief von ihrer Mutter erhalten, worin diese ihr sagte: der Prinz wäre, bald nachher, als er von ihr erfahren hätte, daß sie mit der Herzogin eine Reise durch die Provence mache, mit seiner Gemahlin nach Prag abgegangen; sie bitte und beschwöre sie nun bey ihrer Pflicht und kindlichen Liebe, so bald wie möglich zu ihr zurückzukehren.

Hildegards Antwort auf diesen Brief verspätete sich, weil die wichtigen Begebenheiten sie zurückhielten; jetzt ward sie aber ein reiner Ausguß des zärtlichsten Herzens. Doch verschwieg Hildegard das große Abentheuer in Rom, über welches sie jetzt, da die genialische Leidenschaft ihr Ziel erreicht hatte, selbst erschrak, obgleich ihre Meinung über die Würde des Theaterlebens immer dieselbe blieb. Sie schilderte kurz, aber stark und treffend, die Schönheiten von Italien, sowohl der Natur als der Kunst; ging dann über zu der Bekanntschaft mit dem jungen Lord, dessen Namen die Mutter wohl kennen müsse; und beschrieb mit Grazie seine Person, seinen Charakter, sein Herz und seinen Geist. Noch setzte sie hinzu: ihre Hochachtung könne sie ihm nicht versagen; auch ihre Liebe nicht, wenn die gütigste Mutter und der Bruder in sein Verlangen willigten. Noch habe kein Sterblicher einen so tiefen Eindruck auf sie gemacht; mit keinem andern hoffe sie ihre übrige Lebenszeit so[144] glücklich zuzubringen; ihre Neigungen stimmten durchaus schön und rührend zusammen.

Der Brief des Lords war voll Feuer und männlich: zwar nur wenige Züge von Hildegarden, aber meisterhaft, Tizianisch. Er bat in den zärtlichsten Ausdrücken um ihren Besitz; und äußerte sehnliches Verlangen, die Mutter, welche ihre schöne Tochter zur Lust und Bewunderung aller Edeln erzogen und gebildet habe, und eben so den theuern Bruder, wieder zu sehen und zu umarmen.

Die Herzogin sagte in ihrem Briefe: sie wüßte keine bessere Partie für ihre Freundin; Hildegard wäre des Lords werth, so wie der Lord ihrer; die schönsten und reichsten Töchter der besten Häuser in London würden sie beneiden.

Dem Kammerdiener brauchte für Eilfertigkeit keine Belohnung versprochen zu werden, da er die Freigebigkeit seines Herrn hinlänglich kannte.

Hildegard und der Lord machten bald Bekanntschaft mit den vorzüglichsten Menschen in Neapel, die dem unvergleichlichen Paare alle huldigten; auch mit den berühmtesten Tonkünstlern, die anfangs nur wenig von Hildegards Talent zu hören bekamen, von denen sie aber auch schon dafür Bewunderung erhielt.

Damit nicht gleich verrathen würde, wie sie die Römer zum Besten gehabt hätte, so wurden öftere Spazierreisen in die schöne Gegend angestellt; und sie genoß den Unterricht der Liebe über dieses merkwürdige Stück Welt. Auch faßte sie alles sehr leicht, und lockte die tiefsten Kenntnisse aus dem Lord hervor, so daß er zuerst den süßesten Genuß von ihnen hatte. Die Aussichten, die er pries, zeichnete sie mit mehr Fleiß und Treue, als gewöhnlich; und entzückte ihn auch durch dieses neue Talent.[145]

Sie waren kaum eine Woche in Neapel gewesen, so erhielt sie schon Antwort von ihrem Lockmann. Die Unschuld erröthete bey den Zügen seiner Hand, und freute sich, daß ihr der Brief nicht in Beyseyn ihres Geliebten gebracht war. Lockmann hatte den Wechsel richtig empfangen, und gehoben; auch wußte er, wofür. Er schrieb Hildegarden: »die Arie Begli astri d'amore, wäre ihm, klein geschrieben, von seinem Kopisten in Rom auf der Briefpost zugeschickt und dabey gemeldet worden, daß Allen vor Entzücken über einen neuen Sänger, Namens Passionei, verwaisten Sohn des Komponisten, die Köpfe brennten. Zu seinem allerhöchsten Vergnügen und Erstaunen sehe er, daß dieser Passionei Niemand anders seyn könne, als sie selbst. Er hätte geglaubt, sie befinde sich in Wien; und wäre im Begriff gewesen, eben dahin zu reisen.«

Der Brief schloß sich mit einem Dithyramb darüber, daß sie ihren Beruf vom Himmel erkenne. Noch setzte Lockmann hinzu: sein Hof solle keine Sylbe davon erfahren, bis sie es selbst für gut finde.

Hildegard erblaßte beym Lesen, weil sie die Folgen ihres Abentheuers im Geiste voraussah.

Die Herzogin ward betroffen über den Eindruck. Hildegard gab ihr den Brief, der mit Besonnenheit geschrieben war und nichts Verfängliches enthielt; und entdeckte ihr nachher, daß der junge feurige Mann eine unglückliche Leidenschaft für sie gefaßt habe. Die Herzogin sprach ihr Muth zu, und lachte, daß der Brief nichts Schlimmeres enthielte. Dergleichen Anfechtungen, sagte sie, wären die Glorie ihres Geschlechts. Das würde sich schon vermitteln lassen.

Hildegard selbst lachte und scherzte nun; doch war das nur Verstellung, damit ihre Freundin keinen Argwohn schöpfen sollte. Diese[146] dachte indeß vor sich: mit dem jungen schönen Kapellmeister möcht' es wohl nicht ganz richtig seyn, wenn auch in der Hauptsache nichts geschehen wäre: denn sonst hätte sie, bey ihrer Klugheit und Feinheit, gewiß andre Maaßregeln genommen.

Hildegard betrug sich groß bey ihrem Geliebten; sie zeigte ihm den Brief, und sagte ihm dabey noch, daß sie mit den andern dreyhundert Zechinen die Treue, Verschwiegenheit und guten Dienste ihrer Fanny belohnt hätte. Dann schilderte sie ihm Lockmannen nach dem Leben, verschwieg aber doch behutsam dessen Leidenschaft.

Bald schlug Hildegard eine Reise nach Pestum vor, um sich zu zerstreuen. Sie ward sogleich gemacht, konnte aber den Kapellmeister nicht aus ihren Gedanken bringen.

