Weltenritt

[19] Ich sattle mir den Schimmel,

Einst Pegasus genannt,

Und reite durch Erde und Himmel,

Die Zügel in sichrer Hand.
[19]

Dem alten Dichterpferde

Ist meines nicht mehr gleich,

Sein Huf berührt die Erde,

Seine Nüster des Äthers Reich.


Der Schenkel stampft die Scholle,

Vom Hals trieft Wolkenschaum,

O traurig wundervolle

Jagd durch den Weltenraum!


Planeten seh' ich kreisen,

Gestirne blendend lohn –

Ich höre jeden leisen

Menschlichen Klageton.


In unmeßbare Weiten

Mein suchend Auge irrt –

Jede Träne fühl' ich gleiten,

Die hier geweinet wird.


Erschauernd faßt die Seele

Des großen Einklangs Bild –

Im Schmerz erstickt die Kehle:

O wundes Menschenwild!


Fand nun die fremde Stätte

Ja doch an keinem Ort,

Die mir verkündet hätte

Das letzte Lebenswort.
[20]

Die Jagdlust ist vergangen,

Todmüde wacht mein Sinn –

Ich lasse die Zügel hangen

Und trabe langsam hin.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 19-21.
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