Ist's genug?

[177] Ungebeugter Stolz der Haltung,

Einfachheit in Wort und Kleid,

Keine Phrasenprachtentfaltung

Falscher Leidenschaftlichkeit;

Kraft des Wissens in den Blicken,

Ruhig redend, klaglos, klug –

»In die Gruben ihn zu schicken,

Ist's genug?« der Richter frug.


Durch die Welt des Elends schreiten,

Schreiten durch der Knechte Nacht,

Wort der Wahrheit zu verbreiten

Wider Macht der Niedertracht;

Licht in die Baracken werfen,

In der Hand der Freiheit Buch –

»Ihn mit Ketten zu verschärfen,

Ist's genug?« der Richter frug.
[178]

Freundschaft, Glück und Liebe lassen,

Einsam wandeln öde Bahn,

Seiner Brüder stumpfe Massen

Wecken aus dem starren Wahn;

Von den Eltern scheu gemieden,

Der doch keinen Bruder schlug –

»Ihn dem Mörder anzuschmieden,

Ist's genug?« der Richter frug.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 177-179.
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