Den Tag nach der Rückkehr von dort traf der Kammerdiener wieder ein, und brachte den Segen der Mutter und des Bruders. Die erstere erinnerte sich des jungen schönen vielversprechenden Mannes noch sehr wohl; und wünschte nur, daß die Vermählung in Wien vollzogen werden möchte.

Der bis zur höchsten Inbrunst verliebte Lord konnte so lange nicht warten, und bestürmte Hildegarden mit den zärtlichsten Bitten. Schon den andern Morgen wurden sie von einem Englischen Geistlichen getrauet; wobey H***, ein alter Freund von dem Vater des Bräutigams, und L**, nebst andern Engländern und Deutschen zugegen waren, die alle nie ein reizenderes Paar gesehen hatten.

Der edle Jüngling war kein Sterblicher mehr, nur entzücktes ewiges Leben, als sie nun ganz die Seine ward, und er bezaubert die Blume der Schönheit in himmelreiner Knospe lieblich umschattet fand. Diese letzte Entdeckung war die köstlichste Zierde, der wahre Schmuck[147] jeder andern. Er hatte kaum sie zu hoffen gewagt; und schwelgte nun mit wüthender Gierde.

Auch sie genoß, von den neuen brennend-süßen gewaltigen Gefühlen durchstürmt, die volle Wonne der Keuschheit. Im Taumel der Lust stiegen sie immer höher und höher; die Welt schwand vor ihnen, und man konnte sie lange Zeit wenig mehr sehen und sprechen. Sie schweiften allein zu Bajä umher, oder am Vesuv, ihrem, jetzt nur ruhigen, Ebenbilde. Noch öfter fuhren sie in einer niedlichen Art von Gondel, am Pausilipp vorbey, wo schon alles grünte und blühte, nach den schönen Inseln.

Die Herzogin fing an darüber eifersüchtig zu werden, und sagte ihr im Scherz: sie sey fast nur ihre ehemalige Freundin. Hildegard erstickte ihre Vorwürfe erröthend und lächelnd mit Küssen; und das glückliche Paar wurde nach und nach wieder gesellig. Hierzu trug ein andrer Umstand nicht wenig bey.

Der alte Reinhold hatte seinen lieben Lockmann inzwischen an Kindesstatt angenommen, und ihn, mit Ausnahme einiger wenigen Vermächtnisse, zum Universalerben eingesetzt. Lockmann konnte sich nun leicht unabhängig machen; und erpreßte dadurch von seinem Fürsten, dem er sagte, daß er eine besondre Art von Heimweh, das Italien-Weh, hätte, die Erlaubniß einige Monate zu reisen. Seinem trauten verschwiegnen Vater entdeckte er jedoch das ganze Geheimniß.

Er reiste Tag und Nacht in Trab und in Galopp; so kam er denn bald in Rom an. Hier hielt er sich nur zwey Tage auf, und hörte, wie berauscht, welche Verwüstung Hildegard als Achill angerichtet hatte. Aus Zeichnungen und Gemählden sah er nun augenscheinlich, daß Passionei niemand anders gewesen sey, als sie. Ihre[148] Kühnheit freute ihn, und er lachte über die doppelte Verkleidung: das reizendere Schauspiel in dem Schauspiel.

Gleich bey seiner Ankunft ließ er sich einen Wechsel auszahlen, der von den vortreflichen Gebrüdern Bethmann gerade wieder zurück auf Eugeniens Bruder gestellt war; und sagte diesem, welche Geldsorten er zu bekommen wünschte, da er übermorgen nach Neapel reisen wollte.

O gewiß, eine sonderbare Fügung – das ist kein Aberglaube! – sticht auch im menschlichen Leben, wie in der Natur überhaupt, die Dinge zu einem bessern und schönern Ganzen, als unsre Klugheit je anzuordnen vermöchte.

Auch Eugeniens Bruder war eben im Begriff, nach Neapel zu reisen, um dort mit seiner Schwester und seinem Schwager, wie in Ancona, Familienangelegenheiten in Richtigkeit zu bringen. Um den Zauberer Passionei wieder zu sehen und zu hören, liebkoste Eugenia ihm so lange, bis er versprach, sie mitzunehmen.

Lockmann war schon durch seine Bekanntschaft mit diesem empfohlen; daher wurden sie bald einig, daß sie die Reise mit einander machen wollten.

Sie fuhren, wie man gewöhnlich zu thun pflegt, nach Mitternacht ab, als eben das letzte Viertel des Mondes aufging. Lockmann bekam, da er viele Besuche zumachen hatte, Eugenien erst beym Einsteigen zu sehen. Die edle Form ihres Gesichts, der Strahl der Augen, der schlanke und doch völlige Wuchs fiel ihm gleich sehr auf. Die wenigen Worte, die sie mit dem klaren Ton der reinsten Kehle auf seine Höflichkeiten erwiederte, thaten seinem Ohre wohl; noch viel angenehmer aber war bald im Wagen die jungfräuliche Wärme von ihrer Herzensseite seinem Gefühl. Er mußte mit ihr vorwärts[149] sitzen, da der Bruder es nicht anders gestattete. Doch aus Schuldigkeit wechselte er, obgleich ungern, die nächste Stazion, und kam ganz von ihr ab, rückwärts zu ihrem Mädchen.

Als die Räder nicht mehr rasselten, und still auf ebnem feuchtem Sande wegrollten, fing die schöne Gefährtin gleich an, von ihrem Passionei zu sprechen, und fragte Lockmannen: wie lang' er ihn kenne.

Lockmann nahm sich wohl in Acht, Hildegarden nicht zu verrathen, und antwortete: »Erst seit dem vorigen Sommer; aber sein göttlicher Gesang hat binnen kurzer Zeit, ob ich ihn gleich nur in Konzerten gehört habe, mehr auf mich gewirkt, als alle andre Musik in meinem ganzen Leben.«

Zum Glück forschte sie nicht weiter nach; und alle Drey erzählten ihm nun von den Lustbarkeiten des letzten Karnevals, worin Passionei alles Andre bey weitem übertroffen habe. Der Bruder behauptete: Marchesi mit seiner Fertigkeit sey gegen ihn nur Spielwerk, und komme, was Ausdruck und Gewalt des Tons betreffe, gar nicht mit ihm in Vergleichung. Die Schwester bedauerte, daß sein Vater, der unvergleichliche Meister, nicht mehr lebe; sein Tod sey ein allgemeiner und unersetzlicher Verlust.

