Verlust und Trost

[144] Wie sangen die Vögel der Jugend so süß

In Goldregen und Syringen!

Der Traum schlug um mich sein Zaubervlies ...

So hör' ich sie nie mehr singen.


Was ist meinen armen Ohren geschehn

Seit jenen taufrischen Tagen,

Daß die Nachtigallen nicht mehr so schön

Und matter die Drosseln schlagen?


Ich glaube, der große graue Mann,

Das Leben ist gekommen

Und hat mit grausamem Griff daran

Das Blümchen weggenommen.


Mir wird zumute ganz wunderbar

Wie einem Kind auf der Wiese:

Ist denn das alte Märchen wahr

Vom verlorenen Paradiese ...?
[144]

– »Dein Herz ist traurig, dein Geist ist müd,

Dir grau die Stunde zu färben –

O Liebster, die Blume der Jugend blüht

Taufrisch aus Moder und Scherben.


Die Vögel singen so süß wie einst,

Mußt nur ein Stündelein warten –

Dann kommt es dir, daß du vor Freude weinst

Im wiedergefundenen Garten.«

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 144-145.
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