Herzschlag

[127] So laßt mich schrein! Ihr sollt den Herzschlag hören!

Es geht nicht mehr, die Schurkerei zermalmt

Den Geist mir noch. So muß ich sie zermalmen.

Da draußen blüht der grüne Sommer mir

In frischer Unschuld Purpurglut entgegen,

Die Glocken läuten heimlich durch das Tal,

Und Rosen duften durch die milden Lüfte,

Mit Fichtenhauch von Bergeshöh vermählt.

Doch knirschend rasselt, qualmausspeiend, heulend

Des Menschenelends Walzenungetüm

Erbarmungslos durchs Blütenreich der Seele.

Es brüllt der Grund, und Gott, der Geist, erdonnert.

Kommt aus den Kerkern mir, Zuchthäusler, kommt!

An eure harten Herzen will ich klopfen

Nach Menschlichkeit, die diese Welt verriet.

Ihr seid doch Kerle, wenn ihr Schurken seid,

Und meinen Hut zieh ich vor euch zu Boden

Aus Achtung tüchtigen Halunkentums.[128]

Doch dieser stümpernden Banditensippe,

Die mit Moral Erbärmlichkeit maskiert

Und die Gemeinheit »vornehm« übertüncht,

Kehr' ich, von Übelkeit geplagt, den Rücken.

Hol' euch der Geier, eh der Frühhahn kräht!

Krepiert am Giftsud eurer Heuchelei,

Am Fallstrick baumelt eurer Pfiffigkeiten,

Im Eiterozean der Lüg' ersauft!

Verkohlt im Scheiterhaufen eurer Schande,

Die Hochmutsguillotine köpf' euch, scharf

Schieß' euch die eigne Frechheit übern Haufen!

Aus meiner weichen Jünglingsbrust ausrod' ich

Des Mitleids Wurzel, die um euch sich schlingt.

Mitleid wird Schuld, verkuppelt sich's der Fäulnis,

Die frech-gefräßig Menschenwert zerstört,

Duldung Verbrechen, Sünde die Versöhnung,

Und Haß zum Tode heilige Menschenpflicht.

Mit Hassesschrei, auf Schwingen der Verachtung,

Im dunklen Aug' der Wahrheit Blitz und Schrecken,

So rauscht der Aar durch Pestglut und Verwesung

Den Kordilleren kühner Zeiten zu.

Tief unten stink, du ekelhaftes Aas,

Wo Kräh'n und Raben weidend Atzung halten

Und sich behaglich mästen mit dem Kot

Der Feigheit, Roheit, Dummheit, Faulheit, Lüge!

Im grünen Schlamm der Knechtsgewohnheit wälzen[129]

Die fetten Ottern des Jahrhunderts sich

Und ringeln sich und lecken sich die Schwänze

Und zischen tausendzüngig giftig auf,

Fliegt über sie der stolze Weih der Wahrheit,

Einsamen Fluch verkündend, traurig fort.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 127-130.
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