Lockmann fühlte bey diesen, von dem heiter rührenden Organ gesprochenen Worten recht eigentlich, daß ein solches Lob, selbst dem Ohr eines Kapellmeisters, der süßeste Laut ist.

So ging das Gespräch angenehm fort bis zu der er sten Stazion und weiter; gegen Morgen schlummerten dann alle nach einander ein.

Sie erwachten bey der zweyten Stazion, und hielten nur so lange an, bis frische Pferde vorgespannt waren. Eugenien und Lockmannen[150] verlangte nach Neapel, und sie wünschten daher, daß man nicht erst frühstücken möchte.

Als der Morgen purpurn über die Hügel glänzte, und endlich die jungen Strahlen der Sonne durch die heitre Luft in den Wagen spielten, entstand nach und nach auch in ihrem Herzen gleichsam ein neues Werden. Sie betrachteten sich erst in der Dämmerung, wo die edlen Formen noch wenig hervorgingen, mit geschärften Blicken, weideten sich dann an einander wie verstohlen im Rosenlicht der Liebe, und wurden entzückt von den hohen Schönheiten, die Phöbus in ihrer reinsten Erhabenheit darstellte. Lockmanns Löwenmähne, die zwar erst vorgestern geschoren, aber doch um seine erhitzten Wangen und sein rundlich schwellendes Kinn in bläulicher Schwärze deutlich zu erkennen war, prägten Eugenien eine gewisse mit Regungen der Zärtlichkeit vermischte Ehrfurcht ein, die sie bey ihrem Passionei nie gefühlt hatte.

Und er? – er hatte gerade das süße lebendige Feuer ihrer Augen, den Jonisch südlichen Geist, der alles durchbrennt und durchflammt, und von keinen Verhältnissen oder Gewohnheiten sich binden läßt, bey seiner Hildegard vermißt. Doch machten ihre andren zauberischen Eigenschaften, daß solche Gesinnungen bey ihm nicht aufsproßten. Er glaubte, daß Klima, größere Freyheit, und hinreißender neuer Umgang auch an ihr seinen Einfluß zeigen würde, und schloß dieß besonders aus dem, was sie schon gewagt hatte.

Das Gespräch ward wieder lebendig, und Lockmann machte mit Eugenien bald völlig trauliche Bekanntschaft. Bey einer schönen Gestalt, Annehmlichkeit, und Reizen in dem ganzen Wesen, neigten sie sich leicht zu einander. Die Gutherzigkeit und Ehrlichkeit des Deutschen gefällt den Weibern in der ganzen Welt. – Lockmanns[151] Fertigkeit in ihrer Sprache, seine seltne Gewandtheit, seine geistreichen Bemerkungen und kurzweiligen Erzählungen ergötzten Eugenien, so daß ihre schönen Augen doppelt Feuer sprühten. Er hielt sich jedoch während der ganzen Reise bey ihr immer in den Schranken der strengsten Sittsamkeit und Ehrerbietung; wodurch er sich die volle Achtung ihres Bruders erwarb, und die Neigung, welche sie schon zu ihm gefaßt hatte, noch mehr reizte.

Die Zeit verfloß unvermerkt; Thäler und Hügel schwanden eilig zurück, als sie den andern Vormittag zu Kapua anlangten, wo sie bey dem besten Wirthshause anhielten, um da zu essen.

Während der Mahlzeit kam das Gespräch wieder auf Passionei.

Der Sohn des Wirthes klimperte die Guitarre nicht übel, und eine vortrefliche lockte Eugenien an die Wand des Zimmers, wo sie hing.

Sie hatte auf der Reise Muth bekommen, und nahm das liebliche Instrument herunter. Leicht von ihr in reine Stimmung gebracht, gehorchte es, wie belebt, dem reizenden Fingerspiel; und in süßen Harmonien flogen die Silbertöne hervor zu ihrem Engelsgesang: Se un core annodi. Ihr Bruder und Lockmann machten nach ihrer Anführung, bis die Strophen alle durch waren, den Chor; und der letztre gab alsdann ihrem Vortrag, ihrer Stimme und ihrer, Fertigkeit das gebührende Lob.

»O, könnten Sie es von Passionei hören!« sagte sie, bescheiden erröthend. »Doch das ist noch nichts. Könnten Sie von ihm hören: Begli astri d'amore! Aber Sie kennen gewiß durch ihn schon die ganze Musik.«

Er antwortete: »Manches daraus;« und bat sie schmeichelnd, ihn noch mit der letztern Arie zu entzücken. Sie erwiederte: »Begleiten[152] wollt' ich wohl Jemand, der sie sänge; aber selbst singen kann ich sie nicht. Sie ist meiner Stimme zu hoch, zu tief und zu schwer.« Dabey bog sie verführerisch den schönen Kopf über das Saitenspiel; und der auffordernde Blick brannte in sein Wesen. Die Töne seiner lieblichen Stimme hatten sie schon rührend durchdrungen; und sie glaubte gewiß, daß er die Arie wie die andre kenne.

Er erwiederte: »Nun, so will ich den Versuch machen; bloß zu Ihrem Zeitvertreib, und um länger Herz, Ohr und Auge an Ihrem himmlischen Spiel zu weiden.«

Der schöne Deutsche stand auf, und sie fing an. Zart und stark erklangen und zerflossen die breiten Accorde der Einleitung, die von Eugeniens Meister vortreflich für das Instrument eingerichtet war; und Lockmann sang so warm, so heiß, wie er ausempfunden hatte, mit der rührendsten, reinsten und ausgebildetsten Jünglingsstimme: Begli astri d'amore.

Die Natur triumphirte. O, das war und sagte noch etwas ganz Anderes als Passionei's Diskant; es war so etwas Thätiges, mit voller Stärke Angreifendes darin, daß das goldne Geschöpf auf die letzt fast ihr Spiel vergaß, und, als er aufhörte, eine Weile stumm blieb, und Athem schöpfte.

