Im Exil

[36] Täglich seh' ich jenen jungen

Russen mir vorüberwehen,

Dessen Augen schmerzbezwungen

Düster vor sich niedergehen.

Bücher schleppt er unterm Arme,

Müd ist seines Ganges Weise,

Schleppt die Last von ewigem Harme –

Seine Lippen zucken leise.[36]

Und der schwarze, kurzgeschorne

Bart umflort des Mundes Weh,

Traurig grüßt der Leiderkorne

Seines Volks Gethsemane.


Polizeikosakenknuten

Hör' ich auf ihn niedersausen,

Dumpfer Klagen finstre Fluten

Des Verbannten Ohr umbrausen.

Sklaventrägheit fühl' ich lasten

Bergesschwer auf seiner Seele,

Heißen Zornquell spür' ich hasten

Wildaufschäumend nach der Kehle.

Eisige Steppenkatakombe

Überfriert mich nordlichtklar,

Und zerschmetternd platzt die Bombe

Auf der Freiheit Blutaltar.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 36-37.
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