Krieg dem Kriege

[186] Zu Carduccis Ode auf den Krieg


Ein Dichter schrieb: »Der Krieg muß bleiben,

Er ist notwendig, menschlich, schön!«

Mich aber lehrt die Wahrheit schreiben

Zum Trotz dem trügenden Getön:

Der Krieg muß fallen und verderben,

Er ist unmenschlich, häßlich, faul,

An seiner Fäulnis muß er sterben,

Wahnsinnig wie der König Saul.


Ein Erbteil blutbefleckter Ahnen,

Voll räuberischer Mördergier

Begleitet er der Menschheit Bahnen

Bis in der Gegenwart Revier.

Er pfeift und winselt noch nach Beute,

Verpestend unsrer Erde Flur,

Er hüllt sich schlau in feinere Häute

Und schleicht auf frischen Aases Spur.
[186]

Doch ist's kein Traum mehr, ist kein Plunder

Betörter Hoffnungsseligkeit,

Es ist kein Wahnwitz und kein Wunder,

Es ist ein Ziel der Wendezeit!

Die Menschheit ward des Schlachtens müde,

Der Selbstzerfleischung Schwertzahn bricht,

Und Friede! klingt es, Friede, Friede!

Von Angesicht zu Angesicht.


Zwar kein Gebet, kein Lied der Lieder

Beschwört das Scheusal alter Nacht,

Die Menschheit wirft die Waffen nieder,

Und siehe da! Es ist vollbracht.

Wenn unser Wille Macht geworden,

Der Wille, wahrhaft zu befrein,

Wird ewiger Urlaub allem Morden,

Wird Friede, Friede, Friede sein.


Ein Dichter schrieb: »Der Krieg muß bleiben,

Heroisch, wie er immer war,«

Ich aber muß zur Wahrheit schreiben:

Der Dichter ist ein Versbarbar!

Er trügt in seiner schönen Ode,

Weil er nicht horcht, weil er nicht lauscht,

Wie zu der alten Menschheit Tode

Der neuen Menschheit Taufpsalm rauscht.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 186-187.
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