Der Bruder mußte die Danksagung machen, und rief aus: »Vortreflich! o, gewiß auch vortreflich! Bravo, bravone, bravissimo!«

»Das glaub' ich! das empfind' ich!« fuhr tief ergriffen und bewegt die holde Eugenia fort; »o gewiß, Sie sind ein eben so großer Sänger!« So stand sie in Gedanken auf, ging mit leisen Schritten, als ob sie seinen Gesang noch hörte, nach der Wand, und hängte das Instrument wieder an seine Stelle. Passionei wich aus ihrem Herzen, wie ein heftiger unnatürlicher Traum, wie ein vorübergehender[153] Zeitvertreib; Lockmann dünkte sie der wahre Geselle, Freund und Gefährte für lange häusliche Glückseligkeit.

Die Pferde waren schon vorgespannt; man bezahlte, setzte sich stillschweigend in den Wagen, und es ging schnell weiter.

Eugeniens ernste absichtliche Gefälligkeit zeigte Lockmannen unterwegs bald ihr Innres. Er dachte mit unruhigen Blicken nach, die sie für sich auslegte. Sein Herz war ein Kampfplatz von mancherley Gefühlen. Der alte Zauber wirkte noch mächtig; doch war der neue so süß, so unwiderstehlich! »Hildegards Familie wird dich als ihren Verführer hassen; ihr Stand dir in jeder Rücksicht Händel verursachen!« Und endlich drängte sich ihm der Gedanke gewaltig auf: »Sie hat nur mit dir gespielt, sich nie ein Wort von wirklicher Verbindung entschlüpfen lassen. Freundschaft war die Losung von Anfang bis zu Ende. – Aber die fünfhundert Dukaten! das kühne Unternehmen! Jene sollten für den Achill seyn. Und dieses? wie konnte die Herzogin es gestatten? Wie kannst du sie von dieser entfernen? O sehr leicht; wenn sie nur will!« –

»O, wie schnell das geht!« rief Eugenia aus, als sie über die breite königliche Heerstraße kurz vor Neapel wegrollten. »O, wie schnell das geht!« wiederhohlte Lockmann, dem es, wie ihr, nur allzu schnell ging.

Ehe sie es sich versahen, schon bey Sonnenuntergang, waren sie in der Stadt, und eine Straße nach der andern durch. Bald hielt der Wagen vor dem Hause ihrer Schwester, nicht weit von dem Schloßplatze. Sie wurden mit Freuden bewillkommt, herzlich empfangen, und empfahlen Lockmannen der Schwester und dem Schwager als ihren Freund. Er nahm sein Quartier in einem guten, nicht weit davon gelegenen Wirthshause. Man lud ihn gefällig zum[154] Abendessen ein; er verbat es sich wegen dringender Geschäfte, versprach aber, den andern Mittag zu kommen.

Sein erster Gang war nach des G*** H***'s Hause, um da nach der Wohnung der Herzogin D**** zu fragen. Er kannte Neapel wie seine Vaterstadt, schritt bald hastig, bald langsam, über die Chiaja, und erfuhr den Augenblick, was er wissen wollte. Die Freude darüber, daß die Herzogin, und folglich auch Hildegard, noch in Neapel war, brachte ihn schneller zurück; doch stand er eine Weile vor ihrer Wohnung still, und die Ohren klangen ihm.

Beym Eingange leuchtete eine Laterne. Plötzlich erscholl eine Stimme: »Lockmann! o, Herr Kapellmeister Lockmann!« – Fanny, die von einer Bekanntschaft nach Hause kam, war auf ihn zu gesprungen, und hielt ihn an beyden Händen. Er gab dem lieben Mädchen den frohen Kuß des Wiedersehens.

»Ist sie zu Hause? kann ich sie sprechen? das Fräulein oder Herrn Passionei

»Nein, sie ist eben in Gesellschaft. O, das wird ihr leid thun! Aber ich höre, Sie wissen den Anfang, nicht das Ende.« Mit diesen Worten zog sie ihn von dem Thor ab nach dem Meere zu, welches in starken Wogen an das Gestade rauschte. »Mein Fräulein ist verheurathet;« (es war ihm, als ob das Ufer die Worte schrecklich brüllte, so sanft Fanny sie auch aussprach.) »Verheurathet!« – dieß preßte ihm plötzlich Herz und Lungen zusammen, daß Mahler und Bildhauer ihn in dem Moment zum Modell eines Anteus hätten brauchen können – »und höchst glücklich verheurathet! mit einem jungen schönen liebenswürdigen Lord von unermeßlichem Reichthum; und Mutter und Bruder, die ihn kennen, haben natürlicher Weise ohne Schwierigkeit ihre Einwilligung dazu gegeben.«[155]

Er wankte bey dem Todesurtheil, so daß die unschuldige Fanny glaubte, er träte in einen Abgrund, und ihn mit dem rechten Arme faßte. Zum Glück konnte sie in der Dämmerung sein bleiches Gesicht und seine starren Augen nicht sehen. Die Zunge klebte ihm am Gaumen, wie bey einem schweren Katarrh, und er war nicht fähig, eine Sylbe mehr hervorzubringen. Alle Quellen seines Lebens schossen zurück, und es erbrauste fürchterlich vor seiner Seele.

Er lehnte und legte die linke Seite über eine kleine Mauer am Ufer, und eine feuchte Nachtluft wehte mitleidig Erfrischung über ihn.

Fanny merkte an seinem Stillschweigen und seiner von ihr abgekehrten Stellung, daß die Neuigkeit ihm gar nicht wohl behagte, und lenkte ihre Rede geschwind auf etwas Angenehmeres.

»O, wie oft haben wir in Rom gewünscht, Sie möchten zugegen seyn, und hören und sehen, welchen erstaunlichen Eindruck Ihre schöne Musik machte! Die Leute waren alle wie bezaubert; ich habe in meinem Leben so etwas nicht gesehen. Von meinem damaligen Fräulein war es freylich ein großes Wagstück. Die Herzogin D**** hat sie dazu verleitet; ein wenig wohl auch ihr eigner Muthwille, und die Lust, in Ihrer herrlichen Oper aufzutreten. Unser Lord machte ...«

Lockmann hörte wenig; doch erhohlte er sich unterdessen einigermaßen, und fragte mit gebrochner Stimme: »Wann kommt Ihre junge Lady nach Hause?«

»Das kann ich nicht sagen; aber ich will einen Bedienten zu ihr schicken, und sie wird sogleich da seyn.«

Der Anfall von Leidenschaft war bey Lockmannen so heftig und unerwartet plötzlich, daß keine Besinnung statt fand. So bald diese[156] eintrat, dachte er an Eugenien und an seinen Monolog über sie im Wagen; jetzt erschien sie ihm, wie das wahre Sankt-Johannisfeuer den Schiffern, wenn der Orkan nicht mehr in den Lüften wüthet, die Hofnung der Rettung wieder zurückkehrt, und das Schiff nur noch auf den Wogen himmelan himmelab sich wiegt. Sein Kopf hellte sich nach und nach wieder auf; es kochte nur noch in seinen Eingeweiden.

