Ein weißes Blatt

[61] Schlußgedicht zur zweiten Auflage der »Amselrufe«.


Ein weißes Blatt – mit Versen noch zu füllen!

Ein weißes Blatt, dem wilden Fluch bereit.

Die Qual rückt an, mich finster zu verhüllen

Und Blut zu sprühn aufs schwarze Blatt der Zeit.


Doch du reichst, ernste Freude, mir die Feder,

Mir auf die Schulter senkst du mild die Hand:

Dem Feinde fluchen, mein Poet, kann jeder,

Ihn zu besiegen, Freund, bist du gesandt.


Sieg dir, Sieg dir, wenn du den Zorn bezwungen,

Der keuchend dir den freien Atem schnürt!

Sieg dir, Sieg dir, wenn deines Liedes Lungen

Der freie Flügelschlag der Freude rührt!


Durch Qual zur Kunst! Allfrei vom Haß der Masse

Ruf deine Rhythmen, ruf zum kühnen Chor!

Die Kunst ist frei. Der Freiheit eine Gasse!

Mit hellem Spiel durchs dunkle Zukunftstor!

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 61-62.
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