An Deutschland

[298] Von eins am rötlichen Heidestrecken,

Wo schweigend Hirt mit der Herde zieht,

Zur schwarzen Stadt, wo sich Schlote recken

Und Hämmer dröhnen ihr eisern Lied ...

Von Meereshäfen, mastenreichen,

Drin Pfeifen heulen und Kräne knarrn,

Zu schattenspiegelnden Bergesteichen

Und märchenwebendem Hochwaldfarn –


Wo Menschenhände sich wirkend rühren,

Und wo die Seele der Heimat sinnt,

O, all deine Adern und Fasern spüren

Den Strom des Schicksals, der dich durchrinnt,

Deutschland, Mutter der Schaffensfrohen,

Wiege der geisteskämpfenden Kraft,

Das unter dem Herzen trägt Heroen

Heiliger Kunst und Wissenschaft!


Erst zuckt' es durch all deine Fasern und Adern,

Als schlüge der Blitz in dein innerstes Sein.

Dann ruckt' es zusammen zu menschlichen Quadern,

Dein Fuß wurde Fels, dein Haupt wurde Stein.[299]

Es zerrten und rissen die Fluten der Lüge,

Der Sturm der Zerstörung an deinem Gebein –

Du hieltest gewaltig in deinem Gefüge

Und botst der Verleumdung ein ehernes Nein.


Festgeschlossen, in Erz gegossen,

Deutschland, menschheitsgläubiges, steh!

Eins im Wehrbann der Werkgenossen,

Eins im Wahrheitsbund der Idee.

Deines verbündenden Geistes Mauer

Sei der Gerechtigkeit schützendes Tor –

Unter dir der Vernichtung Schauer,

Wachse zur Wartburg der Freiheit empor!

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 298-300.
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