Er schöpfte Muth, richtete sich empor, nahm Fanny'n unter den Arm, ging mit ihr auf und ab, und erwiederte: »Das nicht, liebes Kind! Sagen Sie nichts von meiner Ankunft; ich will die Lady morgen früh überraschen. Um welche Zeit werd' ich sie sprechen können?«

»O, sie stehen spät auf,« antwortete die Boshafte; »so um neun oder zehn Uhr!« (Noch ein wiederholter Windstoß nach dem Sturm.)

»Wohl denn! um zehn Uhr werd' ich da seyn. Aber verrathen Sie ja nichts!« Sie versprach es ihm; doch dachte sie nicht daran, ihr Wort zu halten.

Er sagte nur noch mit einem starken Seufzer: »Es ist mir höchst empfindlich, daß ich sie nun nicht mehr auf einem Theater sehen werde; weßwegen ich doch eigentlich hieher gereist bin.«

Fanny erwiederte: »Nun wohl schwerlich. Vielleicht aber doch, Ihnen zu gefallen; nur auf keinem öffentlichen.«

So entließ er sie, und schweifte dann noch eine Zeit lang am Meere hin und her, dessen rauschende Wogenschläge ganz zu den Bewegungen seines Herzens harmonirten. »Wenn du da gewesen wärest, so hättest du sie!« ... »Das neue Leben,« fuhr er, ungerecht in seinem Grimm, weiter fort, »erregte Begierden in ihr. Der Engländer kaperte sie weg.«[157]

Er ging nach Hause, und trank. »Viele Arbeit vergeblich. O, veränderliches Ziel menschlicher Wünsche! Doch nicht vergeblich. Auch du hast dein Theil empfunden und genossen; und dir winkt ein neues mit göttlichen Reizen auf deiner Pilgrimschaft durch das Leben: – vielleicht das wahre, rechte, einzige!«

Die Einsamkeit ward ihm bald zur Last. Er ging wieder aus, und trat unter den Fenstern seiner neuen Göttin langsam auf und ab. In den Zimmern war Herrlichkeit und Freude. Seine Phantasie erhob sich, und gewann Flug.

Er kam wieder nach Hause, und ließ sich eine neue, köstlich am Vesuv gereifte Flasche bringen.

Dann ging er noch einmal aus, wandelte langsam über den Schloßplatz, schritt schüchtern die Chiaja hinunter, und langte eben vor der Wohnung der neuen Lady an, als Wagen mit lodernden Fackeln herbey fuhren. Sie hielten. Die Herzogin und ihr Gemahl stiegen zuerst aus: Personen, die er nicht kannte. Dann trat aus dem andern ein junger schöner schlanker Mann; und endlich – o nicht mehr seine! – Hildegard. Sein Herz flog ihr entgegen. Schön war sie noch; aber die Rose, nicht mehr auf ihrem mütterlichen Busche, dünkte ihn blaß geworden. Sie hatte für ihn den hohen Reiz verloren, indeß die andre in junger frischer Schönheit prangte. – Der Sturm legte sich fast ganz, als die Scene verschwand.

Ziemlich besänftigt kam er wieder in sein Quartier, um endlich da zu bleiben, seine Abendmahlzeit zu halten, und sich von dem schrecklichen Ungewitter bey seiner Ankunft zu erhohlen.

Dieß geschah; aber auf eine andre Weise, als er sich einbildete. Eugeniens Schwager, auch ein Banquier, hatte dem Herzog von D**** erst vor Kurzem einen starken Wechsel ausgezahlt, und[158] bey dieser Gelegenheit den Lord und Hildegarden kennen lernen. Diese wußte seinen Namen von ihrer schönen Freundin noch sehr wohl, und hatte sich vorgenommen, ihn bald aufzusuchen. So machte sie durch ein glückliches Ungefähr mit ihm Bekanntschaft, erkundigte sich nach Eugenien, und bat ihn angelegentlich: er möchte es ihr sogleich sagen lassen, wenn sein Schwager, und vielleicht die Schwester mit ihm, noch während ihrer Anwesenheit zu Neapel eintreffen sollten. »Ich liebe,« setzte sie hinzu, »Eugenien recht sehr, und kenne keine schöneren Augen in der Welt.« Uebrigens entdeckte sie ihm weiter nichts von dem großen Abentheuer.

Lockmann hatte bey der Ankunft in Neapel kaum seine Reisegefährten verlassen, so erzählten diese dem Schwager und der Schwester, wie sie mit ihm bekannt geworden wären, und erkundigten sich nach dem schönen Passionei, der in Rom so viel Aufsehen gemacht habe, und jetzt in Neapel sey. Nur seinen Ruhm und Namen kannte man von Rom her; von seiner Anwesenheit wußte man nicht das Geringste. Jene erstaunten darüber.

Bey fernerem Gespräch über andre Dinge sagte Eugenia noch, daß er mit zwey Engländern und einer Engländerin abgereist wäre.

»Gut, daß Du mich daran erinnerst!« erwiederte der Neapolitaner; »eine junge schöne Lady, die erst seit einigen Wochen verheurathet ist, hat sich sehr genau nach Dir erkundigt, und mich gebeten, ihr sogleich melden zu lassen, wenn Ihr einträfet. Sie liebe Dich gar sehr, sagte sie noch, und kenne keine schöneren Augen in der Welt.«

Dieß fuhr Eugenien wie eine Flamme ins Gesicht. Sie stutzte. »Eine junge schöne Lady! erst hier verheurathet! Ich kenne keine.« Aber während der Rede ahndete ihr schon das Geheimniß: ohne[159] Zweifel dasselbe, welches Passionei ihr eröfnen wollte! Bey aller ihrer Unschuld hatte sein Betragen sie doch befremdet. »Wie sieht sie aus? Beschreib sie uns doch ein wenig.«

»Etwas größer als Du; blaue Augen, eine Stirn wie Elfenbein, blondes volles langes Haar, schlank und herrlich gewachsen, wie Du, nur nicht ganz so völlig, die Nase fast gerade die Stirn herein, einen Mund zum Küssen, mit zwey Reihen Perlenzähnen –«

Der Bruder ließ ihn nicht ausreden; er rief: »Das ist Passionei! Die Römer sind angeführt!«

Eugenia sprach erröthend fort: »Gewiß, sie war es. Der junge Deutsche wollte auch nicht mit der Sprache über ihn heraus.«

Der heftige und neugierige Neapolitaner war geschwind entschlossen. »Kommt Kinder! laßt uns zur Lady hingehen! Sie kann es nicht übel nehmen; hat sie es doch befohlen!«

Um den Weg nicht umsonst zu machen, wollten sie nur erst fragen lassen, ob die Lady zu Hause wäre. Dieß geschah; und man bestellte dann, daß ihre Ankunft richtig gemeldet würde.

