Mein Herz

[158] Es ist mein Herz ein stets verändert Meer,

Das eben silbern alle Himmel spiegelt,

Dann wieder liegt es brütend schwarz und schwer,

Bis es der Sturm – wer weiß woher? – aufwiegelt.


Zuweilen fährt ein kleines Segelboot

In einer friedlich stillen Bucht darüber,

Die Fischerin singt leis ins Abendrot –

Auf einmal wird die Flut von Schatten trüber.


Bald wogt die Welle weithinrollend fort

Und trägt die Jacht zu goldenen Gestaden –

Da droht die Sandbank, sinnt ein Hai auf Mord ...

Und muschelsuchend siehst du Kinder baden.


O Schaum aus Purpur und aus Wolkennacht,

Schoß der Korallen und der Ungeheuer,

Herz, das im Wahnsinn schon geweint, gelacht,

Das tief durchfurcht des Willens trotzig Steuer!


Ich möchte, daß du meinem Saitenspiel

Dich schmiegen lernst in Brandung und Gefahren.

Ich will: die Sonne zittert um den Kiel!

Ich singe: die Delphine ziehn zu Paaren.
[159]

Denn wehe, wer dir Kork und Spielball ward!

Sirene saugt und speit ihn an die Klippe,

Sein Sturmgeist liegt in faulem Tang verscharrt,

Und Tropengluten bleichen sein Gerippe.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 158-160.
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