Lied der Armen

[163] »Wir sind die Armen, wir sind die Elenden,

Arme und Elende sind wir nicht,

Weil mit reichen Tönen, mit glückbeseelenden,

Zu uns die Stimme der Zukunft spricht.

Wir sind die drunten in Tiefen Wohnenden,

Um unsre Stirnen noch streicht die Nacht,

Doch wir beneiden die droben Thronenden

Nicht um die prunkenden Sessel der Macht.


Denn in die Tiefe sollen versinken

Gleißende Herrlichkeiten der Herrn,

Stürzen zur Rechten, stürzen zur Linken,

Ob ihren Häuptern erbleicht der Stern.

Aber zu unsern Häupten entflammen

Sterne der Freiheit ihr funkelnd Licht,

Goldene Säulen brechen zusammen,

Nimmer, was wir erbauen, zerbricht.
[164]

Uns ist gefallen ein Los vor allen

Unvergleichlich und wahrhaft schön:

Wir steigen aufwärts, und vorwärts wallen

Wir zu des Lebens leuchtenden Höhn.

Wir sind die Armen, wir sind die Elenden,

Arme und Elende sind wir nicht,

Weil mit reichen Tönen, mit glückbeseelenden,

Zu uns die Stimme Gottes spricht.«

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 163-165.
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