Bruder und Schwester, die der Neapolitaner schon tüchtig gefoppt hatte, und dieser selbst, machten sich nun auf. Sie wollten Lockmannen mitnehmen, zu dem sie schon vorher geschickt hatten; aber er kreuzte eben am Meer herum.

Inzwischen hatte Fanny ihrer jungen Lady dessen Ankunft mit allen Umständen sogleich erzählt. Diese erschrak zwar darüber, doch fiel sie ihr nicht unerwartet auf. Zwischen Furcht und Sorge freute sie sich sogar, und meinte, es müsse alles glücklich ausgehen.

Die kleine Gesellschaft kam dann in einem großen Saal zusammen, wo ein vortrefliches Englisches Pianoforte stand, und Hildegard zuweilen sang.[160]

Der Neapolitaner ließ sich allein melden; sein Besuch ward angenommen. Er kam, und Schwester und Bruder gleich hinter drein. Es entstand ein Gelächter und Freudengeschrey. Hildegard lief auf Eugenien zu, faßte sie zärtlich in ihre Arme, und hing an ihren Lippen. Das gute Kind erröthete über und über.

»Ja, ich war muthwillig, und habe die Römer zum Besten gehabt; jedoch zu ihrem Vergnügen. Ich habe unser Geschlecht gerächt, die Unnatur zu verdrängen gesucht, und hoffe guten Erfolg.«

»Die Oper Achill ist nicht von meinem Vater, welcher kein Sänger, sondern Gesandter am Englischen Hofe war. Sie ist von einem jungen Deutschen, mit Namen Lockmann, so gut hohem Genius in seiner Kunst, wie Eure größten Meister. Der kühne Adler wird in erhabnem Fluge bald alles überschweben.«

»Die Sophonisbe schrieb Traetta, der wie ein Zevs den tragischen Wetterstrahl schleuderte, vor zwanzig Jahren in Deutschland. Bey Euch ist er nun vergessen; ich habe ihn gleichsam wieder von den Todten auferweckt.«

Sie sagte dieß mit einem so schönen Feuer, wie die Melpomene des Sophokles.

Der Neapolitaner rief: »Recht so! göttlich!«

Eugenia flisterte ihrem Bruder zu: »Ha! darum sang er das Begli astri d'amore so vortreflich! der Meister selbst!«

Hildegard, die neben ihr stand, vernahm dieß deutlich. »Wie, liebe Eugenia? kennst Du den jungen schönen Lockmann schon?«

Der Bruder antwortete ihr: »Wir haben mit ihm glücklich die Reise von Rom hieher gemacht.«

Hildegard wußte sich vor Freude über diese Nachricht nicht zu fassen; die Hälfte ihres sehnlichen Verlangens war schon erfüllt.[161]

»Und er ist noch nicht bey uns?« sagte die Herzogin voll Verwunderung.

»Wir sind erst gegen Abend angekommen;« erwiederte Eugenia.

»O, er ist schon hier gewesen, hat uns aber nicht zu Hause gefunden;« sagte Hildegard, ging auf die Herzogin zu, und nahm sie bey Seite.

Nachdem sie eine Minute heimlich mit einander gesprochen hatten, sagte die D**** laut: »Ohne Bedenken! Ehre und Ruhm und die Huldigung der Schönheit ist für das Genie der größte Reiz zu unsterblichen Werken. Dieß gilt mehr als eine Pension des Königs von Frankreich. – Wir wollen den jungen Künstler noch diesen Abend, sogleich, in Triumph abhohlen.«

Es ward ein Kundschafter nach ihm abgeschickt; und man ließ die Wagen anspannen. Inzwischen flochten die Damen ihm einen Kranz von jungen Lorbeerreisern, die sich unter Eugeniens zarten Fingern willig und schön bogen.

Lockmann befand sich in seinem Quartier.

Die drey wahren Grazien setzten sich in den ersten Wagen, und fuhren voraus. Die beyden Italiäner und die beyden edlen Britten stiegen lächelnd in den andern, und folgten.

Man denke sich Lockmanns Ueberraschung, als seine Freundin unangemeldet in das Zimmer flog und in himmlischer Heiterkeit rief: »Willkommen in Neapel, theurer Freund, hoher Genius! Empfangen Sie hier den Lohn für Ihre Verdienste von der Hand der Schönheit.«

Sie hielt seine beyden Hände fest, und Eugenia band ihm lieblich erröthend den frischen Kranz über die heißen Schläfe, auf die schwarzen Locken.[162]

Vor den gewaltigen Gefühlen, die ihn überströmten, vermochte er nur mit einem tiefen Seufzer zu sagen: »O Schauspielerin ohne ihresgleichen!«

Die Männer traten nun herein, und riefen, wie abgeredet: »Willkommen in Neapel, entzückender Genius der gewaltigsten von allen Künsten!« Der Gatte seiner Freundin Hildegard führte das Wort.

Die Damen führten, trugen, und hoben ihn nun in ihren Wagen. Die Herzogin und Hildegard drängten ihn mit der Römerin im höchsten Stolze der Schönheit auf den Ehrensitz, und fuhren unter tausend Liebkosungen langsam über den Schloßplatz, wobey der andre Wagen ihnen eben so nachfolgte. Die außerordentliche Scene hatte die Gäste im Wirthshause um sie her versammelt, und diese und eine Menge Menschen folgten.

