Lebenslauf

[36] Er war von Mutterleib der Brave

Und hat sich trefflich aufgeführt,

Er war das zahmste aller Schafe,

Dem stets der Demut Kranz gebührt.

Er war gehorsam in der Schule,

Der Bakel lehrt' ihn seine Pflicht,

Er träumte nie vom fernen Thule,

Denn unvernünftig war er nicht.


Mit Glorie macht' er sein Examen,

Ward vielbeflissener Jurist,

Er schwärmte sehr für leichte Damen

Und war ein königstreuer Christ.

Er hob urdeutscher Sitte Fahne

Und brüllte weidlich mit im Schwarm,

Macht' seinen Schatz zur Kurtisane

Und zahlt' sie aus – daß Gott erbarm!
[37]

Er war ein eleganter, feiner,

Ein höchst charmanter, junger Held,

Galant, wie er, war keiner, keiner

So unterhaltend auf der Welt.

Der Kneifer thront' ihm auf der Nase,

Er schwang sein Stöckchen selbstbewußt,

Ihn lobte Onkel, Tante, Base

Und zog ihn liebend an die Brust.


Er avancierte und er minnte,

Natürlich nicht um Geld noch Stand –

Verspritzte selbst zu Versen Tinte,

Und sein ward die ersehnte Hand.

Er lebte in behäbiger Muße

Als wohlbestallter dritter Rat,

Zuweilen litt er auch am Fuße

Und ging von Zeit zu Zeit ins Bad ...

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Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 36-38.
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