Höher!

[166] Über die schneebestreuten Hügel

Schreit' ich. Die Luft geht herb und rein.

Meiner Seele wuchsen die Flügel

Neu. Schimmernd im Abendgold schwebt sie allein.


In den Nadelholzlichtungen rauchen

Bläuliche Feuer. Die Axt erschallt.

Todgeweihte Tannen verhauchen

Ächzend ihr Leben. Niederbricht ihre schlanke Gestalt.


Abgeholzt auch in meinem Reviere

Ward manch lieber, zitternder Baum.

Aber was ich leidend verliere,

Schafft mir Lichtung. Schicksal wächst und will weiteren Raum.


Nur im Herzen ein leises Stöhnen

Kündet von niedersausendem Schlag.

Weh! es gibt wohl ein weich Gewöhnen

Auch für Gehärtete. Jedes »Höher« ist eines Tieferen Todestag.


Flügel, tragt mich ohne Versäumen

Zu dem glühend winkenden Grat!

Daß meinen kühnsten Jugendträumen,

Weg über Tod und Verlust, firnenleuchtend Erfüllung naht.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 166-167.
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