Noch in derselben Nacht ward ein großes Fest gegeben, und ihre ausgewählten Bekannten dazu eingeladen, die nun erst unter Lachen, Jubel und Bewunderung das seltne Abentheuer erfuhren.

Als sie sich an die Tafel setzten, nahm Lockmann seinen Kranz ab, und brachte ihn gewandt und schnell auf Hildegards schönes Haar, das reizend in Locken den schneeweißen Hals bis auf den Busen herabfiel; und sagte: »Die höchste Ehre, dem sie gebühret!«

Dieß gefiel der ganzen Gesellschaft. Hildegard freute sich inniglich über Lockmanns gute Laune, und war so eine Zeitlang die Königin des Festes.

Zu Ende des Mahles schwebte der Kranz leicht, wie von selbst, auf das stolze Haupt der Römerin, das in jungfräulicher Röthe damit prangte. Die Guitarre war schon bereit; sie mußte ihr Lied singen, und that es gefällig, von Reiz übergossen. Der Chorus um die neue[163] Zauberin war nun vollständig. Sie wurde, indeß allgemeines Frohlocken um sie tobte, gleichsam unter die Musen aufgenommen, und hier zur hohen Kunst eingeweiht.

Bevor man aufstand, gab sie die kurze Melodie eines alten zweystimmigen Kanons, vielleicht noch aus dem sechzehnten Jahrhundert, auf ihrem Instrument an; und Hildegard faßte ihn geschwind.

Eugenia sang dann in der Sprache der Musik:


Lebe, liebe, trinke, lärme,

Kränze dich mit mir;


und fuhr fort, indeß Hildegard eben dasselbe sang:


Schwärme mit mir, wenn ich schwärme:

Ich bin wieder klug mit dir.


Es war die süßeste Melodie der Freude, die sich bey dem zweyten Absatze wie von selbst in rührende Harmonie verflocht: ein Meisterstück von Duett. Die alte Griechische Skolie wälzte sich dann in Oktaven durch den ganzen Kreis, und drückte so recht den Taumel der Lust aus.

Als nach der Tafel die Gesellschaft sich in Gruppen vertheilte, konnte Hildegard mit ihrem alten Freund auf einige Momente allein seyn, und sagte ihm noch mit eindringender Zutraulichkeit die wenigen Worte: »Ihr scharfsinniger Verstand und Ihre reife Ueberlegung wird, hoff' ich, mit meiner Wahl zufrieden seyn. Ich habe für unser beyder Glück gesorgt; auch Sie werden das Ihrige als kluger Mann ergreifen, und Sich von keinen unseligen Grillen irre führen lassen. Albernes Uebel und Weh begegnet uns auf jedem Schritte, wenn wir über unsre angebornen Verhältnisse hinaus wollen.«

Er erwiederte, von den Andern abgewendet: »Ich erkenne die Göttin, die noch weiser ist, als die Göttin des Achill und Ulysses.[164] Der hat auf jeden Fall hohen Genuß und Lohn, der etwas Vortrefliches liebt.«

Man wollte die Reisenden sich ausruhen lassen; und also ging die Gesellschaft bald nach Mitternacht aus einander. Die Wagen sollten vorfahren; aber Eugenia machte den kurzen Weg lieber zu Fuße.

Lockmann, der sich, zu Hildegards innigem Wohlgefallen, und zu Aller Bewunderung, als ein Held betragen hatte, nahm die holde Jungfrau, blühender und strahlender als je, in den Arm, welches sie mit sichtbarem Vergnügen geschehen ließ. Er dankte mit Gefühl und Würde herzlich für die ehrenvolle Aufnahme. Die Andern folgten. Es war wie ein schöner warmer Sonnenuntergang, der einen entzückenden Frühling versprach. Hildegarden wallte das Herz, und in ihrem Auge glänzten unaufhaltbare Zähren.

Unterwegs gaben Arm und Hand der süßen Schönheit den ersten Druck der Liebe, der sie wie Feuer durchdrang. Sie entzog ihm zwar sittsam die zarte Hand, aber so lässig und spielend, daß er fühlen mußte, wie gern er aufgenommen ward. Als er zur Thür hinein war, raubte er sich noch, unbemerkt, den ersten Kuß, und sog auf einen Moment den Nektar ihrer Lippen. Sie sträubte sich überwunden, und ward entflammt auf Zeitlebens.

Den andern Morgen hohlte Hildegard bey guter Zeit ihre neue Freundin, und deren Bruder, Schwester und Schwager zu einem Frühstück ab; und machte sie fein und beredt mit allen wirklich vortreflichen Eigenschaften Lockmanns bekannt. Auch dieser war eingeladen, und kam bald.

Man machte dann Musik; und Hildegard wählte die Scenen, worin er sich in seiner ganzen Liebenswürdigkeit zeigen konnte.[165]

Alle Italiäner wurden so bezaubert, daß sie gern zu Mittag blieben.

Nach Tische ward eine lustige Wasserfahrt zu dem angenehmsten Ort am Pausilipp gemacht. Lockmann erzählte unterwegs Hildegarden, was der alte Reinhold für ihn gethan hatte. Die Hörner und Klarinetten auf der Jacht jubelten dazu, als ob sie die Sprache verständen.

Auf einem Spaziergange hielt er sich mit Eugenien von der übrigen Gesellschaft entfernt, machte ihr die gefälligsten Liebkosungen, und sagte die rührendsten Zärtlichkeiten. Hildegard unterrichtete indeß die Andern von seinen Glücksumständen, und ging dabey so lockend, aber auch so edel und wahr zu Werke, wie nie eine Brautwerberin.

Die Begebenheit zu Rom hatte sich inzwischen durch Neapel bey allen Musikfreunden verbreitet; und alle ergötzten sich höchlich darüber. Lockmann stand wegen seiner Schönheit, seines Geistes, seines Charakters, und wegen der Komposizionen, die man schon von ihm kannte, in großer Achtung, und ward nun wegen seines Meisterstücks bewundert. Auch dieses kam der Familie den folgenden Morgen zu Ohren.

Noch war kein Antrag geschehen; aber man hielt den jungen schönen Deutschen für den angenehmsten Gesellschafter, und in seiner Kunst für höchst vortreflich. Eugenia schwieg dabey, war aber zerstreut, und erröthete, so oft man von ihm sprach.

Lockmann benutzte binnen wenig Tagen jede Gelegenheit so gut, daß er ihr bald das zärtliche Jawort in Entzücken von den süßen Lippen lockte.

Er that darauf den förmlichen Antrag. Die Verlobung erfolgte mit einem prächtigen Gastmahl; und gleich nach Ostern die festlichste Hochzeit.[166] Nun pflanzte Lockmann sich erst recht in die Schönheit und Glückseligkeit des menschlichen Lebens ein; er empfand die höchste Wonne des Daseyns glühend und brennend, und theilte sie jauchzend im Uebermaße mit.

Die drey jungen zärtlichen Paare machten dann einen verliebten Flug um die reizenden Küsten von Sizilien, kehrten durch das pittoreske wilde Kalabrien zurück, und schlugen überall – auch in ihrem May – wie die Nachtigallen. Bald schwärmten sie nach Rom, wo man zwar aufgebracht über Hildegarden war, aber ihr, und dem außerordentlichen Deutschen, welcher der Stadt ihre größte Schönheit entführte, dennoch huldigte.

Hildegard und ihr Gemahl hielten sich nicht auf; sie reisten mit dem Herzog und der Herzogin bey Nacht schnell durch, voraus nach Terni. Lockmann blieb nur so lange, bis Eugenia in Bereitschaft war, die den Unvergleichlichen schon lieb genug gewonnen hatte, um ihm bis an das Ende der Welt zu folgen.

Dann reisten sie eilfertig durch die schönen Thäler des Apennin, an dem Adriatischen Meere hin, und nun zurück durch die kühlen Tiefen der Alpen; und dann jedes Paar an den Ort seiner Bestimmung.

Die Herzogin D**** gebar zuerst: leibhaftig das Christkindlein im heiligen Hieronymus von Correggio. Hildegard drey Monate später eine Hebe voll Gesundheit und Leben. Zu ihrer höchsten Freude verlor sie nichts von der Schönheit und Stärke ihrer Stimme, und entzückte damit noch lange Londen, Paris und M**, an welchen letztern Ort ihr Gemahl bald als Gesandter kam. Die kindische Furcht, durch welche sie, nächst ihrer Tugend, den gefährlichsten Verführungen entschlüpfte, verschwand. Frau von Lupfen hatte ihre Stimme verloren, weil sie in ihrer ersten Jugend geschnürt[167] worden war. Die Schwangerschaft trieb dann ihren Brustkasten so aus einander, daß er seine vorige Kraft einbüßte. Der selige Hohenthal gestattete nie, daß man seine Tochter schnürte, und sie war frey, wie eine Spartanerin, eine Georgierin, herangewachsen.

Eugenia beglückte ihren Lockmann mit einem andern Achill, über den er den ersten fast vergaß. Sein alter Freund lullte und wiegte den kleinen Schreyer mit Lust zum Stillschweigen, kos'te Römisch und Deutsch mit der reizenden Mutter, und erheiterte den kurzen Rest seines Lebens in ihren Sonnenblicken.

Lockmann bekam schon das zweyte Jahr nachher einen königlichen Ruf nach M**, welchen er schwerlich angenommen hätte, wenn Vater Reinhold nicht eben plötzlich in die Ewigkeit hingeschlummert wäre. Dieser starb an einem Stickflusse. Man fand ihn eines Vormittags todt in seinem Bette. Er hielt noch eine Prise Tabak zwischen dem rechten Daumen und dem Zeigefinger, und lag halb aufgerichtet mit erhöhtem Kopfküssen in einer vergnügten Geberde.

Der Fürst wollte Lockmanns Flug in eine ihm angemeßnere Sphäre nicht hemmen. Ihn begleitete dessen Segen, als er von ihm schied. Der dankbare Künstler versprach ihm aus seinen neuen Komposizionen alle die Ove son? che ascoltai? und die


Tornate sereni

Begli astri d'amore!

1

Man sehe Th. II. S. 253.

2

Mozart hat diesen Kunstgriff, das Ganze zusammen zu halten, in seiner allgemein bewunderten Zauberflöte zu Anfange des zweyten Akts, mit einigen Zügen glücklich nachgeahmt.

3

Da wirst Du sehen, wer ich bin; nein, ich rede nicht vergebens mit Dir.

4

Und der Schall der Trompete, der in Erschrecken setzt.

5

Wenn der Blitz des Schwertes flammt.

6

Mir zittert das Herz, es ist keine Hofnung mehr.

7

Theure Kinder, noch eine Umarmung! gieb mir, o Gattin, noch einen Abschiedskuß! O Kinder, o Gattin! theure Pfänder meines Herzens! Ach, o Gott, ich kann Euch nicht verlassen, noch meinen Schmerz verbergen!

8

Kommt, o Kinder, drückt den unglücklichsten der Väter an Eure Brust.

9

Ja, ich bin Sabino.

10

Du beschimpfst mein Blut.

11

Schon hör' ich die gräuliche dumpfe Stimme des Todes, die mich zum Grabe verlangt.

12

Und sehe um mich herschweifen die verhaßten Haufen gräßlicher Gestalten.

13

In welchem harten Augenblicke sag' ich Dir das letzte Lebewohl! – So naht denn von einem unglücklichen Leben das traurige Ende.

14

Standhaftigkeit, meine Seele! wenig Augenblicke deines Leidens sind übrig.

15

Der Tod ist ein Uebergang: ihn bewölke kein Schatten von Furcht.

16

Ha, so werde denn das böse Schicksal vollendet!

17

Andreas Comparetti. Observationes de aure interna anatomicae. Patavii.

18

Dieser hat ihn, unter dem Namen J, in der Orgel der Dreyfaltigkeits-Kirche zu Berlin anbringen lassen.

19

Oedip bey Kolon angelangt, in Sacchini's Meisterstücke, ruft recht eigentlich darin aus: Dieux justes! dieux clémens! Besonders herzzerreißend ist er eben da in der Verwechselung der Terzquartsext.

20

Antigone, die zärtliche Tochter, vermischt bey solchen Seelenaccenten ihre Thränen mit den Thränen des Oedip: Jouissons du bonheur de confondre nos larmes.

21

Man wird der Londoner Dame leicht verzeihen, daß sie die alte Sage aus den Zeiten des Boccaz her zu Hülfe nimmt, um ihren wilden Einfall durchzusetzen.

Quelle:
Wilhelm Heinse: Sämmtliche Werke. Band 6, Leipzig 1903, S. 1,168.
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